33-Ich bin ihr Schutzengel
Die Heimfahrt war mehr als komisch gewesen. Ich hatte vorne gesessen, die beiden Männer hinten. Das hatte Alec so gewollt. Es schien, als wolle er mit aller Kraft versuchen, Rick gar nicht erst neugierig zu machen, wer ich war. Und das war mir auch ganz recht so.
Also simste ich Sam die Geschichte von Alecs Knastbruder und erhielt auch schon bald darauf eine aufgebrachte Antwort. Jetzt lässt er dich schon in die Nähe von Verbrechen? Pass auf....
Sie hatte ja irgendwie recht. Aber Alec würde nie absichtlich etwas tun, was mich in Gefahr brachte. Ich vertraute ihm voll und ganz.
Als ich das Handy weglegte hatten wir unsere Strasse bereits erreicht. „Babe?"
Ich blinzelte und sah zurück zu Alec.
„Was?"
Piepste ich und bemühte mich, den Blick nicht nach links wandern zu lassen, wo Rick sass und entspannt aus dem Fenster sah.
„Rick hat sich gefragt, ob es dich nicht stört, wenn er für einige Tage auf der Couch pennt."
Ich starrte Alec an. Naja, ich hatte ja gewusst was auf mich zu kam. Aber es störte mich sehr wohl. Ich wollte nicht jeden Tag aufstehen und in das Gesicht eines Schwerverbrechers sehen. Ich lächelte mechanisch. „Nein, das ist kein Problem für mich."
Ratterte ich den Text herunter und Alec wirkte erleichtert. „Super. Danke, ich brauch nicht viel. Bin mir weitaus weniger gewöhnt", kam es von Rick und er wirkte sogar relativ freundlich, als er das sagte. Ich nickte nur, da ich nicht wusste, was ich darauf noch sagen wollte.
Wir hielten an, ich bezahlte und dann fuhr der Taxifahrer davon. Sichtlich erleichtert, uns endlich los zu sein.
Wir mussten uns wirklich endlich ein Auto kaufen, aber das kostete nunmal Geld. Und davon hatten wir beide nicht all zu viel.
Der Weg zur kleinen Wohnung war schnell geschafft.
„Willkommen in unserem bescheidenen Heim."
Alec öffnete gespielt schnöselig die Tür, von der der weisse Lack bereits abblätterte.
Ich schwieg nur und hielt mich etwas hinter ihm und Rick. Ich wollte dem stämmigen Typen lieber nicht zu nahe kommen. Alec war zwar grösser als er, aber auch schlanker. Aus den Augenwinkeln blickte mein Freund zu mir, zwischen den dunkeln Strähnen hindurch, die ihm in die Stirn hingen.
„Bambi, kommst du?"
Rick war schon längst eingetreten und spazierte im Wohnzimmer herum, um alles gründlich zu inspizieren.
„Mhm."
Murmelte ich und machte Anstalten, an ihm vorbei zu laufen.
Sein starker Arm schlang sich um meine Hüfte und zog mich zu sich. Ich legte meine Hände auf seine Brust um mich etwas abzufedern. Unsere Münder waren sich ganz nahe und ich konnte nur auf seine vollen Lippen starren. „Danke, dass du einverstanden bist, dass er hier bleibt. Ich weiss, es ist sicher nicht das was du dir vorgestellt hast, aber es ist nicht für lange."
Ich nickte und war nur halb bei der Sache.
„Und werde schon dafür sorgen, dass er sich benimmt. Du musst dir keine Gedanken machen, okay?"
Ich nickte, wenig überzeugt. Dann küsste er mich und und grinste mich mit diesem unwiderstehlichen Lächeln an. Ich konnte einfach nicht anders, als ebenfalls ein Lächeln anzudeuten. Dann schloss er die Türe hinter mir.
Rick hatte Decken und Kissen für die Couch bekommen, wir hatten uns ein Abendessen geteilt, wobei ich beinahe nichts runter bekommen hatte, weil ich unter Ricks eindringlichen Blicken gerne einfach im Boden versunken wäre. Er war mir unheimlich. Und ich wollte gar nicht wissen, woher er diese Narbe über dem Auge hatte. Es sah aus als wäre seine halbe Augenbraue weggebrannt worden.
Danach hatte ich mich ziemlich schnell in mein Zimmer verzogen und die Türe zugezogen. Den Abwasch hatte ich den Männern überlassen. Ich versuchte, etwas für die schule zu machen, doch meine Konzentration war nirgendwo zu finden. Ich fühlte mich einfach nicht wohl, wenn ein Schwerverbrecher gleich ein Zimmer neben mir pennte. Und ich war hier schutzlos. Ich tummelte mich etwas auf dem Bett, scrollte auf Instagram herum und räumte sogar mein Zimmer auf. Keine Ahnung wieso, ich musste einfach irgendetwas tun.
Draussen war es bereits dunkel und der sonst so laute Strassenlärm von der Hauptstrasse weiter vorne war fast gänzlich verstummt. Auf einmal öffnete sich langsam die Türe meines Zimmers mit einem langsamen Quietschen. Ich fuhr wie von einem Schwarm Wespen gestochen herum, mein Herz machte vor Schreck einen Satz.
Alec runzelte die Stirn, während er durch den Spalt schlüpfte und die Türe leise wieder hinter sich schloss.
„Was ist denn? Ist es etwa verboten, seine Freundin zu besuchen?"
Ich atmete erleichtert aus und schüttelte den Kopf.
„Ja ist es."
„Schade, wo ich doch extra den weiten Weg aus der Küche hierher auf mich genommen habe."
Mit einem schiefen Grinsen und treuherzigem Blick kam er mir Schritt für Schritt näher.
„Ja, eine riesen Leistung."
Meinte ich ironisch und blieb stehen wo ich war, die Hände in die Hüften gestemmt. Mir war gerade nicht so nach Scherzen.
„In der Tat. Sowas würde nicht jeder für seine Freundin tun."
Er schlang seinen Arm um mich und küsste mich mehrmals herzhaft auf Wangen. Ich stiess ihn mit einem Quietschen von mir.
„Lass das."
„Wieso denn?"
Er drängte mich bestimmt langsam nach hinten, seine Augen funkelten verdächtig und suchten meinen Blick. Ich spürte, wie meine Kniekehlen an meinem Bett anstiessen.
„Ich weiss genau was du willst."
Meinte ich leise, während seine Finger langsam meine Hüfte auf und ab fuhren, seine Lippen strichen über meinen Hals. Ich schauderte und mir wurde von einem Moment auf den anderen plötzlich ziemlich warm.
„Das war meine Absicht."
Raunte er und drückte seinen durchtrainierten Körper näher an meinen.
„Aber wir können doch nicht..."
Er hielt inne und sah mich frech schmunzelnd an.
„Wieso nicht?"
„Weil dein Freund gleich nebenan ist?"
Er zuckte die Schultern und liess seinen Blick an mir hinunter schweifen. Ich genoss es. Ich trug meine schwabbelige Trainerhose und ein verwaschenes Oberteil, also nichts was wirklich sexy war. Trotzdem gab mir sein Blick das Gefühl, die begehrteste Frau der Welt zu sein.
„Er pennt. Und ausserdem hält mich das sicher nicht davon ab, meine wunderschöne Freundin etwas zu verwöhnen."
Seine Hände fuhren unter mein Shirt und ich atmete abrupt ein.
„Oder will sie das etwa nicht?"
Hauchte er gegen meine Lippen, während seine Hände weiter rauf wanderten und ich die Augen schloss.
Und wie ich das wollte. Scheiss drauf.
Ich drückte meine Lippen gegen seine. Er verstand sofort. Er stöhnte leise in den Kuss hinein, dann stiess er mich aufs Bett und folgte mir. Er lag über mir und schob sich langsam zwischen meine Beine. Ich machte ihm nur zu gerne Platz. Ich zog ihm das Shirt über den Kopf und küsste seinen Hals. Ich wusste, dass er gerade erschauderte.
Bevor ich weitermachen konnte, hielt er kurz inne und hob meinen Kopf leicht an. Ich sah nun direkt in seine Augen. Sie loderten nur so vor Verlangen. Aber da war auch noch etwas anderes darin, etwas sanfteres. Liebevolles.
„Was?"
Keuchte ich und zog ihn näher zu mir.
Er lächelte leicht.
„Du bist wunderschön Paige."
Ich errötete und fühlte diese unglaubliche Verbundenheit zwischen uns. Die hatte schon seit dem ersten Tag bestanden, als wir uns gesehen hatten. Ich hatte es nur nicht wahrhaben wollen. Und jetzt zu sehen, wie glücklich ich ihn machte, machte auch mich zufrieden.
Ich öffnete die Lippen um es zu sagen, doch er kam mir zuvor.
„Ich liebe dich."
Mein Körper war erfüllt von Wärme und ich vergass alles andere. Nur meine unglaubliche Zuneigung für diesen jungen Mann zählte noch.
„Ich dich auch."
Dann zog ich die Decke über uns.
„Hast du zu wenig geschlafen?"
Fragte mich Sam und schnippste vor meinen Augen herum. Ich sass in der Kantine vor meinem Essen, stocherte darin herum und sah schwärmend wie ein kleines Mädchen zu Alec. Er sass einige Tische weiter, aus Loyalität zu Felix, der sich immernoch weigerte, mit Cindy an einem Tisch zu sitzen. Weswegen sie auch entsprechend niedergeschlagen neben mir sass.
Sein Blick traf direkt auf meinen, während er Marco einfach ignorierte, der gerade neben ihm wild gestikulierend auf ihn einredete. Alec hatte einen Zahnstocher im Mund, den er hin und her bewegte, zwischen diesen vollen und unwiderstehlichen Lippen. Ich erinnerte mich daran was er gestern Abend alles mit seinem Mund getan hatte.
Ich blinzelte und verkniff mit ein Grinsen.
„Oh ja, darauf kannst du wetten."
Murmelte ich und Sam sah mich kurz etwas perplex an, dann verzog sie angewiedert den Mund.
„Ih, Paige das will ich doch nicht wissen!"
Ich zuckte die Schultern.
„Wie geht es eigentlich Felix?"
Meinte Cindy.
Ich sah vielsagend zu Sam.
„Alec erzählt nicht viel, aber ich glaube nicht dass es ihm viel besser geht als dir."
Erzählte ich und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Die Blondine war wie immer top gestylt, doch das täuschte nicht über ihre tiefen, halb überdeckten Augenringe hinweg.
„Du solltest nicht die ganze Zeit an ihn denken, versuch dich auf dein Zeug zu konzentrierten."
Nicht sonderlich hilfreich, aber was hätte ich denn sagen sollen?
„Ja genau, und seit wann ist er dir denn so wichtig geworden?"
Cindy stöhnte frustriert und vergrub den Kopf in den Armen. „Keine Ahnung. War er nicht...aber dann irgendwann mochte ich ihn plötzlich mehr und jetzt... ich kann es einfach nicht haben, dass er mich hasst."
Ich nickte verstehend.
„Man kann sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verliebt."
Sie schluchzte leise.
„Aber ich hätte jeden haben können! Stattdessen will ich nur diesen schlacksigen Ersatzspieler. Und ausgerechnet er hasst mich."
Ich seufzte und sah Sam hilfesuchend an. Die hob nur abwehrend die Hände. Ja, sie war noch nie die beste Trösterin gewesen, ihre Masche war eher der Frontalangriff.
„Cindy, ihr müsst euch wirklich darüber aussprechen. Das war eine grosse Sache für ihn, und für dich auch. Ihr müsst euch gegenseitig zeigen, wie ihr euch deswegen fühlt. Und dann gemeinsam einen Weg da raus finden."
Cindy hob schniefend den Kopf. Schnell wischte ich ihr etwas verschmierte Schminke unter dem Auge weg.
„Ich wollte ja, aber er hat mich überall blockiert, das weisst du doch. Und er haut immer ab, sobald ich in seine Nähe komme. Er hasst mich..."
Sie verzog das Gesicht und begann wieder, zu weinen. Eine Cheerleaderin neben ihr hielt ihr mitfühlend ein Taschentuch hin.
„Warte."
Sie hielt abrupt inne und sah mich mit hoffnungsvollem Blick an.
„Was?"
„Du redest einfach mit ihm! Er mag dich und würde dir sicherlich zuhören!"
Ich schüttelte heftig den Kopf.
„Ich halte es für keine gute Lösung, wenn ich mich da jetzt einmische, Cindy. Das ist eure Sache, ihr müsst das alleine lösen."
„Tun wir doch auch! Du sollst ihn nur dazu bringen, dass er mir zuhört!"
Ich verzog gequält das Gesicht. Ich war da jetzt wirklich nicht scharf darauf.
„Bitte Paige..."
Cindy sah mich mit diesem traurigen, verzweifelten und hilflosen Blick an. Ich stöhnte. Ich würde auch auf die Hilfe meiner Freundinnen hoffen, wenn zwischen mir und Alec ein Problem bestünde.
„Okay, okay ich tue es. Aber wann?"
Cindy fiel mir um den Hals.
„Danke, danke Süsse. Ich schulde dir echt etwas!"
Ich nickte nur und atmete ihr starkes Parfüm ein. Ich musste ein Husten unterdrücken.
„Ich würde jetzt mit ihm reden."
Merkte Sam an und ich warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Ja! Gute Idee! Jetzt ist auch noch Mittagspause."
Beide Mädels sahen mich erwartungsvoll an. Ich hatte mich mal wieder in die Scheisse geritten.
Ich atmete tief ein und stand dann auf.
„Na gut. Aber wehe euch ihr esst mir meinen Wackelpudding weg!"
Unschuldig schon Sam ihn etwas weiter von sich weg.
„Ehrenwort."
Ich nickte und steuerte dann gezielt auf den Tisch der Fotballspieler zu. Ein unangenehmer Moment, wenn mich alle anstarrten und warteten, dass ich näher kam.
Alecs Aufmerksamkeit hatte ich ebenfalls wieder gewonnen, er zwinkerte mir zu.
Ich blieb neben ihm stehen, während er sitzend einen Arm um meine Hüfte schlang und den Kopf an meinen Bauch legte.
„Hi."
Meinte er und sah dabei so verdammt süss aus.
„Weiblicher Besuch an diesem Tisch ist leider schon viel zu lange her", merkte Marco leicht angepisst in Felix Richtung, der Alec gegenüber hockte und nur auf sein essen starrte. Ich hatte das Gefühl, dass er abgenommen hatte. Aber er war sowieso so dünn, da konnte man sich nicht so sicher sein. Seine Locken hatten aber eindeutig etwas von ihrem alten Glanz verloren.
„Ja..." druckste ich herum während ich Alec durchs Haar fuhr. Ich liebt das. Und ich liebte es noch mehr, es vor den Augen aller eifersüchtigen Mädels der Schule zu tun.
„Ich wollte eigentlich mit dir reden, Felix. Hast du kurz Zeit?"
Der Angesprochene fuhr hoch und sah mich misstrauisch an.
Alec gab einen gar nicht zustimmenden Laut von sich und sah mich von unten vorwurfsvoll an.
Ich beugte mich zu ihm runter, küsste ihn kurz und flüsterte leise: „um dich kümmere ich mich dann heute abend."
Damit war er sehr einverstanden. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er lehnte sich zufrieden zurück. Die Jungs begannen ebenfalls zu Grinsen, als wüssten sie genau, wieso mein Freund plötzlich so besänftigt war. Ich wurde etwas rot. Es kam nur selten vor, dass ich so viel Mut für einen gewagten Spruch zusammen kratzen konnte. Und dieser war gerade in diesem Moment wieder verflogen.
„Es ist wegen Cindy und dringend."
Meinte ich und Felix schnaubte.
„Kein Bedarf."
Ich sah ihn vorwurfsvoll an.
„Bitte."
Wiederholte ich. Felix Blick wanderte zu Alec. Ich konnte das Gesicht meines Freundes nicht sehen, aber kurz nach dem Blickkontakt mit ihm nickte Felix geschlagen.
„Na gut, aber sie will ich nicht sehen."
Ich nickte schnell.
„Alles klar. Es bin nur ich."
Mürrisch erhob sich der grosse Kerl und schwang seine dünnen Beine über die Bank.
„Bis später", meinte ich zu Alec, der sich wie ein Soldat an die Stirn tippte.
Ich musste grinsen. Es war schon verrückt, dass er tatsächlich zu mir gehörte. Mein Freund.
Beschwingt folgte ich Felix aus der Mensa auf den leeren Flur. Niemand hielt sich dort länger als nötig auf. Schule halt.
„Also? Was ist so dringend?"
Fragte Felix und ich atmete tief durch.
„Ich möchte, dass du mit Cindy redest", platzte es dann aus mir heraus. Nicht grade der beste Gesprächsbeginn, das musste ich zugeben. Aber ich hatte gerade so viel Zeug im Kopf.
„Na super, tschau", murrte der blonde Junge und machte auf dem Absatz kehrt.
„Halt, nein warte!"
Ich packte ihn an der Schulter. Seine wasserblauen Augen trafen auf meine. „Lass es mich nochmal versuchen."
Ich spielte mit meinem Strickpulli und vergrösserte so die Maschen. Würde meinem späteren Ich nicht gefallen.
„Ich weiss, dass sie dich sehr verletzt hat. Sie hat dich aus einer Entscheidung ausgeschlossen, die euch beide etwas anging. Das ist nicht richtig, das weiss sie auch."
Felix nickte bestätigend und senkte den Blick wieder.
„Aber es war auch für sie eine schwere Situation. So hart es sich auch anhört, du hättest jederzeit weglaufen können. Aber sie nicht, weil es ihr Körper ist und ihre Verantwortung."
„Sie hatte Angst, dass ich weglaufe?"
Ich zuckte die Schultern.
„Das nehme ich an, ja: sie war am Ende. Es ging ihr übelst mies. Und sie hat eine schwere Entscheidung getroffen. Aber für sie war es die Richtige und niemand darf das verurteilen."
Er liess sich schnaubend an den Spind hinter ihm fallen. Es knallte leise und widerhallte im leeren Gang.
„Ja, aber es wäre auch meine Entscheidung gewesen! Immerhin..." er sah sich hastig um und senkte dann die Stimme. „War ich der Vater. Es war auch meine Verantwortung und die hat sie mir weggenommen."
Ich nickte.
„Ja, und seit Wochen versucht sie sich dafür bei dir zu entschuldigen. Sie möchte dir ihre Gefühle offen legen, ihre Gefühle, die sie in dieser Zeit hatte und auch ihre Gefühle für dich."
Ups, das war mir jetzt so rausgerutscht.
Wie ein hoffnungsvoller Welpe sah mich Felix an.
Ich hob beschwichtigend die Hände.
„Hör zu, mir persönlich hat es nicht gefallen, dass sie das mit euch nicht öffentlich gemacht hat. Aber jetzt hat sich vieles verändert. Ich denke auch Cindy hat sich verändert. Und es würde euch beiden gut tun, wenn ihr reden würdet."
Felix blickte mich nachdenklich an.
Er sagte eine Weile nichts.
Da klingelte es und aus der Mensa war ein lautes Rumoren zu hören. Gleich würden wieder hunderte Sardinen auf die Gänge strömen. „Na gut, ich rede mit ihr, nach der Schule, ich fang sie ab. Weiss ja den Weg zu ihr."
Ich lächelte erleichtert.
„Danke Felix."
Er drehte sich ab und machte Anstalten, loszulaufen.
Die Ersten kamen aus der Mensa gelaufen, laut plaudernd und guter Dinge. Und das obwohl die Prüfungen anstanden.
Dann drehte er sich nochmals um.
„Weisst du dass ich auf dich stand? Schon lange
bevor du Alec getroffen hast und beliebt wurdest."
Ich starrte ihn perplex an.
„Das...wusste ich nicht. Wieso sagst du mir das jetzt?"
„Weil ich nicht weiss ob die Person, die Alec ist, auch wirklich zu dir passt."
Ich runzelte die Stirn. „Ich dachte ihr seid gute Freunde?"
Er zuckte die Schultern.
„Sind wir auch. Ich mag ihn sehr. Aber ich denke du ziehst die Gefahr an. Zuerst Nolan, nun Alec. Du solltest besser auf dich aufpassen."
Ich starrte ihn aus grossen Augen an. Was laberte er nur für einen Scheiss?
„Was soll das jetzt?"
Er hob die Hände.
Dann verschwand er. Na ganz toll, jetzt schürte er auch noch zusätzliche Paranoia in meinem sonst schon strapazierten Kopf.
Ich fuhr mir durch die Haare und schlängelte mich durch die Jugendlichen hindurch zur Mensa, um meinen Rucksack zu holen. Den Wackelpudding konnte ich jetzt ja wohl vergessen. Na super. Was für ein scheiss-Tag.
Cindy hatte natürlich sofort alle Einzelheiten des Gesprächs wissen wollen, und ich musste ihr auf dem Weg ins Klassenzimmer ein dutzend Mal bestätigen, dass Felix auch wirklich mit ihr reden würde.
Als wir dann das Klassenzimmer betraten, sass da Alec bei seinen Jungs und...löffelte gemütlich meinek Wackelpudding.
Als er mich entdeckte grinste er breit und winkte mir mir dem Löffel zu.
Ich musste lächeln, spürte wie sich die Wärme in meiner Brust ausbreitete.
„So ein Idiot."
Murmelte ich. Aber noch nie hatte ich eine Beleidigung so lieb gemeint. Mochte sein dass Alec früher anders war, dass er Probleme hatte und Fehler gemacht hatte. Das hatten wir alle. Aber ich hatte gesehen, wie er sich verändert hatte. Ich war dabei gewesen und der neue Alec war der reale, jetzige alec.
Ich musste endlich aufhören, immer an der Vergangenheit zu hängen. Sonst konnte ich ja gar nicht in die Zukunft schreiten. Wow, seit wann war ich denn so weise?
Danach hatte der Unterricht begonnen. Es war der Startschuss in einen unendlich langweiligen Nachmittag.
Mit einem kleinen Unterbruch. Nämlich Alec, der plötzlich auf sein Handy starrte, dann eilig aufsprang und das Klassenzimmer verliess. Sofort simste ich ihm ein doppeltes Fragezeichen.
Muss Rick von der Polizeistation abholen, er hatte Stress mit einem Typen aus einem Kleiderladen.
Ich hatte noch gefragt, ob ich mitkommen sollte, aber es war keine Antwort mehr gekommen.
Das hiess, dass ich die ganzen Lektionen dasass, ins Leere starrte und darüber nachdachte, wie besser alles wäre wenn dieser Rick noch im Gefängnis sässe.
Als es endlich klingelte, konnte ich es kaum erwarten, so schnell es ging nach Hause zu kommen um nach Alec zu sehen. Ob bei ihm alles in Ordnung war.
Aber falsch gedacht. Sam holte mich mit schwungvollen Schritten ein und hakte sich bei mir unter.
„Und, bereit?"
Ich blinzelte verwirrt und rückte meinek Rucksack zurecht.
„Bereit wofür?"
Sie sah mich vorwurfsvoll an.
„Na wenn du Cindy so einen grossen Gefallen tust, musst du mir auch einen machen."
Ich verzog das Gesicht. Samantha Logik.
„Geht das nicht morgen? Ich muss jetzt echt dringend nach Hause."
Sie zog eine Braue hoch.
„Wegen dem Ex-Knasti? Keine Sorge, mit dem wird Alec sicher auch alleine fertig. Wieso ist er eigentlich mitten drin abgehauen?"
Sie zog mich zielstrebig mit sich, auf eine mir bisher unbekannte Route.
„Er musste Rick von der Polizei abholen."
Sie prustete los.
„Ach du scheisse, wie lange ist er draussen? Zwei Tage?"
Ich sagte nichts. Sie war nicht gerade hilfreich.
„Sorry. Aber was hat er denn angestellt?"
Ich zuckte die Schultern.
„Ist doch jetzt auch egal. Also, wohin gehen wir? Ich hab wirklich nicht viel Zeit."
Sie lächelte mich breit an.
„Keine Sorge, es dauert nicht lang. Du begleitest mich einfach zu meiner heutigen Sitzung und lieferst mich dort ab. Und dann lernst du noch kurz Martin kennen."
Ich starrte sie fragen an.
„Wen?"
Sie atmete genervt ein und aus.
„Paige jetzt gib dir mal etwas Mühe. Martin, mein Therapeut?"
Richtig. Den mit den sie was laufen hatte, obwohl er Frau und Kinder hatte.
„Achso. Ja. Nein, den will ich eigentlich nicht kennen lernen."
Meinte ich dann ehrlich.
„Wieso nicht? Du wirst ihn in Zukunft noch öfters sehen."
Ich hob eine Braue und stieg über eine Dose hinweg, die auf dem Trottoir lag. Der wind war kalt, aber man merkte dass langsam der Ende April anklopfte.
„Das denke ich nicht. Ich denke auch nicht, dass er sich von seiner frau trennen wird. Hast du nie all die Filme gesehen? Den Frauen dort ist dasselbe passiert wie dir. Und nie hat er seine Frau verlassen."
Sam schüttelte entschlossen den Kopf.
„Ja, aber wir leben nicht in einem Film Paige. Wir lieben uns, und der Altersunterschied ändert nichts daran. Er sagt ich sei so viel Reifer als all die anderen Frauen, die er kennt oder therapiert."
Ich schnaubte.
„Steigt er mit denen etwa auch allen ins Bett?"
Empört blieb sie stehen und machte sich von mir los.
„Wow, das war jetzt echt mies von dir."
Ich stöhnte und fuchtelte mit meinen Armen herum.
„Hör mir zu, es tut mir leid, ich möchte dich nicht verletzen. Aber ich will verhindern, dass er es tut! Weisst du nicht, dass es strafbar ist als Therapeut mit Patientinnen zu schlafen? Vor allem mit so jungen?"
Sie mahlte mit dem Kiefer.
„Martin ist besonders. Er gibt mir ein Gefühl dass mir kein anderer Mann bisher geben konnte. Ich weiss was ich tue, vertrau mir einfach."
Ich vertraute ihr in diesem Punkt ganz und gar nicht, liess mich aber weiterziehen. Ich wusste einfach nicht, was ich ihr noch sagen sollte. Ich hatte nun mehrmals versucht, es ihr auszureden aber sie machte jedes Mal dicht. Ich wollte sie nicht in den Nagel laufen lassen, aber was sollte ich sonst tun?
Ich konnte ihn ja schlecht anzeigen, Sam würde nie wieder mit mir reden. Und ein grosser Streit und Selbstmordversuch war genug. Sie war psychisch nicht in der Verfassung, nochmals so enttäuscht zu werden. Zumindest nicht von mir. Ihr Therapeut würde sie irgendwann enttäuschen und verletzen, aber dann wäre wenigstens ich da, um sie aufzufangen. Ich atmete tief durch, als sie vor einem Haus stehen blieb, eingereiht in die anderen Häuser, die alle Wand an Wand die Strasse säumten. An den roten Ziegelsteinen war seine Praxis gekennzeichnet und die Türe war grün und altmodisch. Ich hatte es mir etwas moderner vorgestellt mit grossen Glaswänden und grossem Vorgarten. Aber nein, nur zwei kleine Treppenstufen und schon war da die Klingel. Ich sah Sam an, wie sehr sie sich freute, denn ihre Augen begannen zu leuchten. Dieser Therapeut hatte eigentlich die Aufgabe ihr wieder auf die Beine zu helfen, doch stattdessen machte er sie nur abhängig von ihm, womit ihr ganz und gar nicht geholfen war.
„Weiss er dass ich komme?"
Sie schüttelte breit lächelnd den Kopf, die Augen erwartungsvoll nach vorne gerichtet.
„Nope."
Ich hob die Brauen. Na gut, ich musste ihn halt kennen lernen aber das hiess nicht, dass ich ihm nicht zeigen konnte, was ich von ihm hielt.
Die Türe öffnete sich kurz nachdem Samantha die Klingel betätigt hatte.
Ein Silberfuchs, in der Tat.
Martin hatte grau meliertes Haar, hie und da war noch etwas Braun durchzusehen. Er hatte ein glatt rasiertes Gesicht, trug ein Hemd und darüber einen violetten Pulli. Jeans, Lederschulen. Nichts spezielles.
Er lächelte Sam an, während sie ihn sofort ansprang.
Sie umarmte ihn, doch sein Blick fiel auf mich. Sofort verspannte sich sein Körper und er schob Samantha hastig von sich.
„Samantha, schön dass du die Zeit für unsere Sitzung gefunden hast."
Sie blinzelte etwas verwirrt. Doch anstatt misstrauisch zu werden lächelte sie einfach weiter.
„Aber immer doch, wie kommst du denn darauf dass ich es nicht tue."
Martin räusperte sich und zupfte an seinem Kragen herum. Dafür dass er Menschen analysierte war seine Körpersprache ziemlich eindeutig.
„Wen hast du denn mitgebracht?"
„Das ist Paige, meine beste Freundin, sie hat mich nur hergebracht und muss gleich weiter."
Sam wies zwischen uns hin und her.
„Paige, das ist Martin."
Ich sah den Mann so eiskalt an, wie es mir nur möglich war und verzog keine Miene.
„ähm, freut mich dich kennen zu lernen."
Er hielt mir die Hand hin, doch ich reagierte nicht und verschränkte nur die Arme. Ich wusste genau, dass Sam gleich übelst angepisst sein würde auf mich, doch ich konnte nicht böse Miene zu gutem Spiel machen.
„Was...hat dir Samantha denn so alles über die Therapiesitzungen erzählt?"
Gespieltes Interesse, ein angestrengtes Lächeln.
„Genug."
Ich blickte ihm direkt in die Augen und hoffte, dass er diese Anspielung verstand.
„Äh, ja das ist doch toll, und was denkst du, macht sie Fortschritte?"
Ich mahlte mit dem Kiefer.
„Das würde sie bestimmt, wenn sie auch wirklich therapiert werden würde."
Schnauzte ich ziemlich unfreundlich und Martin sah eilig nach links und rechts. Oh ja, er hatte eine Scheiss Angst vor mir. War auch gut so. Er tat Samantha unrecht und war sich dabei auch noch vollkommen bewusst.
„Paige! Du solltest jetzt besser gehen..."
Zischte Samantha halb wütend und halb enttäuscht.
Ich setzte ein Lächeln auf und nickte. „Grüssen Sie ihre Frau von mir."
Meinte ich dann noch, bevor ich mich abrupt abwandte. Es reichte zeitlich noch genau dafür, dass ich sah wie ihm sein Lächeln auf dem Gesicht gefror.
Samantha redete beruhigend auf ihn ein, dann schloss sich hinter mir die Türe.
Ich atmete tief ein und schüttelte dann den Kopf, während ich die Strasse entlang lief.
Sie würde einige Tage beleidigt sein, ja, aber das war es auf jeden Fall wert gewesen. Jetzt wusste dieses Arschloch nämlich, dass sie einen Schutzengel hatte. Und wenn er ihr weh tun würde, würde ich nicht zögern, alles seiner Frau oder der Polizei zu erzählen.
Aber bis es so weit war, hatte ich genug eigene Probleme. Beispielsweise den Häftling in meiner Wohnung.
So, was denkt ihr zu Samantha und ihrem Martin? Ich hoffe, das Kapitel war spannend, aber gleich wird es noch viieeel spannender :) die frage ist nur ob das gut ist oder nicht?
Ich hoffe ihr bleibt alle weiterhin dabei!
Alles liebe
Angora77
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top