Kapitel 14:

Als wir am Ufer angekommen sind, schreien die Menschen aus der Seestadt um sich. Ihnen ist kalt, sie sind verletzt und brauchen Nahrung und Hilfe. Andere rufen Namen um sich und versuchen ihre Familienmitglieder und Freunde zu suchen. Verbrannte Boote mit Leichen kommen auf Ufer an und es stinkt nach Verwesung und Verbrennung. Menschen, die aus den Booten springen und im flachen Wasser versuchen an Land zu kommen, schreien um Hilfe. Bruchstücke von Häusern und der Stadt werden an Land gespült und an denen halten sich Menschen fest, damit sie nicht ertrinken. Die Menschen versuchen gegeneinander zu helfen, bringen denen, die am meisten verletzt sind, mehr Nahrung und Decken.

„Vater!", schreit Sigrid herum und versucht ihn zu finden.

„Vater!", wimmert Tilda leise neben mir, hält ihre Puppe fester an ihrer Brust und kann kaum noch reden, da sie so damit beschäftigt ist zu weinen.

Um mich herum ist das totale Chaos. Die Menschen versuchen jemanden zu finden, den sie gut kennen und schwer damit fertig werden, dass ihre Heimat beraubt wurde. Die Menschen nehmen Leichen in den Arm von Freunden oder Familienmitglieder und weinen ihre Seele aus dem Leib. Trauer.

Ich drücke Tilda an mich und drehe ihren Kopf immer weg, der immer auf die Leichen am Ufer sieht. Das Wasser ist nicht mehr klar, sondern mit Blut vermischt. Der Gestank von Angst ist deutlich in der Luft zu riechen, auch wenn es so seltsam klingt. Die vier Zwerge der Gemeinschaft finden ein leeres Boot, mit dem sie zum Erebor zurück rudern wollen. Sie wollen zu ihren Brüdern, die den Drachen auf uns losgelassen haben. Ich weiß nicht, ob ich ihnen etwas zu verdanken habe. Weder den vier hier, noch den anderen neun Zwergen im Erebor, die bloß mitangesehen haben, was sie den Menschen in Esgaroth angetan haben, nur wegen ihres Rechtes an den Berg und ihrem Schatz.

Die Zwerge versuchen das schwere und vor allem größere Boot ins Wasser zu drücken, aber einer von ihnen hilft nicht mit.

„Talia..."

Kili kommt auf mich zu, währenddem Sigrid und Tilda ihren Vater suchen und die Zwerge es schwerer haben, das Boot ins Wasser zu bekommen. Er spricht meinen Namen anders aus, als Legolas. Viel sanfter und einfühlsamer, als würde es ihn beruhigen.

„Kili! Komm jetzt!", befehlt Fili ihm. „Wir brechen auf!"

Ich schaue über Kilis Kopf hinweg zu seinem Bruder, der mich verdunst anblickt. Ich kann ihn nicht weiter aufhalten.

„Das sind eure Leute, ihr müsst weiter." Ich senke kurz meinen Blick und will an ihm vorbeigehen, als er mich davon abhält und sich vor mir stellt.

„Kommt mit mir. Ich weiß, was ich empfinde, ich habe keine Angst. Ihr gebt mir das Gefühl lebendig zu sein."

„Ich kann nicht.", flüstere ich bei dem Gedanken, dass er mir gerade seine Liebe zu mir gestanden hat.

Kili gibt mir ein ähnliches Gefühl, dass ich bei ihm geborgen bin, egal wie man ist und man sich fühlt. Aber ich habe Recht, ich kann nicht mit ihm gehen. Die Menschen hier brauchen mich und ich brauche jemand anderes. Ich drehe ihm den Rücken zu.

„Talia..."

Dann sagt Kili etwas auf Zwergisch und ich sehe ihn verwirrt an.

„Ich weiß nicht, was das bedeutet."

Kili nähert sich mir, sieht mir tief in die Augen und lächelt dabei. Er hat so ein schönes Lächeln, das ich noch nie zu Gesicht bekommen habe. Vor allem nicht bei einem Zwerg.

„Ich glaube doch.", antwortet er.

Verdammt! Er hat mir zum zweiten Mal seine Liebe zu mir gestanden. Er nimmt sanft meine Hand, diesmal fester. Hinter ihm schaut Fili zu uns und er weiß, in welchem Gespräch wir gerade verfangen sind. Ich muss für einen Augenblick lächeln bei dem Gedanken, was Kili mir in einer Fremdsprache gesagt hat. Und wieder die Weise, wie er es aussprach, war anders, als jemals zuvor. Aber mein Lächeln vergeht langsam, als ich etwas spüre. Keine Ahnung was es für ein Gefühl ist, aber es fühlt sich nicht so gut an. Ich bleibe wie vereist stehen und weiß, dass er hinter mir steht.

„Mein Herr, Legolas.", sage ich auf Elbisch.

Kili schaut zu Legolas. Sein Blick verrät mir nicht wirklich genau, was er gerade denkt, aber glücklich ist er bei Legolas Ankunft nicht.

„Verabschiede dich von dem Zwerg.", sagt Legolas gefühllos. „Du wirst irgendwo anders gebraucht."

Kili versteht zwar nicht, was wir sagen, aber er ist nicht gerade froh darüber, Legolas hier zu sehen. Er sieht zu mir hoch. Ich habe Legolas noch keinem einzigen Blick gewürdigt und Kili sieht meinen Gesichtsausdruck deutlich. Ich weiß nicht, wie lange Legolas schon hinter mir steht und ob Kili es bemerkt hat, aber ich muss Legolas folgen; das tat ich bereits immer und das werde ich auch immer tun. Ich drehe mich langsam um, Kili senkt seinen Blick und, als ich gerade zu Legolas gehen will, bleibt Kili ebenfalls stehen. Er dreht sich zu mir um und kommt erneut auf mich zu. Dann legt er mir seinen Runenstein in meine Hand. Er hält meine Hand fest an seine Brust und sieht zu mir hoch.

„Behalte ihn... Als ein Versprechen."

Ich spüre deutlich seinen Herzschlag, der so schnell ist, was ich ihm kaum ansehen kann. Ich lächele ihn an und meine Augen füllen sich mit Tränen. Als er meine Hand loslässt, hält er kurz sein verletztes Bein fest und schaut mich ein letztes Mal an, bis er dann über das flache Wasser geht und ins Boot zu den anderen Zwergen klettert. Ich öffne meine Hand und erblicke den Stein mit den Runen und meine Augen lassen die ersten Tränen zu Boden fallen, als ich an das Gespräch mit Kili denken muss, das wir vor wenigen Tagen hatten. Ein Versprechen, dass ich zu ihm zurückkommen werde. Kili wirft mir einen letzten Blick zu, bis er den anderen Zwergen beim Rudern hilft. Ich lege den Stein in meine Tasche an der Hose, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und drehe mich zu Legolas um. Ich verbeuge mich vor ihm und er hält seinen Blick normal. Keine Freunde ist auf seinem Gesicht zu sehen, dass er froh ist mich heil auf zu erblicken, nachdem ich dem Unheil von Smaug in der Seestadt überlebt habe. Aber auf irgendeiner Weise will er das von mir verstecken, das bemerke ich sofort. Die Menschen jubeln plötzlich weiter weg von uns und ich erblicke weiter links von mir und eine große Bande, die einen Menschen umkreisen.

„Es war Bard! Bard war es! Er hat die Bestie erlegt! Ich hab's mit eigenen Augen gesehen. Mit einem schwarzen Pfeil hat er ihn erledigt!", schreit ein älterer Mann, der sich durch die Menge stolpert, damit jeder ihn hören kann.

Bard hingegen, der seine Familie gefunden hat, ist nicht gerade froh darüber, dass sie ihn anhimmeln, auf die Schulter klopfen und ihn zu Dank verpflichtet sind. Er hält Tilda im Arm, die überglücklich ist, ihren Vater zu sehen.

„Ja! Ein hoch auf den Drachentöter!", schreit Alfred und hält Bards Hand nach oben und jeder verstummt augenblicklich, doch dies lässt Alfred ignorieren und schreit weiter: „Ein hoch auf König Bard!"

Genervt lässt Bard seine Hand runterreißen und kann Alfred nur mit einem genervten Blick ansehen, währenddem Alfred weiterredet.

„Ich habe es schon oft gesagt! Dies ist ein Mann aus edlem Hause. Ein geborener Anführer.", prahlt Alfred weiter.

Bard ist zwar vielleicht ein Mann aus edlem Hause, aber dass Alfred dies je zugegeben hätte, das bezweifle ich. Nur, weil Bard jetzt an der Spitze der meistgeliebten Menschen der Seestadt steht, rückt er sich somit nach vorne. Typisch für einen Menschen seiner Art.

„Nennt mich nicht so!", wiederspricht Bard ihm. „Ich bin nicht der Bürgermeister dieser Stadt!", bei dem Gedanken ‚Bürgermeister'' dreht sich Bard in alle Richtungen um. „Wo ist er?!"

„In Anduins Flussabwärts!", faucht eine Frau, die ich noch gestern Abend vor dem Drachenangriff in Seestadt gesehen habe. „Mit all unserem Geld, ohne Zweifel!" Sie schaut wütend zu Alfred und deutet mit den Fingern auf ihn. „Du weißt es! Du hast mit ihm die Schatzkammer geplündert!"

„Nein! Ich habe versucht ihn aufzuhalten!" Alfred versteckt sich hinter Bard, denn die Menschen rund um sie herum beginnen ihn anzuschreien. „Ich habe gebettelt! Ich habe gefleht! Ich sagte, ‚Bürgermeister, nein!' ... Denkt an die Kinder! Denkt niemand hier an die Kinder?" Mit einem Ruck nimmt er Tilda an sich, welche ihn fest auf den Fuß tretet und sich somit befreit.

Dann machen sich die Menschen auf ihn; nehmen Alfred an Arm und Bein und wollen ihn wegtragen, aber Bard kommt dazwischen.

„Genug! Lasst ihn los!" Mit einem Ruck lassen sie Alfred zu Boden fallen, der kurz aufschreit und schnell wieder auf den Beinen steht. „Seht euch doch nur um! Habt ihr immer noch nicht genug vom Tod? Der Winter steht uns bevor, wir müssen uns um die Unseren kümmern! Um die Kranken, um die Hilflosen! Wer noch stehen kann, der sorgt die Verletzten und wer noch bei Kräften ist, folgt mir." Bard drängt sich zwischen den Leuten hindurch. „Wir müssen so viel retten, wie wir können!"

„Was machen wir dann?", fragt die Frau aus der Seestadt. „Wo sollen wir hin?"

„Eine Zuflucht suchen."

Die Menschen um uns herum machen sich sofort an die Arbeit alles mitzunehmen, was noch gut erhalten ist. Sie sammeln Holz für die Nacht, verarzten die Verletzten und begraben die Toten.

„Nehmt nur das Nötigste mit! Wir haben einen langen Marsch vor uns.", sagt Bard zu einem Mann, legt ihm eine Decke um den Körper und geht voran.

Legolas und ich folgen Bard, nachdem wir das Ganze mitbekommen haben.

„Wohin geht ihr?", fragt Legolas und Bard bleibt neben mir stehen. Er hat wohl nicht richtig erwartet, dass Elben hier auftauchen würde.

„Es gibt nur einen Ort.", antwortet er und geht an mir vorbei.

Die Menschen der Seestadt machen alles für ihre große Reise bereit, um nach Thal zu gehen, die Vorstadt des Berges, das einst von Zwergen bevölkert war. Jetzt wird es von den Überlebenden der Seestadt aufgenommen, die nichts mehr haben.

Legolas schaut mich seltsam an und ich verstehe anfangs nicht wieso. Aber es war nicht mich, den er seltsam ansieht, sondern der Erebor, der hinter mir am Ende des Sees zu sehen ist.

„Der Berg...", murmelt Alfred schmunzelnd, der das Gespräch mitgehört hat. „Ihr seid grandios, Herr. Wir können im Berg Zuflucht suchen. Riecht vielleicht etwas nach Drachen, aber die Frauen machen ja sauber. Dort haben wir es sicher warm und trocken und wir haben Vorräte. Betten, Kleidung und ein bisschen Gold."

„Das Gold in diesem Berg ist verflucht! Wir nehmen nur, was uns versprochen wurde.", brummt Bard und legt Alfred Holz in die Arme. „Was wir für unser neues Leben brauchen."

Als Bard an uns vorbeigeht, spricht Legolas: „Die Nachricht von Smaugs Tod wird sich schnell verbreiten."

„Ja.", brummt Bard erniedrigend.

Legolas und ich gesellen uns erneut zu ihm und ich mustere ihn, wie er hoffnungsvoll auf den Berg starrt.

„Andere werden ihren Blick zum Berg richten. Wegen seines Reichtums und seiner Lage.", meint Legolas schließlich.

Bard wird neugierig und schaut Legolas fragend an. Er weiß, dass Legolas mehr von dem Berg weiß, als er. Ich glaube, es liegt daran, dass er ein Elb ist, genauso wie ich.

„Was wisst ihr?", fragt er.

Legolas verzerrt sein Gesicht bei dem Gedanken, was er weiß. Er will Bard und den Menschen weder Angst machen, noch Hoffnung schenken. Er will ihren Glauben auf das neue Leben normal lassen, so wie es gerade ist und es nicht verschlimmern. Er sieht kurz zu mir, runzelt kurz die Stirn und sieht dann höher zum Berg.

„Nichts Gewisses...", sagt er schließlich. „Ich fürchte, was geschehen mag."

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