Kapitel 11-2
Die Hochzeit fand in der Natur statt. Alexander hatte dafür extra das Bild, welches sie bei ihrem ersten Treffen in Schreinersons Atelier gesehen hatten, gekauft und aufgestellt. Florentine hatte es sich nicht nehmen lassen, die Heiratenden darauf ein wenig anzupassen, sodass sie ihnen ähnlicher sahen. Für seine Braut hatte Alexander ein reinweißes Kleid besorgt, welches überquoll vor floralen Verzierungen. Ihr Haar war von einem wallenden Schleier eingehüllt, der ihr bis über den Rücken fiel. Zwei Dienstmägde trugen ihre Schleppe, die fast den gesamten Weg bis zum Altar einnahm. Florentine hatte gestöhnt, ob des gewaltigen Brautkleids, aber Alexander hatte darauf bestanden, seine Zukünftige angemessen in ihre Ehe einzuführen. Er selbst verlegte sich auf einen beinahe einfachen Anzug.
Ihre Mutter führte sie bis zum Traualtar. Der gesamte Zirkustrupp war erschienen und besetzte die linke Hälfte der grob gezimmerten Bänke. Auf der anderen hatte sich die Familie Arling eingefunden.
Ihr Herz hatte gekribbelt, wie bei Alexanders erster Berührung, als er ihr vor allen Menschen in Gegenwart des Pfarrers das Jawort gab. Gleich danach fanden sie sich an einem herrschaftlichen Bankett ein. Florentine ging über von herzlichsten Glückwünschen seitens ihrer Zirkusfamilie und höflichen Bekundungen der Arlings. Der Graf von Arling mochte mit seiner Schwiegertochter nicht zufrieden sein, aber seine Grafschaft zukünftig in den Händen seiner Erben zu sehen, machte das wieder wett.
Am nächsten Tag reiste die gesamte Gesellschaft ab und überließ das riesige Anwesen dem jungen Paar, um ihre Liebe in trauter Zweisamkeit zu genießen. Es war der zweite Abschied von den Menschen, die sie ihr ganzes bisheriges Leben begleitet hatten, und er tat nicht minder weh als der erste. Sie versprach ihren Leuten immer ein Dach über dem Kopf und Verköstigung anzubieten, wenn sie zu Besuch kamen. Somit kündigte Johann sich gleich für den nächsten Winter an, wenn das Geschäft traditionsgemäß zurückging.
Gänzlich allein waren sie natürlich nicht. Einen Tag nach der Hochzeit hatte sich ihr die gesamte Dienerschaft vorgestellt, die sich um jeglichen Belang des Anwesens kümmerten. Für Florentine war es ein ungewohntes Gefühl, dass jeder Handgriff für sie erledigt wurde. Genauso war es für die Bediensteten gewöhnungsbedürftig, dass Florentine sich gänzlich allein zu kleiden pflegte, selbst ihre Kerzen tauschte und das Bett machte.
Alexander amüsierte sich köstlich über das Ganze, während er Florentine in jede Gelegenheit blindlings laufen ließ, mit der sie die Dienerschaft in Verlegenheit brachte. Insbesondere ihre Zofe, die einzig für Florentines persönliche Bedürfnisse da war, schlug ständig die Hände über den Kopf. Sie beklagte sich, dass die junge Madame sie zur Überflüssigkeit verdammte. Mit der Zeit würden sie ein erträgliches Auskommen finden. Florentine würde sich bemühen, weniger selbstständig zu sein und ihre Zofe sie nicht dazu nötigen, sich völlig ihrer Bevormundung zu unterwerfen.
Alexander wusste das Einleben in den Haushalt zu verhindern, indem er Florentine beständig in Beschlag nahm. Waren sie von ihren ehelichen Pflichten gänzlich befriedigt, zeigte er ihr die umgebenden Ländereien, promenierte mit ihr durch die Gartenanlagen und führte sie unter das einfache Volk, welches die Äcker und Weiden der Grafschaft pachtete. Ihr letztes bisschen freie Zeit verbrachten sie mit der Malerei.
Das Haus verfügte über einen lichtdurchfluteten Wintergarten, in dem sie bei bestem Licht ihre Bildnisse fertigten. Daraus wurde ein regelrechter Wettbewerb zwischen ihnen beiden. Alexander lehrte sie Techniken, die er von berufsmäßigen Lehrmeistern gelernt hatte, und sie brachte ihm ihre Art zu Malen näher. Doch weder konnte Florentine sich mit Pinseln, Schwämmchen und Sieben anfreunden, noch wusste er sich damit zu behelfen, die Farben auf der Handfläche zu mischen. Einzig einen Malerkittel anzuziehen, konnte sie sich aneignen, nachdem ihre Kleidung wertvoller war, als das zerlumpte Etwas, dass sie bisher als Alltagskleidung zu tragen gepflegt hatte.
Die schönste Überraschung für Florentine war eine kleine Bibliothek, in der sie bekannte Werke wiederentdeckte und neue ausmachte. Die Arlings pflegten neben den gängigen Stücken der Antike auch zeitgenössische Romane in ihrem Repertoire zu halten. Häufig verbrachte sie die Nächte, da Alexander schon in seine Kissen gesunken war, um die dicken Wälzer zu studieren.
Es war ein herrlicher Frühlingstag. Die Sonne kündete vom bevorstehenden Sommer und Florentine zog durch den Rosengarten. In länglichen Beeten erstreckte sich eine farbenfrohe Landschaft vor ihr, deren Duft ihrer Nase schmeichelte. Eine leichte Brise ließ ihren Rock flattern und sie hielt ihn fest, damit er sich nicht mit den Rosen verhakte. Inmitten des Gartens stand ein Magnolienbaum, dessen weite, violette Krone bis über die Beete hinausragte. Der Graf hatte ihn einst als Geschenk für seine Braut aus Übersee kommen lassen. Florentine liebte diesen Baum. Sie sah sich nach allen Seiten um, ehe sie mit einem Sprung den untersten Ast erreichte und sich emporzog. Ihre Zofe würde schimpfen, wenn sie den Dreck auf dem Rock sah. Andererseits war das Kleid von schlichter Machart und Florentine nutzte es öfter für derartige Ausflüge. Somit kam es auf eine Unreinheit mehr auch nicht an. Der Rock behinderte sie beim Klettern, aber mit emsigen Willen gelangte sie tiefer in die Krone, bis zu einem Fleck, von wo aus sie durch das dichte Blütendach hindurchsah. Sie überblickte die weiten, flachen Ländereien westlich des Anwesens.
„Deine Zofe sucht bereits nach dir", hörte sie Alexander von unten. „Und auch ich bin nicht gänzlich glücklich darüber, dich einen Baum erklettern zu sehen."
„Fürchtest du, ich könnte fallen?"
„Wohl kaum. Aber ich fühle mich unfähig, dir zu folgen."
„Hattest du keine Kindheit?" Sie stieg zwei Äste hinab, bis sie seinen Kopf ergreifen hätte können, wenn sie ihren Arm ausstreckte.
„Die bestand aus dem Wälzen von Büchern, dem Zureiten von Pferden und dem Erlernen des Fechtens."
Sie zog einen Schmollmund. „Ich fühle mit dir, mein bemitleidenswerter, reicher Gemahl."
Er breitete die Arme aus. „Komm und tröste mich Unglückseligen."
Sie hielt ihm stattdessen den Arm entgegen. „Komm du lieber zu mir nach oben und hol deine Kindheit nach."
Er sah an sich herunter. „Ich trage meinen guten Anzug – wir erwarten heute Gesellschaft."
„Warst du es nicht, der vom noblen Wunsch nach Freiheit sprach, statt dem Gefängnis der Ehe?"
„Ich hoffe, irgendwann mit dir gleichzuziehen. Wie könnte ich es ertragen, mein Leben lang von deiner Eloquenz geschlagen zu werden?" Er ergriff ihre Hand und sie stemmte sich mit den Füßen gegen den Ast, während er den Stamm erklomm. Mit einem Ruck hievte sie ihn neben sich, wo er sich an den nächsten Ast klammerte und furchtsam hinuntersah.
„Was findest du nur hieran? Ich fürchte jede Sekunde, in die Tiefe zu stürzen."
„Versuch es mit einem Korsett und du wirst vor nichts mehr Angst haben." Sie legte den Arm um ihn und küsste ihn auf den Mund. Alexander entspannte sich, umfasste ihre Hüfte und zog sie näher zu sich. Seine Küsse wurden intensiver und sein Mund wanderte ihren Hals hinab.
„Ich könnte mir passendere Orte hierfür vorstellen", sagte sie.
„Wer ist nun furchtsam?"
Sie lachte und gab ihm einen sanften Stoß. „Es ist nicht dein Hinterteil, das an der Rinde aufgerieben würde."
„Bist du glücklich?"
„Wie oft willst du mich das noch fragen?"
Er senkte den Kopf und lachte leise. „Sooft, bis du mich völlig überzeugt hast."
Florentine sah ihm mit vertrautem Ernst in die Augen. „Ich bin glücklich. Eine Fischerhütte würde genügen, solange ich bei dir bin."
„Ich könnte die Baupläne noch abändern."
„Wenn es dem gnädigen Herrn beliebt." Alexander hatte kurz nach ihrer Eheschließung einen Architekten gerufen und sie hatten gemeinschaftlich ihr persönliches Traumhaus geplant. Das Haus seiner Eltern mochte wunderschön sein, aber seine Größe überforderte Florentine und nahm ihr das Gefühl von Heimeligkeit. Somit hatten sie ein kleineres Anwesen geplant, in dem sie wohnen würden, wenn sie nicht planten, Besuch zu empfangen. Die Dienerschaft würde sich auf das unbedingt notwendige Mindestmaß beschränken. Völlig ohne auszukommen, dazu konnte sie Alexander nicht überreden. Spätestens wenn er die Grafenwürde übernähme, würde ihn eine Unmenge an bürokratischen Belangen überfluten. Diese gedachte er – im Sinne seines Wunschs nach persönlicher Freiheit – nicht gänzlich allein zu bearbeiten.
„Welchen herrschaftlichen Besuch erwarten wir eigentlich?"
„Die Familie des Ritters zu Hemmwehr."
Florentine stöhnte auf. Die meisten Ritter pflegten den ganzen Abend von ihren Heldentaten in der Schlacht zu berichten. Taten sie das nicht, so wussten sie darüber zu klagen, wie schlecht es um die Ritter stand, wie faul die Pächter waren und wo das alles nur hinführen sollte.
„Er ist ein äußerst umgänglicher Mann."
„Kann ich mich nicht in unser Schlafgemach zurückziehen und ein Buch lesen?"
„Das könnte den edlen Mann fürchterlich beleidigen. Du solltest dich daran gewöhnen, mit deinen zukünftigen Vasallen zu verkehren."
„Ich werde mich um ein Lächeln bemühen."
Er streichelte ihr über die Wange. „Ich entschädige dich fürstlich dafür, wenn sie wieder gegangen sind."
„Du machst meinem Bruder Konkurrenz, liebster Gemahl."
„Ich fürchte, dein Bruder hat dir einen sehr ehrlichen Eindruck von uns Männern vermittelt."
Sie küsste ihn erneut. „Dann will ich mich für unseren ehrenwerten Gast zurechtmachen. Anna sucht sicher schon verzweifelt nach mir."
„Ich freue mich darauf, dir später die Frisur zu zerzausen."
Sie hob betörend die Brauen. „Was würde meine liebe Zofe nur sagen, wenn sie wüsste, dass du ihre mühevolle Arbeit mit Füßen trittst?"
Florentine glitt von dem Baumstamm und federte ihren Fall gekonnt ab. Sie sah zu Alexander hinauf, der keine Anstalten machte, ihr zu folgen. Er sah versonnen in die Weite.
„Und? Fühlst du dich frei?"
Er sah zu ihr hinab und lächelte offen. „Besser. Ich bin glücklich."
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