Erste Woche
Liebes Tagebuch...
Heute ist Sonntag und ich war in der Kirche.
Na gut, eigentlich eher draußen, außen, hintenrum, also auf dem Friedhof.
Ich bin ab jetzt auch von Montag bis Samstag hier, weil ich jetzt hier wohne.
Meine Familiengruft liegt mit wunderschönem Blick auf den angrenzenden Stadtpark in Reihe 13 an der Außenmauer.
Genau genommen ist es die Gruft meiner Tante Elzbetha, aber ich war immer ihr Lieblingsneffe und sie hat oft gesagt: "Yuri, besuch mich doch mal."
Jetzt bin ich also hier und als letzter lebender untoter Verwandter sozusagen der Erbe dieser Immobilie.
Ich habe auch den örtlichen Pfarrer kennengelernt; er war sehr erfreut jemanden bei seiner Kirche anzutreffen. Wir haben nett miteinander geplaudert und er war recht traurig, weil ihm seine Schäfchen abhanden gekommen sind. So genau habe ich nicht zugehört, ich war doch etwas müde von der langen Anreise.
Ich habe auch nicht allzuviel von ihm getrunken, allerdings musste ich ihm dann die Erinnerung an unsere schöne Unterhaltung nehmen.
Sollten mir in der nächsten Zeit ein paar freilaufende Schafe begegnen werde ich sie ihm vorbeibringen, versprochen.
Montag
Liebes Tagebuch...
Die neue Woche habe ich ganz produktiv mit Großreinemachen gestartet.
Die Dragonivic-Familiengruft ist schön geräumig und die vielen Spinnweben, toten Käfer und mumifizierten Kleinsäuger geben ein tolles Ambiente ab. Aber es ist doch etwas nervig, wenn einem das Zeugs immer in den Haaren klebt oder unter den Füßen knirscht.
Onkel Ludwig und Tante Elzbetha habe ich zusammengelegt, viel war ja nach seinem Mißgeschick mit der Harke nicht von ihm übrig. Nur ein Goldzahn und der große Siegelring mit dem Familienwappen. Ich denke Tante Elzbetha ist ihm nach all den Jahren nicht mehr böse, weil er der jungen Friedhofsgärtnerin nachgestiegen ist. Die Strafe Gottes hat ihn ja auch stehenden Fußes ereilt, als er auf das im Gras liegende Gartengerät trat und sich im Fallen selbst gepfählt hat.
Ich habe dann jetzt seinen Steinsakropharg bezogen. Für meine 1,75m passt er perfekt. Als Vampir muss man nicht unbedingt der Größte und Schönste sein. Unauffällig lebt sich's länger unentdeckt.
Dienstag
Liebes Tagebuch...
Heute werde ich einkaufen gehen. Ich brauche ein bisschen Dekokram und ein paar Kerzen.
Mittwoch
Liebes Tagebuch...
Der Einkaufsbummel ist sehr kurz ausgefallen. 90% der Geschäfte haben wegen einer Großveranstaltung geschlossen und Roßmann macht schon um 18.00 Uhr zu.
Also blieb nur Edeka Schmunzler.
Die haben nicht mal eine Tchibo-Ecke und auch keine Grablichter.
Ich habe dann eine Glade Duftkerze erstanden. 'Heiße Liebe' war ein Sonderangebot als Valentinstagsrestposten.
Jetzt riecht es hier ein bisschen wie im Puff, aber ich denke Tante Elzbetha gefällt es und Onkel Ludwig sowieso. Sie waren vor 100 Jahren schließlich Inhaber der Violetta-Bar in Prag.
Morgen werde ich schön essen gehen, ich habe ein paar interessante Lokalitäten entdeckt.
Donnerstag
Liebes Tagebuch...
Ich habe mich heute etwas umgehört. Diese Corona ist kein Volksfest sondern eine Seuche, die wie 80% aller Waren des täglichen Bedarfs aus China eingeführt wurde.
Die Chinesen wollen damit die Weltherrschaft übernehmen oder vielleicht steckt auch Bill Gates dahinter, die Eingeborenen sind sich da nicht ganz einig.
Beim Schorschi treffen sich alle wichtigen Leute zur Besprechung der Lage der Nation.
Er darf seine Kneipe zwar nicht aufmachen, aber pünktlich zum Sonnenuntergang – wie beim Ramadan – öffnet er in seiner Garage den offenen Familienstammtisch. Da können mitteilungsbedürftige Bürger*innen ein paar Halbe und/ oder auch ein paar Kurze zischen.
Das Virus hat da keinen Zutritt.
Ich habe mir einen Schoppen Margarete Aschenbrenner, Jahrgang 1985, gegönnt. Hat lecker ausgeschaut, war aber nicht so besonders. Ich glaube Margarete ernährt sich sehr ungesund.
Freitag
Liebes Tagebuch...
Heute konnte ich gar nicht gut schlafen weil nebenan in Reihe 15 eine Beerdigung stattfand.
Die Trauergäste sind lautstark schnatternd überall rumgelaufen und haben eine Ewigkeit gesungen. Der Neuzugang war anscheinend sehr beliebt.
Oder alle sind froh ihn loszusein.
Ich werde nachher mal rüberschauen.
Vielleicht kann ich mir eine Grableuchte ausborgen.
Samstag
Liebes Tagebuch...
Der Neue heißt Oskar Wischnewski und war Chorleiter des örtlichen Gesangsvereins.
Hoffentlich kommen die jetzt nicht ständig zum Proben hierher.
Grablichter hat er keine bekommen, nur viele Blumengebinde und Sträuße und eine Flasche Dornfelder halbtrocken.
Erst habe ich mich gefreut, doch die Flasche war schon leer.
Ich war dann noch im Stadtpark spazieren. Es gibt da einen tollen Trimm-Dich-Pfad. Nicht, dass ich das nötig habe, aber es macht Spaß und ich kann nebenher die Speisekarte der Vorbei-Go-Menüs studieren. Heute hatte ich Mann mit Hund.
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Liebe Leser, ich habe die Kapitel in Wochen eingeteilt, poste aber die Tage einzeln.
Schaut also ruhig öfter mal vorbei.
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