Kapitel 11
Ich sitze auf der Bank vor Elas Kindergarten und hoffe tief in mir drin, dass Lia gleich hier auftauchen wird. Doch sie tut es nicht. Sie wird wohl wirklich nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Das ganze Wochenende über habe ich über sie nachdenken müssen. Eigentlich habe ich mir selbst geschworen, dass damit Schluss ist. Aber da sieht man's mal: es ist hoffnungslos. Dieses Mädchen hat sich in meinen Kopf eingenistet. Den Grund kenne ich nicht. Sie ist attraktiv, keine Frage. Aber eigentlich habe ich nie auf Frauen wie sie gestanden. Ich mochte es zwar immer, wenn Frauen eine eher athletische Figur haben, auch etwas mehr Fülle machte mir nichts aus. Aber so sehr dünn, wie Lia es ist, mochte ich es nie. Ihre Beine sind viel zu dünn, ihre Arme ebenfalls. Nur ihre Brüste sind ziemlich groß, weshalb ich denke, dass die durch eine Operation vergrößert wurden. Nur verstehe ich nicht, wer das schön findet? Dieses extrem abgemagerte und dann dazu diese unnatürlichen Brüste. Eine Frau muss natürlich sein. In meinen Augen ist Natürlichkeit attraktiv. Klar, bevor ich Elaine kennen gelernt habe, hatte ich auch viele Frauen. Als Mann nutzt man es eben aus, wenn man durch viel Geld und Ruhm bei den Frauen beliebt ist. Aber dann kam Elaine und sie war die einzige Frau, die ich angesehen habe. Sie war in meinen Augen perfekt. Sie ist es immer noch.
Ich seufze laut und lehne mich auf der Bank zurück. Wieso ist das alles so schwer? Ich bin verwirrt. Ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht, wieso ich meine Tochter heute morgen in die Kita gebracht habe. Ich habe sie hergebracht, dann habe ich mich hier draußen hingesetzt. Und nun sitze ich bereits seit Stunden hier und in zehn Minuten muss ich Ela abholen. Ich habe ihr versprochen. Dass sie heute Mittagskind ist. Ich ärgere mich über mein Verhalten. Wieso bin ich denn so ein Idiot? Ich verfalle schon wieder in mein altes Schema. Damals, nach Elaines Tod, habe ich nur herumgesessen und nachgedacht. Stundenlang saß ich einfach da und habe in Gedanken geschwelgt. Nur in Elas Nähe war ich relativ normal. Und jetzt ist es exakt genauso. Ich funktioniere nur noch für meine Tochter. Alleine bin ich schon wieder ein hoffnungsloser Fall. Und wer kann da helfen? Ganz genau. Mutti.
"Papa, malt.", erzählt meine Tochter mir und zeigt mir ihr Bild. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich ihre ganzen Bilder noch aufhängen soll. Der Kühlschrank in der Küche ist voll mit ihren Bildern, die Pinnwand ebenfalls. In meinem Schlafzimmer sind auch endlos viele Bilder, die sie mir gemalt hat. "Oh, das ist aber schön. Willst du das vielleicht Oma schenken?", "Kay.", nickt sie und lehnt sich in ihrem Kindersitz zurück, sodass ich sie anschnallen kann. "Oma fahre?", "Ja wir fahren jetzt zu Oma.", nicke ich und küsse lächelnd ihre Stirn, ehe ich die Tür schließe und vorne einsteige. "Was gab es heute zum Mittag?" Sie überlegt stark, was daran zu erkennen ist, dass sie ihre Stirn runzelt und die Lippen spitzt. Genauso wie ihre Mutter es immer getan hat. Es wundert mich allerdings, dass sie so stark überlegen muss. Immerhin ist es erst zehn Minuten her, dass es Mittag gab. "Ähm, Toffeln.", sagt sie schließlich. Ah, also wie jeden Tag. Ich bin mir aber sicher, dass es irgendetwas anderes gab. Ich bezweifle, dass es jeden Tag Kartoffeln gibt.
Ich hole Ela aus ihrem Sitz und setze sie ab. Sofort rennt sie zu meiner Mutter, die bereits in der Tür steht und grinsend, mit offenen Armen darauf wartet, dass ihr ihre Enkeltochter in die Arme springt. "Hallo, mein kleiner Schatz.", freut Mutti sich. Ela kichert und strampelt mit den Beinen, woraufhin Mama sie runter lässt und sie ins Haus läuft. "Da hat es heute aber einer eilig.", schmunzelt Mama und umarmt mich. "Ja, sie ist heute wieder ziemlich aufgedreht. Ich schätze in ihren Kornflakes war heute früh schon wieder irgendwas drin." Mama lacht und geht ins Haus. "Was führt dich her?", "Darf ich meine Eltern nicht mal einfach so besuchen?" Meine Mutter sieht mich vielsagend an, was mich seufzend lässt. "Okay, hast gewonnen. Ich brauche jemanden zum Reden." Sie nickt wissend und geht in die Küche. "Wo ist Papa?", "Im Garten. Also, was bedrückt dich?" Sie gibt mir ein Glas Wasser und ein Stück noch warmen Kuchen. Wahrscheinlich ist er frisch aus dem Ofen. "Ich habe dir doch erzählt, dass dieses Mädchen Ela gefunden hat." Sie nickt und setzt sich mir gegenüber an den Küchentisch. "Ja, hast du sie wieder gefunden und dich bedankt?" Ich stehe seufzend auf und stelle mich mit vor der Brust verschränkten Armen ans Fenster. "Ja, ich habe sie getroffen. Und seit ich sie wiedergesehen habe, geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf, verstehst du?" Meine Mutter antwortet mir nicht, weshalb ich mich zu ihr umdrehe. "Sie geht dir nicht mehr aus dem Kopf? Hast du dich verliebt?" Sie beginnt zu strahlen, doch ihr Strahlen verblasst, als ich den Kopf schüttle. "Nein, das ist es nicht. Ich habe das Gefühl, ihr helfen zu müssen. Sie ist nicht mein Typ." Meine Mutter verdreht ihre Augen. "Nur, weil sie optisch nicht wie die Frauen aussieht, die du sonst immer attraktiv gefunden hast-", "Mutti, das Mädchen ist heruntergemagert, hat gemachte Brüste und sieht krank aus. Nichts, aber auch rein gar nichts passt an ihrem Körper zusammen. Sie scheint zu leiden. Ihre Augen drücken so viel Leid aus. Ich weiß einfach nicht, wie das alles zusammenpasst. Ich habe sie auf ein Frühstück eingeladen. Da erzählte sie mir, dass sie als Kindermädchen arbeiten möchte. Ich habe ihr einen Job angeboten. Sie scheint mit Ela klarzukommen und Ela mit ihr. Doch sie hat sich rausgeredet, hat sich selbst schlecht gemacht. Hat was von süchtiger Hure geredet und ist dann abgehauen. Und seitdem ist mein Kopf randvoll, verstehst du? Ich habe das Gefühl, dass sie ganz dringend Hilfe braucht und da sie mir Ela zurückgebracht hat, stehe ich ewig in ihrer Schuld. Aber was soll ich tun, Mama? Wie soll ich sie wieder finden? Ich weiß doch nichts über sie. Und vergessen kann ich das arme Mädchen scheinbar auch nicht." Verzweifelt setze ich mich wieder auf den Stuhl und schiebe mir eine Gabel voll Kuchen in den Mund. "Soll ich dir was sagen? Du hast recht. Du bist dem Mädchen etwas schuldig. Aber anhand dessen, was du mir gerade erzählt hast, bin ich mir nicht sicher, ob das Mädchen gut für dich und Elaine ist. Scheinbar hat dieses Mädchen ein massives Problem und weder du noch deine Tochter kann es gebrauchen, dass noch mehr Probleme um euch herum sind. Ihr braucht eine Frau in eurem Leben, keine Frage, aber ihr braucht keine Frau, die euch nichts als Probleme bereitet. Und deswegen sage ich dir, Kind, dass du es aufgeben solltest, dieses Mädchen wiederzufinden. Schließe damit ab und lass dich nicht wider herunterziehen. Du schaffst das mit Ela alleine. Dafür bauchst du sie nicht. Du hast uns, Marco. Wir stehen dir immer zur Seite. Du kannst Elaine immer zu uns bringen und das weißt du. Also sieh nach vorne und vergiss diese Frau.", spricht meine Mutter ein Machtwort. Und ich denke, dass sie vielleicht sogar recht hat.
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