Kapitel 4

Am nächsten Morgen weckte mich Ardy auf, in seiner Hand hielt er wieder eine riesige Wasserflasche. Als ich sie sah, kroch die Panik in mir hoch; ich wollte das nicht trinken müssen! Doch mir blieb keine andere Möglichkeit, Ardy gab erst Ruhe, als ich zumindest einen Liter hinunter gewürgt hatte und er bestand darauf, in einer Stunde wieder zu kommen und mir den Rest einzuflößen. Die Stunde verbrachte ich damit, auf meinem Bett zu sitzen, flach und panisch zu atmen und nicht zu kotzen.

Als Ardy wieder in mein Zimmer kam und mich so panisch auf meinem Bett vorfand schwenkte sein Gesichtsausdruck von hoffnungsvoll zu alarmiert um und für einen Moment dachte ich, er würde meine Lage verstehen, doch im Gegenteil dachte er wohl ich hätte noch viel zu wenig getrunken, denn er hielt mir direkt die halbvolle Flasche von heute Morgen hin. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck nahm ich sie entgegen und quälte mich durch den Liter. Als ich endlich fertig war, fühlte ich mich, als würde ich platzen, doch Ardy schien nichts davon mitzubekommen, denn er verließ zufrieden den Raum.

Sofort als er die Türe hinter sich zugezogen hatte, sprang ich auf und riss sie wieder auf. Dann stürzte ich den Gang entlang ins Bad, wo ich mich über unser Klo beugte und direkt das ganze Wasser wieder erbrach. Ich wusste, dass Ardy wahrscheinlich alles mitbekam, aber ich besaß nicht die nötige Selbstbeherrschung, die Flüssigkeit bei mir zu behalten. Angeekelt spülte ich mir den Mund aus um diesen fauligen Geschmack auf meiner Zunge zu vertreiben und sank schließlich erschöpft auf dem Boden zusammen, als Ardy auch schon ins Zimmer gestürzt kam.

„Ist es das wonach es aussieht Taddl?", fragte er leise. In seiner Stimme lag keine Wut, einfach nur Trauer und riesige Angst. Angst um mich, die sich in mir spiegeln zu schien, denn plötzlich überrollte mich eine Welle der Panik und ich sackte schluchzend in mich zusammen. Verzweiflung machte sich in mir breit, als Ardy mich trösten wollte. Er legte einen Arm um mich, aber ich schüttelte ihn ab. Wenn Sla das sah, würde sie wütend werden. Hoffentlich würde sie mir verzeihen, dass ich mich nicht gegen seine Versuche, mir Wasser einzuflößen gewehrt hatte, immerhin hatte ich gestern noch das letzte vorproduzierte Video hochgeladen. Aber so nah wie jetzt durfte er mir nicht kommen!

Sie sah alles. Obwohl, war da nicht etwas? Irgendwas hatte ich vergessen, etwas Wichtiges! Es war, als würde sich in meinem Gehirn ein Gedanke fingerschnipsend melden, aber ich hatte den Namen vergessen, um ihn aufzurufen. Panisch versuchte ich mich zu erinnern, wollte den Gedanken festhalten, ihn nicht wieder verblassen lassen! Und endlich gewann ich den inneren Kampf. Und mir fiel wieder ein, was mir Sla vor etwa einer Woche geschrieben hatte.

Im Bad waren keine Kameras. Hier war ich sicher vor ihr. Hier konnte ich alles erzählen.

Enthusiastisch sprang ich auf und schloss die Türe ab. Und in dem Moment, in dem ich den Schlüssel herum gedreht hatte, fiel all die Anspannung von mir ab, die sich die ganze Zeit in mir angestaut hatte. Die Angst, mit Ardy zu reden und die Angst, es nicht zu tun. Der Druck, Videos zu produzieren und die Ungewissheit, was alles passieren könnte wenn ich es doch nicht tat. Der Zwang, mich immer mehr zu verschließen und das Verlangen mich zu öffnen. Und endlich fühlte ich mich wieder durch und durch lebendig.

Einige Sekunden lang schloss ich die Augen und ließ ich mich einfach von diesem Gefühl durchströmen, genoss die Freiheit und das Gefühl, endlich wieder ich selbst zu sein, als Ardy mich auf die Schulter tippte und mich dadurch wieder zurück holte. Und langsam und leise begann ich endlich zu reden. Mich ihm endlich zu öffnen. Alles loszuwerden und ihm zu sagen, was mit mir passiert war. Ihm die Sorge zu nehmen und sie gleichzeitig neu zu entfachen. Ardy hörte aufmerksam zu. Er unterbrach mich kein einziges Mal, sondern sah mich nur durchdringend an. Und als ich geendet hatte, standen ihm die Tränen in den Augen. „Taddl...", flüsterte er leise und ganz vorsichtig, als könnte ich davon zerbrechen, nahm er meine Hand.

Warm, weich, liebevoll, zart, zerbrechlich, stark, wundervoll. Die erste Berührung seit einer Woche, die ich wirklich bewusst wahrnahm. Sie war mehr als nur Körperkontakt, es war, als würden sich unsere Emotionen in unseren Händen und schließlich in unseren ganzen Körpern ausbreiten und uns schlagartig und überwältigend stark durchströmen. Ich liebte dieses Gefühl. Natürlich lagen auch Trauer und Angst in unseren Berührungen, aber alleine das winzigste Fünkchen Freude, das mitschwang war es wert, alles Negative auszuhalten.

Und ich wollte mehr. Mehr von seiner liebevollen Nähe spüren, die mich schon früher zu dem Menschen gemacht hatte der ich immer noch war. Und endlich war es egal, denn endlich konnte ich ihn in meine Arme schließen, ohne Angst um ihn haben zu müssen, deswegen zog ich ihn sofort in eine Umarmung. „Taddl?", fing Ardy irgendwann an zu sprechen, „Äh also ich weiß ja jetzt, dass du diese Distanz gar nicht wolltest... kann ich bitte was ausprobieren?" Verwundert nickte ich, als er meinem Gesicht plötzlich verdächtig nah kam und mich küsste.

Es war anders, als unsere Küsse vorher. Die Distanz der letzten Tage hatte mein Verlangen nach Körperkontakt so gesteigert, dass ich die Berührung unserer Lippen viel intensiver wahrnahm als vorher und in diesem Kuss lag auch so viel mehr Liebe als früher, sodass mein Herz unwillkürlich schneller schlug und ich den Drang verspürte, den Kuss noch zu intensivieren. Ich nahm all meinen Mut zusammen und strich vorsichtig, fast schon schüchtern mit meiner Zunge über Ardys Unterlippe.

Dieser verstand meine stille Bitte sofort und öffnete seinen Mund. Zögerlich erkundeten wir zuerst die Lippen des jeweils anderen, bis unsere Zungen schließlich aufeinander trafen und miteinander spielten. Sie umkreisten sich, stupsten sich immer wieder gegenseitig an und tanzten zusammen einen Tanz der Liebe. Als wir uns nach einer Ewigkeit voneinander lösten, hatten wir beide Freudentränen in den Augen und Ardy lächelte mich glücklich an. "Taddl", flüsterte er, "ich liebe dich!"

Vorsichtig zog ich ihn an mich und wusste im selben Moment, dass es falsch war. Er würde an der Distanz die außerhalb dieses Raumes herrschen musste zerbrechen und das wollte ich nicht. Aber ich liebte ihn auch, so unfassbar stark, dass ich ihn zumindest jetzt nicht von mir stoßen konnte und wollte.

Plötzlich konnte ich Manu voll und ganz verstehen. Wenn er für Palle dasselbe fühlte, wie ich gerade für Ardy, war es absolut verständlich, dass er mich verlassen hatte. Alles was zwischen Manu und mir gewesen war, kam nicht einmal ansatzweise an das hier ran. Mein Handy riss mich mit einem kurzen Vibrieren aus meinen Gedanken und als ich es entsperrte und sah, wer mir da geschrieben hatte, fühlte ich mich, als hätte mir gerade jemand einen sauberen Schlag in die Magengrube verpasst.

Seid froh, dass ausgerechnet bei diesem Cliffhanger heute zwei Parts kommen xD

Danke für euer Feedback ^^

Bye!

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