Und wir leben fort in den Herzen der Unseren
Tony sass auf einem Baumstumpf, zufrieden seine kleine Tochter dabei beobachtend, wie sie quietschend vor Freude zwischen den Bäumen herumtollte, die bunten Blätter vom Boden aufwirbelnd und begeistert zusehend, wie sie wieder zu Boden schwebten. Er hatte die Lippen zu einem schmalen, beinahe unauffälligen Lächeln verzogen, sich nicht wie früher an den Lachfältchen um seine dunklen Augen störend. Morgan wirkte so glücklich. So unglaublich zufrieden. Es war Tony immer noch ein Rätsel wie ein so kleines Kind wie sie es schaffte, so vieles gleichzeitig zu tun, von einer Sache zur anderen zu springen, nur um dann wieder zu entscheiden, doch lieber etwas ganz anderes tun zu wollen. Sie lebte in einer eigenen Welt, die Tony nicht einmal ansatzweise verstehen konnte und das faszinierte ihn. Es erinnerte ihn daran, wie er sich manchmal gefühlt hatte, wenn er wieder nächtelang durchgearbeitet hatte, nur um einen Entwurf, der ihm in den Sinn gekommen war, fertigzustellen.
Eine leichte Brise kam auf, fuhr ihm sanft durch die Haare, zerrte an seinem seidenweichen dunklen Hemd und an seinen einfachen Hosen, aber er fröstelte nicht, lächelte nur. Morgan sah ungläubig zu, wie die Blätter um sie herum in die Luft gehoben wurden, über den Boden segelten und sich in kleinen Luftwirbeln fingen. Sie gluckste leise, als sie versuchte, einige der bunten Dinger mit den Händen einzufangen, war aber immer ein wenig zu langsam.
Als er bemerkte, dass seine Tochter sich immer weiter von ihm entfernte, stand Tony langsam auf und folgte ihr mit federleichten Schritten, sie nie aus den Augen lassend. Er war barfuss, spürte das Moos unter den Zehen und die feuchte Erde unter seinen Fusssohlen. Es war ein schöner Herbst. Vielleicht würde Peter bald mit Morgan Drachensteigen gehen.
Morgan lief tiefer in den Wald, Blätter jagend, dann wieder stehen bleibend und verwundert aufgescheuchten Krähen hinterhersehend, aber sie war nie alleine. Tony stand immer weniger als ein paar Meter neben ihr, schmunzelnd, still über sie wachend. Irgendwo hinter ihnen sassen Pepper und Happy auf einer Lichtung, mit Peter plaudernd, ein wachsames Auge auf Morgan habend, sie genauso wenig aus den Augen lassend wie Tony.
Trotzdem war es Tony, der vorsichtig den schläfrigen Igel, der sich in einem Blätterhaufen in dem Morgan herumtollte, versteckt hatte, verscheuchte, um zu verhindern, dass sich seine Tochter verletzte. Der Morgan seine volle Aufmerksamkeit schenkte, ihr zusah wie sie lachte und lachte, sich auf die Blätterdecke warf als wäre sie eine weiche Decke und dann kichernd versuchte, Schneeengel zu hinterlassen, nur um dann wieder aufzuspringen und zu beginnen, auf den Blättern auf und ab zu springen, auf und ab, auf und ab, als wären sie ein Sprungbrett. Als sie einmal besonders hoch sprang, breitete Tony weit die Arme aus, alles um ihn herum vergessend, bereit, Morgan aufzufangen. Er lächelte ihr beruhigend entgegen, um ihr zu versichern, dass er für da war. Dass er sie nicht fallen lassen würde.
Es fühlte sich seltsam an, als sie durch ihn hindurchglitt als wäre er gar nicht da, als wäre er nichts anderes als Herbstluft. Für einen kurzen Moment verrutschte Tonys Lächeln und er umarmte sich selbst statt seiner Tochter, die quietschend weiter auf den Blättern herumtollte. Auf einmal war ihm wieder mehr als bewusst, dass er nur noch ein stiller Beobachter war, dass seine Tochter auf sich alleine gestellt war, egal, ob er ihr dabei zusah, wie sie ihr Leben lebte oder nicht.
Als sich Morgan absolut geschafft erneut auf den Blätterhaufen fallen liess, konnte Tony nichts anderes tun, als auf sie hinunterzuschauen und zu versuchen, nicht zu weinen. Würde sie seine Tränen spüren, wenn sie sie davon getroffen wurde, oder würden sie durch sie hindurchfallen, wie er selbst es tat?
Er atmete tief durch, kniete sich hin und strich ihr über die dunklen Haare, sich wünschend, sie würde es bemerken. Für ihn fühlte sich alles so echt an. Es war ihm, als hätte er tatsächlich noch reale Finger, mit denen er seine Tochter an sich drücken und knuddeln konnte. Und obwohl er wusste, obwohl er sich so oft schon gesagt hatte, dass es in Ordnung war, dass es in Ordnung war, was er Morgan, Pepper, Peter angetan hatte, dass seine Entscheidung, diese ganze Welt auf Kosten seiner eigenen zu retten, die richtige gewesen war, so bereute er es in diesem Moment mehr als alles andere in seinem Leben.
Er richtete sich mühelos auf, als er den Beobachter hinter sich bemerkte, den fremden Blick, der seinen Nacken prickeln liess, auch wenn er alzu gut wusste, wer es war, der hinter ihm gegen einen Baum lehnte. "Was machst du hier?", schnaubte er, das Zittern in seiner Stimme unterdrückend. "Wieso bist du immer noch hier?"
Der junge Mann, der, wie er vermutet hatte, hinter ihm an einem Baum gelehnt hatte, und der, wie es Tony immer schien, aus dem Nichts auftauchte, musterte ihn mit den seltsamen grauen Augen, die Tony immer ein wenig beunruhigend gefunden hatte. Obwohl er nicht älter als 20 sein konnte, waren seine kurzgeschnittenen Haare silberweiss, schimmerten im verschwindenden Sonnenlicht wie Perlmutt. Er hatte immer etwas unnatürlich an sich gehabt. Seine beinahe geisterhaft blasse Haut, seine Augen, seine Haare... Der junge Mann wirkte immer, als sollte er gar nicht existieren. Wie ein Teil eines Fotos, von dem man wusste, dass er hineingephotoshopt worden war. "Sag du es mir, Tony", meinte er, ruhig, gefasst. Tony hatte ihn noch nie anders erlebt.
"Ich hätte dich nicht gefragt, wüsste ich die Antwort schon!", schnappte Tony, verunsichert. Er wusste nicht, was er von dem Fremden, den er auf eine seltsame Art bereits zu kennen schien, halten sollte. Von dem eleganten weissen Anzug und dem schwarzen Hemd, dass er immer trug, von der Rosenranke, die ohne sichtbaren Ursprung seinen Ärmel hochwuchs, von den Blüten, die aufgingen und wieder verblühten, wenn der Fremde unaufmerksam, nachdenklich mit ihnen spielte. "Es gibt so viele andere Seelen auf dieser Welt, die du mit deiner Anwesenheit beehren könntest. Also, warum ich?"
Der junge Mann schmunzelte. "Warum nicht du, Tony? Warum sollte ich zu irgendjemand anderem gehen wollen? Und warum denkst du, dass es irgendeinen anderen gäbe?"
Jetzt stockte Tony. "Was soll das denn heissen, Opa junior?", fragte er, verwirrt. Dann fiel ihm auf, dass er, trotz der Tatsache, dass der junge Mann schon so oft mit ihm gesprochen hatte, obwohl er jeden Tag mit ihm zusammentraf, keine Ahnung hatte, wie er hiess.
Der Junge schnaubte amüsiert. "Opa junior? So hat mich noch nie jemand genannt." Er hörte sich beinahe verwundert darüber an. Neugierig, als hätte ihm noch nie jemand einen solchen namen gegeben.
"Du hast mir deinen Namen nicht verraten", grummelte Tony. "Also habe ich das Recht, mir einen für dich auszudenken. Opa."
"Schon einmal daran gedacht, dass es vielleicht keinen Namen gibt, den ich dir nennen kann, Tony? Dass ich vielleicht gar keinen habe?" Das reservierte Amusement in der Stimme des Jungen verwirrte Tony nur noch mehr.
"Ziegenmist", schnaubte Tony. "Jeder Mensch hat einen Namen."
Der junge Mann sagte nichts dazu, hob nur eine Augenbraue, als würde er Tony dazu auffordern wollen, weiterzudenken, den Gedanken weiterzuverfolgen und mit einem Mal wurde Tony etwas klar. "Du bist kein Mensch, oder? Du... Was bist du? Und wehe du sagst jetzt, du seist der Dschinn der Infinity Steine."
Wieder lachte der Grauhaarige leise. "Das hatte ich nicht vor, Tony. Du bist hier derjenige, der gerne diese Art von Witzen macht. Ich bevorzuge... schwarzen Humor." Er schmunzelte, als hätte er gerade einen Witz gemacht, den nur er selbst verstand.
Tony machte das beinahe wahnsinnig. Er hasste es, etwas nicht zu wissen, so von jemandem zum Narren gehalten zu werden. Und gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass der junge Mann keineswegs vorhatte, ihn zum Narren zu halten. Es schien einfach seine natürliche Art zu sein, mit Leuten umzugehen. Und das wies, Tonys Meinung nach, darauf hin, dass er so gut wie gar nicht mit Leuten zu tun hatte. "Zurück zum Thema", schnaubte er. "Was meinst du damit, da sind keine anderen?"
"Das habe ich so nie gesagt."
"Und du bist schon wieder meiner Frage ausgewichen! Du könntest weissgottwer sein. Wer sagt mir, dass du nicht der Geist eines Mörders bist, der meine Tochter erschrecken will?"
Der junge Mann schmunzelte erneut. "Ich kann dir versichern, das ist nicht der Fall."
Tony wartete ein wenig länger, dann seufzte er frustriert. "Nichts weiter? Schon wieder so eine vage Andeutung? Komm schon, das kannst du besser. Also, warum sind da keine Anderen?"
Der junge Mann überlegte kurz. "Denkst du nicht, dass, wenn es noch mehr wie dich auf dieser Welt gäbe, deine Eltern gerade neben dir stehen würden, ihrer Enkeltochter beim Spielen zusehend und dir erklärend, wie stolz sie auf dich sind?"
Die Worte des Jungen trafen Tony vollkommen unerwartet. "Meine... Meine Eltern?", stotterte er, nicht in der Lage, einen richtigen Satz zu bilden.
Der Junge nickte. "Sie warten schon so lange auf dich, Tony. Haben dir so viel zu sagen. Und trotzdem... Trotzdem bist du noch hier." Das Interesse in seiner Stimme war vollkommen echt. Als würde er einen interessanten Gerichtsfall studieren und nicht über Tonys lang verstorbene Eltern sprechen.
Tony blinzelte verwirrt, versuchte verzweifelt, einen Sinn hinter den Worten des Jungen zu entdecken. Während er sich wieder einigermassen beruhigte, sah er seiner Tochter zu wie sie sich wieder aufrichtete und weitertobte. "Das heisst...", meinte er schliesslich, viel ruhiger, "Ich bin alleine? Ich... Ich bin der Einzige hier?"
Der Junge schmunzelte, scheinbar befriedigt darüber, dass Tony es verstanden hatte. "Der erste seit einem Jahrtausend, der zurückkommt. Und dann auch noch so oft. Tag für Tag..."
Tony zuckte zusammen, als der Junge von den Jahrtausenden sprach, als hätte er sie selbst miterlebt. Als wäre er Teil davon gewesen. Dann ging ihm endlich ein Licht auf und es lief ihm kalt den Rücken herunter. Er fühlte sich auf einmal nicht mehr sicher. "Du... Bist du der Tod?"
Ein paar Sekunden herrschte überraschtes Schweigen, dann begann der Junge zu lachen, zuerst leise, diskret, aber dann lauter, voller. Und obwohl Tony ihn nicht kannte, hätte er doch schwören können, dass es das erste Mal seit langem war, dass der Junge losliess. "Der Tod? Oh, wie melodramatisch. Ich hätte mir denken sollen, dass du früher oder später auf diesen Gedanken kommst."
"Und?"
Der Junge schien ernsthaft über diese Frage nachzudenken, als wäre er sich nicht sicher, was er antworten sollte. Er antwortete erst eine ganze Weile später, während er Morgan dabei beobachtete, wie sie versuchte, einen Baum hochzuklettern. "Es gibt keine Inkarnation des Todes, Tony. Und wenn, dann kenne ich sie nicht. Ich bin nur eine Art... Leuchtturm. Ich helfe Verirrten, dorthin zu finden, wo sie hinmüssen."
"Ein Wächter für die Toten? Also... gibt es ein Nachleben?"
"Diese Frage kann ich dir nicht beantworten", meinte er ohne zu zögern. "Hör zu, Tony, es ist mir nicht erlaubt, darüber zu sprechen, was passieren wird, wenn... Wenn jemand das Hier verlässt und ins Dort überwechselt. Ich kann dir nur sagen... Es gibt viele, die auf dich warten."
"Du sprichst von einem "Hier"", murmelte Tony irgendwann, als er die Worte des Jungen verdaut hatte. "Wo sind... Was ist das Hier?" Seine Stimme versagte, aber der Junge schien genau zu wissen, worauf er hinaus wollte.
"Genau das, was es ist. Du bist hier, in einer Welt der Lebenden, in der du nichts anderes als Erinnerung bist. Und, wenn ich das anmerken dürfte, eigentlich solltest du gar nicht hier sein."
Tony seufzte tief. "Bist... Bist du hier, um mich dazu zu bringen, dorthin zu gehen, wo all die Anderen sind? All die, von denen du meintest, sie würden auf mich warten? Denn wenn das so ist, dann muss ich dich enttäuschen. Ich werde meine Tochter nicht alleine lassen."
Der Junge nickte langsam. "Wer wäre ich, das von dir zu verlangen?" Er wartete kurz, bis Tony verstand, was er da gesagt hatte. "Hör zu. Ich kann dich nicht daran hindern, zurückzukommen. Niemand kann das. Dafür hast du einen viel zu grossen Sturkopf. Aber... und egal, wie schwer es dir vorkommen mag, vielleicht solltest du doch loslassen. Jedenfalls für eine kurze Zeit. Es gibt so viele, die verzweifelt auf dich warten."
"Und ich werde jederzeit zurückkommen können?", versicherte sich Tony noch einmal.
Der junge Mann nickte und eine blutrote Rose blühte auf der Rosenranke auf. "Wie gesagt, wer wäre ich, es dir zu verweigern? Es ist deine Entscheidung."
Tony nickte beruhigt, beobachtete seine Tochter, wie sie, mittlerweile ein wenig frustriert, aufgab, den Baum erklettern zu wollen und sich stattdessen beleidigt auf den Boden sinken liess. Tony warf dem jungen Mann einen Blick zu, dann atmete er tief durch. "Wenn ich mitkomme... Ich... Ich habe Angst, dass..."
Er brauchte den Satz noch nicht einmal zu Ende zu führen. Der junge Mann wusste genau, was er meinte. "Du brauchst keine Angst zu haben, dass deiner Tochter irgendetwas zustösst. Sie wird sehr alt werden, sogar älter als ihr Vater."
"Nennst du mich etwa alt?"
Das beinahe verschmitzte Lächeln des jungen Mannes hätte Tony eigentlich warnen sollen, trotzdem wurde er komplett von dessen Antwort überrascht. "Nein, ich nenne dich tot." Während ihn Tony noch entsetzt anstarrte, stiess sich der junge Mann von dem Baum ab, an dem er gelehnt hatte, und winkte Tony zu sich. "Lass uns gehen, Tony. Es warten so viele auf dich."
Für einen kurzen Moment zögerte Anthony Edward Stark, dann kämpfte er den Impuls, eine zynische Antwort zu geben, nieder und warf seiner Tochter einen letzten Blick zu. Folgte dem jungen Mann tiefer in den Wald hinein, bis sie beide als zwei ferne Gestalten, eine in weiss, eine in schwarz gekleidet, zwischen den Bäumen verschwanden.
Morgan sah auf. Irgendetwas fühlte sich anders an. Als wäre etwas nicht mehr da. Irgendetwas fehlte. Irgendjemand fehlte.
"Alles in Ordnung, Kleine?", fragte Peter, der wie aus dem Nichts auftauchte, sie hochhob und in der Luft herumwirbelte.
Morgan quietschte vor Freude, wirkte aber als Peter sie wieder absetzte immer noch nachdenklich. "Ich habe manchmal das Gefühl, dass Dad immer noch da ist, Pete", gab sie schliesslich zu. "Als stünde er neben mir und ich müsste mich umdrehen und er wäre da. Würde mich beruhigend anlächeln und mir sagen: Ich hab dich, Kleines."
Peter zögerte kurz, dann nahm er die Tochter seines grössten Vorbilds in die Arme. "Manchmal habe ich dieses Gefühl auch", flüsterte er ihr ins Ohr.
Ja, dieser One-Shot wiegt schwerer als die Anderen, ich weiss. Entschuldigt. Mir ist nur die Idee gekommen, eigentlich sollte das ein ganzes Buch werden, aber ich bin ein wenig zu faul dafür. Vielleicht irgendwann. Ich wollte eigentlich keine eigenen OCs in dieses Buch einfügen, aber ich weiss nicht, ob man den Namenlosen als einen OC ansehen kann... Was meint ihr?
Und was haltet ihr davon?
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Aeide_thea
P.S: Der nächste One-Shot wird über Steve sein. Steve und Peggy. Nur nicht unbedingt so, wie ihr euch das vielleicht denken werdet.
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