Kapitel 16

Marco

Ich öffne die Haustür und atme erleichtert aus. Das Training war heute verdammt anstrengend und noch dazu saß mir diese leichte Unsicherheit was Lia betrifft in den Knochen. Ich vertraue ihr, doch sie kennt das Haus nicht und Ela kennt sie auch nicht in- und auswendig. Vielleicht hätte ich die zwei nicht sofort alleine lassen sollen.

Lucy kommt mit entgegen gelaufen und springt umher. "Was ist los, Süße? Hast du noch nichts zu Fressen bekommen?" Sie rennt aufgeregt Richtung Küche und bleibt vor ihrem Napf stehen. Also Nein. Aber die Küche ist blitzblank. Es ist ewig her, dass sie mal so sauber und aufgeräumt war.

Schnell gebe ich meinem Hund das Futter, ehe ich mich auf die Suche nach Lia mache. Da es sehr still ist, gehe ich davon aus, dass Elaine bereits im Bett liegt und schläft.

Lia liegt zusammengekauert auf der Couch. Sie zittert, der Schweiß perlt ihr von der Stirn und sie stöhnt schmerzverzerrt. Ihre Augen hat sie geschlossen. Ob sie schlecht träumt? Vielleicht friert sie? Aber sie sollte auch nicht auf der Couch schlafen. Mein Sofa ist zwar sehr bequem, doch um eine ganze Nacht darauf zu schlafen ist selbst sie nicht geeignet.

Vorsichtig wecke ich die schlafende Lia. Sie zuckt stark zusammen und blinzelt verschlafen. "Ich bin wieder da. Hat alles gut geklappt?" Sie richtet sich auf und reibt sich über ihr Gesicht. "Ja, es ist alles gut gelaufen. Elaine hat gegessen, sie war auf dem Topf und ich habe ihr den Schlafsack wie eine Zwangsjacke angezogen, damit sie morgen früh nicht nackt in ihrem Bett sitzt.", zählt sie auf. Ich schmunzle. "Super. Dann geh doch ins Bett. Du scheinst sehr müde zu sein." Sie nickt geistesabwesend und steht auf. "Ähm, wo darf ich denn schlafen?" Oh, richtig. "Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer." Wir gehen gemeinsam hoch. "Also hier ist das Gästezimmer, wo du schlafen kannst. Fühl dich wie Zuhause, Lia. Die Tür dort führt zu einem Bad. Da findest du alles, was du brauchst. Hast du Klamotten und so was dabei?", "Ein paar, ja.", nickt sie. "Gut, ähm, ja, dann lasse ich dich mal alleine." Ich lächle sie ein wenig an, ehe ich das Zimmer verlasse.

Mit einem lauten Seufzer setze ich mich auf mein Sofa. Nur noch zwei Wochen, dann wird Ela zwei werden. Und dann ist der zweite Todestag meiner Frau. Keine Ahnung, wie ich das machen soll, aber ich muss an dem Tag fröhlich sein. Für Ela. Elaine würde mich dafür hassen, wenn ich am Geburtstag unserer Tochter trauern würde. Vor allem in ihrer Gegenwart. Ich muss den Tag überstehen, ohne auch nur eine einzige Sekunde traurig auszusehen. Ela würde das noch nicht verstehen. Sie kennt ihre Mutter nicht, wie soll sie also traurig sein können? Eines Tages wird sie an ihrem Geburtstag um ihre Mutter trauern. Und davor graut es mir jetzt schon. Meine Tochter soll an jedem ihrer Geburtstage fröhlich sein und verwöhnt werden. Und zwar ihr ganzes Leben lang.

Und das mit Lia? Meine Mutter wird ausrasten, wenn ich ihr erzähle, dass ich sie hier wohnen lasse. Zumal sie ja meinte, dass sie drogenabhängig sei. Was sie wohl nimmt? Kiffen tut sie ja nicht, zumindest hat sie das gesagt. Tabletten? Koks? Es gibt so vieles, was sie nehmen könnte. Fakt ist aber, dass meine Mutter versuchen wird sie vor die Tür zu setzen. Aber das muss ich verhindern, denn offenbar hat sie hier heute alle im Griff gehabt. Das Wohnzimmer ist komplett aufgeräumt, die Küche blitzblank, mein Kind schläft seelenruhig in ihrem Bett. Ich für meinen Teil bin begeistert und das passiert eher recht selten.

Ich höre, wie Lia die Treppe hinunterkommt. Sie schleicht in die Küche und kurz darauf ist der Wasserhahn zu hören. Neugierig stehe ich vom Sofa auf, um zu ihr zu gehen. Nur in T-Shirt und Slip bekleidet steht sie am Waschbecken und trinkt gierig das Wasser aus dem Glas, das sie in der Hand hält. "Ist alles okay?" Sie zuckt zusammen und dreht sich zu mir um. "Klar.", antwortete sie knapp. "Sicher? Du siehst irgendwie aus, als hättest du dich bei Ela angesteckt. Du schwitzt.", "Mir geht's gut. Wirklich. Nur ein wenig Schmerzen." Ich runzle die Stirn. "Schmerzen? Wo?", "Allgemein Gliederschmerzen. Aber meine Brüste tun mir auch weh.", murmelt sie. "Deine Brüste? Wieso das denn?" Sie zuckt mit den Schultern. "Entschuldige die Frage, aber hast du dir die Brüste machen lassen?", "Quinn wollte das.", nickt sie. "Ziemlich komischer Typ, dieser Quinn.", "Das kann man wohl so sagen." Ihre Stimme ist ganz leise, beinahe nur ein Flüstern. "Vielleicht ist das Implantat kaputt?", "Möglich. Die linke schmerzt sehr und ist seit kurzem eigenartig geformt.", "Was? Aber wieso gehst du nicht zum Arzt? So etwas ist gefährlich.", "Ich kann mir die OP nicht leisten. Ist immerhin ein Schönheitseingriff. Das bezahlt die Krankenkasse nicht." Ich verziehe das Gesicht. Ich will mir gar nicht vorstellen, was für Schmerzen das sein müssen. "Ich würde dir das bezahlen, Lia, allerdings unter ein paar Bedingungen.", "Das kann ich nicht annehmen, Marco. Egal unter welchen Bedingungen. Es ist zu viel." Zu viel. Ja, das würden meine Freunde und meine Familie auch zu mir sagen, wenn ich ihnen erzähle, was ich Lia alles biete, nur damit sie meine Tochter hütet und den Haushalt schmeißt. "Denk bitte darüber nach.", sage ich trotzdem noch einmal zu ihr. "Schlaf gut." Sie nickt. "Du auch." Wir lächeln kurz einander an, ehe ich im Wohnzimmer alle Lichter und den Fernseher ausschalte, um nach oben zu gehen. Zugegeben, der Tag heute war anstrengend. Aber ich habe ein relativ gutes Gefühl was meine neue Haushaltshilfe betrifft. Ich denke, dass sie ihre Sache gut machen wird. Und was meine Mutter betrifft, werde ich einfach noch etwas warten, bis ich ihr von Lia erzähle.

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