Kapitel 116

Marco

Noch immer unruhig gehe ich runter in die Küche, wo Anne gerade etwas zum Abendessen für meine Tochter macht. Scott hat sich noch nicht gemeldet und eigentlich müsste ich jetzt langsam mal bei Lia anrufen, da ich sie heute nicht besucht habe. Allerdings will ich damit noch warten, bis Scott mir das Ergebnis gesagt hat, denn ich will Lia nicht unnötig beunruhigen und sie würde sofort merken, wenn ich ihr etwas verschweige. Ich gebe ja zu, dass vielleicht tatsächlich etwas überreagiere, aber um ehrlich zu sein, bleibt mir doch nichts anderes übrig. Meine Tochter hat so lange gelitten, sie hat ihre Haare verloren und ist dem Tod nur gerade so von der Leiter gesprungen. Wie soll ich da entspannt und unvoreingenommen sein, wenn Ela nun schon wieder Fieber hat? Immerhin hat damit alles angefangen. Manchmal mache ich mir sogar Vorwürfe, weil ich erst so spät darauf bestanden habe, dass ihr Blut abgenommen wird. Ich hätte das viel früher machen lassen sollen, doch auch ihr Kinderarzt benutzte ähnliche Worte wie Anne vorhin, nämlich dass jedes Kind mal Fieber bekommt. Und deshalb bin ich jetzt übervorsichtig, denn ich möchte sofort reagieren können, wenn etwas ist. Und dass ich momentan auch noch ziemlich auf mich allein gestellt bin, macht die ganze Sache auch nicht leichter. Ich könnte Lia natürlich anrufen und mir Luft machen, aber dann würde sie sich unnötig sorgen und das tut ihr momentan nicht gut.
Als mein Handy klingelt, spannt sich wieder jeder Muskel in meinem Körper an. Zögerlich greife ich nach dem Smartphone und nehme den Anruf an. "Und?", frage ich lediglich. Meine Stimme ist kurz davor zu zerbrechen. "Alles gut, aber sie scheint einen kleinen Infekt zu haben. Ich komme nochmal lang und gebe dir ein paar Medikamente für sie, damit das nicht schlimmer wird. Es kann sein, dass sie jetzt immer so sehr anfällig ist und ihr Arzt sagt, dass du trotzdem jedes mal Blut abnehmen lassen sollst, wenn sie Fieber hat, damit sofort gehandelt werden kann, falls sie doch rückfällig wird. Du hast richtig gehandelt, Marco." Ich atme erleichtert aus und lasse mich auf einen der Küchenstühle sinken. Nur ein Infekt, kein Rückfall. "Alles klar, ich danke dir, bis gleich.", "Bis gleich.", erwidert er und legt auf. "Und?", fragt Anne neugierig. "Sie hat nur eine kleine Infektionen. Alles gut." Sie lächelt mich glücklich an und widmet sich wieder Elas Abendessen. "Ich werde mal meine Freundin anrufen, bin gleich wieder da." Sie nickt, also verlasse ich die Küche und gehe hoch ins Schlafzimmer, damit Ela nicht mitbekommt, dass ich mit ihrer Mama telefoniere, denn dann bin ich mein Handy los oder sie weint, weil sie zu Lia will. Im schlimmsten Fall sogar beides, dann telefoniert sie erst mit Lia und wenn sie auflegen, will sie zu ihr.
Ich muss nicht lange warten, bis Lia an ihr Handy geht. Gut gelaunt und fröhlich begrüßt sie mich und fragt mich, wie mein Tag war. "War ganz okay, nur hatte Ela Fieber, als ich nach Hause kam.", "Was?", fragt Lia entsetzt und nun nicht mehr so fröhlich wie zu Beginn. "Anne hat die ganze Zeit versucht mich zu beruhigen und mir einzutrichtern, dass jedes Kind mal Fieber hat, aber ich habe sofort Scott angerufen und ihr dann später erklärt, dass Ela Leukämie hatte. Sie war natürlich total entsetzt, aber egal." Lia schnieft leise und ich werde hellhörig. "Schatz, nicht weinen. Es ist alles gut.", beruhige ich sie. "Was hat Scott denn gesagt? Hat sie einen Rückfall?", "Nein, hat sie nicht. Ist nur das übliche Kinderfieber. Er bringt gleich noch ein paar Medikamente vorbei, damit es nicht schlimmer wird und es ihr weiterhin gut geht." Meine Freundin atmet erleichtert aus, schnieft aber noch einmal. "Alles gut, Lia, ihr geht es gut. Mir ging aber auch ganz schön die Muffe, ich habe richtig Panik geschoben. Aber es ist alles gut.", "Gott sei Dank. Ich wüsste nicht, ob ich das noch einmal durchstehe.", gesteht sie mir traurig. "Diesen Gedanken hatte ich vorhin auch. Aber zusammen schaffen wir alles, das weißt du doch.", "Natürlich weiß ich das. Aber es würde wahrscheinlich noch viel schwerer sein als beim ersten mal. Aber ich hoffe, dass es dazu nicht kommen wird. Ihr geht es ja schließlich gut, oder?", "Ja, es geht ihr gut. Und dir? Wie sieht es bei dir aus?" Sie seufzt kurz. "Naja, meine liebe Zimmergenossin ist immer noch unerträglich. Heute hatte sie wieder was neues zu bemeckern gehabt. Eine Schwester hätte ihr Bett nicht vernünftig neu bezogen. Mein Gott, die kann echt aus einer Mücke einen Elefanten machen. Dafür habe ich vorhin aber ein neues Ultraschallbild bekommen. Der Arzt meinte, dass das Baby sehr gut entwickelt ist und dass alles in bester Ordnung ist. Aufstehen darf ich aber trotzdem nicht. Wo ich doch so gerne herumliege und nichts tue. Ha! Aber meine Mama war vorhin noch hier und hat mir ein paar Sachen zum Beschäftigen mitgebracht. Ich komme mir hier zwar vor wie eine alte Frau aber jetzt sitze ich in meinem Bett und häkle Babysocken. Spannend oder?" Ich muss lachen, als ich mir bildlich vorstelle, wie sie im Bett liegt und häkelt. "Sehr spannend. Ich kann dir aber auch dein E-Reader bringen.", "Super Idee, mach mir aber vorher noch ein paar neue Bücher drauf, damit ich neues zu Lesen habe. Oh, und vielleicht könntest du mir noch dein Tablet mitbringen? Da sind genug Spiele drauf, um hin und wieder ein paar Stunden überbrücken zu können.", "Klar, kann ich machen. Das hätte uns je eigentlich auch schon mal früher einfallen können, oder?" Sie brummt bestätigend. "Ach so und Mama wollte morgen mit Ela was machen, aber wenn sie Fieber hat, ist das wohl nicht so sinnvoll, oder?", "Denke nicht, vielleicht sollte sie noch ein paar Tage warten. Was wollte sie denn machen?", "Sie wollte Ela mit zu einer Freundin nehmen, die auch eine Enkeltochter in Elas Alter hat. Aber ich rufe sie dann gleich an und sag bescheid, dass sie das verschieben soll. Kommst du morgen her?", "Klar.", lächle ich, dann geht aber die Schlafzimmertür auf und Ela kommt auf's Bett gehopst. "Mama redn.", quengelt sie. Na super, so viel zum Thema in Ruhe mit Lia telefonieren.

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