Kapitel 53

Lia

Schreiend liegt die kleine zweijährige Tochter meines besten Freundes in meinem Arm und windet sich. Es bricht einem das Herz sie so zu sehen. Aber was kann man denn schon tun? Man kann einfach nur daneben sitzen und ihre Hand halten, sonst nichts. Am liebsten würde ich ihr den Schmerz einfach nur abnehmen. In dem Fall hätte ich zwei Fliegen mit einer Klappe erwischt. Zum einen würde sich dieses wunderschöne, kleine Mädchen nicht mehr quälen. Zum anderen wäre Marco endlich mal glücklich. Aber ich kann es nicht. Ich kann Ela ihre Krankheit nicht abnehmen. Es wäre viel zu einfach. Stattdessen ist man gezwungen einem Kind zuzusehen, welches sich quält. Was der gute Herr da oben sich bei solchen Dingen wohl denkt? Zugegeben, ich glaube nicht wirklich daran, dass die Welt von einem Gott gesteuert wird, dass sie von ihm erschaffen wurde. Die meisten Gläubigen reden sich einfach ein, dass es einen Grund für das Handeln Gottes gibt. Aber was für ein Sinn steckt dahinter einem zweijährigen, unschuldigen Mädchen Leukämie anzuhängen? Da gibt es keinen Grund. Keinen Sinn. Das ist einfach pures Unglück und unfair ist es obendrein. Ich finde es schrecklich genug, dass es Krebs überhaupt gibt. Aber dann auch noch bei Kindern? Gäbe es einen Gott, der für all das verantwortlich ist, dann ist er ein verdammtes Arschloch. Ein Heuchler, der auf leidende Menschen steht.
Ich zucke zusammen, als ich Bewegungen wahrnehme. Langsam hebe ich meinen Kopf, um nachzusehen, wer da ist. "Oh, hallo.", lächelt mich eine Frau an. Ich glaube sie ist Marcos Schwiegermutter. Mehr oder weniger zumindest. "Hallo.", sage ich leise und wiege Ela weiter in meinem Arm. "Bist du ganz allein hier? Ist Marco gar nicht da?", "Ähm, nein, er hat Training. Ich bin allein hier. Ela wäre sonst ganz einsam, wenn ich nicht kommen würde. Die kleine Maus braucht doch Gesellschaft." Cony nickt und betrachtet die im Schlaf wimmernde Ela in meinem Arm. "Wie lange schläft sie schon?", "Erst ein paar Minuten. Sie hat starke Schmerzen. Eine Schwester hat ihr etwas dagegen gegeben, allerdings scheint es nur bedingt zu helfen." Seufzend streiche ich Ela die Mütze etwas tiefer, damit ihre Stirn mehr bedeckt ist. "Bist du wirklich nur das Hausmädchen?" Überrascht sehe ich die Schwiegermutter meines besten Freundes an. "Ja.", lautet meine irritierte Antwort. "Naja, du scheinst Ela sehr gern zu haben.", "Ich liebe Ela. Ich würde sie mit meinem Leben beschützen." Cony setzt sich zu mir und seufzt. "Wie ihre Mutter. Sie hat ihre Tochter auch mit ihrem Leben beschützt. Sie hat so lange gekämpft, bis ihre Tochter das Licht der Welt erblicken konnte. Erst dann hat sie die Kraft gehabt zu gehen. Sie hat alles dafür getan, dass sie lebt. Und jetzt ist sie so schwer krank.", "Eine Mutter würde alles für ihr Kind tun.", murmle ich. "Hast du Kinder?" Ich lache traurig auf. "Nein, und ich werde auch nie welche haben. Mein Körper ist zu kaputt, um dafür zu sorgen, dass ein Baby gesund in mir heranwächst. Sollte ich schwanger werden, dann würde es das Kind entweder verlieren oder es würde vermutlich eine starke Behinderung kriegen.", "Haben das Ärzte zu dir gesagt?" Ich schüttle den Kopf. "Ich weiß es. Ich kann es fühlen, dass es so sein würde." Ela quengelt kurz, ist dann aber wieder ruhig. "Dein Körper wird lediglich etwas Zeit brauchen. In ein paar Jahren wird dein Körper entgiftet sein und du wirst gesund Kinder in die Welt setzen können. Glaube mir." Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. "Sollte Ela das hier nicht schaffen, dann will ich keine Kinder. Niemals.", "Du entwickelst Muttergefühle.", haucht Cony. "Ja.", gebe ich leise zu und schon laufen mir Tränen über die Wangen. "Ja, ich entwickle Muttergefühle. Ich weiß, das ist eigentlich nicht richtig, aber ein Kind braucht doch eine weibliche Bezugsperson, nicht wahr? Ich will ja gar nicht, dass sie Mama zu mir sagt. Ich bin schließlich nicht ihre Mama. Aber ich möchte, dass sie sich in meinen Armen wohlfühlt und ich möchte ihr das Gefühl geben, dass alles gut wird. Ich weiß ja, dass sie Marco hat, aber das reicht nicht. Ein Kind braucht Mama und Papa. Aber Marco schafft das nicht alleine. Ich dachte jetzt, wo er Tina hat, wird er ohne mich klarkommen können und er würde mit ihrer Hilfe wieder ein glücklicher Mann werden aber jetzt hat sie ihn verlassen, weil sie der Meinung ist, dass er Gefühle für mich hätte. Sie hat Gefühle für ihn. Sie liebt ihn. Und doch verlässt sie ihn. Dabei ist sie im Unrecht. Marco liebt mich nicht. Er will Tina. Nicht mich." Cony schüttelt den Kopf. "Wir alle sehen es ihm an. Wir alle merken, dass er für dich sehr viel empfindet. Dessen ist er sich nur noch nicht bewusst, Lia. Habe noch ein wenig Geduld, Kind, er wird es bald selbst merken. Wenn wir es ihm sagen, dann wird er es abstreiten und auf Abstand gehen. Und das wollen wir ja nicht, oder?" Ich schüttle den Kopf, während Marcos Schwiegermutter mir mit ihrem Daumen meine Tränen weg wischt. "Na siehst du. Wir alle wissen, dass du die richtige für Marco bist. Allein die Tatsache, dass Ela dich schon so sehr liebt. Tina zum Beispiel wurde überhaupt nicht von Ela gemocht. Die kleine Maus hat sich regelrecht gesträubt sich ihr anzunähern. Du bist ihre Nummer Eins, keine andere Frau.", "Und was ist mit Elaine?", "Ela kennt ihre Mama nicht. Sie sieht dich als ihre Mama. Sie hat dich doch bereits Mama genannt. Marco war völlig durch den Wind, als sie damit ankam. Aber wer nimmt es dem armen Mädchen übel? Sie scheint sich nach einer Mama zu sehnen und da bist du aus ihrer Sicht offenbar zu geeignet. Weißt du, Lia, für mich ist das natürlich auch nicht leicht. Ich habe meine Tochter verloren. Eine Mutter sollte ihre Tochter nicht beerdigen müssen. Aber es lässt mein Herz aufgehen, wenn ich sehe, dass die Tochter meiner Tochter jemanden gefunden hat, der die Rolle als ihrer Mama gerecht wird. Es freut mich so sehr zu sehen, dass Ela dich so sehr akzeptiert, dass sie dich als ihre Mama sieht. Du solltest das als eine Ehre ansehen. Dass Marco das noch nicht so richtig akzeptiert kann ist völlig normal. Er hat schließlich seine Frau verloren. Nimm es ihm also nicht übel." Ich nicke leicht und sehe auf Ela hinunter, die mittlerweile friedlich in meinem Arm schläft.

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