Kapitel 26

Es dauert gar nicht lange, bis meine Eltern an der Tür klingeln. Lia ist gerade mal seit einer Stunde weg und schon steht die halbe Familie vor der Tür. Wohl bemerkt, dass ich niemanden eingeladen habe. "Marco!", ruft meine Mutter erfreut und streckt die Arme nach mir aus. "Hey, Mutti.", murmle ich und umarme sie. "Hallo, mein Sohn.", kommt es von meinem Vater, während er mir auf die Schulter klopft. Als Ela aber angelaufen kommt, bin ich Gott sei Dank Nebensache. "Elaine, mein kleiner Engel, komm mal her zur Oma." Mutti hebt Ela hoch, während ich meine Schwiegereltern begrüße. "Geht durch. Ich mache euch fix Kaffee." Meine Familie nickt, also verschwinde ich in die Küche. "Soll ich dir irgendwas helfen?", fragt Melli, die neben mir auftaucht. "Nein, alles gut. Ist ja nur Knöpfe drücken. Die Maschine macht das schon. Du kannst aber den Kuchen mit ins Wohnzimmer nehmen." Melli sieht mich verblüfft an. "Der sieht selbstgemacht aus. Wer hat den gemacht?", "Ich.", versuche ich es. "Ja, der war gut.", schmunzelt sie. "Lia.", sage ich also die Wahrheit. "Wer ist Lia?" Ich seufze. "Hast du eine neue Freundin von der wir noch nichts wissen?" Nun stöhne ich genervt. "Nein. Lia ist das Kindermädchen, welches ich eingestellt habe.", "Kindermädchen? Wieso?", "Liegt das nicht auf der Hand? Ela ist erst zwei Jahren alt. Ich will nicht, dass sie schon in den Kindergarten muss. Und ich bin ständig unterwegs. Ich hasse es euch ständig um Hilfe bitten zu müssen." Melli verdreht ihre Augen. "Was ist hier los?", fragt nun meine große Schwester Yvi, die zu uns stößt. "Nichts.", antworte ich. "Er hat ein Kindermädchen eingestellt, weil er Angst hat, dass wir genervt sind, wenn er Elaine ständig bei uns parkt.", "Das habe ich überhaupt nicht gesagt!", "Aber so hast du es gemeint, Marco." Murrend drücke ich ihr den Kuchen in die Hand. "Bring ihn bitte ins Wohnzimmer." Sie presst ihre Lippen aufeinander und geht endlich. "Was ist los mit dir? Du wirkst so gereizt." Yvi streicht mit über den Rücken. "Alles etwas durcheinander heute. Mir geht's gut.", winke ich ab. "Warst du bei ihr?", "Ja.", hauche ich leise. "Willst du reden?", "Nein." Ich drehe mich von ihr weg und nehme zwei fertige Kaffeetassen, um sie in die Stube zu bringen. Elaine ist dabei ihre Geschenke auszupacken. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. Es ist ein schöner Anblick sie so unbeschwert und glücklich zu sehen. Madame steht gerne im Mittelpunkt. Da hat sie Glück, dass sie für immer Einzelkind bleiben wird. Niemand wird ihr diese ungeteilte Aufmerksamkeit nehmen. Niemand.

"Der Kuchen schmeckt sehr lecker. Wer hat ihn gebacken?", fragt Cony. "Lia.", antworte ich knapp. Eigentlich passt es mir nicht so wirklich in den Kram, dass ich heute das Haus voll habe. Ich wäre viel lieber ganz allein mit Ela irgendwo hingegangen. In den Zoo zum Beispiel. "Lia, stimmt, wo steckt sie denn überhaupt?" Meine Mutter zieht ihre Augenbrauen hoch. "In der Entzugsklinik, hoffe ich. Oder ist sie hier, Marco?", "Nein, Mutti, sie war nur kurz hier, um Elaine zu gratulieren. Und dann hat sie ihr noch den Kuchen gebacken, da ich so etwas ja nicht kann.", "Also macht sie keinen Entzug?", "Doch. Sie durfte halt für ein paar Stunden raus. Können wir das Thema jetzt bitte lassen?" Es geht mir wirklich total gegen den Strich, dass meine Mom den Entzug anspricht. Wieso kann sie das nicht einfach für sich behalten? "Na schön. Was hat Elaine denn von dir geschenkt bekommen?", "Eine Babyborn. Ich dachte, dass sie dafür nun alt genug ist.", "Aber ist die nicht etwas zu hart? Vielleicht wäre eine Puppe mit weichem Körper geeigneter.", hakt Cony nach. "Ich denke, dass das schon gut ist so. Sie liebt die Puppe.", erwidere ich. Okay, ich sollte einen Gang runterfahren. Ich bin viel zu gereizt. Aber mal ehrlich: ich habe niemanden eingeladen! "Was ist los mit dir, Marco?", fragt nun mein Vater. "Hergott heute ist verdammt nochmal der Todestag meiner Frau!", fahre ich aus der Haut. Ela beginnt sofort zu weinen, weshalb ich seufze und mein Gesicht in meinen Händen begrabe. "Macht es euch etwas aus, wenn ich den restlichen Tag mit meiner Tochter alleine verbringe?", frage ich nun leise. Als ich die leicht glasigen Augen meiner Schwiegereltern sehe, wird mir bewusst, dass nicht nur ich heute um Elaine Reus trauere. Ihre Eltern vermissen sie auch. "Es tut mir leid. Es ist nur gerade etwas schwierig für mich." Ich stehe auf und hebe Ela aus ihrem Stuhl. "Nicht weinen, Prinzessin, heute ist doch dein Geburtstag.", beruhige ich sie. Sie schmiegt sich an mich und wird wieder ruhiger. "Papa wollte das nicht. Tut mir leid." Sie vergräbt ihr Gesicht in meine Halsbeuge. "Ich würde gerne mit ihr in den Zoo gehen. Alleine. Ist das okay? Ihr könnt gerne hierbleiben. Ich bin gegen sieben wieder zuhause." Meine Familie nickt teils verständnisvoll, teils überrumpelt. "Wollen wir Tiere angucken gehen?" Ela nickt, also gehe ich mit ihr in den Flur und ziehe ihr und mir selbst Schuhe an. Ich bereue meinen kleinen Ausbruch. Gerade wegen meiner Schwiegereltern. Doch ich stehe heute etwas neben mir. Ich kann nichts dafür, dass ich so bin. Das Schicksal hat mich geändert. Ich sollte mich damit abfinden, dass ich jedes Jahr um diese Zeit nicht ganz gerade laufen werde. Wie denn auch? Ich weiß überhaupt nicht was ich fühlen soll. Freude, weil meine Tochter Geburtstag hat oder Trauer, weil meine Frau Sterbetag hat. Der 13. Juni wird für den Rest meines Lebens für mich verhext sein. Eines Tages muss ich Ela auch erzählen, dass ihre Mutter am Tag ihrer Geburt gestorben ist.

"Tiere tucken?", fragt Ela im Auto. "Ja, wir fahren jetzt Tiere gucken. Im Zoo.", sage ich zu ihr. Sie kichert und hält ihre Frula fest im Arm. Die musste unbedingt noch mit. "Ela ham.", "Was? Du hast doch gerade Kuchen gegessen.", "Ham?" Ich lache. "Wir essen gleich im Zoo ein paar Pommes.", "Ommes?", "Ja genau, Pommes. Deine allerersten Pommes überhaupt, Prinzessin. Hoffentlich sind sie auch gut." Ela kichert. Vermutlich hat sie überhaupt nicht verstanden, was ich gerade gesagt habe. Aber was soll's. Je mehr ich mit ihr rede, desto mehr redet sie. Und vor allem umso früher. Würde ich nicht mit ihr reden, dann würde sie es auch nicht tun. Mein kleiner Sonnenschein.

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