Kapitel 15
Lia
Elaine liegt wie ein Schluck Wasser auf dem Sofa und hält ihren Sorgenfresser fest an sich gepresst. Im Fernseher läuft irgendeine Kinderserie, die ich nicht kenne. Irgendwas mit zwei Mäusen und einem Marienkäfer. Sie singen und tanzen. Elaine will ab und zu da mittanzen, allerdings ist sie viel zu kaputt. "Lia krinken.", sagt sie weinerlich zu mir. "Möchtest du etwas trinken?" Sie nickt und sieht mich an. Ihre Augen sind gerötet und ihr Gesicht ist blass. "Möchtest du Saft trinken?" Sie nickt erneut, also stehe ich auf und hole ihren Schnabelbecher aus der Küche. "Hier, Süße." Sie nimmt den Becher und trinkt gierig. "Wo Papa?", "Papa ist arbeiten. Willst du weiter fernsehen oder möchtest du schlafen gehen? Oder vielleicht ein klein bisschen spielen?", "Tucken.", antwortete sie mir und trinkt weiter. "Okay, ich bin in der Küche und mache ein wenig sauber, in Ordnung? Wenn etwas ist, dann ruf mich einfach oder komm zu mir." Sie nickt und konzentriert sich wieder auf die Serie, die gerade läuft. Na gut, dann mal ran an die Arbeit.
Ela kommt mit nackten Füßen zu mir in die Küche getapst und hält mir ihren Schnabelbecher entgegen. "Alle.", erklärt sie mir. "Möchtest du noch mehr trinken?" Sie nickt. "Wo sind denn eigentlich deine Socken?", "Weg.", sagt sie und hebt ahnungslos die Hände. Ich mache ihr schnell neues Wasser mit ein bisschen Sirup in ihren Becher, ehe ich ihn ihr wiedergebe. "Möchtest du etwas zu Abend essen, Elaine?" Sie nickt und klettert auf ihren Hochstuhl. Ich lache. Hm, was könnte ich ihr denn zum Abendbrot machen? Ich habe Marco gar nicht gefragt, was sie zum Abendessen bekommt. Aber vielleicht hat er ja irgendwo eine Tüte Milchreis. Alle Kinder lieben Milchreis. Abgesehen davon ist die kleine Maus krank und sollte ein wenig verwöhnt werden. Schnell durchsuche ich die Schränke und werde tatsächlich fündig. Allerdings hat Marco keinen Apfelmuß. Und Zimt und Zucker will ich nicht einfach drauf machen. Zumal Marco auch keinen Zimt zu haben scheint. Ich blase die Wangen auf und fahre mir durch die Haare. Die Obstschale. Drei Äpfel sind noch da. Ich könnte einfach die Äpfel pürieren, dann habe ich selbstgemachten Apfelmuß. Aber was ist, wenn Ela gar keinen Apfelmuß mag? Ach, dann esse ich den eben. Oder vielleicht sogar Apfel-Birnen-Muß? Ja, das ist es. Während der Milchreis seine zehn Minuten zieht, schäle ich also Äpfel und Birnen. Ela sieht mir gespannt dabei zu und nuckelt an ihrem Becher. "Möchtest du ein Stück?" Ich halte ihr ein kleines Stück Birne hin, welches sie nimmt und in den Mund steckt. Sie ist unglaublich süß. Als das Püre fertig ist, halte ich Ela einen kleinen Löffel voll hin, damit sie probieren kann. Sie schluckt runter und öffnet sofort wieder den Mund. Kichernd mache ich etwas vom Püre auf den Milchreis und stelle ihn ihr zusammen mit einem Löffel hin. Sie isst langsam ihren kleinen Teller leer, wobei ich sie verträumt beobachte. Ich wünschte ich hätte selbst ein Kind. Aber dafür muss ich erstmal meinen Körper entgiften. Und das wird alles andere als leicht. Wenn ich jetzt hier so zur Ruhe komme, dann merke ich wieder wie sehr meine Gliedmaßen schmerzen und wie sehr ich schwitze. Ich zittere am ganzen Körper. Meine Muskeln flattern regelrecht. Ich stehe auf und vertrete mir die Beine, indem ich in der Küche auf- und ablaufe. Ich muss mich bewegen, doch mir fehlt die Kraft. Aber wenn ich mich jetzt hinlege und richtig zur Ruhe komme, dann wird es erst richtig losgehen. Die Schmerzen werden unerträglich werden.
Ela sitzt gähnend auf dem Wickeltisch und fummelt an der Box mit den Feuchttüchern herum, während ich ihren Strampler und ihren Schlafsack zusammensuche. Marco hat mir aufgetragen, Ela den Schlafsack auf links gedreht andersherum anzuziehen, sodass der Reißverschluss am Rücken ist, da sie wohl neuerdings gerne aus dem Teil aussteigt. Meine Mama hat früher immer zu mir gesagt, dass ich das auch immer gemacht habe.
Die Erinnerungen an meine Mutter schmerzen sehr. Sie wäre zutiefst enttäuscht von mir, wenn sie wüsste, wie tief ich wegen eines Typen gesunken bin.
Seufzend wickle ich Ela und ziehe sie an. Ich habe den Zwerg echt gern. Ich darf das hier nicht verbocken. Das ist meine einzige Chance, um von Quinn und den Drogen wegzukommen. Ich will nicht mehr auf den Strich gehen, ich will nicht mehr geschlagen werden und ich will nicht mehr erniedrigt werden. Die Zeit will ich jetzt hinter mir lassen und mir eine sorgenfreie Zukunft aufbauen. Das wird zwar mehr als hart werden, doch ich weiß, dass ich sterben würde, wenn ich nicht langsam die Bremse trete und einen Schlussstrich ziehe. Das größte Problem wird allerdings der Entzug. Ich habe Marco versprochen, dass er und Ela nichts von meinem Entzug bemerken werden, doch mein letzter Druck ist bis jetzt gerade mal acht Stunden her und ich würde am liebsten die Wände hochgehen und heulen. Wie wird es dann erst in den nächsten Stunden? Heute Nacht? Morgen früh? Marco wird mich rauswerfen, da bin ich mir fast sicher. Am besten ich nehme mir gleich eine Schüssel mit an's Bett, falls ich mich übergeben muss. Naja, falls? Es wird definitiv so kommen. Ich spüre die Übelkeit jetzt schon. Okay, Lia, tief durchatmen und die Kleine schlafen legen. Alles wird gut werden. Ich werde das schaffen!
Ela beginnt zu weinen, als ich sie in ihr Bett lege. Vielleicht sollte ich ihr noch etwas vorlesen, damit sie sich beruhigt? Ich könnte mir vorstellen, dass Marco das auch immer macht. Aus dem Bücherregal nehme ich ein kleines Buch und setze mich neben Elas Gitterbett. Mit leiser Stimme lese ich ihr vor. Sie hört aufmerksam zu und klimpert schon ein wenig mit den Augen. Ohne viele Geräusche von mir zu geben, stehe ich auf und lege das Buch weg, ehe ich das Licht ausschalte und aus dem Zimmer gehe. Wenn sie nicht gerade krank ist, dann ist sie sicher das reinste Energiebündel. Mal sehen, wie sich das hier noch entwickelt. Ich hoffe jedenfalls, dass ich noch lange diesen Job behalten darf.
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