Kapitel 2

Elf Jahre später...

Nero saß auf einer Sitzgelegenheit auf dem großen Hof des Palastes und schaute nach oben zur Wasseroberfläche, die weit entfernt war. Seine Haare leuchteten im Licht und sein weißes Oberteil schmiegte sich wie eine zweite Haut an seinen Körper.

Er hörte Schwanzschläge und sah, wie sich seine Mutter – die Königin – im grazil näherte. Sie hatte ebenfalls langes blondes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte. Sie trug ein langes rotes Gewand und auf ihrem Kopf saß eine Krone aus schwarzem Seestein. Sie setzte sich neben ihren Sohn und streckte ihre Flosse nach vorne, die in denselben Farben schimmerten wie Neros. Neros Flosse übertraf die ihre nun in der Länge, ein Zeichen, dass er endlich ein Mann geworden war.

„Mein Sohn", begann sie mit ihrer lieblichen Stimme, die ihr Volk immer wieder verzauberte. „Dein Vater und ich denken, dass es an der Zeit ist, dass du dir eine Gefährtin suchst."

Bei diesen Worten schaute der Prinz überrascht auf, denn damit hatte er nicht gerechnet. In all den Jahren hatte er für keine Person Interesse verspürt oder das Bedürfnis, körperliche Nähe mit jemandem zu teilen. Niemand hatte es bisher in das Herz des Prinzen geschafft und langsam machten sich seine Eltern sorgen, denn seit dem Vorfall vor elf Jahren, hatte Nero sein Herz verschlossen.

Sanft fuhr sie über die Wange ihres Sohnes. „Wenn du niemanden in dein Herz lässt, wird sich die Einsamkeit dort einnisten", sagte sie.

Nero ergriff ihre Hand und zog sie sanft fort. Ich kann es nicht. Er würde niemandem mehr hineinlassen, denn die Gefahr war zu groß, dass er diese Person verlor. Nie wieder will ich einen solchen Schmerz spüren. Doch er wusste auch, dass er heiraten musste, bevor er den Thron besteigen konnte. Dafür muss man jedoch nicht lieben. Er musste lediglich seine Pflicht erfüllen.

„Ich werde darüber nachdenken", sagte er und erhob sich. Ohne ein weiteres Wort schwamm er davon.

Traurig schaute sie ihrem Sohn nach. Damals hatte er nicht nur sein Herz verschlossen, er hatte auch seine Stimme und das Leuchten in den Augen verloren. Seit diesem Tag hatte er nicht mehr gesungen, was viele betrübte. Ich bete zu den Göttern, dass jemand diese Mauern um dich einreißen wird. Seufzend erhob sie sich und schwamm zu ihrem Ehemann.

Als Nero sein Zimmer betrat, schwamm er zu dem kleinen Balkon, welcher an dieses anschloss. Dort setzte er sich in die bequeme Steinkuhle und schloss die Augen. Doch er öffnete sie sofort, denn er sah etwas an seinem Geländer hängen. Schon wieder. Sanft zog er die Papierrolle, die dort befestigt war, ab und entrollte dieses. Zum Vorschein kam ein selbstgezeichnetes Bild von ihm, wie er auf dem Balkon lag, ein zufriedenes Lächeln in seinem Gesicht. Darunter die Worte:

Dein Lächeln strahlt heller als jeder Sonnenstrahl und erwärmt das kalte Herz, das zu schlafen droht. Schenk diesem Herzen das Lächeln, welches die Kälte vertreibt.

Sanft strich er über die Zeichnung und Worte. Wieder kein Name. Diese Zeichnungen erhielt er nun seit Monaten in unregelmäßigen Abständen. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, denn er spürte die Zuneigung, die dieses Bild ausdrückte. Die Worte wärmten sein Herz und vertrieb die Dunkelheit in ihm für einen Moment.

Ich wünschte, du würdest dich mir offenbaren. Seit dem ersten Bild hatten sich Gefühle der Zuneigung für den Künstler entwickelt, auch wenn er nicht wusste, wie er ihn unerkannt zeichnen konnte. Er glaubte, es war ein Person, die im Palast arbeitete, doch niemand hatte sich ihm genähert. Sie sieht mich, nicht den zukünftigen König.

Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich und ging nach innen, um diesen Schatz zu den anderen zu legen, in einer Truhe, wo sie sicher verwahrt waren. Werde ich dich jemals kennenlernen?

Wie sich herausstellte, hatte seine Mutter es ernst gemeint. Seine Eltern, seine beiden Schwestern und sein kleiner Bruder saßen mit ihm gemeinsam am Tisch und speisten zu Abend. Wachen stand in Entfernung an der Wand, aufmerksam, jederzeit bereit.

„Wir haben entschieden, einen Ball zu veranstalten, zu dem wir verschiedene Damen des Landes einladen. Du wirst daran teilnehmen und vielleicht findest du ja jemand Nettes", sagte seine Mutter.

Oh nicht doch. Das konnte er gar nicht gebrauchen. Seine Eltern wollten ihn verkuppeln, hervorragend.

„Sucht Nero nach einer Braut?", fragte seine jüngste Schwester, die gerade mal elf Jahre alt war.

Der Ausdruck auf dem Gesicht des Prinzen war eindeutig. Er war überhaupt nicht erfreut, doch wenn seine Mutter sich etwas in den Kopf setzte, würde sie es durchziehen, dass wusste er. Es scheint keinen Ausweg zu geben.

Für einen Moment sah er eine Bewegung im Hintergrund, die Wache mit dem schwarzen Haare, die in sein Gesicht fiel, schaute ihn kurz an, dann wieder auf den Boden. Einbildung?

Nach dem Essen legte er sich schlafen, denn er war völlig fertig. Er wollte nicht auf diesen Ball, doch es würde kein Weg daran vorbeiführen. Wieso suchen sie nicht einfach jemand für mich aus? Das würde ihm einiges leichter machen, denn es wäre egal, wenn sie aussuchten. Nero würde niemand in sein Herz lassen. Niemand.

In der Nacht wurde er von einem Geräusch aus dem Schlaf gerissen. Er stand auf und schwamm zum Balkon. Er öffnete diesen und schaute nach draußen. Er hörte Flossenschläge und eine Gestalt entfernte sich und verschwand in der Dunkelheit. Er überlegte ihr zu folgen, doch eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war erneut eine Pergamentrolle, doch dieses Mal eine kleinere.

War das die Künstlerin? Er entrollte sie und las die Nachricht.

Wenn die Lichter schimmern und die Stimmen im Hintergrund ertönen, werden den süßen Lippen der erste Kuss geraubt. Ein Schatz, der keiner Fremden gehören darf.

Was ist das? War das eine Ankündigung? Würde die Person ihn treffen? Zum ersten Mal stieg so etwas wie Vorfreude in ihm auf. Er hoffte, dass er sich nicht irrte. Lichter Schimmern und Stimmen im Hintergrund, könnte er damit den Ball meinen? Plötzlich schaute er mit positiver Einstellung in die Zukunft. Sie wird auf den Ball kommen.

Die Aufregung ließ ihn kaum schlafen und er betete, dass die Tage schneller vergingen.

Endlich war der Tag des Balls gekommen. Er hatte ein elegantes Gewand an und sogar seine Haare gerichtet. In seinem Gesicht war die Vorfreude deutlich sichtbar, was seine Eltern etwas verwunderte. Die erste Abneigung hatte umgeschlagen und sie kannten den Grund nicht. Nichtsdestotrotz sahen sie dem Ganzen positiv entgegen.

Der riesige Ballsaal war bereits voll mit zahlreichen Meermännern, Meerfrauen, Meerjungen und Meerjungfrauen. Jeder hatte sich herausgeputzt und sich in Schale geworfen, warteten auf das Objekt ihrer Begierde – der Prinz des Reiches. Überall standen Wachen an den Wänden, überwachten das Geschehen und würden eingreifen, sollte jemand der Königsfamilie in Gefahr sein.

Ein lauter Klang erschallte und die Tore oben auf der Empore, woraufhin die Königsfamilie hereinschritt. Alle Augen richtete sich nach oben und ein Raunen ging durch den Raum, als sie Nero erblickten. Auf seinem Gesicht war ein warmes Lächeln und seine Augen strahlten. Man hatte ihn lange nicht mehr so erblickt und das ließ ihm sämtliche Herzen der Anwesenden zufliegen.

Nero schaute sich interessiert um und schon bald begannen die Gespräche. Er führte unzählige, doch keiner wählte die Worte, die der Unbekannte ihm geschrieben oder hatte eine künstlerische Ader. Bei keinem hatte er das Gefühl, es handle sich um die richtige Person. Seine Vorfreude wich der Enttäuschung. Nach drei Stunden schwamm er nach draußen auf den Balkon und schloss die Türen. Er zog sich in einen hinteren Winkel zurück, wo er in seine Gedanken versank.

Sie ist nicht hier. Was hatte er sich auch davon versprochen? Hatte er wirklich geglaubt, dass sie herkommen würde und einfach ihn ansprechen? Dazu hatte sie so oft die Gelegenheit gehabt. Er hatte schlichtweg die Nachricht missdeutet. Traurigkeit machte sich in ihm breit und er verlor jegliche Lust, weiter an dieser Farce teilzunehmen.

Ein Seufzen entglitt ihm, als er sich über das Gesicht fuhr. Seine Gedanken nahmen ihn so ein, dass er nicht bemerkte, wie sich ihm jemand näherte. Es dauerte nur einen Moment, da spürte er, wie sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen. Er wurde an einen warmen Körper gezogen und eine Hand bedeckte seine Augen. „Was-?", entschlüpfte ihm, doch eine tiefe Stimme unterbrach ihn.

„Wenn die Lichter schimmern und die Stimmen im Hintergrund ertönen, werden den süßen Lippen der erste Kuss geraubt. Ein Schatz, der keiner Fremden gehören darf."

Eine Gänsehaut überzog ihn, als die Worte seine Ohre erreichten. Die Stimme löste ein tiefes Gefühl in ihm aus, dass Wärme durch seinen Körper schickte. „Ich werde nicht zulassen, dass dich jemand anderes bekommt", erklang die Stimme und Nero lauschte ihr, versuchte sie zuzuordnen. „Ich beginne damit, mir deine Lippen zu nehmen, sie als Erster zu kosten."

Bevor er antworten konnte, wurde sein Kopf gedreht und spürte er die hauchzarte Berührung an seinen Lippen. Es war das erste Mal. Die Lippen pressten sich auf die seinen und er schloss instinktiv die Augen. Daraufhin spürte er eine Berührung einer Zunge an seinen Lippen. Überrascht öffnete er den Mund und gewährte ihm damit Einlass. Diese drang sanft in ihn und begann die seine zu streicheln. Zögerlich erwiderte er es, doch ihr Spiel wurde intensiver. Es war berauschend und sein Herz klopfte wild in seiner Brust.

Als der Fremde sich von ihm löste, spürte er so etwas wie einen Verlust. „Wer bist du?", fragte er den Fremden, in dessen Armen er lag. Die Hand auf seinen Augen verhinderte, dass er ihn sah.

„Das, mein Sonnenschein, kann ich dir noch nicht verraten."

Die Tür öffnete sich und Nero hörte Geräusche. Für einen Moment spürte er, wie der Fremde seinen Körper schwungvoll in eine Richtung warf, doch er fing sich ohne Probleme ab. Als er jedoch zu der Stelle sah, an der er zuvor gewesen war, war diese leer. Der Mann war fort. Hinter ihm war seine älteste Schwester und sein Bruder, die ihn überrascht anschauten.

„Nero, alles in Ordnung?", fragte sie.

Auf Neros Gesicht lag das strahlendste Lächeln, seit dem Tag vor elf Jahren.

„Ja, denn ich habe sie endlich getroffen", erwiderte er mit einem Lachen in der Stimme. Ich werde dich finden.

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