Kapitel 77

Lia

Ela liegt vor mir auf dem Wickeltisch und spielt mit der Feuchttücherpackung umher, während ich sie ganz in Ruhe wickle. Es ist mittlerweile neunzehn Uhr und sie sollte mal langsam in ihr Bettchen. Die Augen klimpern ihr bereits und sie gähnt in einer Tour, doch sie behaupten weiterhin, sie sei nicht müde. Marco ist gerade noch mit Scott den heutigen Tag durchgegangen und ist dann noch mit Lucy raus, also habe ich mich bereit erklärt, Ela für's Bett fertig zu machen. Da sie mittlerweile schon zwei Jahre und sechs Monate alt ist, müssten wir eigentlich langsam damit anfangen, sie trocken zu bekommen, aber mal im Ernst: das Kind kämpft mit dem Krebs, ich denke es sei uns verziehen, wenn wir noch ein wenig warten. Sollte es ihr bald besser gehen, dann werden wir natürlich damit anfangen, doch bis jetzt ist sie noch zu schlapp, um neue Sachen zu lernen, wie bescheid zu sagen, wenn sie mal muss.
"Hey, Prinzessin, was hast du denn für einen schicken Schlafanzug?", fragt Marco, als er ins Kinderzimmer kommt. "Ela sick.", sagt sie zu ihm und zeigt auf ihren Strampler. "Du bist ja ganz müde." Die kleine Maus schüttelt eifrig den Kopf und streck ihrem Vater ihre Arme entgegen, sodass Marco sie hochhebt. "Klar bist du das. Es ist ja auch schon ganz doll spät. Soll Papa den Mond wieder zum Schlafen anmachen?" Ela nickt, also macht Marco die kleine Mondlampe an der Wand an und die Deckenlampe aus, sodass das Kinderzimmer nur noch leicht beleuchtet ist. Er legt seine Tochter in ihren Schlafsack und schließt ihn, ehe er ihr einen Kuss gibt und sich wieder aufrichtet. Der kleine Engel beginnt erneut herzhaft zu gähnen. "Von wegen nicht müde.", schmunzelt Marco und zieht mich an sich. "Ja, sie hat mir die ganze Zeit versucht einzutrichtern, dass sie nicht müde sei, während sie in einer Tour gegähnt hat. Kinderlogik." Schmunzelnd beobachtet mein Freund seine Tochter, wie sie langsam die Augen schließt und noch einmal ganz doll gähnt. "Lass uns rausgehen. Sie braucht ihre Ruhe." Er nickt und nimmt meine Hand, um mich aus dem Kinderzimmer zu führen. "Und was machen wir jetzt?" Ich seufze und sehe Marco entschuldigend an. "Ich würde gern ins Bett gehen." Du kannst ja noch etwas auf bleiben, aber ich bin verdammt kaputt." Marco schüttelt den Kopf und nimmt wieder meine Hand. "Dann komme ich gleich mit. Wir beide sollten einfach entspannen." Ich nicke und folge ihm schweigend. Aber da fällt mir ein, dass er von einer Überraschung gesprochen hatte. "Was ist eigentlich mit meiner Überraschung?" Marco schmunzelt. "Ich wollte dich eigentlich schamlos verführen aber du bist müde, also..." Ich verdrehe die Augen. "Wir wollten langsam machen.", erinnere ich ihn. "Langsam?", schnaubt er und zieht sich seinen Pullover über den Kopf. "Ja, langsam. Wir sind ja noch nicht lange zusammen. Erst drei Tage, um genau zu sein." Mein Freund verdreht die Augen. "Wir sind erwachsen und kennen uns schon eine ganze Weile. Also..." Er schmeißt seine Hose beiseite und kommt auf mich zu. Ich schlucke schwer, lasse langsam meinen Blick über seinen Körper wandern. "Ich merke doch, dass du dich zusammen reißen musst, um nicht über mich herzufallen. Du willst es auch." Er umfasst mein Kinn und legt seine Lippen auf meine. "Ich weiß nicht, ob ich es schon kann, Marco.", sage ich leise. Meine Stimme zittert, droht beinahe abzubrechen. "Vertraust du mir nicht?", fragt er mich. Er klingt leicht niedergeschlagen. "Doch, natürlich tue ich es und das weißt du auch! Aber ich habe bisher nicht allzuschöne Erinnerungen an, naja, Sex. Verstehe mich bitte nicht falsch, aber ich kann einfach noch nicht. Ich brauche noch etwas Zeit, ja?" Marco legt seine warmen, weichen Hände an meine Wangen. "Ich verstehe dich. Und ich kann warten." Er haucht mir einen Kuss auf die Lippen, der so federleicht und liebevoll ist, dass er mich beinahe von den Füßen reißt. "Ich liebe dich, Lia. Vergiss das bitte niemals." Ich nicke leicht. "Und vergiss du niemals, dass ich dich auch liebe.", "Niemals.", verspricht er leise. Schließlich wendet er sich von mir ab und geht rüber zum Bett. "Und du bist auch nicht böse?", "Was? Nein, natürlich nicht. Lia, ich kann es komplett nachvollziehen. Bisher wurdest du gezwungen deinen Körper zu verkaufen, wurdest zu Sex gezwungen. Da ist das letzte, was ich will, dass du dich bedrängt fühlst und es dir zu schnell geht. Es ist zwar jetzt schon eine Weile her aber ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, solche Dinge zu verarbeiten. Du bist nicht um sonst in Therapie und ich merke ja selbst, dass du dich nicht wohl genug fühlst und unsicher bist. Ich möchte dich zu nichts zwingen, hörst du? Du gibst das Tempo vor." Ich nicke, bin erleichtert über seine Worte. "Jetzt lass uns schlafen gehen, okay? Es war ein nervenaufreibender Tag und wir beide brauchen Ruhe. Lass uns einfach kuscheln und die Zweisamkeit genießen." Ich ziehe mir meine Klamotten aus und nehme das T-Shirt von Marco, welches auf dem Bett liegt und darauf wartet von mir wieder zum Schlafen getragen zu werden. Es gibt für mich nichts bequemeres zum Schlafen als seine Shirts. "Ich habe heute überlegt, was wir an Silvester machen könnten.", "Und? Bist du zu einem Ergebnis gekommen?", frage ich schmunzelnd. "Nicht wirklich. Wir können wahrscheinlich eh nicht von zuhause weg wegen Ela. Und alleine lassen werde ich sie auf keinen Fall, so viel steht fest. Aber vielleicht können wir wieder unsere Familien einladen und zusammen ins neue Jahr rutschen. Auf der anderen Seite finde ich aber auch den Gedanken schön, diesen Abend ausschließlich mit dir und Ela zu verbringen. Nur wir drei, ganz in Ruhe, verstehst du? Wir könnten etwas leckeres zu essen machen, könnten vielleicht etwas zusammen spielen und vor um zwölf schon mal nach draußen gehen, um ein paar Raketen zu zünden, damit Ela auch mal Feuerwerk sieht. Ich denke nämlich nicht, dass sie bis um zwölf durchhält, dafür hat sie wahrscheinlich gar nicht die Kraft." Ich lege mich zu ihm ins Bett und sehe ihn an. "Dann lass uns den Tag allein verbringen. Nur wir drei. Es wäre vielleicht zu viel Stress, wenn wieder alle hier sind. Abgesehen davon wäre es im Haus zu laut, falls Ela früher schlafen geht. Sie bekäme nicht genug Ruhe zum Schlafen. Ich werde uns etwas leckeres kochen und werde Berliner selbst backen. So, wie es sich zu Silvester gehört. Mach dir nicht zu große Gedanken in Bezug auf unsere Familien. Sie werden es sicher verstehen, wenn wir alleine sein wollen. Es ist ja nicht so, dass wir voll die Rabeneltern hätten." Marco lacht leicht. "Nein, die haben wir sicher nicht." Lächelnd kuschle ich mich an ihn. "Lass uns schlafen. Es ist spät und ich bin total müde." Marco nicke und macht seine Nachttischlampe aus, ehe er mich noch einmal küsst und ich in einen friedlichen Schlaf fallen kann, der mehr als erholsam ist.

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