Menschenkenntniss

Kapitel 19


Cole
vielleicht hatte Zed recht gehabt. Es war lediglich sein Ego von ihrem Fernbleiben beschädigt worden, seine Gier hatte es aber nur noch angeheizt. Ihren anscheinend jedoch nicht.  Wie konnte es eine einfache Studentin sich dem nur so entziehen? Sie war unschuldig gewesen als sie sich ihnen hingegeben hatte und er hatte bemerkt, wie sie in der Leidenschaft fast untergegangen war. Sie hatte gewinselt und gebettelt, alles an ihrem verhalten hatte nach mehr verlangt, dennoch war sie der Versuchung fern geblieben. Das sprach entweder dafür, dass er und Zed nicht halb so attraktiv und einnehmend waren wie sie glaubten, dieses Mädchen  masochistischen Züge besaß oder, dass sie irgendwo anders Ersatz gefunden hatte.
„Der Kerl war in den letzten Tagen wohl der glücklichste Mann in der dieser Stadt", murmelte Zed fast schon gleichgültig. Wüsste Cole nicht, dass sein Freund die junge Studentin nicht ebenso verzweifelt wollte wie er selbst, hätte man meinen können, es sei Zed tatsächlich egal mit wem Luna ihre Nächte verbrachte.
Cole aber schnaubte nur und beobachtete die Flachzange, die Luna wohl als ihren Freund bezeichnete. Groß und schlank mit noch etwas Babyspeck im Gesicht. Er wirkte wie einer dieser Typen auf den Covern von Teeniezeitschriften, kaum alt genug um die Erfahrung mitzubringen, die es brauchte um eine Frau wie Luna zu befriedigen. Er hatte Phillip O'Harra einmal komplett durchleuchtet. Er war ein Streber erster Klasse, verkorkst und voreingenommen. Aus gutem Haus und besaß den absolut amerikanischsten Stammbaum, denn Cole jemals gesehen hatte. Seine Familiengeschichte konnte man bis zu den ersten europäischen Siedlern zurückverfolgen. Abgesehen davon studierte er Medizin, brauchte nach einer kleinen Randnotiz seines Augenarztes eigentlich eine Brille und war sich anscheinend nicht zu schade mit einem unbedeutenden Waisenmädchen eine Beziehung zu führen.
„Gott, der Typ erinnert mich an neunzig Prozent meiner ehemaligen Kommilitonen. Furchtbar. Alleine für diese Elvis-tolle verdient er einen Schlag auf seine perfekte gerade Nase", fuhr Zed fort und lehnte sich dichter über das Geländer. Es war schwer in der Masse von Erstsemestern den Überblick zu behalten. Zumindest sollte man das meinen, aber von der ersten Sekunde an als Luna in Begleitung ihrer Mitbewohnerin Veronika und der beiden Typen angekommen war, schien sie förmlich herauszustechen.
„Elvis Haare sahen anders aus", gab Cole nebensächlich von sich und fing sich einen finsteren Blick von Zed ein, der wieder in seine Snacktüte griff und sich eine Rosine in den Mund warf. Außerhalb des Noir war der Kerl fast nur am Essen und zum Erstaunen seiner Umgebung stand er vor allem auf Süßigkeiten. Als sie hier gestanden und gewartet hatten, waren einige der jungen Mädchen fast in Ohnmacht gefallen als er einen Lolli im Mund gehabt hatte – und einige Typen gleich mit. Das Bild war einfach zu speziell, schließlich war an Zed rein äußerlich und auch charakterlich rein gar nichts süß.
„Du weißt was ich meine. Kein Wunder, dass sie noch Jungfrau war, der Typ hätte das Loch nicht mal mit einem Neonschild gefunden", spottete er weiter, legte den Kopf in den Nacken und schüttete sich den Rest der Tüte in den Mund bevor er die leere Verpackung in den Mülleimer neben ihnen fallen ließ.
Ob sein Kumpel danach noch etwas sagte wusste Cole nicht, denn er war viel zu gefangen genommen von dem Anblick, den Luna bot. Er hatte ja bereits in diesem Zeichenladen festgestellt, dass sie im Tageslicht noch wesentlich hübscher war, aber dahinter steckte mehr als natürliche Schönheit. Sie leuchtete regelrecht und er war auch nicht der einzige Mann, der das bemerkte. Sie besaß diese Aura von Unschuld um sich, die jeden Wolf anzog und Jäger dazu verleitete Beute machen zu wollen.
„Sie ist mit Abstand die Hübscheste hier", hauchte Cole gedankenverloren und mit so viel Kitsch in der Stimme das kurz selbst das Gesicht verzog. Solche Sätze sind einfach ekelhaft. 
„Wow. Wo kam denn das plötzlich her?", fragte Zed etwas irritiert und sah sich ebenfalls nach Luna um.
„Naja. Nackt und winselnd gefällt sie mir besser. Also, wie wollen wir vorgehen?", fragte Zed und grinste ihn frech entgegen. Der Gedanke gegen die elementarsten Regeln des Clubs zu verstoßen machte ihm definitiv mehr Freude als gut für ihn war. Es stand ihnen eigentlich weder zu Luna hinterherzulaufen, noch daran zu denken sich in ihre Beziehung zu drängen. Betrug war nie etwas Schönes, aber im Club kümmerte das niemanden ob man neben den Liebhabern im Club noch einen Ehemann oder eine Ehefrau zu Hause hatte.
Cole spürte einen kurzen Stich in der Brust als er daran dachte, wie seine letzte wirkliche Beziehung zu Bruch gegangen war. Er hatte geglaubt er würde sie so sehr mögen, dass er keinen Bedarf mehr an den Frauen im Club hatte, bis er feststellen musste, dass Sex innerhalb einer Beziehung anders war als im Club. Und als er versuchte sich von ihr zu nehmen was er brauchte um dem Noir fernbleiben zu können, hatte sie hysterisch reagiert und ihn als Perversen abgestempelt. Er hätte sie in diesen Moment verlassen sollen, aber das hatte er nicht. Stattdessen hatte er angefangen dieses Doppelleben zu führen und sie zu betrügen bis er es ihr eines Nachts brühwarm erzählte, damit sie diese alberne Farce, zu der die Beziehung geworden war, beendete.
Das hatte sie nicht, sie hätte ihm den Seitensprung verziehen und er hatte sie förmlich aus seiner Wohnung schmeißen müssen. Es war einfach Scheiße gewesen. Der schlimmste Tag seines Lebens. Was würde passieren, wenn er und Zed Luna nun einfach aufsuchten? Würde ihr dann auch so ein Horrormoment ins Haus stehen? Es gab nichts Schlimmeres als dabei zuzusehen, wie der Mensch den man einmal geliebt hatte jeden Respekt vor sich selbst verlor und sich zwanghaft an etwas klammerte, was er nicht halten konnte. Wenn man aus einer Beziehung ging sollte man das mit Würde tun, aber der Kerl neben Luna beobachtete sie ständig wenn sie nicht hinsah. Er starrte sie an, als würde er zum ersten Mal ihre Schönheit bemerken und der Blick erinnerte Cole zu sehr an die Art und Weise wie Zed sie anstarrte. Besessenheit war keine Liebe und besaß definitiv etwas Dunkles was man nicht eskalieren lassen sollte.
„Ich gehe hin, werf' sie mir über die Schulter und wir ficken sie gleich im Van!", meinte Zed und obwohl sie keinen Van hatten und auch nicht vorhatten wie zwei Vergewaltiger über Luna herzufallen, war da dieses teuflische Glitzern in Zeds Augen das einem Angst machen konnte. Würde er dieser Fantasie jemals Einhalt gebieten können?
„Wir dürfen Ihrem Freund nicht über den Weg laufen. Wenn Elija herausbekommt, dass wir eine der Clubregeln verletzt haben, bricht er uns beide Beine bevor er uns hochkant rausschmeißt!", gab Cole zu bedenken, aber Zed zuckte nur mit den Schultern.
„Als würde unser gefallener Erzengel seinen privaten Cop und seinen Leibarzt aus dem Club werfen. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass es Luna mit diesem Schnösel ernst ist. Ihr muss doch klar sein, dass sie für ihn bestenfalls ein Sozialprojekt ist. Er stammt aus gutem Hause und sie ist das Kind einer Drogensüchtigen, die sie nie kennengelernt hat. Alles was sie geschafft hat, hat sie alleine erreicht während der Kerl sich den Studienplatz erkauft hat. Er ist ein Versager und dennoch sieht er auf sie herab", murrte er. Seine Schlussfolgerungen waren weit hergeholt, aber als Cole diesen Phil wieder betrachtete musste er zugeben, dass es stimmen könnte. Zed hatte ein Gespür für andere Menschen und die Art wie sie dachten. Während Cole selbst aus Phillips Akte nichts weiter geschlussfolgert hatte, war Zed zu einem komplexen Urteil gekommen, das zweifelsohne Stimmen würde. So wie immer. Er hätte Psychologe werden sollen, nicht Arzt.
„Ich dachte, er mag sie. Sein Blick hat etwas von deinem, wenn du von etwas besessen bist", gestand Cole und Zed lachte.
„Für einen Cop hast du einen schrecklichen Sinn für Menschen. Ich bin fasziniert von ihr, aber für den Kerl da unten ist sie kein Objekt der Faszination, sondern eines neben dem er sich besser fühlt. Er ist ein Arsch. Wenn sie von ihm loskommt, ist es das Beste, was ihr passieren kann. Aber ich glaube, dass ist ihr gerade auch klar geworden", grinste Zed amüsiert und Cole zog fragend eine Augenbraue nach oben.
„Was meinst du?"
„Sie ist weggelaufen!", meinte er und Cole sah durch die Menge. Sie war weg. Verdammt!
Schnell drängte sich Cole durch die Menge und sah aus den Augenwinkeln, wie Zed dasselbe tat und kaum hatten sie den Ort erreicht an dem Luna vorher noch mit ihrer Freundin gestanden hatte, tippte Zed ihn an und deutete auf die Brücke. Sie stand da. Lachte und freute sich offensichtlich, dass sie ihrem Freund entkommen war. Allerdings lediglich so lange bis sie Zeds Blick auffing und dann auch dem seinen begegnete. Sofort fiel das Lachen in sie zusammen und Cole wusste, noch bevor Luna panisch die Augen aufriss und davonrannte, dass sie sie kriegen würden. Und dann würde sie ihnen gehören, ob sie wollte oder nicht.

Beta: Geany


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