[22] Kein Ausweg

»HIER KOMMEN WIR NICHT WEITER, der Tunnel ist viel zu schmal«, sagte Tarun enttäuscht und spürte, wie sein Herz begann, schneller zu schlagen.

»Ich passe gerade noch durch, aber für Tarun ist es unmöglich. Was sollen wir denn jetzt machen?«, fragte Narami, die sich so langsam dem Ernst der Lage ebenfalls bewusst wurde.

Cheeky wollte den Umstand nicht so stehen lassen und fing an die Tunnelwände mit seinem Schnabel zu bearbeiten.

»Die Höhle besteht an dieser Stelle nicht mehr aus massivem Gestein. Dieser Tunnel ist aus Erdreich. Wenn wir alle zusammen anpacken, könnten wir es schaffen, ihn auszubauen«, schlug der Sittich vor und knabberte an der lehmigen Wand.

Ajala schloss sich dem Vorschlag ihres Freundes aus Kindertagen an. Sie begann mit ihren langen Krallen zu buddeln, doch es schien eine schier endlose Aufgabe zu sein.

»Das wird viel zu lange dauern. Vielleicht ist es besser, umzukehren und einen anderen Weg zu finden«, sagte Tarun, der langsam die Nerven verlor.

»Wir können nicht mehr zurück. Das Wasser steigt zu schnell. Dieser Tunnel liegt höher als die übrige Höhle und führt nach oben. Wenn wir uns beeilen, dann schaffen wir es hier raus, bevor das Wasser uns erreicht. Alles andere wäre Wahnsinn«, versuchte Narami ihren Freund zu ermutigen, tapfer und geduldig zu bleiben.

Tarun blieb nichts anderes übrig, als sich der Situation zu beugen und seinen Freunden zu helfen, den Tunnel zu erweitern. Gemeinschaftlich buddelten, nagten, gruben und kratzen sich die Tiere langsam aber kontinuierlich ihren rettenden Weg. Selbst Hanuman gab sich alle Mühe mit seinen geschickten Fingern Erde abzutragen. Trotz des Aufwandes und der gemeinsamen Anstrengungen ging es weiterhin bloß schleppend voran.

»So kommen wir nicht vorwärts. Wir sollten versuchen, nach oben und nicht geradeaus zu graben. Wer weiß, wie lang dieser Tunnel noch ist? Lass uns lieber die Erdoberfläche suchen«, schlug Tarun vor, dessen Schwanzspitze nervös hin und her schwang.

»Schön zu sehen, dass auch so ein unerschrockener Tiger wie du Angst hat«, flüsterte Narami ihren Freund zu.

»Angst? Wer, ich? Ich habe keine Angst und wenn überhaupt, dann um dich, meine Liebste«, tönte Tarun und versuchte, trotz zitternder Stimme weiterhin gefasst zu wirken.

»Natürlich«, zwinkerte Narami ihm zu und setzte ihr anstrengendes Tagewerk fort.

Das Fell der weißen Tigerin war bereits nicht mehr zu erkennen, denn eine dickte und staubige Schicht aus Erdreich und Lehm bedeckte ihren grazilen Körper. Auch den anderen Tieren machte die mühevolle Arbeit mehr und mehr zu schaffen. Hanuman bekam einen heftigen Hustenanfall.

»Ich denke, ich brauche eine Pause. Verzeiht mir bitte«, keuchte der alte Affe.

»Du musst dich für nichts entschuldigen, mein Freund. Du hast in deinem Leben genug geleistet. Ruh dich aus, wir tun weiterhin, was wir können.« Tarun geleitete Hanuman zu einem sicheren Felsvorsprung, auf dem er sich ausruhen und sich den Staub aus dem Gesicht putzen konnte.

Die restlichen Freunde kämpften sich weiter wacker durch die Decke des Tunnels, doch schon nach kurzer Zeit sollten sie einen erneuten Rückschlag erfahren.

»Verdammt, was ist das denn?«, rief Tarun erschrocken, als ihm ein großer Brocken Erde auf dem Kopf polterte.

Dem Klumpen folgte ein ganzer Haufen Geröll, dessen gewaltige Staubwolke unseren Freunden kurzzeitig auch die letzte Sicht nahm.

»Gehts euch allen gut?«, fragte Tarun, als er wieder zu sich kam und hustete erst mal seine Bronchien frei.

»Ich bin hier!«, rief Narami zur Antwort und schnappte nach Luft.

»Falls mich auch jemand vermissen sollte, mir geht es ebenfalls gut!«, meldete sich Hanuman räuspernd von seinem sicheren Sitzplatz zu Wort.

»Sehr gut. Aber wo sind Cheeky und Ajala?«, fragte Tarun weiter.

»Cheeky? Cheeky! Wo seid ihr denn hin?«, rief Narami, doch sie bekam keine Antwort.

Nach einer Weile konnten Tarun und Narami ein leises Husten hören, das von der anderen Seite des Erdhaufens zu ihnen drang.

»Ajala? Cheeky? Könnt ihr mich hören? Seid ihr in Ordnung?«, rief Narami.

»Mir geht es gut. Aber ich kann Cheeky nicht finden!«, antwortete Ajala und klang sehr nervös.

»Ich bin hier«, erklang kurze Zeit später die klägliche Stimme des sonst so heiteren Papageis. »Ich klemme zwischen zwei Steinen fest.«

»Bleib, wo du bist, Vog- Cheeky!«, wies Ajala den verängstigten Sittich an. »Sobald ich dich gefunden habe, helfe ich dir raus.«

Ajala schüttelte sich den Staub aus dem Fell, zwinkerte mehrmals mit den Augen, um den Schmutz aus diesen herauszubekommen und begab sich auf die Suche nach ihrem Freund.

»Kannst du ihn sehen, Ajala?«, machte sich Tarun Sorgen.

»Ich glaub, ich hab ihn!«, kam nach einer Weile die erlösende und glücklicherweise positive Antwort der Bärin. »Hier schauen ein paar grüne Federn hervor. Ich hoffe, er hat sich nichts gebrochen.«

Sie schob einige Lehmklumpen zur Seite und dann konnte Ajala den roten Schnabel unter dem Schutt hervorgucken sehen, welcher hektisch nach Luft schnappte.

»Hilf mir hier raus, Ajala. Ich klemme mit meinem linken Flügel zwischen den Steinen fest. Du musst mich hier rausholen«, flehte Cheeky.

»Beweg dich nicht, damit du dir deinen Flügel nicht brichst. Ich tu mein Bestes, um dich so schnell und vorsichtig wie möglich da rauszuholen«, versprach Ajala und fing langsam an, einen der Geröllhaufen mit der Tatze zur Seite zu schieben.

Dadurch verursachte sie allerdings den nächsten Erdrutsch, der den armen Cheeky weiter unter sich begrub.

»Was ist passiert?«, wollte Narami wissen, die sich in Anbetracht des neuerlichen Lärms Sorgen um ihre Freunde machte.

»Es hat einen weiteren Erdrutsch gegeben. Ich kann Cheeky nicht mehr sehen. Ich fürchte, wir haben ihn verloren«, antwortete Ajala und Tränen schossen ihr ins Gesicht.

»Bleib ganz ruhig, Ajala. Nur nicht die Nerven verlieren. Grabe einfach ein zweites Mal nach ihm und gib niemals die Hoffnung auf. Dieser Vogel ist zäher, als er aussieht«, machte Tarun der jungen Bärendame Mut.

Ajala begann daraufhin erneut, sich durch den Haufen Erde zu buddeln, und rief dabei immer wieder Cheekys Namen. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte sie endlich eine verschmutzte grüne Feder erkennen.

»Cheeky, bitte antworte! Geht es dir gut? Cheeky! Ich will dich nicht gleich wieder verlieren, nachdem ich dich nach so langer Zeit wiedergefunden habe!«, rief Ajala dem verschütteten Papagei zu.

Dann buddelte sie, so schnell sie konnte, und schließlich gelang es ihr, sich erneut einen Zugang zum Schnabel des Vogels zu verschaffen.

Doch Cheeky bewegte sich nicht mehr.

»Tarun? Er bewegt sich nicht mehr! Hoffentlich ist er nicht erstickt«, jammerte Ajala.

»Kannst du ihn da irgendwie rausziehen?«, fragte Tarun zurück.

Ajala fasste den bewusstlosen Vogel vorsichtig mit ihren Lippen am Flügel und begann, ihn unter den Steinen hervorzuziehen.

»Ich habe es geschafft, er ist frei!«, verkündete sie ihren ersten Teilerfolg.

»Fein. Dann leg dein Ohr auf seine Brust und überprüfe, ob sein Herz noch schlägt«, gab Tarun weiter Anweisungen zu Cheekys Rettung.

»Es schlägt noch, aber sehr schwach«, berichtete Ajala.

»Nimm seinen Schwanz vorsichtig in dein Maul und dann halte ihn kopfüber, damit der ganze Sand und Staub aus seinen Lungen kommt«, drang der nächste Ratschlag von der anderen Seite des Schutthaufens zu der Bärin und Ajala befolgte diesen zögerlich.

»Ich hab ihm drei Schwanzfedern ausgerissen, aber er ist noch nicht wieder zu sich gekommen«, stellte Ajala zur Enttäuschung aller fest.

»Dann leg ihn jetzt flach auf den Rücken«, mischte sich Narami in die Rettungsaktion ein.

»Hab ich getan!«

»Dann versuche, seinen Schnabel vorsichtig zu öffnen, und puste hinein!«

»In sein Schnabel pusten? Was soll das bringen?«, fragte Ajala verwundert.

»Tu einfach, was sie sagt«, sagte Tarun und Hanuman, der inzwischen zu ihm geschlichen ist, hält sich mitfiebernd an seinem Bein fest.

»Was geschieht hier?«, fragte der Blinde ängstlich.

»Leider sehen wir nicht mehr als du, Hanuman. Cheeky und Ajala sind auf der anderen Seite des Erdhaufens und wir können nur hoffen, dass der Vogel noch lebt und wir alle es hier raus schaffen«, antwortete Tarun mit ernster Miene.

Narami rückte ganz dicht an ihren Freund heran. Auch ihr wurde die Situation mehr und mehr unheimlich. Sie hat zwar lange Zeit in einer Höhle gelebt, aber bei dieser wusste sie stets, wo der Ausgang war – und hatte nie die drohende Gefahr stetig steigenden Wassers im Nacken.

Ajala hatte inzwischen mit der Schnauze-zu-Schnabel-Beatmung begonnen. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit begann Cheeky, langsam wieder zu husten. Dann öffnete der kleine Vogel seine Augen und schaute Ajala mit trübem Blick an.

»Cheeky, da bist du ja wieder!«, begrüßte die Bärin den zerzausten Sittich.

»Ist er wieder aufgewacht? Geht es ihm gut?«, erkundigte sich Narami auf der anderen Seite nach dem Zustand von Cheeky.

»Er kommt langsam zu sich. Wie es aussieht, ist er soweit in Ordnung«, antwortete die Bärin.

Cheeky erlangte schrittweise sein Augenlicht und seine Besinnung zurück und schaute sich hilflos in dem dunklen Tunnel um.

»Was ist passiert? Wo sind die anderen?«, fragte er mit kratziger Stimme und Ajala erzählte ihm alles, was geschehen war.

»Wie geht es denn jetzt weiter? Sollen wir weiterhin nach oben graben oder uns einen Weg zu unseren Freunden bahnen?«, wollte Cheeky wissen, nachdem er sich der derzeitigen Lage bewusst wurde.

»Vielleicht sollten die beiden einfach weiter dem Verlauf des Tunnels folgen und den eigentlichen Ausgang finden, falls sie hindurchpassen. Dann können sie uns von draußen entgegenkommen«, schlug Hanuman vor.

»Das ist eine gute Idee, mein Alterchen! Wie gut, dass wir dich dabeihaben!«, war Tarun von der Idee des Affen begeistert.

»Hab ich ja immer gesagt! Manchmal ist der falsche Weg am Ende doch der Richtige«, brüstete sich Hanuman.

»Verschone mich mit weiteren dieser Floskeln«, winkte Tarun ab und ging einen Schritt auf den Erdhaufen zu, der ihn, Hanuman und Narami von Ajala und Cheeky trennte. »Habt ihr gehört? Folgt dem Tunnel und versucht, auf dem ursprünglichen Weg nach draußen zu kommen. Dann findet die Stelle, wo wir sind, und grabt uns von oben entgegen. So schaffen wir es vielleicht, alle zusammen rauszukommen«, gab Tarun den Vorschlag des Primaten weiter.

»Und beeilt euch lieber, denn wir bekommen gleich nasse Füße«, ergänzte Narami und verwies auf den Teil des Tunnels, den sie zurückgelegt hatten.

Das Wasser bahnte sich bereits seinen Weg in Richtung unserer mutigen Freunde.

Ajala nahm den immer noch etwas benommenen Cheeky auf ihre Schultern und flitzte, so schnell es bei der Enge und Dunkelheit möglich war, durch den Tunnel. Aber dieser schien einfach kein Ende zu nehmen.

Indes sahen Tarun und Narami das Wasser immer weiter auf sich zukommen.

»Grab schneller, Narami! Wir dürfen keine Zeit verlieren!«, feuerte Tarun seine Freundin an.

»Meine Pfoten sind schon ganz wund«, jammerte Narami und leckte sich eine blutige Stelle an ihrer rechten Tatze.

»Halte durch, Schatz. Das Wasser kommt näher«, stellte Tarun fest und strengte sich an, nicht in Panik zu verfallen.

Ajala und Cheeky rannten in der Zwischenzeit weiter und fanden sich kurze Zeit später ebenfalls vor einem Problem wieder.

»Wir haben den Ausgang gefunden!«, freute sich der Papagei und flatterte mit unsicheren Flügelschlägen durch die Öffnung.

»Das ist ja ganz großartig. Aber ich fürchte, dass ich nicht hindurchpassen werde«, stellte die Bärin enttäuscht fest.

Auch an dieser Stelle des Tunnels hatte es einen Erdrutsch gegeben, der den einstmals großzügigen Höhlenausgang teilweise verschüttet hatte. Der Ausgang lag nun deutlich höher als normalerweise und war zudem viel schmaler geworden.

»Das schaffst du schon! Du musst! Unsere Freunde bauen auf unsere Hilfe und ich allein kann nicht viel ausrichten«, versuchte Cheeky seine Freundin zu motivieren.

»Ich versuche, mich hochzuziehen und dann den Ausgang zu erweitern«, sagte Ajala entschlossen und kletterte nach oben.

Die junge Bärin schaufelte sich langsam aber beständig den Weg frei und schon bald schob sie ihre Nase durch die Öffnung. Da ihr dicker Pelz einen anderen Eindruck ihrer Leibesfülle vermittelte, hatte Ajala anschließend auch wenig Schwierigkeiten, den Rest ihres Körpers hinauszuziehen.

»Ich bin draußen! Jetzt müssen wir uns beeilen und den anderen Eingang finden, um unsere Freunde zu befreien«, rief sie Cheeky zu und flitzte los.

»Ist das auch die richtige Richtung!«, wollte Cheeky wissen, der die Orientierung noch nicht so ganz wiedergefunden hatte.

»Ich bin mir nicht sicher. Durch die Überschwemmung sieht alles so anders aus. Wir sollten versuchen, den Weg zurückzugehen, den wir gerade gekommen sind«, schlug Ajala vor und versuchte, sich zu erinnern, wo die unterirdisch liegende Höhle verlief.

In dieser Zeit stieg das Wasser in der Höhle immer weiter an und brachte Narami und Tarun mehr und mehr in Bedrängnis.

»Tarun, das Wasser ist jetzt überall hier drin und es kann durch den Erdrutsch nicht abfließen. Wenn nicht bald ein Wunder passiert, werden wir in ein paar Minuten ...«

Narami konnte den Satz nicht beenden. Zu sehr spürte sie, dass die Lage mittlerweile ernst war. Auch Tarun war die Angst ins Gesicht geschrieben, wenngleich er sich bemühte, weiterhin den Optimisten zu geben. Er konnte es nicht ertragen, nicht imstande zu sein, seiner Freundin die Angst zu nehmen.

Todesangst.

»Narami, schau nicht nach unten. Kletter, so hoch du kannst, und dann grab weiter. Einfach immer weiter graben, hörst du?«, wies Tarun die Weiße an.

Narami tat, was er vorgeschlagen hatte, und schlug ihre Krallen in den Erdhügel, um sich vorsichtig bis ganz nach oben zu ziehen. Dort buddelte und schabte sie weiter und versuchte, die Schmerzen und das Brennen ihrer wunden und aufgerissenen Pfoten zu ignorieren. Aber eine Sache konnte sie nicht ignorieren – das Geräusch des immer näher kommenden Wassers.

Es war nicht nur das Rauschen, welches sie beunruhigte, sondern vor allem das Platschen, welches jede Bewegung von Tarun verursachte. Und jenes Platschen wurde immer dumpfer und sie bekam eine Vorstellung davon, wie weit ihr Freund bereits im Wasser stand, auch wenn sie es nicht sehen konnte.

Es verstrichen weitere quälende Minuten und noch immer konnte Narami keinen Ausgang sehen. Ihre Kräfte begannen sie zu verlassen. Viel zu lange hatte sie keine üppige Mahlzeit mehr zu sich genommen und ihr schmutziges und nasses Fell ließ sie in der kalten und dunklen Höhle frieren. Sie zitterte, aber sie wollte es Tarun gleichtun und keine Schwäche zeigen. Noch bestand Hoffnung, es aus dieser misslichen Lage herauszuschaffen. Doch diese wurde von Minute zu Minute geringer.

Tarun stand das Wasser bereits bis zum Hals und von Ajala und Cheeky war nichts zu hören, geschweige denn, zu sehen.

»Narami. Ich, ich weiß nicht, wie die Sache hier ausgeht. Aber eine Sache weiß ich mit Gewissheit«, sprach Tarun mit fester Stille zu seiner Freundin. »Ich liebe dich, Narami. Ich hätte dich zu meiner Frau gemacht. Zu meiner Königin. Denn das ist es, was du bist. Eine Königin. Strahlend. Klug. Mutig und wunderschön. Du hattest einen so schlechten Start ins Leben und alles, was ich wollte, war, dass dein Leben fortan besser wird. Ich wollte, dass du glücklich und erfüllt leben kannst. Dass du von allen Tieren des Dschungels geliebt und respektiert wirst. Dass du unsere Kinder aufwachsen siehst. Unsere Enkel, vielleicht sogar Urenkel. Und, dass du nach vielen friedvollen Jahren zufrieden einschläfst und im Tiger-Paradies, wo immer dieses auch sein möge, erwachst. Dort sehen wir uns wieder.«

Er wollte gefasst klingen, aber seine Stimme war gebrochen. Tarun hatte Mühe, den Kopf noch über Wasser zu halten, nachdem er von dem Erdhügel herabgestiegen war und wieder mit allen vier Pfoten auf dem Boden der überschwemmten Höhle stand.

»Tarun, sprich nicht weiter. Spar dir die wenige Luft auf, die wir noch haben«, versuchte Narami, ihren Verlobten an weiteren Worten zu hindern.

»Narami. Es tut mir leid. Ich habe versagt. Ich konnte dir kein besseres Leben schenken. Du hast die letzten Tage so viel erdulden müssen. Falsche Anschuldigungen. Missgunst und Hass. Du hast meinen Vater sterben sehen. Der Tiger, der dich wie sein eigenes Kind aufgenommen hat. Du musstest deine gerade erst lieb gewonnene neue Heimat verlassen und ins Ungewisse aufbrechen. Und jetzt ... jetzt bist du in dieser Höhle gefangen und dass Wasser ... es ... es wird dich ... es wird dein Leben beenden, ehe du wahrhaftiges Glück erfahren durftest. Es tut mir so leid, Narami«, beendete Tarun seine Worte.

Narami konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Tief im Inneren hatte auch sie diese Wahrheit bereits akzeptiert. Sie hörte auf, zu graben, und stieg zu Tarun hinab. Mit einem lauten Platschen kam sie neben ihm zu stehen.

Die weiße Tigerin ist um einiges kleiner als der stattliche Kater, sodass sie ihren zierlichen Kopf weit nach oben strecken musste, um die Nase über Wasser halten zu können.

»Ich liebe dich auch, Tarun. Und ich gebe dir an nichts die Schuld. Zumindest nicht an die schlimmen Dinge, die in meinem Leben geschehen sind. Wohl aber an all den guten«, begann auch Narami ihre Abschiedsworte zu formulieren. »Du irrst dich, wenn du denkst, dass ich nie wahrhaftiges Glück erfahren habe. Denn das habe ich, seit dem Tag, an dem ich dir begegnet bin. Du warst alles Glück, was ich jemals hatte, und ich bin glücklich, jetzt hier an deiner Seite zu sterben. Ich bereue nichts, Tarun.«

Narami gab ihrem Verlobten einen letzten Stupser mit ihrer rosafarbenen Nase und dann nickten sich die beiden jungen Tiger zu.

Gemeinsam tauchten sie ihre Köpfe unter Wasser und erwarteten die ewige Dunkelheit.

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