Ein paar Jahre zuvor

„Und wie lange wirst du noch studieren müssen, um eine Schönheitsoperation zu machen?", fragte Jisung seinen besten Freund. Er hing mit seinen beiden Freunden Chan und Changbin im Kaufhaus und stocherte in seinem gebratenen Gemüse herum. „Sungie, ich hab gerade ein Semester hinter mir. Du weißt doch, dass ich 15 brauche, um ein Chirurg zu werden!", sagte er und biss von seinem Baconsandwich ab, welches er sich gegönnt hatte. Auch auf Changbins Plastikteller war ein Sandwich, welches sich Jisung sich niemals kaufen würde. Das ganze Brot war Gift für seinen Körper. Geschweige von den ganzen anderen Zutaten, die auf die Sandwiches der beiden zu finden waren. Jisung führte schmollend gebratene Paprika zu seinem Mund, bevor er das Stück mageres Rindfleisch in seiner Schüssel mit den Essstäbchen entzweite. Bevor er das Gericht bestellt hatte, rechnete er im Kopf die ganzen Kalorien in seinem Kopf. Nach diesem Essen würde es sich nicht mehr leisten können, etwas anderes zu essen. Seine Diät einzuhalten war nervenaufreibend und manchmal wollte Sungie sie einfach über Bord werden, aber dann würde er zunehmen und seinen schönen schlanken Körper fett werden lassen. Jisung hatte alles im Griff. Nur seine Wangen nicht.

Seine verdammten Eichhörnchenwangen.

„Sind es wieder deine Wangen?", fragte Chan besorgt. Sein bester Freund wusste, dass Jisung an seinen vollen Wangen litt. Sie waren auch der Grund, wieso Jisung überhaupt so eine strickte Diät machte. Er wollte sie um jeden Preis wegbekommen. "Es sind immer die Wangen, Chan", erwiderte Jisung und befühlte einer seiner hässlichen Wange. Das Volumen lies ihn mit den Zähnen knirschen. Er hasste es. Er hasste es, wie sie sich anfühlten. So plüschig und weich. Chan musterte seinen besten Freund besorgt. Sein bester Freund, in den er sich verliebt hatte. Er behielt aber seine Gefühle für sich, weil Jisung bereits zu viel durchmachen musste und Chan wusste nicht, wie er auf Liebesgeständnis reagieren würde. „Bitte versuch es zu vergessen. Sungie, das ist Jahre her. Die Leute können dir nie wieder weh tun. Außerdem siehst du knuffig mit den Wangen aus. Sie sind dein Markenzeichen." 

Jisung ignorierte wie immer Chans Worte. Sie erreichten nichts in ihm, konnten die Passivität nicht in Optimismus verwandeln. Chan wusste nicht, wie es war, für seine Wangen gemobbt zu werden. Nach all den Jahren, die er hinter sich gebracht hatte, waren die schmerzenden Worte nicht von seinem Kopf gewichen. Wie eine tiefe Narbe auf seiner Haut lies sich seine traumatischen Erfahrung wissen, dass sie für immer bleiben wird. „Du weißt, dass ich dir nicht glaube", konterte Jisung. Das wusste Chan allerdings zu gut. Egal was machte, er konnte Jisung einfach nicht aufmuntern. Wenigstens erreichte er bei Jisung, dass er nicht vollkommen aufhörte zu essen sondern eine Diät machte. Würde Jisung zu dem gefährlichen Schritt kommen, würde es Chan sich nie verzeihen. „Ich gebe Chan recht. Du bist nicht Jisung ohne deine Wangen. Lass' die anderen einfach reden", mischte sich Changbin ein. Wie Chan verfolgte er den Leidensweg seines besten Freundes. Er wird die Nächte nicht vergessen, wo Jisung sich an seiner Seite ausgeweint hatte.

Wie auch Chan ignorierte Jisung auch Changbin. „Chan? Scheiß auf die nächsten 14 Semester. Bring bitte mein Gesicht in Ordnung. Ich halte es nicht mehr aus!" Jisungs Stimme war mit lauter Verzweiflung gefüllt und schaute seinen besten Freund flehend an. Er vertraute ihm und seine Fähigkeiten. Chan hob die Braue. „Was? Du willst, dass ich dich operiere? Ich als Anfänger?" Wild nickte Jisung. „Auf keinen Fall werde ich das tun! Wie bist du auf sowas Dummes gekommen? Willst du meine ehrliche Meinung, Sungie? Du brauchst keine Schönheitsoperation. Du bist schön, so wie du bist." Chans Worte brachten genau den umgekehrten Effekt. Anstatt zu trösten, entfachte er in Jisung ein brennendes Feuer. „Ich bin nicht schön sondern hässlich! Hast du vergessen, was die Leute gesagt haben zu mir? Hast du vergessen, wie sehr sie mich wegen diesen scheiß Wangen fertig gemacht haben?" Wut vermischte sich mit Verzweiflung, als Jisungs Trauma zu ihm drang. Es machte ihn fertig. „Chan...bitte...ich weiß, dass du es drauf hast....aber ich kann nicht mehr so weiterleben..." Sein Freund hatte eindeutig zu viel Vertrauen in ihn. Tödliches Vertrauen. Als blutiger Anfänger würde er Jisungs Gesicht nur schaden anstatt es zu verbessern. Wenn Jisung sich so unbedingt unter das Messer legen wollte, dann bei einem professionellen Arzt und nicht bei ihm.

Jisungs Flehen verfolgte Chan bis in sein das Semester. Sein bester Freund hörte nicht auf, ihn zu bitten, sein Gesicht zu operieren. Er klang dabei nicht mehr so wie beim ersten Mal, damals im Kaufhaus, sondern schluchzte und wiederholte seine Bitten nur, wenn sie sich trafen. Jisungs psychische Gesundheit verschlechterte sich. „Jisung, du brauchst Hilfe. Du kommst mit deinen traumatischen Erfahrungen nicht mehr zurecht und ich denke nicht, dass es sich mit einer Operation lösen lässt. Nicht dein Gesicht muss behandelt werden, sondern dein Kopf" Chan legte sanft seine Hand auf Jisungs brünettes Haar und strich es sanft.