13 ~ Schlechte Nachrichten (2)
Nachdem ich Louis wieder halbwegs beruhigt hatte, gesellte ich mich schließlich zu Yasmin und Hannah, die immer noch kichernd in ihren Sitzsäcken lümmelten, ins Zimmer. Mit einem geräuschvollen Plumpsen ließ ich mich neben die beiden fallen und streckte genüsslich alle Glieder von mir. Es war angenehm, nur so dazuliegen und einfach nichts zu tun. Kein Tanzen, kein Louis - aber vor allem keine nervige Gefühle! Ich seufzte laut. Mit meinen Augen wanderte ich langsam die Wände entlang bis hin zu der Decke. Sie war leer. Lediglich ein paar Lampen hingen dort und erhellten den ganzen Raum in einem angenehm warmen Licht.
"Über was denkst du nach?", holte mich plötzlich Yasmins samtige, aber gleichzeitig neugierig klingende Stimme, in die Wirklichkeit zurück. "Über deinen Freund?" Sie lachte leise, als ich mich mit den Händen am Boden abstützte, um mich aufzurichten. "Meinen ... Freund?" Etwas verdattert sah ich ihr entgegen, ahnte allerdings schon auf was sie hinauswollten. Louis. Sie wollten wissen, was wir so lange getrieben hatten. Genau aus diesem Grund machte ich eine abwerfende Geste und versuchte so neutral wie möglich auszusehen. "Achso. Du meinst Louis", sagte ich als ob es mir gleichgültig sein. "Er ist nur ein guter Freund - nichts weiter!" Mit etwas mehr Nachdruck als gewollte schleuderte ich ihr dies entgegen.
Doch anstatt sich damit zufriedenzugeben, warf sie Hannah, die uns allem Anschein nach aufmerksam zugehört hatte, einen bedeutungsvollen Blick zu. Wie auf Kommando ließen beide ihre Augenbrauen hüpfen. "Und?", hakte sie ungeduldig nach, während sie mit ihren langen Fingern an ihren langen Haaren herumzupfte. "Was und?" Etwas genervt sah ich zu ihr, aber sie mied nur meinen Blick und begann stattdessen ihre Zöpfe zu lösen. "Da gibt's nichts mehr zu wissen. Er hat mich nur gefragt, ob wir tanzen und da er mein bester Freund ist, habe ich natürlich ja gesagt." Mit funkelnden Augen starrte ich vor mir hin. "Und überhaupt, mit wem habt ihr überhaupt getanzt? Oder hat euch etwa niemand gefragt?"
"Doch", meldete Hannah sich kühl. "Das gilt für uns beide." Sie schob sich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr und wechselte einen weiteren Blick mit Yasmin.
Einige lange Sekunden blieb es still, doch dann räusperte sie sich - diesmal deutlich ruhiger. "Du kennst bestimmt diese beiden gutaussehenden Jungs - die, die immer mit Louis abhängen." Ich nickte bestätigend. Die beiden braunhaarigen Jungs mit leichten Sommersprossen waren mir schon des Öfteren aufgefallen. Nicht zuletzt vorhin, als ich Louis in ihr Zimmer begleitet hatte. Die beiden gleichen einander wie ein Ei dem anderen, wirkten aber beide total sympathisch und so, als würden sie eine Menge Spaß verstehen. Sicherlich war dies nicht verkehrt wenn man davon ausging, dass die beiden meine bescheuerten Freundinnen zum Tanzen gebeten hatten.
"Was ist mit den süßen Jungs?", fragte ich, wobei ich das "süßen" extrem in die Länge zog.
Yasmin, die ihre Haare jetzt vollständig entwirrt hatte, und begann, die sanften Wellen mit den Fingern aufzulockern, schenkte mir ein geheimnisvolles Lächeln und schwieg weiterhin. Hannah dagegen verfiel - wenn auch mit einem zarten Rosa auf den Wangen - wieder in ihr übliches Schweigen.
"Oh kommt schon", entrüstete ich mich gespielt und schlug dabei mit den Händen auf den farbigen Stoff unter mir ein. "Ihr wisst es doch auch, oder?"
Da es immer noch nicht den Anschein hatte, dass eine der beiden vollständig mit der Sprache rausrücken würde, stand ich auf und tigerte im Zimmer auf und ab - mit der Hoffnung, sie dadurch so zu nerven, dass sie mir alles bis ins kleinste Detail erzählen würden. Aber weit gefehlt. Das Gegenteil traf ein. Beide wendeten sich irgendeiner Tätigkeit zu und blieben weiterhin stumm.
Gerade als ich kurz davor war, durchzudrehen, verlangte mein lärmendes auf einmal Handy meine volle Aufmerksamkeit.
"Ja, Evans?", meldete ich mich zu Wort. "Vera", konnte ich die vertraute Stimme meiner Mutter sagen hören, "Es ist so schön, mit dir reden zu können!" Erst beim Klang ihrer warmen Stimme wurde mir so richtig bewusst, wie sehr ich meine Familie doch vermisst hatte. Die freundliche Art meiner Mutter, die Gespräche mit meinem Vater, das gemütlich kuschelige Haus mit Garten - ja sogar unser kleines rotes Auto, mit dem ich normalerweise auf Kriegsfuß stand - all dies vermisste ich. Sehr sogar. Ein kleiner Klumpen bildete sich in meinem Hals, als ich an die all die lustigen Abendessen mit meinen Eltern dachte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie glücklich ich mich schätzen konnte, eine Familie zu haben, die sich so sehr um mich kümmerte.
Einen Moment lang schwieg ich, wartete bis das freudige Gefühl, das ich auf einmal verspürt hatte, etwas abgeklungen war. "Mama?" Ungläubig, aber überaus glücklich flüstere ich in mein Handy. "Bist du es wirklich?" Ich schüttelte den Kopf. Dass ich tatsächlich mit ihr redete wollte einfach nicht in meinen Kopf hineingehen. "Wie geht es dir denn?", räusperte ich mich dann wieder nach einigen stummen Sekunden.
"Eigentlich ganz gut", meinte sie ausweichend, "Aber ... deswegen rufe ich nicht an - du hast nicht zufällig einen Moment Zeit? Alleine?" Ihr Tonfall verriet mir, dass sie leicht besorgt war, als ob sie Angst vor dem bevorstehenden Gespräch hätte. Mir war, als könnte ich sie vor meinen Augen sehen. Wie sie in der Küche auf und ab lief. Wie ihre Augen nervös von einer Ecke des gemütlich warmen Raumes in die andere huschten. Wie sie mit den Knöcheln knackste, wie so oft wenn sie nicht wusste, was tun.
"Klar. Für dich doch immer." Ich nickte verständnisvoll, obwohl ich wusste, dass sie es nicht sehen würde. Um außer Hörweite zu kommen, stand ich auf mit einem leisen Ächzen auf und lief bis ans andere Ende des Raumes. Hoffentlich konnten meine neugierigen Freundinnen uns nicht mehr hören.
"Also?", nahm ich den Faden wieder auf., nachdem ich auf der anderen Seite des Zimmers stand, "Du wolltest mit mir reden?" "Ja", sagte meine Mutter. Ich verlagerte mein Gewicht vom linken auf das rechte Bein und stütze meinen Arm. "Um was geht es?" Ich versuchte, die aufkommende Unruhe zu unterdrücken indem ich mehrmals ein - und ausatmete.
"Es ... es geht um Dan." Die Stimme meiner Mutter begann zu zittern, als ob sie kurz vom Ausbrechen der Tränen stand. "Papa?" Erschrocken zog ich die Luft mit einem lauten Zischen ein. Dies konnte einfach nichts Gutes bedeuten. "Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?" Nervös begann ich mit einem Fuß auf den Teppich zu klopfen. Doch anstatt einer Antwort hörte ich nur leises Schniefen und anschließend ein geräuschvolles Naseputzen. "Mama?", hakte ich deswegen noch einmal nach, "Es geht ihm ja gut, oder?" Immer noch kam keine Antwort. "Sag verdammt nochmal was!", schrie ich mein Handy aufgebracht an.
"Er ... er lebt noch", erklärte meine Mutter mir so tapfer wie möglich, während ich wie vom Blitz getroffen dastand und versuchte meine Gedanken zu kontrollieren.
Noch. Eigentlich ein ganz normales Wort. Trotzdem führte es dazu, dass große Trauer in mir aufstieg und langsam von mir Besitz ergriff. Noch. Immer und immer wieder hallte dieses Wort in meinen Kopf herum. Wie ein, sich immer wiederholendes Echo. Noch. Ich war nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Ohne richtig zu realisieren, ließ ich - ohne auch nur einen Mucks von mir zu geben - das kleine Telefon aus der Hand rutschen. Mit einem dumpfel Prall schlug es auf dem Teppich auf. Etwas Staub wurdea ufgewirbelt und verschlechterte meine Sicht. Ich musste die Augen schließen.
Als ich sie wieder öffnete, war meine Sicht verschleiert. Meine Wangen glänzten feucht. Ich schmeckte Salz auf meiner Zunge. Zarter Organgenduft kitzelte meine Nase. "Sch-sch", hörte ich eine Stimme sanft sagen. "Alles wird gut. Wir sind ja bei dir." Haselnussbraune Augen blickten mich besorgt an. "Aber ...", stammelte ich, "Mein Vater ... er ... er." "Er wird wieder gesund werden", beruhigte das Mädchen mich. Mit beiden Daumen wischte sie mir die Tränen weg, während ihr blaue Strähnen ins Gesicht fielen. "Versuch zu schlafen. Morgen sieht die Welt schon besser aus."
Eine Hand fuhr durch mein Haar, dann erklangen Schritte. Und schon balb war ich mit meinen verwirrenden Gedanken alleine. Erst jetzt wurde mir klar, dass man mich ins Bett gelegt und zugedeckt hatte. Ich vergrub mich tiefer in die Decke. Jedoch ließen verstörtende Gedanken mich immer noch nicht zur Ruhe kommen. Vor meinem inneren Auge sah ich .... Tot. Am Boden liegend. Ihre Augen starrten ins Leere.
Dann verschwamm das Bild. Die Leiche veränderte sich. Vor meinen Füßen lag mein Vater. Tot. Mit genau dem gleichen, starren Blick. Sein Mund war weit geöffnet - so als wolle er sagen "Es ist alles deine Schuld, Vera!"
◇◇◇
Als auch dieses Bild schließlich verschwand, und ich in Dunkelheit versank, atmete ich erleichtert aus. Es war vorbei. All die Last - all den Kummer - die ich zuvor verspürt hatte, waren verschunden. Alle Sorgen hatten sich wie in Luft aufgelöst. Ich konnte wieder frei atmen.
Etwas benommen stand ich auf. Es war, als wäre ich schwerelos.
Ich blickte mich um, doch ganz egal, wohin ich mich drehte, ich konnte nichts erkennen. Meine Sicht war wie von feinem Nebel verschleiert. Das einzige, das ich erkennen konnte, war Licht. Oben, unten, überall um mich herum - nichts alls helles weiß.
Irgendwo - ich konnte nicht ganz deuten wo - spürte ich einen Funken Glück, der wie einen Pflanze heranwuchs und sich langsam in jeden Winkel meines Körpers ausbreitete. Ein Strahlen breite sich auf meinem Gesicht aus. Ich konnte fühlen, wie meine Augen anfingen zu leuchten. Schon lange nicht mehr hatte ich mich so glücklich gefühlt! Ich wünschte, es könnte für immer so bleiben.
Doch dann lichtete sich der Nebel etwas und mit ihm auch das unbeschwerte Gefühl. Ganz weit vor mir bewegte sich etwas. Es kam langsam auf mich zu.
Als es unmitelbar vor mir stand, verschwand auch der letzte Rest des Schleiers.
Knapp einen Meter vor mir stand wer. Es war eine Person. Ein Mädchen. Sie schien zu leuchten. Wie hypnotisiert von dem ungewöhnten Anblick, streckte ich eine Hand nach ihr aus. Dann stockte mein Atem. Meine Hand leuchtete ebenfalls. Jeder noch so kleine Zentimeter meiner Haut glühte. So als obmein inneres eine Flamme wäre. Fasziniert drehte ich meine Hand ein paar Mal, doch ließ sie gleich wieder sinken.
Ich hob den Blick und sah in ein Gesicht. In mein Gesicht.
Strahlend blaue Augen blickten in meine. Weißes Haar hing im Gesicht meines Gegenübers.
"Wer bist du?", flüsterte ich ehrfürchtig ohne auch nur den Hauch einer Verunsicherung zu spüren. "Ich bin du", flüsterte das Mädchen zurück. Beim Klang ihrer Stimme verspürte ich ein leichtes Frösteln. Es war, als würde ich mit mir selbst reden. Nur dass ich es nicht tat.
"Was tust du hier?", fragte ich. "Ich bin hier, um dich zu beschützen", war ihre geheimnissvolle Antwort, woraufhin ich leicht mit meinem Fuß herumscharrte. "Du brauchst mich nicht zu beschützen." Ich pustete mir eine besonders nervige Haarsträhne aus dem Gesicht. Das Mädchen tat es mir gleich. "Doch."
Ohne auf meinen fassungslosen Blick einzugehen, zog sie einmal fest an ihrem Zeigefinger. Ein kleiner, runder Gegenstand löste sich und fiel ihr in die Hand. "Hier", meinte sie und hielt mir ihre Hand hin. "Nimm sie, sie wird dir sicherlich gute Dienste erweisen." Wortlos nahm ich den kleinen Gegenstand entgegen. "Sie?", murmelte ich berwirrt, während ich den einfach silbernen Ring zwischen meinen Figern umherrollte. "Cirithia. Das ist ihr Name. Sie wird dir immer von Nutzen sein."
Ich löste meinen Blick von dem glänzenden Gegenstand. Das Mädchen hatte sich umgedreht und entfernte sich jetzt langsam von mir. Ich wollte zum Laufen ansetzten, doch irgendwas hinderte mich daran. "Warte!", schrie ich ihr dehalb nach, "Was soll ich denn damit?" "Das wirst du schon noch herausfinden", antwortete die Gestalt ohne sich umzudrehen. "Und jetzt - geh!"
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