-31-
"Warum?" Nachdem wir sicher zwei weitere Stunden in dieser Bar verbrachten und ich einiges über Ivys Vergangenheit erfuhr, fand ich mich mit Jace auf dem Parkplatz wieder.
"Warum was?", wiederholte er mich und reichte mir den Helm.
"Warum hat dein Vater dich so oft betrunken im Garten gefunden?"
Er wich meinem Blick aus und wandte sich an sein Motorrad. Ich beobachtete ihn, bemerkte, wie er seine Hände fest ums Lenkrad legte, ehe er aufstieg. Ich hatte nicht vor, ihn zu bedrängen. Trotzdem stellte ich mich vor ihn, um seinen Blick einzufangen. Seine Augen wirkten glasig, und sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen.
"Es tut mir leid. Ich wollte nicht-"
"Neugierig sein?"
Irritiert legte ich den Kopf schief.
"Neugierig? Ich bin nicht neugierig."
"Warum hast du dann gefragt?", hakte er nach und verschränkte seine Arme. In seinem Ausdruck lag wieder nur Provokation. Ich dachte zuvor, endlich einen ernsten Menschen mit Gefühlen hinter der Fassade zu finden. Doch er versteckte diesen Teil von sich schnell wieder. Zurück blieb sein amüsiertes Grinsen, das gleichzeitig überheblich wirkte.
"Vielleicht hatte ich das Bedürfnis, dir helfen zu wollen."
"Warum solltest du?"
"Weil du mir auch hilfst?"
Er zog auf meine Aussage hin seine Braue hoch. "Ich brauche deine Hilfe nicht, Riley. Du meine aber schon."
Verblüfft über seine Ansage streckte ich meine Arme aus, um ihm den Helm zurückzureichen. "Ich wollte lediglich, dass du meinen Schatten ausfindig machst. Nicht aber, dass du dich in meine Ehe einmischst."
"Ehe?", wiederholte er mich lachend. "Das kannst du keine Ehe nennen. Eher ein Trauerspiel, und du bist jede einzelne Träne in diesem trostlosen Theater."
Da er den Helm nach einem Blickwechsel nicht entgegennahm, drehte ich mich frustriert weg und sah der Dunkelheit entgegen. "Daxton war früher ganz anders", sprach ich vor mich hin. Der Wind trug meine leise Stimme mit sich. "Er hat mich zum Lächeln gebracht."
"Das gibt ihm nicht das Recht, es dir wieder wegzunehmen", hörte ich Jace hinter mir.
"Vielleicht bin ich selbst schuld."
"Hey." Jace unterbrach mich und trat nur Sekunden später an meine Seite. Er umfasste meinen Oberarm, um mich zu sich zu drehen. Seine Finger legten sich unter mein Kinn. "Ich weiß nicht, wie oft ich es sagen muss, aber du trägst keine Schuld. An keinem Schlag. An keiner Demütigung. Niemand hat das Recht, dich so zu behandeln. Du bist ein Mensch. Er ist das Monster, das dich schon so im Griff hat, dass du glaubst, es verdient zu haben."
Seine Worte brannten in meinem Inneren. Vermutlich hatte er Recht. Doch ich wusste, dass wenn ich jetzt zu Daxton zurückkehren würde, es mein Untergang wäre. Er würde keine weiter Ausrede akzeptieren, außer...
Ein Blitz Schoß durch meine Gedanken und mir viel etwas ein. Ich begann leicht zu zittern, aufgrund der Kälte die sich um meinen Körper legt. Jace bemerkte es und sah mich sorgenvoll an.
"Ich will es nicht", flüsterte ich und somit stand mein Entschluss fest. Jace zog eine Augenbraue nach oben, da er meine Gedanken nicht folgen konnte. Meine Hand zitterte leicht und legte sich wie ganz automatisch auf meinen Unterleib. "Ich will es nicht. Ich kann dieses Kind nicht bekommen." Zuversicht packte mich und ich sah ihn mit dieser an. Er musste sie in meinen Augen erkannt haben, denn er nickte.
"Es ist zwar mitten in der Nacht, aber ich kenne eine Frauenärztin die sicher alles für einen Gefallen bei meiner Familie tun würde." Ohne zu zögern ergriff er sein Handy und tippte eine Nummer ein. Bevor er diese wählte nahm er meine Hand und sah mir in die Augen. "Nur wenn du dir sicher bist", sprach er fast fürsorglich. Eine Seite an ihm, die ich erst jetzt erkannt, obwohl sie schon immer da war.
"Bin ich." Meine Stimme klang entschlossen. Jace nahm wählte die Nummer und hielt das Telefon an sein Ohr, während ich neben dem Mottorad wartete. Mein Atem stockte während ich Jace dabei beobachtete, wie er sein Handy ans Ohr hielt und mit einer Ruhe sprach, die ich selbst niemals aufbringen konnte. Mein Kopf war ein Chaos aus widersprüchlichen Gedanken - Zweifel, Verzweiflung und eine leise, kaum hörbare Hoffnung, dass ich diesmal das Richtige tat.
"Sie ist einverstanden", sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. Sein Blick suchte meinen, und für einen Moment schien es, als wollte er mich daran erinnern, dass ich nicht allein war. Aber wie sollte ich das glauben, wenn jede Faser meines Körpers sich nach Flucht sehnte? "Riley, ich bin an deiner Seite. Falls du dich umentscheiden solltest, können wir jederzeit umkehren." Seine Stimme war leise. Ich vertraute ihm.
Ich nickte zögerlich. Er reichte mir den Mottoradhelm und seine Lederjacke. Ich zog mir beides an und setzte mich eng an ihm geschmiegen auf das Motorrad. Sein süßlicher herber Geruch zog mich in den Bann und beruhigte mich.
Der Weg zur Praxis der Ärztin zog sich in die Länge. Der Wind umwehte unsere Körper, zerrte an mir. Jace versuchte die Spannung mit lockeren Bemerkungen zu durchbrechen, doch sie prallten an mir ab. Zu groß war meine Angst, dass Daxton herausfinden würde was ich gerade tat. Die Straßenlaternen zogen wie Schatten an uns vorbei, und jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, sah ich Daxtons Gesicht. Sein Zorn. Seine Macht.
Als wir vor dem Gebäude hielten, schnappte ich nach Luft. Es war riesig. Die Fassade glänzte im Licht der Straßenlaternen, als wollte sie jedem, der sie ansah, ihre Bedeutung ins Gesicht schreien. Ich fühlte mich fehl am Platz. "Das ist sie?", flüsterte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch.
Jace nickte und stieg aus. "Komm. Du schaffst das."
Jace zog mich von dem Mottorad. Gemeinsam liefen wir auf die große Tür zu. Mit jedem weiteren Schritt fühlte ich mich schwer. Eine Last die auf meinen Schultern immer größer wurde.
Der Druck meiner Hand weckte meine Aufmerksamkeit. Ich sah auf sie herab und bemerkte, dass Jace sie umklammert hielt. Ich hatte nicht bemerkt, dass er sie ergriffen hatte.
"Ich bin hier", sagte er, seine Stimme sanft, aber fest. "Du bist nicht allein, Riley. Nicht mehr."
Sein Blick hielt meinen fest, bis ich schließlich langsam nickte.
Als wir die Tür öffneten, umfing uns ein Hauch von kühler, steriler Luft. Die Empfangshalle war noch protziger als die Fassade - glänzende Böden, riesige Gemälde an den Wänden und eine Rezeption, die aussah, als stamme sie aus einem Luxushotel.
Die Frau, die uns an der Tür empfing, war warmherzig und freundlich, ihr Lächeln eine unerwartete Wohltat inmitten meines inneren Sturms. "Guten Abend", begrüßte sie uns mit einer Stimme, die Ruhe ausstrahlte. Sie strich sich mit einer schnellen Handbewegung eine Strähne aus dem Gesicht, welche sich aus ihrem Zopf gelöst haben musste. "Sie müssen Riley sein. Kommen Sie mit. Jace hat mir bereits einiges über sie erzählt."
Ich folgte ihr zögerlich, meine Schritte schwer wie Blei. Jace war dicht hinter mir, und ich warf ihm einen schnellen Blick zu. Er nickte mir aufmunternd zu, seine Präsenz ein stummer Anker, der mich davor bewahrte, den Raum fluchtartig zu verlassen.
Der Behandlungsraum war schlicht, aber komfortabel. Ein weicher Stuhl stand in der Mitte, daneben ein kleiner Tisch mit medizinischen Utensilien. Die Ärztin, die uns in den Raum. Sie deutete mit einer Handbewegung auf die Stühle.
Ich folgten ihrer Bitte und ließen uns auf den Stühlen nieder. Nervös knete ich meine Finger, jedoch nicht weil ich bereute was ich gleich tun würde, sondern einzig aus Angst vor Daxton.
Jace blieb im Raum, lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. Ich suchte seinen Blick, und als unsere Augen sich trafen, spürte ich, wie ein kleiner Teil meiner Angst nachließ. Er gab mir den Freiraum den ich benötigte, ließ mich jedoch nicht allein.
Dr. Deverra setzte sich mir gegenüber und sprach mit einer ruhigen, verständnisvollen Stimme. "Ich weiß, dass dies keine leichte Entscheidung ist. Bevor wir fortfahren, möchte ich sicherstellen, dass Sie sich über die Folgen im Klaren sind und dass dies wirklich Ihr Wunsch ist."
Ich schluckte schwer und nickte. "Ich bin mir sicher", flüsterte ich, meine Stimme kaum hörbar.
"Gut", sagte sie sanft. "Wir werden zunächst einen Ultraschall machen, um die genaue Schwangerschaftswoche festzustellen. Danach erkläre ich Ihnen die weiteren Schritte."
Ich legte mich auf die Liege, während sie das Gerät vorbereitete. Das kalte Gel auf meiner Haut ließ mich kurz zusammenzucken, aber ich blieb still. Auf dem Bildschirm erschien das kleine Flimmern, das ich nicht ansehen wollte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und suchte Jaces Blick. Er nickte mir zu, und ich klammerte mich an die Stärke, die er ausstrahlte.
"Sie sind in der achten Woche", sagte Dr. Deverra schließlich. Ihre Stimme war neutral, ohne Urteil. "Es ist noch früh, und der medikamentöse Abbruch ist eine Option. Ich möchte jedoch sicher sein, dass Sie sich über alles im Klaren sind. Das ist eine endgültige Entscheidung."
"Ich bin mir absolut sicher", wiederholte ich und kämpfte gegen die Tränen an. "Ich möchte kein Kind." Meine Stimme brach, und ich schloss die Augen.
Die Ärztin reichte mir ein Tuch und ich wünschte mir das Geld vom Bauch. Als wir wieder am Tisch saßen, tippte sie einige Worte in ihren Computer, ehe sie sich wieder mir zuwandte.
Dr. Deverra holte zwei kleine Tabletten aus einer Schachtel. Sie schob mir die erste entgegen. "Diese nehmen Sie jetzt. Die zweite Tablette nehmen Sie in 24 bis 48 Stunden. Sie wird den Prozess abschließen."
Meine Hand zitterte, als ich die Pille entgegennahm. Ich spürte Jaces Hand auf meiner Schulter, eine stumme Geste, die mir Mut gab. Ohne weiter nachzudenken, legte ich die Pille auf meine Zunge und schluckte sie mit dem Wasser, das Dr. Carter mir reichte.
Ein Teil von mir fühlte sich sofort leichter, als wäre eine unsichtbare Kette gelöst worden. Aber ein anderer Teil, der von Angst und Trauer gezeichnet war, wusste, dass dies erst der Anfang war. Er würde mich töten, für das was ich getan habe.
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