7 Blair Young.
★☆★
【 B O N N I E 】
Ich konnte es nicht fassen.
Meine Mutter hätte mich auch gleich den Löwen zum Fraß vorwerfen können. Was hatte ich ihr getan, dass sie mir so einen Nachhilfelehrer engagierte? In Mathe durchzufallen klang plötzlich sehr verlocken. Viel besser, als mehrmals die Woche den Sklaven für Riley DeLuca zu spielen.
„Wir machen einen spontanen Test", sprach er gelangweilt und zog eine Mappe aus seinem Rucksack. Ich hielt geschockt die Luft an. Meinte er das Ernst?
Riley DeLuca, der zukünftige Homecoming-King meiner Schule wirkte nicht wie jemand, der in der Lage war 3+3 zu erklären. Viel eher hatte ich immer angenommen, sein Vater würde ihn die Noten erkaufen damit er nicht sitzen blieb und weiter ungestört Basketball spielen und Plastiknasen flachlegen konnte.
„Hier, dass solltest du hinkriegen", er knallte mir die Mappe vor die Nase und hielt mir einen Kugelschreiber hin. Mäßig motiviert seufzte ich tief. Mathe war ein Arschloch und nichts und niemand würde je etwas daran ändern.
Innerlich heulte ich ganze Seen voll, denn ich hatte absolut keinen Plan von Exponentialfunktionen, trigonometrischen und ganzrationalen Funktionen sowie von einfache gebrochen-rationalen Funktionen. Für mich war das alles dasselbe. Es war also nicht verwunderlich, dass bei mir eine ganze Menge auf den Arbeitsblättern leer blieb.
Doch falls ich geglaubt hatte Riley würde mich nicht weiter quälen, so hatte ich mich geirrt. Während er den Mist von Funktionen durchging, hatte er Beschäftigungsmaterial für mich.
Was ein Arsch!
Tief und dramatisch seufzte ich und kaute lustlos auf meinem Kugelschreiber herum. Das hier war absolute Zeitverschwendung, denn ich konnte rein gar nichts davon. Mathe klang für mich immer nach: Bernd kauft vier Kugeln Eis, er gibt Tina eine Kugel davon und hat plötzlich drei Kaugummi. Was kostet der Affe hinter Bernd?
„Du siehst aus, als hättest du noch nie etwas vom mehrstufigen Zufallsexperimenten gehört, oder Wahrscheinlichkeiten mithilfe von Pfadregeln bestimmt", hörte ich Rileys nervige Stimme schließlich und blickte von dem seltsamen Papier mit den noch seltsameren Zeichnungen auf.
„Och... gesehen habe ich das bestimmt mal", wich ich aus.
Riley musterte mich und eine Augenbraue rutschte arrogant in die Höhe: „Gibt es überhaupt irgendetwas, was du kannst?"
Gute Frage. Ich dachte nach und gestand: „Geometrie und Lineare Gleichungssysteme habe ich halbwegs verstanden und ich kann einen Kuchen gerecht aufteilen."
„Also weißt du zumindest was Brüche sind", er klang furchtbar trocken und dann wollte er ganz ernst wissen: „Wie zum Teufel bist du durch die Schuljahre gekommen?"
„Mit Glück und viel Geheule", gab ich offen zu. Und natürlich mit Ach und Krach. Er sah aus, als versuchte er sich das bildlich vorzustellen und runzelte die Stirn: „Willst du zur Abwechslung nicht mal ohne Heulkrämpfe aus einer Arbeit gehen?"
„Das Danach war eigentlich nicht so schlimm, eher das Davor", korrigierte ich.
„Wen hast du in Mathe?"
„Mr Driver", antworte ich knapp. Dieses Mal nickte Riley: „Verstehe."
Als wenn der Name des alten Sackes alles verraten würde. Ich verstand im Unterricht kaum etwas und traute mich auch nicht bei diesem Choleriker etwas nachzufragen. Denn der Letzte, der es gewagt hatte, die streng strukturierte Stunde zu unterbrechen, der hatte sich ganze elf Minuten anbrüllen lassen müssen. Ich wusste das deshalb so genau, weil Maria die Zeit gestoppt hatte.
„Bei Mr Driver stellt man keine Fragen", brachte es Riley auf den Punkt. „Fangen wir bei null an, sonst bleibst du nächstes Jahr kleben."
Bei null anfangen bedeutete, dass ich zu jeder Nachhilfestunde einen Test schreiben musste und die Zeit, die ich Riley gegenüber saß, würde sich locker verdreifachen. Es nütze nichts, egal wie sehr ich später mit meiner Mutter am Telefon diskutierte.
(„Wenn er der Meinung ist, dass sich so Wissenslücken schließen lassen, dann bringt dich ein bisschen mehr Nachhilfe nicht um, Bonnie!")
Und ob sie das tat.
„Ich habe einen Vorschlag", sprach Riley monoton. „Wir treffen uns jedes Mal hier zum Pauken und zwei, drei Stunden werden ziemlich lang. Während du also eine rauchende Birne kriegst, wegen ein paar Testfragen, werde ich mich mit Coke und Shakes zuballern. Erreichst du ein Testergebnis von 60 Prozent, dann zahle ich unsere Rechnungen. Liegst du darunter, dann machst du das Geld locker. Stellst du dich besonders dämlich an, komme ich hier noch auf die Idee mich durch die Karte zu fressen."
Ich presste die Lippen aufeinander und Riley grinste spöttisch: „Komm schon, Dummdödel, 60 Prozent kriegt jeder Depp hin. So schwer sind meine Tests nicht."
Dieses Dummdödel regte mich innerlich auf. Ich war nicht dumm! Nur... vielleicht in Mathematik etwas langsam.
„Okay", ging ich auf diesen Deal ein und das war wahrhaftig das Dümmste was ich hätte tun können. Blauäugig glaubte ich Riley, dass seine Tests machbar waren.
Ziemlich platt verließ ist das Diner DeLuca und rieb mir die Stirn. Ich brauchte ein Eis, am besten vier Kugeln und Einhornstreusel drauf. So attraktiv viele meine Mitschülerinnen Riley auch fanden, ich ernannte ihn zu meinem schlimmsten Albtraum.
Bei Lorenzo belohnte ich mich für mein Überleben mit Schokoladen- und Zitroneneis und saß im Schatten neben meinem Rad. Umständlich schrieb ich mit diesem komischen Pager Nachrichten. Niall fragte, ob es in Ordnung für mich wäre gegen halb acht vorbeizukommen oder er mich irgendwo abholen sollte.
Sofort schluckte ich. „Abholen wäre sehr schlecht", murmelte ich zu mir selbst. Ich verschlang das Eis und mit kalten Fingern tippte ich die Antwort. Wie sah so ein Date zum Essen eigentlich aus? Niall wollte sich um das Essen kümmern, hieß dies, er bestellte etwas oder kochte er selbst?
Was mich noch nervöser machte war die Vorstellung mit ihm allein zu sein. Mein One Direction-Fanherz explodierte bei diesem Gedanken. Besonders, weil ich wusste, dass der Weg zu Louis nur noch Zentimeter weit entfernt war.
Vorausgesetzt ich schaffte es Niall vorzugaukeln, ich wäre 21 und nicht 16. Er musste mich nach diesem Essen immer noch für eine Art College-Girl halten. Was erzählte ich ihm, wenn er mich nach dem College fragte? Würde er mich überhaupt ausfragen? Ich könnte den Spieß umdrehen und ihn quasi interviewen!
Oh mein Gott, ich könnte ihn über alles aushorchen, was ich immer schon wissen wollte. Ich müsste es nur geschickt genug machen. Sämtliche One Direction-Sünden lagen vor mir und warteten nur darauf ans Tageslicht zu kriechen.
Nervös und hibbelig schlug ich pünktlich bei Liberty auf. Leider begegnete ich an der Tür ihrer zweiten Hälfte. Jude wirkte arg zerzaust und beide konnte sich kaum voneinander trennen.
„Soll ich besser später noch mal wiederkommen?", fragte ich spitz und sorgte dafür, dass Jude einen knallroten Kopf bekam und sich räusperte: „Nein- tut mir leid, wir sind sicher- ich rufe dich an, Libs."
Meine beste Freundin wartete völlig high an der Tür, bis Jude aus ihrem Sichtfeld verschwand. Sie warf ihm etliche Luftküsse zu und tanzte auf Wolke Sieben. Ich dagegen war mir nicht sicher, ob er sich überhaupt bewusst war, wie viel verknallte Luft sie absonderte.
Während Liberty weiter abdrehte, ging ich einfach in ihr Zimmer und blieb prompt stehen. Völlig geschockt sah ich auf ein Monster: „Was zur Hölle ist das?"
„Das nennt man ein kleines Geschenk", flötete sie vom Flur. Blinzelnd sah ich mir das pinke riesige Pflüsch-Einhorn aus der Nähe an. Es war absolut kitschig und um das Ganze die Krone aufzusetzen, quiekte es, wenn man es drückte, ein ganz Entzücktes: „Denke an dich!"
„Okay, wie entmannt ist Jude jetzt?", fragte ich und versuchte mir vorzustellen, wie er mit dem Einhorn durch Target spazierte. Liberty bemerkte meinen spitzen Unterton nicht. Stattdessen strahlte sie das Kitsch-Monster an: „Ich nenne sie Julia. Sie braucht unbedingt noch einen Romeo."
Nein, was Liberty wirklich brauchte war Abstand zu Jude. Ich spürte ein seltsam hässliches Gefühl in der Brust und konnte mich nicht für sie freuen. Das war nicht nett von mir, aber ich konnte einfach nichts dagegen tun.
„Bevor du dich auf die Suche nach Romeo machst, würdest du mir für heute Abend helfen?"
„Ach ja, das Date mit Niall", sie schnippte mit dem Fingern und ihr Grinsen wurde diabolisch. „Du musst mir später jede Einzelheit erzählen. Komm, Scarletts Schrank wird dich heute sicher durch das Date bringen."
Libertys Schwester würde uns irgendwann ganz sicher häuten und über den Grill rösten. Wir bedienten uns zu selbstverständlich bei ihr. Ich brauchte unbedingt eigene Klamotten, die mich etwas älter machten und ich wusste schon genau, wen ich zum Shoppen einlud. Meine Granny schrieb mir, ich solle um 22 Uhr zu Hause sein, spätestens um 23 Uhr und mich melden. Den folgenden Tag wollte sie zum gemeinsamen Lunch. Vielleicht konnte ich da dreist einen kleinen Bummel raus machen.
„Hm, mal sehen", sprach Liberty und betrat den begehbaren Schrank von Scarlett. „Wie wäre es mit einem sexy Kleid, mit dem du ihn ein bisschen wuschig machst?"
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es überhaupt je schaffen einen Jungen dazu zu bringen, sich für mich zu interessieren. Wie sollte ich das also bei einem erwachsenen Mann schaffen?
„Denkst du... ich könnte heute vielleicht Shorts oder Hosen tragen?", ich nahm meiner besten Freundin das dünne kleine Sommerkleid aus der Hand. „Ich bin auch so schon nervös genug und würde mich in Hose wohler fühlen."
Leicht neigte Liberty den Kopf und musterte mich: „Du hast recht, es wird anstrengend in Nialls Nähe nicht auszuflippen."
„Meine Sorge ist eher, dass ich mich verplappere oder plötzlich nicht weiß, was ich sagen soll. Das fängt ja schon damit an, dass wir uns für angebliche Studentinnen ausgegeben haben. Ich meine, wo studieren wir, was studieren wir und was soll ich ihm sagen, wo ich wohne, wenn er mich nach Hause bringen möchte?" Das war so die Eckpunkte, die mir durch den Kopf gegangen waren.
Doch auf Liberty war verlass. Sie schnüffelte sich durch die Kleiderbügel und als sie mir kurze Jeansshorts hinhielt, da bastelte sie in ihrem Kopf bereits einen Plan: „Du studierst an der UCLA, das wäre am plausibelsten. Als Fach nimm Wirtschaftswissenschaften, denn ganz ehrlich, es ist genauso öde, wie es klingt. Er wird ganz sicher keine detaillierten Fragen dazu stellen und wenn, dann wird er sicher nur wissen wollen, was du nach deinem Studium machen möchtest und du antwortest einfach, dass du noch nicht sicher bist. Die Möglichkeiten zu groß, blablabla."
Ich schlüpfte in die Shorts und versuchte mir alles zu merken. Dann nahm ich von Liberty einen braunen Gürtel an und eine helle Bluse, die ich mir vorne nicht nur zuknöpfen, sondern auch die Zipfel miteinander zuknoten sollte. Im Gegensatz zu mir hatte Liberty ein Blick für Details. Flache hübsche Sandalen und eine winzige Tasche machten mich komplett.
Zufrieden drückte meine beste Freundin mich auf dem Hocker, der vor dem Frisiertisch stand. Eiskalt schnüffelte sich Liberty durch das Make-up ihrer Schwester und plapperte: „Ein Problem wird es wirklich, wenn er dich nach Hause bringen will. Du musst ihn einfach dazu bringen, dass er es heute nicht tut. Mach ihm ein Bier auf oder so, mit Alkohol im Blut darf er nicht fahren. Ansonsten, um alles andere kümmern wir uns, sobald es nötig wird. Ich meine, es ist ja heute nur ein Essen. Schlag dir ordentlich den Bauch voll und kitzle One Direction-Information aus ihm raus. Zum Beispiel, wann sie vorhaben endlich eine Rückkehr planen."
„Glaub mir, das interessiert mich auch brennend!", nickte ich und sah dabei zu, wie Liberty sich um mein Haar kümmerte und dann das Make-up auftrug. Nervös rieb ich meine feuchten Hände an den knappen Shorts ab und sprach aus, was mir aus Angst ein Loch in die Brust brannte: „Was ist, wenn ich auffliege und er merkt, dass ich... na ja, keine Blair bin?"
„Dann kannst du sowieso nichts dagegen tun", fand Liberty nüchtern. „Aber ich glaube nicht, dass er das tun wird. Er wirkte auf der Party lässig und nett. Außerdem scheint er irgendeine Art Interesse an dir zu haben, sonst hätte er dich nicht von sich aus angeschrieben."
„Hm", machte ich nur, jedoch war Liberty noch nicht fertig, sie schloss die Dose mit den Liedschatten: „Mach dir nicht ins Hemd, denk immer daran, dass das dein Weg ist Louis zu treffen. Und sollte dir das Date heute absolut nicht gefallen, dann kannst du Blair verschwinden lassen. Niall wird nie rauskriegen, dass sie nicht existiert und wir sie erfunden haben."
„Blair hat noch nicht einmal einen Nachnamen", sprach ich trocken und prompt kicherte Liberty: „Wie wäre es mit McFressack?"
„Wieso nicht gleich Blair Skywalker?", stieg ich mit ein und spielend leicht nahm sie mir meine Nervosität.
„Windsor, das klingt so edel, wie ein britischer Royal."
„Viel zu auffällig."
Plötzlich grinste Liberty wie ein Honigkuchenpferd: „Blair Young, makaber aber hey, es klingt besser, als wenn wir eine Blair Waldorf aus dir machen und dann Gossip Girl an die Tür klopft."
Ich blickte in den Spiegel und hoffte, dass ich heute wirklich als 21 durchging. Nervös packte ich die kleine Tasche und versprach meiner besten Freundin noch einmal, dass ich nach dem Date mit Niall direkt bei ihr vorbeikam.
„Du machst das schon. Er ist nur ein Mensch und der wird ganz sicher mehr auf deine Shorts achten, als auf ein paar fehlende Lebensjahre, die man dir nicht ansieht", munterte Liberty mich auf und gab mir einen harten Klaps auf den Hintern.
Was meinte sie? War was mit den Shorts nicht in Ordnung? Hastig blickte ich noch einmal in den Spiegel, aber ich sah normal aus.
„Viel Glüüüüüück", flötete meine beste Freundin zum Abschied, drückte mir eine Flasche Wein in die Hände, die ich mitnehmen sollte und ließ mich damit allein. Meine Beine fühlten sich an wie Gummi und ich glaubte, der Boden würde unter meinen Füßen schwanken. Von Liberty bis nach Niall war es nur ein gefühlter Katzensprung weit weg. Ich sollte wieder die Hintertür, quasi das Tor zum Auenland benutzen.
Kurz stand ich vor dem geschlossenen Tor, dann atmete ich tief durch.
Okay, da wäre ich nun. An der Grenze zum One Direction Wikipedia in Menschengestalt. Möge das Date nicht vollkommen in die Hose gehen und ich als Blair Young hier wieder rausspazieren. Ich hörte meinen Magen knurren. Na zumindest würde es bei Niall etwas zu Futtern geben. Prompt musste ich an ein unsinniges Zitat meines Grandpas denken.
„Der Fresser liebt die Fresser nicht."
Hoffentlich verwechselte Niall mich nicht mit einen Klappergestell, das auf Salatblätter stand.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top