I am Spider-Man

Peter Parker ging es nicht gut. Überhaupt nicht gut, um genau zu sein, was auch der Grund dafür war, dass er auf den Avengerstower zuschwang. Als Spider-man. In diesem Moment hasste er das Kostüm, den Helden, der er bei Nacht war, aus tiefstem Herzen und hätte es am liebsten fortgeworfen. Aber nicht jetzt. Jetzt musste er sich darauf konzentrieren, in der Luft zu bleiben, seine Netze in die Finger zu bekommen, wenn er sie abgeschossen hatte. Er war an diesem Tag schon einige Male abgestürzt und hatte wirklich keine Lust, dass es sich wiederholte. Er wusste nicht, ob er dann wieder aufstehen würde können. Er war sogar zu müde, um abschätzen zu können, wo er landen würde. So kam es auch, dass er direkt durch die Glasfront von Mr. Starks Apartment krachte, anstatt auf dem Dach zu landen. Mühsam stand er auf. Er musste weiter, immer weiter, sonst holte er ihn ein und dann war es vorbei, vorbei, vorbei...


Peter schreckte auf. Er hatte schon wieder denselben Alptraum gehabt. Sein Gesicht war schweissnass und sein Pyjama klebte ihm am Körper, aber er war sicher, sicher bei seiner Tante May. Beruhigen konnte er sich aber trotzdem nicht: Denn was er träumte war tatsächlich passiert. Und das war erst ein paar Wochen her... Er war von Doktor Oktopus gejagt worden, durch die ganze Stadt. Allerdings war es nicht der Stark Tower gewesen, den er halb zerstört hatte, sondern der Oscorptower, auf den ihn Doc Ock zugetrieben hatte. Er konnte sich noch allzu gut daran erinnern, wie Norman Osborn auf einmal im Apartment gestanden hatte, das Licht angemacht hatte, was sowohl Peter als auch den Doc geblendet hatte. Er hatte noch Osborns Gesicht vor Augen, wie er sie angestarrt hatte, ihn, Spider-Man, gefangen in den Tentakeln seines Gegenspielers, halb zu Tode gewürgt und unfähig, sich zu bewegen. Wie überrascht er ausgesehen hatte, bevor der Doc ihn mit einer seiner Tentakel aus den eingeschlagenen Fenstern gefegt hatte. Peter erinnerte sich daran, geschrien zu haben, obwohl ihm beinahe die Luft ausging, wie er gegen die unendlich starken Tentakel seines Gegners angekämpft hatte, um den Vater seines besten Freundes zu retten, aber er hatte es nicht geschafft und irgendwann war ihm aufgegangen, dass es zu spät war. Er würde Norman Osborn nicht mehr retten können. Und dann war das Unmögliche passiert. Peter schüttelte nur den Kopf und fokussierte sich auf das hier und jetzt, aber als er aufstand und im Bad in den Spiegel sah, meinte er trotzdem für eine Sekunde, den grünen Kobold hinter sich zu sehen. Den genau der war Norman Osborn. Er war mit seinem Fledermausförmigen Gleiter wieder nach oben geschwebt und hatte sich hasserfüllt auf Doc Ock gestürzt. Peter wäre an diesem Abend gestorben, hätte der Kobold nicht eingegriffen. Hätte ihn nicht sein zweiter Erzfeind gerettet. Peter war einfach verschwunden, hatte sich fallen gelassen, war beinahe nicht mehr nach Hause gekommen. Als seine Tante May ihn am nächsten Tag nicht aus dem Bett hatte bekommen können, hatte sie die Folgen des Kampfes zu sehen bekommen, war natürlich sofort mit ihm in ein Spital gerannt. Obwohl sie doch kein Geld dafür hatten und Peter ihr verzweifelt versucht hatte, zu erklären, dass es ihm gut ging. Er hatte immer noch ein schlechtes Gewissen deswegen. Nur noch einige Stunden mehr und es wäre ihm wieder gut gegangen...

Er hatte seine Gründe dafür, nicht mehr Tonys Anzug zu benutzen, den Homecoming-Anzug, wie er ihn nannte, weil er ihn nach dem Event wieder zurückbekommen hatte. Später war ihm klargeworden, was für ein Glück er gehabt hatte, dass er den Anzug nicht mehr getragen hatte, als das Gebäude über ihm zusammengebrochen war. KAREN hätte es Tony natürlich gemeldet und der hätte, so übervorsichtig, wie er sich verhielt, wenn es ihm gerade in den Kram passte, ihm gleich verboten, weiterhin Spider-Man zu sein. Je älter er geworden war, desto genervter war Peter von den Eskapaden seines ehemaligen Mentors. Sein Idol war er schon lange nicht mehr. Er hatte ihn in einen Kleinkrieg zwischen den mächtigsten Geschöpfen der Welt hineingezogen, und das auch noch, als er gerade erst mit Spider-Man begonnen hatte. Er war 14 gewesen, hatte keine Ahnung gehabt, in was er hineingeraten würde. Ausserdem war Tony Stark es gewesen, das Idol, der Superheld, die Ikone, die ihn, den Niemand, um etwas gebeten hatte und Peter war bewusst, wie schamlos der Milliardär seinen Status ausgenutzt hatte. Obwohl er sich später aufgeführt hatte, wie ein Mentor, so getan hatte, als sei er für ihn dagewesen und hätte ihm geholfen, er war nie mehr gewesen als jemand, der ihm Dinge vorgeschrieben hatte und ihn für seine Zwecke ausnutzte. Das war auch der Grund, weshalb Peter ihn schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Seine Anrufe nahm er schon seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr entgegen. Er war alt genug, selbst zu entscheiden, er brauchte keinen Vormund, der nur dann etwas für ihn tat, wenn er selbst einen Vorteil davon hatte. Er hatte auch seiner Tante May gesagt, sie sollte Stark, sollte er aufkreuzen, sagen, er solle verschwinden. Bis jetzt hatte der Milliardär es nicht getan. Er hatte auch nicht mehr angerufen, als Peter ihn ein paar Mal ignoriert hatte, nur noch beleidigte Nachrichten auf seiner Mailbox hinterlassend, die Peter sowieso nie anhörte. Eine der letzten Nachrichten hätte Peter vielleicht umgestimmt, in der Art und Weise, wie er über den CEO von Stark Industries dachte, aber er hatte schliesslich nicht gehört, wie Tony sich bei ihm dafür entschuldigte, nie für ihn dagewesen zu sein, ihn unterschätzt zu haben und ihm Regeln vorgeschrieben zu haben, die er selbst nicht verstand. Dass er ihn wie einen nutzlosen Sidekick behandelt habe, obwohl er so viel mehr als das war. Dass er ihm wichtig sei, er es aber nicht sonderlich gut ausdrücken könnte. Dass er ihn, seine ewige Gute Laune und seinen Enthusiasmus vermisste.

Peter musterte die dunklen Ringe unter seinen Augen und fuhr sich seufzend über die Haare, die er schon längst hätte schneiden müssen. Als er auf die Uhr sah, zuckte er zusammen und machte sich, wie immer, in Rekordgeschwindigkeit fertig, schlang sein Frühstücksbrot mit Erdnussbutter und Geele hinunter und stopfte heimlich seinen Anzug in seinen Rucksack. Es war Sommer. Würde er ihn unter seine Kleidung anziehen, er würde einen Hitzeschlag bekommen. Er umarmte seine Tante May zum Abschied, dann rannte er aus der kleinen Wohnung und in Richtung des Busses. Er hatte sich fest vorgenommen, ihn dieses Mal nicht zu verpassen, was er tatsächlich auch schaffte. MJ sass wie immer neben dem Fenster, starrte nach draussen, nickte ihm nur kurz zu, als er einstieg und beachtete ihn dann nicht mehr. Sie wussten beide, dass Peter sie mochte, genauso war ihnen bewusst, dass MJ diese Gefühle nicht erwiderte.

Peter hatte sich versprochen, dass er die nächsten Tage ruhiger angehen würde, vor allem, weil er so schlecht schlief. Er wollte nicht noch einmal so schwer verletzt werden und May noch mehr Geld kosten. Was er allerdings nicht erwartet hatte, war, dass er ohne Spider-Man nicht einmal zur Schule kommen würde. Als der Bus, in dem er sich befand, auf einmal abrupt stoppte, in die Luft gehoben wurde und seine Mitschüler lauthals zu schreien begannen, war er der Einzige, der stumm blieb. Das Einzige, das er tun konnte, war, durch die Scheibe in seiner Nähe zu starren und Doc Ock direkt anzublicken, der, mit der Hilfe seiner Arme, den ganzen Bus in die Luft hob, während der Kobold persönlich, Norman Osborn, die restliche Fahrbahn irre lachend blockierte. Dann hatten sie sich schlussendlich also doch vertragen. Weil die Fenster ein wenig heruntergekurbelt worden waren, um die Hitze draussen zu halten, konnte Peter den Doc laut und deutlich hören, als er zu sprechen begann. «Wo ist er jetzt, euer Held, eure Ikone? Spider-Man, wir warten auf dich. Ich an deiner Stelle würde mich beeilen. Wer weiss, was sonst mit den vielen, lieben kleinen Kindern in diesem Schulbus passiert?»

Obwohl er sich wünschte, kämpfen zu können, wusste Peter schon, als der Dock es sagte, dass er verloren hatte. Er würde nicht aus dem Bus herauskommen, ohne jemandes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er würde nicht die Möglichkeit haben, sich davonzuschleichen und die Maske überzuziehen, zu dieser anderen Person zu werden, die er über Jahre aufgebaut hatte, diese andere Person, die es schaffen konnte, die Welt zu retten, die einmal ein Avenger gewesen war. Er konnte nicht darauf hoffen, dass irgendein anderer Held auftauchte. Daredevil war in Hells Kitchen, weit entfernt von der Strasse, auf der er jetzt war, die Avengers kümmerten sich nie um einen solchen Kleinkram. Da war nur er. Peter Parker. Der Teenager, der Superheld spielte und so viel Pech hatte, dass er es war, der gekidnappt wurde, um sich selbst zu den bösen Jungs zu locken. May würde ihn umbringen. Das wusste er jetzt schon. Aber er konnte einfach nicht riskieren, dass all diese Unschuldigen starben, weil er nicht auftauchte. May würde natürlich alles erfahren, was bald passieren würde. Es war schliesslich das Zeitalter der Handys und alle, alle würden anfangen, aufzunehmen, wenn sie in einer solchen Situation waren. Das taten schliesslich die meisten schon. Peter atmete tief durch. Er hatte nicht gedacht, dass es so enden würde. Er hatte es sich auf jeden Fall nicht so vorgestellt. Resigniert liess er seine Schultern heruntersacken, dann klopfte er an die Scheibe, die am nächsten von Doc Ock war.

Er ignorierte MJ, die ihm zuwisperte, ob er denn verrückt sei, lebensmüde, sondern sprach direkt mit dem Superbösewicht: «Es sind Teenager, Tentakelmann. Wir sind Teenager. Lass den Bus runter, dann komme ich raus.»

Der Doctor starrte ihn zuerst irritiert an, dann begann er schallend zu lachen. «Da will wohl einer den Helden spielen, was?»

«Das mache ich doch schon seit Jahren, oder nicht, Otto?»

Peter beobachtete wie von fern her, wie sich nach einigen Sekunden die Erkenntnis auf dem Gesicht seines Erzfeindes ausbreitete.

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