Kapitel 52

Lia

Da Marco heute beim Training ist, habe ich beschlossen alleine zu Ela zu gehen. Schließlich wäre die kleine Maus sonst bis zum Nachmittag ganz alleine und das muss nun wirklich nicht sein. Allerdings habe ich den Kopf nicht mal annähernd frei. Wie kalt Marco gestern plötzlich mir gegenüber war. Heute früh war das nicht anders. Er hat nicht ein einziges Wort mit mir geredet. Natürlich macht mich das total fertig aber was soll ich denn schon machen? Zugegeben: ich habe mir vorgenommen mit Tina zu sprechen, was ich jetzt auch tun werde. Bevor ich zu Ela ins Krankenhaus gehe, werde ich bei Tina vorbeischauen und ihr versichern, dass Marco und ich nichts miteinander haben. Das muss ich einfach klarstellen, denn ich will nicht der Grund dafür sein, dass die zwei sich trennen.
Mit zitternden Händen drücke ich auf die Klingel, die zu Tinas Wohnung gehört. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier gerade das richtige tue. Marco könnte deswegen sauer auf mich sein, weil ich mich in seine Angelegenheiten einmische. Mein Kopf sagt mir aber, dass ich das richtige tue, weshalb ich entschlossen nicke und darauf warte, dass mir die Tür geöffnet wird. "Hallo?", höre ich Tinas Stimme über den Lautsprecher über der Klingel. "Hey, ich bin's Lia. Kann ich kurz zu dir hoch kommen?" Ich höre Tina seufzen. "Klar.", murmelt sie schließlich, ehe die Tür aufsummt und ich sie öffnen kann. Mit jeder Treppenstufe steigt dann aber doch die Unsicherheit in mir auf. Ist das hier wirklich das richtige? Sicher nicht. Oder doch? Engelchen und Teufelchen sitzen links und rechts auf meinen Schultern und streiten sich, ob es nun richtig ist oder nicht, während ich bis hoch zu Tinas Wohnung gehe. "Hey.", sage ich unsicher, als ich sie im Bademantel und mit vor der Brust verschränkten Armen in der Tür stehen sehe. "Ich wollte kurz mit dir reden. Darf ich reinkommen?" Sie presst kurz ihre Lippen aufeinander, doch dann tritt sie beiseite und deutet mir reinzukommen.
Tina setzt sich an den Küchentisch, ich mich ihr gegenüber. Ich bin mir nicht sicher, wie ich anfangen soll. Ich bin mir gerade nicht einmal sicher, was genau ich überhaupt sagen soll.
"Also?", fragt Tina ungeduldig, nachdem ich sie ziemlich lange unsicher angeschwiegen habe. "Ich wollte einfach klarstellen, dass Marco und ich nichts miteinander haben. Er war am Boden zerstört, als du gestern gegangen bist und ich dachte es wäre richtig von mir dir das zu sagen. Wir sind einfach nur sehr gute Freunde." Tina seufzt und reibt sich den Nacken. "Ich glaube dir ja, dass ihr nichts miteinander habt. Zumindest nicht körperlich. Aber ich bin nicht dumm oder auf den Kopf gefallen, Lia." Irritiert sehe ich Marcos Freundin an, die traurig lächelnd den Blick gesenkt hat. "Ich sehe doch, wie du ihn ansiehst. Und ich sehe auch, wie er dich ansieht. Ich bin nicht blind." Ich schüttle den Kopf. "Du liegst falsch, wir sind nur-", "Nur Freunde?", beendet sie meinen Satz mit skeptischem Unterton. "Bist du dir da sicher, Lia? Ich sehe dir doch an, dass du mehr Gefühle für Marco hast, als dir liebt ist." Ich runzle die Stirn, während mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Hat sie vielleicht recht? Nein, das kann nicht sein. Ich habe keine Gefühle für Marco. "Leugne es doch nicht, Lia. Wieso kämpfst du denn noch dagegen an, wenn es doch so offensichtlich ist? Du musst dich endlich mal gehen lassen und nicht deine ganzen Gefühle hinter einer Mauer verstecken. Marco genauso. Ich bin ehrlich: Marco ist mir unglaublich wichtig geworden und ich habe sehr starke Gefühle für diesen Mann. Aber er hat keine für mich. Und das habe ich gestern endgültig gemerkt. Dieser Mann liebt mich nicht. Er liebt dich." Ich schüttle panisch den Kopf und springe von dem Stuhl auf. "Ich bin hergekommen, weil ich dir vor Augen halten wollte, dass Marco sehr traurig war, als du gestern gegangen bist und dass zwischen uns nichts ist. Bitte vertrag dich wieder mit ihm, damit er wieder glücklich ist. Mehr möchte ich gar nicht. Bitte, Tina, sorg dafür, dass er wieder lacht. Das kannst nur du." Sie will etwas erwidern, doch ich schüttle den Kopf und mache auf dem Absatz kehrt, um so schnell es geht die Wohnung der Freundin meines besten Freundes zu verlassen. Wieso redet sie so? Wieso freut sie sich nicht einfach, dass Marco ihr nicht fremdgeht und gibt der Beziehung noch eine Chance? Wieso macht es denn so unnötig kompliziert?
Erschöpft und tränenüberströhmt lasse ich mich auf einer Bank nieder. Was soll das denn bloß alles?
Aber ich darf jetzt nicht weinen. Ich muss stark sein und mich aufrappeln, um Ela besuchen zu können. Sie darf mir meine Traurigkeit nicht anmerken. Sie hat es schon schwer genug da soll sie nicht auch noch von anderen mit Traurigkeit belagert werden. Ich möchte die kleine Maus heute zum strahlen und zum lachen bringen. Nichts anderes ist heute mein Ziel.
Wütend über meinen Gefühlsausbruch wische ich mir die Tränen aus meinem Gesicht. Kann Tina nicht einfach total scheiße sein, damit ich jetzt sauer auf Sie sein kann und froh, dass sie nicht mehr zu Marco will? Aber nein, sie ist natürlich perfekt. Perfekt für ihn, perfekt für diese Welt. Wie kann man nur so unglaublich hübsch und dann auch noch so dermaßen nett sein? Das ist doch scheiße! Einfach nichts an ihr finde ich scheiße. Sie ist einfach die Perfektion in Person. Verdammte nochmal!
Schnaubend schüttle ich den Kopf. Das ist doch alles nicht möglich. Ich sollte längst bei Ela sein und was tue ich stattdessen? Klar, auf einer Parkbank sitzen und heulen. Wegen Tina. Aber sie hat diesmal nicht recht. Marco hat keine Gefühle für mich. Und die wird er auch nie haben. Er hasst mich nun, weil ich schuld am Aus seiner Beziehung bin. Und was ist mit mir? Habe ich Gefühle für ihn? Natürlich habe ich die. Freundschaft natürlich. Aber ist es mehr? Ist es so viel, dass man von einer Art Verliebtheit sprechen kann? Woran erkennt man, dass man jemanden liebt? Alle sagen es ist dieses Kribbeln im Bauch. Die Tatsache, dass man nur noch an diese eine Person denken kann. Dass man nicht mehr ohne sie leben kann und dass man alles dafür tun würde, um diese eine Person glücklich zu sehen. Ja, ich denke sehr viel an Marco. Aber wieso auch nicht? Er ist mein bester Freund und ich wohne bei ihm. Und würde ich ohne ihn leben können? Ganz bestimmt nicht. Immerhin hat er mir das Leben gerettet und er ist mir sehr wichtig geworden. Will ich ihn glücklich sehen? Natürlich will ich das. Ich wäre ein verboten schlechter Mensch, wenn ich es nicht wollen würde. Ich habe ihm schließlich mein Leben zu verdanken. Er hat mich von Quinn weggeholt. Hätte er das nicht getan, wäre ich längst tot. Überdosis, Selbstmord, von Quinn zu Tode geprügelt oder eine fiese Geschlechtskrankheit, die ich mir durch die Prostitution früher oder später eingeholt hätte. Also ja, ich glaube ich habe mich in meinen besten Freund verliebt.

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