Kapitel 2

Immer wieder klingelt mein Handy, doch das ignoriere ich, während ich durch Dortmunds Straßen rase, als gäbe es keinen Morgen mehr. Vielleicht hat Cony mittlerweile auch die Nachrichten gesehen und will nun wissen was los ist. Dann muss sie im Krankenhaus anrufen. Meine Reifen quietschen, als ich vor dem Krankenhaus zum Stehen komme. Es ist mir egal, dass ich hier nicht stehen darf. Ich muss zu Elaine und meiner ungeborenen Tochter. "Meine Frau Elaine Reus. Wo ist sie?", frage ich hektisch. Die Frau am Empfang sieht mich überfordert an. In dem Moment knallen die Türen auf und ein Haufen Sanitäter rennen mit einer Trage den Gang entlang. Ärzte kommen den Sanitätern entgegen und lassen sich alles schildern. Alles was ich höre, sind die Schreie meiner Frau, die mein Herz zerreißen. "Mein Baby!", schreit sie immer wieder. Ich renne zu den vielen Leuten, rufe Elaines Namen. "Marco!", schluchzt sie kraftlos und greift nach meiner Hand, doch Elaine wird einfach weiter geschoben und somit finden unsere Hände nicht zueinander. Ihre Augen verdrehen sich, ihr Gesicht wird immer blasser. "Ich liebe dich.", formt sie mit den Lippen und schließt die Augen. Ein Arzt hält mich auf, als Elaine in einen Raum geschoben wird und ich folgen will. "Sie dürfen hier nicht rein.", sind seine einzigen Worte, ehe er ebenfalls in diesen Raum geht und die Türen schließt. Mein Atem ist unregelmäßig und schwer. Was ist mit meiner Frau? Und was ist mit unserem Baby? Ärzte und Schwestern rennen an mir vorbei. Immer hin und her. Erschöpft lasse ich mich an der Wand herunter gleiten und starre durchgehend die Tür mir gegenüber an. Immer wenn jemand herauskommt, will ich fragen, was mit meiner Frau ist, doch alle ignorieren sie mich. Niemand nimmt mich für voll. "Marco!" Ich zucke zusammen und sehe meine Schwiegereltern an, die gerade den Gang entlang kommen. "Was ist passiert? Wir wurden nur angerufen, dass Elaine im Krankenhaus ist. Wir haben die Nachrichten gesehen.", redet Jürgen drauf los. Er liebt Elaine so sehr. Sie ist seine kleine Prinzessin. Schon immer ist sie dies gewesen. "Ich weiß es nicht.", krächze ich. Meine Stimme gibt auf. "Sagt dir denn niemand etwas?", fragt Cony schluchzend. Ich schüttle den Kopf und starre wieder die Tür an. Immer wieder höre ich die Stimme meiner Frau in meinem Kopf, wie sie nach unserem Baby schreit. Der Ton ihrer Stimme war so schmerzvoll und voller Trauer. Bitte lass meiner kleinen Prinzessin nichts passiert sein. Und dann diese Worte. Ich liebe dich, hatte sie tonlos geflüstert. Es war für mich nicht zu hören, nur gesehen habe ich es. Jede Bewegung ihrer weichen Lippen habe ich wahrgenommen. Wieso hat sie mir das gesagt? Waren es Worte des Abschieds? Nein, so darf ich auf keinen Fall denken.

Meine Schwiegereltern setzen sich neben mich auf die Stühle, die hier stehen. Cony weint leise vor sich hin, während Jürgen auf sie einredet und sie versucht zu beruhigen. Doch auch seine Stimme ist nicht so fest wie sonst. Immer wieder klingelt mein Handy. Immer und immer wieder. Es hört einfach nicht auf, weshalb ich es heraushole. Es ist Mats. "Ich weiß noch nichts.", gehe ich ran. "Wie geht's dir?" Ich schnaube. "Wie soll's mir schon gehen? Scheiße geht's mir. Ich lege jetzt wieder auf, ich habe gerade keinen Kopf zum Telefonieren." Und schon habe ich wieder aufgelegt. Ich will meine Ruhe. Mein Handy schalte ich auch gleich aus, damit niemand mehr anruft. "Marco? Ist sie schlimm verletzt?" Ich sehe meine Schwiegermutter an. "Ich weiß es nicht, Cony. Ich habe sie nur ganz kurz gesehen.", flüstere ich. "Wir brauchen Doktor Wolf!", ruft eine Schwester, die aus dem Raum mir gegenüber gelaufen kommt. "Wer ist Doktor Wolf?", frage ich Cony panisch. Sie ist Krankenschwester hier. Vielleicht kennt sie ihn. "Er ist Chefarzt der Frühchenstation.", sagt sie sofort und richtet sich mehr auf, um das Geschehen zu beobachten. Ein Arzt, vermutlich Doktor Wolf, rennt zusammen mit der Schwester in den OP Raum und die Tür schließt sich wieder. "Frühchen? Also geht es um meine Tochter?", frage ich panisch und stehe auf. "Ich weiß nicht.", weint Cony. Ich schlucke schwer und warte darauf, dass etwas passiert, doch es passiert einfach nichts.

Cony ist bereits eingeschlafen und Jürgen streichelt ihr durchgehend über den Arm. Ich hocke wieder auf dem Boden und starre die Tür an. Ich will endlich etwas wissen. Ich will wissen was passiert ist. Die Müdigkeit macht sich mittlerweile auch bei mir breit und mein Kopf tut unglaublich weh.

Wieder kommt ein Arzt raus, diesmal rennt er jedoch nicht sofort weg, sondern sieht mich an. "Herr Reus?" Ich springe auf und sehe ihn abwartend an. "Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu Ihrer Tochter." Ich runzle die Stirn. Was hat er gerade gesagt? Er lächelt ganz leicht und deutet mir, ihm zu folgen. Mein Blick gleitet kurz zu Jürgen, der auch etwas aufgeregt aussieht. "Geh ruhig. Wir kommen später dann." Ich nicke und gehe dem Arzt hinterher. Ich denke, dass er dieser Doktor Wolf ist. Immerhin ist er vorhin gekommen, als der Name gerufen wurde. "Ihrer Tochter geht es gut. Das Gewicht beträgt 2980 Gramm und sie ist 41 Zentimeter groß. Ein zierliches kleines Mädchen." Wieder lächelt er ganz leicht, doch das Lächeln scheint ihm irgendwie schwer zu fallen. "Sie müssten uns dann bitte noch mitteilen wie die Kleine heißen soll." Ach herrje. Da haben Elaine und ich noch gar nicht drüber geredet. Naja, doch, geredet schon. Nur haben wir uns noch nicht festlegen können. Elaine. Wo ist sie überhaupt? Wie geht es ihr wohl? Gerade will ich diese Fragen stellen, doch da erreichen wir schon die Babystation und ich entdecke ein kleines Mädchen, Das in einem Babybettchen liegt. Sie schläft friedlich und hat ihre winzigen Hände zu Fäusten geballt. "Ist das-", "Ja, Herr Reus, das ist ihre Tochter.", lächelt er mich an. "Darf ich sie hochnehmen?", "Aber natürlich.", nickt er sofort. Vorsichtig nehme ich das kleine Mädchen aus ihrem Bettchen und betrachte sie, wie sie so in meinem Arm liegt. "Hey, meine kleine Prinzessin.", flüstere ich und muss augenblicklich lächeln, als mir klar wird, dass ich gerade meine Tochter im Arm halte. Elaines und meine Tochter. "Wo ist meine Frau? Wie geht es ihr?", frage ich den Doktor ohne den Blick von meiner wunderschönen Tochter zu wenden. Doch als er mir nicht antwortet, hebe ich meinen Blick doch und sehe ihm in seine traurigen Augen. "Es tut mir sehr leid, Herr Reus. Ihre Frau hat es leider nicht geschafft. Die Blutungen konnten nicht gestoppt werden." Die Ironie des ganzen, heute ist Freitag der 13.

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