Kapitel 72

Lia

Scott reicht mir die Hand. "Freut mich, ich bin Lia.", stelle ich mich vor. Marco blickt grimmig drein, was mich schmunzeln lässt. Seine Hoffnung, dass der Pfleger alt und hässlich ist, verpufft wohl gerade. "Ela wird gleich hier sein. Sie wird mit einem Krankenwagen hergebracht, da es ihr im Moment sehr schlecht geht." Erkläre ich und schließe die Haustür auf, damit wir nicht länger in der Kälte stehen müssen. "Verstehe. Was hat Ela denn?", "Sie hat Leukämie und da es nicht sehr gut aussieht, haben wir beschlossen, sie nach Hause zu holen, damit sie ihre letzten Tage - wir hoffen natürlich es sind nicht ihre letzten - nicht im Krankenhaus verbringen muss. Wir finden keinen passenden Spender und die Chemo schlägt nicht an. An Heiligabend war sie zuhause und da ging es ihr deutlich besser als es im Krankenhaus der Fall war. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden sie nach hause zu holen." Scott nickt und sieht sich im Haus um. Marco scheint noch immer eingeschnappt zu sein, was ich an seinem Blick erkenne. Ich seufze und stoße ihn an. "Ja, wie alt sind Sie denn?", fragt er Scott. "Ich bin 23.", erklärt er. Wow, noch ziemlich jung. "Aha und haben Sie Zeugnisse und Beurteilungen und so was mit?", "Aber natürlich." Er nimmt seinen Rucksack vom Rücken und holt eine Mappe heraus. "Hier ist mein Abschlusszeugniss von der Schule, hier von meiner Ausbildung. Beurteilungen liegen ebenfalls bei. Hier habe ich noch meinen Lebenslauf." Der junge Mann breitet die Papiere auf dem großen Esstisch im Wohnzimmer aus und Marco sieht sich alles an. "Naja, klingt ja gar nicht so übel.", murrt mein Freund. "Nun sei nicht so, du vergraulst ihn noch.", ermahne ich Marco und wende mich dann an Scott, der etwas unsicher dasteht. "Magst du etwas trinken? Ich darf doch Du sagen, oder?", "Aber natürlich.", lächelt er mich an. "Ein Wasser wäre lieb." Ich nicke und gehe ihm die Küche, allerdings nicht, ohne Marco noch einen warnenden Blick zuzuwerfen. Scott scheint nett zu sein und nur, weil er nicht gerade hässlich ist, um ehrlich zu sein ist er ziemlich hot, und noch sehr jung ist, muss Marco nicht automatisch unfreundlich sein und ihn das spüren lassen. Er soll mal seine Eifersucht zügeln, denn Ela braucht einen Pfleger. "Er wird nicht bleiben." Ich zucke zusammen und sehe Marco an, der plötzlich neben mir steht. "Wieso nicht?", "Sieh ihn dir doch an!", "Du kannst mir vertrauen, Marco. Ich würde niemals etwas mit diesem Kerl anfangen. Er soll lediglich Ela pflegen und da sein, falls etwas ist. Ich werde zwar immer für Ela da sein können, aber was diese ärztlichen Behandlungen betrifft, reichen meine Fähigkeiten einfach nicht aus. Bitte gib ihm eine Chance und lass uns sehen, wie es funktioniert. Ich kann dir nur versichern, dass ich dich viel besser finde als ihn." Ich schmiege mich anzüglich an meinen Freund und versuche ihn etwas locker zu bekommen, was mir auch tatsächlich gelingt. Er beginnt dreckig zu grinsen und legt mir seine Hände um die Hüfte, um nicht fester an sich zu ziehen. "Ich bin also besser, ja?" Seine Hände wandern hinunter zu meinem Po und drücken leicht zu, während er sich meinen Lippen nähert. "Lass uns das auf später verschieben.", gebe ich ihm einen Korb und winde mich grinsend aus seinem Griff, was er mit einem frustrierten Schnauben kommentiert. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer zu Scott und gebe ihm das Glas Wasser. Er bedankt sich höflich und zieht sich seine Jacke aus, die er bis eben noch an hatte. "Aus welchem Grund hast du dich für diesen Job entschieden?", frage ich neugierig. Marco kommt zu uns und setzt sich neben mich. "Meine Mutter hat als Krankenschwester in einem Krankenhaus gearbeitet. Sie war immer sehr begeistert von ihrem Beruf, obwohl sie auch oft gesagt hat, dass es sehr hart sein kann. Naja, wenn man es so betrachtet, bin ich quasi in ihre Fußstapfen getreten. Sie kann den Beruf leider nicht mehr ausüben, aus gesundheitlichen Gründen, aber sie war sehr erfreut, als ich ihr sagte, dass ich auch Krankenpfleger werden möchte. Anfangs hielt sie es noch für Spinnereien aber ich habe ernst gemacht und nach dem Schulabschluss die Ausbildung begonnen. Ich liebe meinen Job wirklich. Zuerst habe ich in einem Krankenhaus gearbeitet, doch ich mag es lieber, als häuslicher Krankenpfleger zu arbeiten." Noch immer beäugt Marco ihn skeptisch. Ich seufze und lehne mich vor. "Beachte ihn gar nicht, der hat Komplexe." Marco schnaubt, während Scott sich ein Schmunzeln verkneifen muss. "Komplexe?", "Ja. Und jetzt sei endlich höflich, denn Scott ist perfekt für diesen Job. Ich bin mir sicher, dass Ela ihn lieben wird." Ich stehe auf, da es klingelt, Marco antwortet mir erneut nur mit einem Schnauben. Ich gehe zur Tür und öffne sie. Vor mir steht ein Sanitäter. "Sind Sie Frau Leopold?", "Ja, genau die bin ich.", "Elaine ist im Moment stabil und schläft. Wir würden sie jetzt in ihr Bett bringen, worin sie schlafen wird und alle nötigen Geräte anschließen. Ist ein Krankenpfleher vor Ort?" Ich nicke und schon erscheinen Marco und Scott neben mir. "Scott Klein, ich bin besagter Pfleger." Er reicht dem Sanitäter die Hand. "In Ordnung, dann kommen Sie bitte kurz mit, damit sie eingewiesen werden können." Scott nickt und schlüpft schnell in seine Schuhe, um nach draußen zum Krankenwagen zu gehen, wo er sofort vom Arzt eingenommen wird. Ela wird derweil von drei Sanitätern ins Haus gebracht. Marco zeigt ihnen Elas Zimmer, ich hingegen bleibe an der Tür und halte sie auf, damit sie nicht zufliegt und passe auf, dass Lucy nicht nach draußen läuft.

Eine Stunde später ist alles fertig eingerichtet und Ela liegt schlafend in ihrem kleinen Krankenbett in ihrem Zimmer. Scott geht konzentriert alles durch, Marco beobachtet ihn dabei kritisch. "Lassen wir ihn arbeiten.", flüstere ich Marco zu ziehe ihn an der Hand hinter mir her nach unten. "Mir fällt gerade ein, dass ich dir noch gar nicht mein Geschenk gegeben habe." Noch ehe ich etwas sagen kann, rennt Marco wieder hoch und lässt mich allein. Seufzend setze ich mich aufs Sofa. Von mir hat Marco einen Schutzengel bekommen, welchen er auf meinen Wunsch an seinen Autoschlüssel gehängt hat. Er sagte, dass ihm dieses Geschenk sehr viel bedeutet. Marco kommt wieder zu mir und setzt sich seitlich neben mich, damit er mich ansehen kann. "Ich hoffe, dass es dir gefällt.", sagt er leise und legt mir eine kleine Schachtel in die Hand. "Egal was es ist. Allein weil es von dir ist, ist es das schönste Geschenk, welches ich je bekommen habe.", erwidere ich. Er erwidert nichts, drängt mich lediglich mit seinem unsicheren und doch aufgeregen Blick dazu, endlich die Schachtel zu öffnen. Mein Blick fällt auf die zwei ineinander verschlungenen Buchstaben. Ein M und ein E. Vorsichtig nehme ich das zierliche Silber in die Hand und ziehe den Anhängern mitsamt Kette heraus. "Damit du uns immer bei dir hast. Du bist jetzt ein Teil von Ela und mir." Gerührt von seinen Worten fließen mir kleine Tränen über die Wangen. "Sie ist unglaublich schön, danke.", hauche ich. "Soll ich sie dir dran machen?" Ich nicke sofort und drehe mich um, woraufhin er mir die Kette aus der Hand nimmt und sie mir umlegt. "Ich liebe sie.", gebe ich ehrlich zu und sehe meinem Freund an, dessen Augen auf dem Anhänger liegen. "Und ich liebe dich, Lia."

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