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Betty und meine Eltern sehen mich ein wenig schief an.

"Da hab ich es gefunden!" Wie verrückt wedle ich mit der Karte in der Luft herum. Darauf wird Betty natürlich aufmerksam.

"Was ist denn das?", will sie sofort wissen.

"Drei Mal darfst du raten." Ich drücke ihr lachend die Karte in die Hand. Verwirrt sieht Betty sich das Papier an. Ihre Augen beginnen zu leuchten und ein Strahlen zieht über ihr Gesicht. Wie süß! Ich freue mich tatsächlich für sie.

"Mum! Dad! Schaut mal! Das hat James extra für mich mitgenommen! Er war auch da!" Natürlich. Kann es Betty kaum fassen. Mum und Dad lächeln nur. Sie verstehen die Welt nicht mehr und versuchen mich durch Blicke auszuquetschen. Ihre Augen sprechen förmlich: Wie bist du bloß an diese Autogrammkarte rangekommen?

Sorry, aber dazu gibt es keinen Kommentar. Wisst ihr, ich kenn Jay Jones besser als mich selbst. Aber das wisst ihr natürlich nicht.

"Mann, hab ich einen Hunger!" Ich will jetzt nur noch von dem Thema Karte loskommen. Sofort steuere ich auf das Haus zu.

"Ich hab schon Essen vorbereitet." Mum wirkt sichtlich erfreut. Drinnen ist es sehr gemütlich. Neben der kleinen Küche steht so ein netter Holztisch mit diesen rustikalen Holzstühlen. Ich mag so was.

"Wollen wir Countrymusic hören?", frage ich in die Runde.

"Ich dachte, du magst so etwas gar nicht." Dad sieht überrascht aus.

"Doch. Schon seit 'ner Weile." Kommt bloß auf die Definition einer Weile an. Also habe ich nicht gelogen. Ist doch wahr!

"Setz dich doch." Jeder fühlt sich von Mum angesprochen und setzt sich.

Dad deutet auf den einen Stuhl. "Nimm Platz."

Er lächelt verschwörerisch. Was ist denn nun schon wieder los?

Vor mir auf dem Tisch liegt ein Buch. Ich überfliege den Titel. "Das magische Gefühl unverwundbar zu sein". Der Autor: Che Guevara. Ich fasse es nicht! Ich kann nicht anders als lachen.

"Aber... Wie seid ihr dazu gekommen? Ich dachte, ihr hasst so was." Ich verstehe die Welt nicht mehr. "Ich mag es auch nicht sonderlich. Aber es soll ja schließlich dir gefallen. Du hattest doch Geburtstag." Das ist schon ewig her. Aber egal. "Ich dachte, du interessierst dich für die Lateinamerikareise von Che Guevara. Darum drehen sich ja auch die Motor Cycle Diaries. Oder etwa nicht?"

Hat er es also doch gewusst! Und ich dachte immer, alles wäre perfekt verheimlicht worden. Hab ich mich wohl getäuscht. Ich muss einfach nur lachen. Lachen und mich wundern. Mehr verstehe ich im Moment wirklich nicht.

"Danke." Ich lächle Mum und Dad an.

"Freut uns, dass es dir gefällt.", meint Mum lächelnd. Sie kommt aus der Küche mit selbst gekochtem Essen zurück. Es schmeckt sogar besser als erwartet. Ich war immer überzeugt davon gewesen, dass meine Mutter nicht kochen könnte. Immerhin ist das das allererste Mal, dass sie überhaupt für uns kocht. Sonst waren wir immer nur essen. Wahnsinn! Die perfekte Harmonie.

"Ich hab keine Lust wieder auf diese Freizeit zu gehen." Betty wirkt beinahe trotzig. Jetzt gibt es gleich Stress. Na super! Und da ist alles einmal einfach so schön. Du bist echt hohl, Betty! Klar, hab ich da auch keinen allzu großen Bock zu. Aber gut. Das kann man überleben. Lass uns gute Christen werden. Aber bitte erinner mich doch jetzt noch nicht daran. Reicht doch, wenn die traurige Realität eintrifft.

"Sollst du auch nicht. Oder besser gesagt, ihr nicht."

"Was!" Ich bin total perplex.

"Nein. Dieses Jahr haben wir etwas ganz Besonderes vor."

Betty und ich beugen uns vor. Alter, was kommt denn jetzt? Bitte nichts noch Schlimmeres. Obwohl ich nicht weiß, was noch viel schlimmer und besonders ist. Bitte nicht!

"Erst wollten wir mit euch zum Strandurlaub nach Ventura fahren. Das ist bei Malibu. Ist wirklich schön da. Und surfen kann man auch." Hört sich doch schon vielversprechend an. Heißt zwar Selbstbeschäftigungsprogramm, Aber mir soll's recht sein. Besser als im Camp. Und natürlich super Wetter. Was will man mehr? "Aber eigentlich wollten wir noch länger etwas Anderes tun." War ja mal wieder klar. Müssen wir dann ins Internat?

"Erinnert ihr euch noch an Onkel Timothy?" Nein, wer soll das sein? Mein Unverständnis wird Dad schnell bewusst. "An ihn müsste sich James eigentlich am besten erinnern. Schließlich wäre er eigentlich schon seit einer ganzen Weile dort." Ich muss grinsen. Jetzt verstehe ich.

"Aber darum soll es ja nicht gehen. Er hat uns eingeladen. Alle. Nicht um amerikanischer zu werden. Er möchte mit uns feiern. Seit einigen Jahren ist sein Sohn abgehauen. Er wollte niemals darüber sprechen. Es hat ihn so verletzt. Aber seit kurzem hat euer Cousin wieder Kontakt zu Onkel Timothy aufgenommen. Natürlich hat sich Timothy sehr darüber gefreut. Daher möchte er gerne uns alle treffen. Damit wir uns wiedersehen. Das finde ich eine nette Idee. Sein Sohn wird auch da sein. Und natürlich noch ein großer Teil unserer restlichen Familie. Da wird auch wer für dich dabei sein, Betty."

Meine Schwester freut sich riesig. Wie eine Durchgeknallte springt sie im Zimmer herum. Klar. Ist tatsächlich mal was Anderes. Und zwar komplett.

"Vom Alter her würde Timothys Sohn zu dir passen." Dad lächelt mich an. "Erinnerst du dich noch an Viggo? Viggo Rutherford? Längere, blonde Haare? Sieht ein bisschen aus wie Kurt Cobain?"

Mit einem Mal dämmert es mir. Aber natürlich! Viggo! Und er hatte es tatsächlich getan. Und er ist mein Cousin! Ich kann es kaum fassen. Unbedingt will ich ihn wiedersehen. So ist das doch perfekt!

Jetzt kann der restliche Sommer kommen, um der beste meines Lebens zu werden!

Lass die Welt dich verändern, dann kannst auch du sie ändern!

Hasta la Victoria siempre!

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