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Erschrocken schlug Jungkook die Augen auf.
Er hatte Angst.
Angst, dass es nicht funktioniert hatte und er gleich in einem dieser hässlichen, weißen, mit Desinfektionsmittelgeruch gefluteten Krankenhauszimmern erwachen würde.
Doch nichts geschah.
Und genau das war es, was in ihm eine gewisse Verzweiflung hochkriechen ließ.
Er hatte die Kontrolle verloren, doch an wen wusste er nicht. Es könnten seine Eltern sein, die ihn, so unwahrscheinlich es auch war, gerettet hatten oder aber es waren doch wieder irgendwelche Albträume, die ihn heimsuchten, obwohl Jungkook der festen Überzeugung war, dass der Versuch in der Badewanne real war.
Aber was war schon die Realität. Wer garantierte ihm überhaupt, dass sein bisheriges Leben real war? Weder ein Arzt noch er selbst konnte dies und alles, was er wusste, dass es echt sein müsste, war der Schmerz in seinem Leben.
Es tat alles so furchtbar weh, sodass zumindest dies real war. Ebenso wie die kleinen Narben, die ihn in Form von Schnitten aus seinen Horror-Fantasien herausgeholt hatten, waren real. Aber alles andere könnte alles mögliche gewesen sein.
Zitternd, was sich in Form von aufeinanderschlagenden Zähnen bemerkbar machte, schloss der Schwarzhaarige kurz die Augen. Er musste sich konzentrieren und innerlich beruhigen, bevor er sich anstrengen würde, hier etwas zu erfahren. Denn Rumstehen war keine Option.
Im Kopf zählte er leise von drei runter zur Null, wobei er bei letzterem die Augen öffnete und angestrengt in die unveränderte Finsternis starrte.
Egal wohin der Teenager seinen Kopf drehte und mit seinen Blicken versuchte, die Umgebung zu erkennen, alles, was er sah, war nur die unendliche Schwärze vom Anfang.
Überall war es gleich dunkel. So dunkel, dass es jedes erdenkliche Licht verschluckte und er nicht mal mehr die Hand vor seinen Augen sehen konnte. Zumindest war er der festen Überzeugung, seine Hand müsste nach dem Heben in nur wenigen Zentimeter Abstand vor seinen Augen schweben.
„H-hallo? Ist hier wer?" – verzweifelt, da ihm definitiv ein Sinn geraubt wurde, versuchte der Schwarzhaarige sich nun aktiv zu bewege, doch waren seine Füße an dem Boden oder auf was auch immer er stand wie festgeklebt.
Immer hektischer bewegte er sich. Wenn er etwas sein ganzes, verfluchtes Leben lang gehasst hatte, dann war es, sich nicht bewegen zu können.
Er musste frei sein.
Er brauchte die Möglichkeit wegrennen zu können, wie er es immer vor seinen Problemen tat. Wegrennen in der Hoffnung, sie würden von jemand anderen gelöst werden, besonders wenn es so aussichtslos schien wie dieses.
Sein Psychologe hingegen hatte ihm immer gesagt, er sollte selber die Lösung finden und wieder Spaß am Leben haben. Die Reaktion des Schwarzhaarigen war daraufhin immer wieder nur ein Abblocken gewesen.
Ja, er hatte sich oftmals wie ein kleines Kind verhalten, doch war dies seine einzige Möglichkeit, wie er bei Älteren durchkam. Ob er dann einfach nur ignoriert wurde oder nichts geschah, war ihm egal.
Wie meinte der Psychologe dazu? - Jungkook wollte nicht erwachsen werden.
„L-lasst mich bitte gehen. I-ich habe nichts gemacht. Ich wollte nur verschwinden!" - ein Wimmern entfloh den Lippen des 19-Jährigen, wobei er nicht mal gemerkt hatte, dass ihn die Situation so verdammt doll stresste und sich somit große Tränen der Verzweiflung und des Frustes in seinen Augen bildeten.
Wie konnte er nur denken, sterben wäre angenehm und es würde nichts als Entspannung und Frieden auf ihn warten.
Stattdessen war er irgendwo festgeklebt.
„Shhh."
Sofort erstarrte der Schwarzhaarige und lauschte auf das erste greifbare Geräusch, das ihm gegeben wurde. Es war ganz leise und zart, kam urplötzlich von überall auf ihn zugeströmt.
Es war nur eine einzige Stimme, doch wusste er absolut nicht woher. Jedes Mal, wenn er dachte, es würde aus einer Richtung kommen und er sich in eben diese drehte, hörte er es von der entgegengesetzten Seite.
„Ganz ruhig. Halt nur kurz still, dann kannst du laufen."
Schluckend hielt Jungkook auf der Stelle still, traute sich jedoch endlich die Frage zu stellen, die sich seit dem Wahrnehmen der Stimme in ihm breitgemacht hatte. - „W-wer bist du?"
„Das ist irrelevant, aber vielleicht wirst du es irgendwann erfahren." - die Stimme war angenehm und kam deutlich von einer Frau. Aber nicht diese ekelhaft quietschende wie von seinen ehemaligen Klassenkameraden. Nein, sie war angenehm und legte sich um seinen bis vor kurzem noch zitternden Körper wie ein warmer Mantel im Wintersturm.
Und genau das war der Grund, warum der 19-Jährige so still dastand. Er genoss das Gefühl, zumindest solange es ihm noch gewährt wurde.
"AHHH!" - etwas Spitzes bohrte sich schmerzhaft tief in Jungkooks Nacken, bis die Stille, die nun von seinem Aufschrei erschüttert wurde, durch ein ungesundes Knacken erfüllt wurde.
Ein starker Schmerz schoss von seinem Kopf runter in seine Füße, bis er sein Bewusstsein verlor und irgendwo in eine Tiefe stürzte.
Es fühlte sich so an, als wenn man im Traum fällt, immer weiter fällt und der Körper irgendwann zusammenzuckte, um einen aufzuwecken. Doch hier, in diesem Fall würde Jungkooks Körper ihn nicht aufwecken.
Niemals wieder würde er den schwarzhaarigen Jungen aufwecken. Wie sollte er auch?
Die Hülle, welche der Teenager seinen Körper nannte, lag in der großen Badewanne auf der Erde. Kalt und reglos, ohne dass eine Chance auf ein Lebenszeichen bestand.
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Es dauerte Ewigkeiten, bis Jungkook wieder seine Augen öffnete.
Er wusste weder, wie viel Zeit vergangen war, noch wie er von der Dunkelheit hier hergelangt war.
Um ihn herum waren Spiegel und es fühlte sich so an, als ob er sich in einem Fahrstuhl befand, ohne dass man bestimmen konnte, in welche Richtung er fuhr.
Er würde das Gefühl als ein ‚Schweben im Raum' bezeichnen. Alles fühlte sich leicht und schwerelos an. Über all schien ein sanftes Weißgold zu leuchten und nichts an diesem Ort hatte Ähnlichkeiten mit etwas, was er jemals zuvor in seinem irdischen Leben gesehen hatte.
Die Begrenzungen des Raumes bildeten die Spiegel, welche von Silber verzierten Marmorsäulen gesäumt wurden. Himmel und Boden bestanden ebenfalls aus einer Art Spiegel, jedoch bedrängte ihre Reflexion einen nicht. Ganz im Gegenteil. Sie war sanft, eher matt gehalten und verströmten eine angenehme Wärme.
Wenn er in einer solch kurzen Zeit diesem Erscheinungsbild einen Namen geben müsste, müsste er Himmel sagen. Es war vielleicht nicht der Himmel, wie er in der Bibel oder in Filmen beschrieben wurde, doch würde Jungkook sagen, dass diese Bezeichnung den Ort ganz gut beschrieb.
„Es ist nicht der Himmel."
Die Stimme kam unerwartet und unter normalen Umständen würde der Junge jetzt zusammenzucken. Doch er verspürte weder den Drang wegzurennen, noch bekam er Angst, als sich eine Gestalt vor ihm materialisierte.
Es war schwer zu erkennen, was es genau war. Es hatte zwar Umrisse, doch keinen wirklichen Körper. Denn da, wo normalerweise eine Nase sitzen sollte oder ein Mund war, floss eine für ihn unbekannte Substanz kontinuierlich, ohne Konturen ineinander und durch die Gestalt hindurch.
Somit wurde es einem im ersten Moment unmöglich gemacht, sie zu berühren.
„Was bist du?" – seine normalerweise vorhandene Angst wurde von der Aura des Wesens ersetzt. Er konnte keine Angst verspüren, denn stattdessen verströmte das vor ihm eine beruhigende Aura, die der Teenager an- und aufnahm.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht so was wie eine Wächterin. Ich bin einfach genau das für dich, für was du mich hältst und halten willst. Mir hat nie jemand ein festes Wesen zugewiesen." - die feminin wirkende Gestalt zuckte mit den Schultern, bevor sie über den verspiegelten Boden auf den Jüngeren zu schwebte. – „Ich weiß nur, dass es mich seit Jahrhunderten gib. Mich gibt es unabhängig von Zeit und Raum. Zumindest unabhängig von dem, was ihr Menschen als so was betitelt."
Mit großen Augen verfolgte Jungkook das Wesen, welches nun um ihn herum und manchmal gegen ihn schwebte. Er genoss das Gefühl, welches ihn durchfloss, sobald sie ihn leicht streifte.
Reine Harmonie und Liebe floss durch seine Adern. Nicht mehr der Schmerz, den er all die Jahre spüren musste. Fühlten sich so etwa gesunde, glückliche Menschen jeden einzelnen Tag?
„Du hast dich umgebracht. Zumindest deine menschliche Hülle." - ein Hauch von Traurigkeit schwebte in ihrer Stimme mit. Zumindest ging der Teenager davon aus, ein weibliches Wesen vor sich zu haben.
„Woher?" - verwundert, dass sie es wusste, streckte er eine Hand aus, doch zuckte die Gestalt zurück, bevor er sie berühren konnte.
„Ansonsten wärst du nicht hier." – die Stimme schlug für einen kurzen Moment einen harschen Ton über, bevor sie wieder zu einer sanften Melodie wurde. - „Jede Seele, die ihre Hülle verlässt, kommt irgendwohin. Hüllen von Seelen, die einen natürlichen Tod wie von Alter oder Krankheit hatten, kommen woanders hin, aber sicher nicht zu mir. Bei mir landen die verzweifelten, gebrochenen Seelen. Die Seelen, die es nicht mehr ertragen konnten. Ich kann deinen Schmerz sehen. Das Schicksal hat es nicht gut gemeint." - das Wesen machte eine Handbewegung vor dem Schwarzhaarigen und kurz darauf erschienen fünf leuchtende Kugeln. – „Seelen, die so von dem Schicksal misshandelt wurden, kommen zu mir. Sie bekommen eine, wie soll man sagen, zweite Chance. Nur musst du sie selbst wählen."
Die leuchtenden Kugeln begannen jeweils ein Wort zu formen und sich in einer Art Reihe anzuordnen.
Die erste Kugel bekam das Wort 'Zukunft'.
Die zweite Kugel zeigte 'Beobachten'.
Die dritte 'Wiederholen'.
Die vierte 'Vergangenheit'.
Die fünfte und als einzig regenbogenfarbene Kugel 'Shuffle'.
„Was soll das bedeuten?" - unbewusst haftete sein Blick an der schillernd bunten Shuffle-Kugel.
„Das alles sind Optionen. Wenn du die erste wählst, wirst du mit deinem Wissen in der Zukunft leben. Bei der zweiten wirst du als eine Art ‚Geist' in der jetzigen Welt leben. Ich habe schon einige gehabt, die sie gewählt haben. Sie nutzten es einfach, um Freunde, Geliebte oder Verwandte zu beobachten, jedoch zerbrechen einige auch erneut daran. Mit der dritten wiederholst du dein Leben auf der Erde. Einige schaffen es besser zu leben, andere quälen sich durch alles, was sie im alten Leben hatten, erneut. Die Vergangenheit ist wie die erste Kugel, nur das du irgendwo in der Vergangenheit lebst. Doch sei vorsichtig, wenn du sie wählst. Du kannst im Mittelalter oder im Krieg landen. Es gibt auch die Möglichkeit der Pest oder Steinzeit. Du kannst überall in der Geschichte landen und musst dann dort leben. Ein Zurück gibt es bei keiner Kugel, merk dir das!"
„Und was ist Shuffle?" - Jungkook würde die Kugel am liebsten berühren. Sie sah so warm und einladend aus, doch würde er eine berühren, wäre dies seine Wahl, die er nicht mehr umkehren könnte.
Die Gestalt zog die Luft ein. – „Die hatte ich selten. Bei einigen Seele materialisiert sich eine fünfte Kugel. Die fünfte wird je nach Persönlichkeit- und Gedankenzusammensetzung materialisiert. Soweit ich weiß, hatten alle Menschen, die diese Kugel hatten, einen sehr offenen Geist. Sie waren unentschlossen und haben in ihrem 'ersten Leben' ziemlich gelitten. Diese Kugel gab es nicht immer. Sie wurde irgendwann mal erstellt, von wem ist jedoch unklar."
Fasziniert streckte der Teenager seine Hand danach aus. Er hatte keine Lust, wieder auf der Erde zu leben. Um keinen Preis wollte er zurück, erst recht nicht, wenn er die Wahl hatte.
Geradeso bekam er noch mit, wie die Gestalt ihm etwas mitteilen wollte, doch war es für all das nun zu spät.
Seine Finger tauchten in die schillernde Kugel ein und fast sofort spürte der Schwarzhaarige einen brennenden Schmerz und eine gleichzeitig unerträgliche Hitze in seinem Nacken. Es fühlte sich an, als wenn dort jemand etwas einbrennen würde.
Der unerträgliche Schmerz erlosch nach kurzer Zeit, hinterließ nur ein pochendes, warme Gefühl, bevor der Spiegel unter seinen Füßen Risse bekam und Jungkook erneut in unendliche Tiefe der Finsternis stürzte.
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Bye, Bye Welt.
Joa, und ich dachte, 'NUR RECHTSCHREIBUNG' korrigieren ist leicht. Aber nein, ich sitze davor und versuche es besser zu machen und die Kapitel zu verlängern, weil Fremdscham und so. Warum mache ich es mir auch so schwer.
Ich hoffe euch wird es gefallen.
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