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"Lass uns doch erst mal schauen, was es hier so gibt", schlug Che vor.

"Aber außer Beeren sammeln oder so Zeug können wir doch nicht viel machen. Oder kannst du mit der bloßen Hand jagen?", fragte ich schnippisch.

"Nein. Ich möchte auch keine Tiere umbringen."

"Aber Sammelessen gibt es hier bestimmt nicht allzu viel", stellte ich fest.

"Wahrscheinlich." Che wirkte irgendwie nachdenklich.

"Und wie stellst du dir das dann vor mit dem Essen suchen?" Für einen Moment schwieg Che. Doch dann schien er einen Geistesblitz gehabt zu haben.

"Sehen wir uns erst mal um." Mit diesen Worten rannte er auch schon los. Ganz toll. Ich musste wohl oder übel folgen. Es war ziemlich anstrengend, über so viele Unebenheiten im Boden zu laufen. Lauter Wurzeln und so Sachen. Wie üblich flitzte Che voraus, ohne sich umzudrehen. Man musste also selbst sehen, wie man in seiner Sichtweite blieb. Ich hatte jetzt schon die Nase voll davon.

Autsch! So ein Scheiß! Offensichtlich war ich an etwas hängen geblieben. Musste wohl ein Ast oder so was gewesen sein. Mein Knöchel schmerzte wie noch was. Das auch noch!

Humpelnd versuchte ich Che weiter, hinterher zu hechten. Verständlicherweise vergrößerte sich der Abstand zwischen uns merklich. Ich sah ihn kaum noch. Konnte mir jetzt auch egal sein. Ich hockte mich einfach auf den Boden. Inzwischen schmerzte sogar mein ganzer Fuß höllisch.

"Was ist?" Woher kam Che denn so plötzlich? "Verstaucht?" Sein Blick fiel auf meinen Fuß.

"Weiß nicht", entgegnete ich nur missmutig.

"Lass mal sehen." Che kniete sich vor mich und zog mir meinen Stiefel und die Socken aus. Aus den Untiefen seiner Hosentaschen holte er eine Art kräftiges Stofftuch. Wie konnte er bloß für jede mögliche Situation so perfekt ausgerüstet sein? Auf seinem Bein legte er meinen Fuß ab. Vorsichtig aber dennoch fest legte er den Verband an. "Zum Fixieren. Das ist perfekt mit dem Absatz und dem Stiefel. Da tut es noch weniger weh. Glaub mir. Andere Schuhe sind dafür echt ungeeignet." Zum Glück steckte mein Knöchel ohnehin schon in einem Cowboystiefel. Allerdings musste man ihn nun ein bisschen Quetschen, damit er noch hinein passte. Aber mit Che ist, so gut wie alles möglich.

"Besser?" Ich nickte. "Pass jetzt ja auf, wo du hintrittst." Che lief langsam neben mir her. Der Verband verfehlte seine Wirkung nicht. Mein indianischer Wegbegleiter kannte sich echt aus.

"Ich hab schon was gesehen, das uns echt mehr als nur gelegen kommt", verkündete Che stolz.

"Echt? Was denn?" Jetzt wollte ich es genauer wissen.

"Einen Campingplatz!"

"Aber was sollen wir denn da? Wir haben doch kein Geld. Oder hast du etwa welches?" Immerhin besaß Che ziemlich viele Dinge, von denen ich keinen blassen Schimmer hatte.

"Nein. Oder besser gesagt kaum."

"Aber dann... " Aber ich wurde jäh unterbrochen.

"Lass mich nur machen. Da kommen wirauf jeden Fall an alles, was wir wollen." Ehrlich gesagt, war der Campingplatz wirklich nicht allzu weit weg. Natürlich hatte ich zuvor wieder deutlich gemacht, dass das jetzt das Letzte war, was ich eigentlich machen wollte. Doch Che setzte wie immer seinen Kopf durch. Leider wie immer zurecht. Es würde nichts bringen, sich aufzuregen, hatte er gesagt. Traurigerweise hatte er schon wieder Recht. Trotzdem war er der einzige Mensch auf dieser ganzen Welt, der es so lange mit mir aushielt, ohne selbst verrückt oder extrem reizbar zu werden. Riesiges Kompliment. Normalerweise machte ich mir bei so was Feinde anstelle von Freunden.

Der Campingplatz war genau genommen kein Campingplatz. Oder zumindest nicht so einer, den man sich unter diesem Wort vorstellt. Es war ein asphaltierter Platz ohne alles. Lediglich ein einzelner, alter VW-Bus war darauf zu entdecken. Da konnte man doch nichts holen! Oder wollten wir da jetzt einbrechen? Jedoch konnte ich mir das nicht von meinem ehrlichen Che vorstellen. Allerdings steuerte dieser direkt auf den VW-Bus zu.

"Was willst du denn da?" So langsam wurde mir dann doch etwas mulmig. Ich meine, ein Verbrechen wollte ich trotz allem, das so ein Verhalten rechtfertigen könnte und dem Fakt, dass wir beide noch nicht volljährig waren, nicht begehen. Dazu besaß ich noch zu viele weiße Zellen im Gewissen.

"Lass mich nur machen." Das klang ja sehr vielversprechend.

Bald standen wir tatsächlich auf dem Asphaltplatz.

"Und was soll das jetzt werden?" Mein Geduldsfaden war hiermit zu Ende. Nur, damit du gewarnt bist, Che!

"Scht", machte dieser nur. Genau im selben Moment stiegen zwei Männer aus den Bus. Auch das noch.

"Schönen Tag", grüßte Che völlig unbeirrt und unschuldig. Hut ab. Ich stand nur wie versteinert daneben und rührte mich keinen Millimeter vom Fleck.

"Hallo." Einer der Männer ging auf uns zu. Freundlich lächelte er. Seine Haare waren länger als Ches. Genauso war es bei dem Anderen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Haare des einen braun und die des anderen blond waren. Der Blonde, der näher gekommen war, grinste uns an. Hallo, dachte ich mir.

"Was führt euch beide denn hier her?" Im Reden wischte er seine blonden Haare nach hinten. Erst dann bemerkte ich, dass er kein Oberteil trug, sondern lediglich kurze Shorts.

"Wir sind unterwegs zu meinem Opa", stellte Che lässig fest. Unser Gegenüber dürfte, genauso wie sein Freund, ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt sein. Ich fragte mich noch, ob man ihn wohl duzten oder siezen sollte. Diese Frage meinerseits erübrigte sich jedoch gleich. Denn Che sprach einfach los: "Und was macht ihr hier so?" Wahrscheinlich gehörten diese Männer zu der Kategorie Rocker. Die sollte man also duzen. So was in der Art konnte nur Ches Logik sein. Niemand anderes dachte so wie er.

"Ein bisschen herumreisen. Ein bisschen arbeiten. Ein bisschen von allem. Ein bisschen uns selbst finden." Er lachte. Dabei sah er Che nicht gerade unähnlich. Passte doch zum Hippiestil. "Wie kommt ihr beiden eigentlich hier her?"

"Mit unserem Cadillac", erklärte Che, als wäre es das Normalste der Welt.

"Echt jetzt? Und wo ist der?" Zwischenzeitliche war auch der andere Typ näher gekommen. Bestimmt hatte ihn das Wort Cadillac angezogen.

"Ein wenig weiter weg. Wir haben uns gerade nach etwas zu Essen umgesehen."

"Wollt ihr mit uns essen?", fragte der Blonde freundlich.

"Wenn ihr nichts dagegen habt."

"Natürlich nicht. Ihr seid herzlich eingeladen." Dieses Mal sprach der Braunhaarige. "Bringt doch euren Cadillac auch her. Nicht, dass der noch gestohlen wird."

"Klar. Wir sind gleich wieder da." Che zog mich am Ärmel zu sich heran. Das sollte dann wohl heißen: Machen wir uns aus dem Staub. Und zwar schleunigst!

Als wir uns schon ein bisschen entfernt hatten, stieß ich Che an. "Wir gehen da aber nicht mehr zurück, oder?"

"Aber sicher. Warum sollten wir nicht?", erwiderte er bloß.

"Das sind komische Typen. Wer weiß, was die mit dem Cadillac machen wollen. Vor allem der Braunhaarige war ja ganz hellhörig bei dem Wort. Der will den selber klauen."

"Du besitzt aber auch gar keine Menschenkenntnis. Die wären die Letzten, die so was tun würden. Vielleicht mögen sie ein bisschen schräg sein, aber solche Menschen haben erstens keine Verwendung für unseren Cadillac. Für die ist der VW-Bus doch die deutlich bessere Option. Und zweitens sind das Rocker oder pazifistische Hippienachkommen. Und Rocker tun nur denen aus dem Gegenclan was. Zu den Normalbürgern sind die immer übertrieben freundlich, damit kein falsches Image entsteht. Mensch Jay! Ist doch alles eindeutig!"

Wenn er meinte. Ich ließ Che einfach machen. Gegen ihn hatte ich ohnehin keine Chance.

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