Kapitel 56

Lia

Meine Mama mustert mich besorgt, als ich unruhig mit der Kakaotasse zwischen meinen Händen spiele. Ich sitze ihr gegenüber in einem sehr gemütlichen Café, wo es den besten Kakao und die besten Waffeln der Welt gibt. Doch heute ist alles irgendwie anders. Ich habe kaum Hunger, kaum Durst. Auf Reden habe ich auch keine Lust. Im Moment wohne ich bei meinen Eltern, die sich hier in Dortmund eine kleine Wohnung gemietet haben, um in meiner Näher zu sein. Zum Glück haben sie ein Gästezimmer, welches eines Tages mal das Zimmer ihrer Enkelkinder werden soll. Sie haben also die Hoffnung, dass ich irgendwann doch nochmal Kinder in die Welt setze. Naja, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Meine ist schon beinahe tot. Bisher habe ich die Aufgabe, die mir mein Psychologe aufgetragen hat, noch nicht in die Tat umgesetzt. Ich weiß einfach nicht wie. Ich meine wie soll man so was auch machen? Ich kann ja schlecht einfach so zu Marco gehen und ihm eine Standpauke halten, in der ich ihn anweise mir den Kontakt mit Ela zu erlauben und meine Gefühle zu erwidern. Er würde mich für gestört halten. Naja, das bin ich ja irgendwie auch. Mom redet jeden Tag auf mich ein, dass ich Dr. Malow anrufen soll, doch er würde mich nur fragen, wieso ich seine Aufgabe noch nicht in die Tat umgesetzt habe. Auf diese Frage wüsste ich dann keine aussagekräftige Antwort und somit wäre das alles nur Zeitverschwendung. Obwohl ich ja sowieso den ganzen Tag nichts tue als herumzusitzen und Trübsal zu blasen. Aber Dr. Malows Zeit wäre verschwendet, also...
Meine Mama seufzt leise, weshalb ich zu ihr sehe. "Du wirst von Tag zu Tag verschlossener, Schatz. Wieso gehst du denn nicht einfach mal zu Marco und versuchst mit ihm zu reden?" Ich zucke ratlos mit den Schultern. "Iss wenigstens deine Waffel bevor sie kalt wird. Du fällst mir bald noch von den Rippen, wenn du so weiter machst. Dein Vater und ich machen und ernsthaft Sorgen um dich, meine Süße." Ich verdrehe leicht die Augen. "Braucht ihr nicht. Mir geht es gut." Zugegeben, ich konnte noch nie gut lügen. Dementsprechend sieht meine Mutter mich auch gerade vielsagend an. "Na schön, mir geht es scheiße und ich fühle mich wie ausgekotzt. Zufrieden?", maule ich und trinke einen Schluck Kakao. "Ja.", nickt meine Mutter mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. Sie macht mich wahnsinnig. Aber ich sie vermutlich auch. "Ach Süße. Los, iss jetzt auf. Danach fahren wir nach Hause und du kannst ein schönes Bad nehmen." Das klingt doch mal vielversprechend. Ein entspannendes Bad würde sicher guttun.
Schnell trinke ich aus, esse meine Waffel auf und warte, bis meine Mama bezahlt hat, damit wir zum Auto gehen können.
"Wir sollten mal wieder zusammen shoppen gehen. Nur du und ich. Dein Vater wäre dabei nur eine Belastung.", "Klingt gut.", antworte ich lediglich. Heute ist mir wirklich nicht nach reden zumute. Gott weiß warum.
Als meine Mutter sich falsch einordnet, sehe ich sie verwirrt an. "Mom, das ist der falsche Weg. Wir hätten geradeaus weiter gemusst.", kläre ich sie auf. "Nein, das hier ist der richtige." Irritiert sehe ich sie an, doch sie ignoriert mich gekonnt. "Mom? Wo wollen wir noch hin?" Sie ignoriert mich weiterhin, weshalb ich beleidigt meine Arme vor der Brust verschränke und stur aus dem Fenster starre. Doch als mir die Gegend immer bekannter wird, bekomme ich ein ungutes Gefühl. "Mom?" Sie reagiert nicht, was meinen Verdacht bestätigt, ich beschließe allerdings, vorerst nichts weiter zu sagen.
Nach weiteren fünfzehn Minuten hält meine Mutter in Marcos Einfahrt. "Aussteigen.", "Vergiss es.", schnaube ich eingeschnappt. Sie kann doch nicht einfach hierher fahren und mich hier absetzen? Ich gehe doch da jetzt nicht rein und rede mit ihm! Die Hoffnung, dass er vielleicht gar nicht zuhause ist, wird durch sein in der Einfahrt stehendes Auto auch zu Grunde getreten. "Emilia Leopold, steig sofort aus!", herrscht meine Mutter mich an. "Ganz bestimmt nicht." Sie seufzt und steigt plötzlich aus. Verwirrt musterte ich sie, wie sie das Auto umrundet und meine Tür öffnet. "Aussteigen. Sofort.", herrscht sie mich in einem Ton an, der mich zusammenzucken lässt. "Ist ja gut.", murmle ich widerwillig und schnalle mich ab, um anschließend auszusteigen. "Schreib mir, wenn ich dich abholen soll, Schätzchen.", lächelt sie mich noch scheinheilig an, ehe sie ins Auto steigt und wegfährt. Toll, und jetzt? Womit habe ich das denn jetzt bitte verdient? Gott, wie ich es hasse, wenn meine Mutter sowas macht. Sie sollte sich in so was echt nicht einmischen.
Murrend gehe ich zur Haustür, wovor ich allerdings stehen bleibe. Ich weiß doch überhaupt nicht, was ich sagen soll. Marco will mich sicher überhaupt nicht sehen und mit meinem Auftauchen mache ich jetzt alles noch viel schlimmer. Aber bis zur Wohnung meiner Eltern zu laufen würde ewig dauern und ich habe mein Portemonnaie natürlich nicht mit. Meine Mutter würde mich auch nicht sofort wieder abholen. Man eh. Seufzend lasse ich die Schultern hängen und werde von Traurigkeit übermannt. Widerwillig hebe ich die Hand, um auf die Klingel zu drücken. Lange warte ich und will mich gerade umdrehen, als ein ziemlich beschissen aussehender Marco die Tür öffnet. "Wie siehst du denn aus?", entfährt es mir, noch ehe ich mich selbst aufhalten kann. Marco schnaubt und mustert mich. "Was willst du?", fragt er kühl. "Können wir reden? Ich denke, dass wir beide mit der momentanen Situation nicht sehr gut klarkommen." Er ringt mich sich, was ich deutlich sehen kann. Doch letztendlich tritt er beiseite, sodass ich hineingehen kann. "Wie geht es Ela?", "Unverändert. Sie weint viel und... naja... sie fragt ständig nach dir." Er reibt sich verlegen den Nacken und weicht meinem Blick aus. Sie fragt nach mir. Diese Tatsache tut meinem gebrochenen Herzen sehr gut. Es ist wie Balsam für die Seele. "Willst du was trinken?", "Nein, danke.", lehne ich höflich ab. "Okay.", flüstert er kaum hörbar und geht ins Wohnzimmer voraus. Lucy steht von ihrem Platz auf und kommt zu mir gelaufen, als sie mich sie. Lächelnd streichle ich sie ein wenig, ehe ich mich zu Marco auf das Sofa setze. "Du willst also reden. Und worüber?", bricht er die unangenehme Stille zwischen uns. "Über das, was letzte Woche geschehen ist.", sage ich leise. "Es tut mir leid, Lia. Ela fragt so oft nach dir. Jeden Tag mindestens einmal. Sie vermisst dich so sehr und es bricht mir das Herz, dass ich nicht mehr genug für sie bin. Es macht mich natürlich auch traurig, dass es nicht Elaine ist, an der Ela so hängt, aber ich schätze ich habe mich langsam damit abgefunden. Mir ist klar, dass Ela niemals so eine starke Beindung zu Elaine haben wird, weil sie sie einfach nicht persönlich kennt. Aber da war immer noch ein wenig Hoffnung in mir, dass Ela Elaine trotzdem als ihre einzige Mama ansehen wird. Mir ist jetzt aber klar, dass Ela eine weibliche Bezugsperson braucht, die die Rolle ihrer Mama einnehmen kann. Gerade jetzt, wo es ihr gesundheitlich so schlecht geht. Sie ist noch so klein und versteht das alles einfach noch nicht. Und ich hasse mich dafür, dass ich dir angewiesen habe zu gehen. Bitte verzeih mir mein Handeln. Und vor allem komm wieder her. Denn ich vermisse dich auch, Lia."

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