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Nervös stand ich auf dem Parkplatz und betrachtete das Motorrad vor mir. Dieser Kuss, er verfolgte mich. Ich spürte seine Lippen an meinen. Schmeckte diesen süßlichen Geschmack und selbst mein Herz, klopfte etwas fester bei dieser Erinnerung.
Doch Jace. Er ließ sich nichts anmerken.
“Zieh den auf. Ich fahre dich zu deiner Mutter.” Er reichte mir den Helm, ohne mich anzusehen. Sein kaltes Verhalten nach solch einem heißen Kuss irritierte mich.
“Ich muss zu Daxton”, widersprach ich ihm und wollte gerade den Helm aufsetzen, da riss Jace mich an meiner Schulter zu sich. Fassungslos sah ich in seine Augen auf.
“Denkst du, ich fahre dich in deinen Untergang? Vergiss es!”
“Weißt du, was er macht, wenn ich jetzt nicht nach Hause gehe?! Umso länger ich wegbleibe, desto wütender wird er.”
“Riley… du kannst nicht-”
“Ich kann auch nicht”, unterbrach ich Jace mit einem traurigen Lächeln. “Ich muss aber.”
“Du musst gar nichts.” Jace nahm den Helm und setzte ihn mir auf. Ich wollte noch etwas sagen, da schlug er das Visier zu und nahm anschließend auf dem Motorrad Platz. Er schaltete es ein und das laute Geräusch des Motors hallte durch die Dunkelheit. Als er zu mir sah, widerstrebte es mir, aufzusteigen. Er würde mich mit großer Sicherheit nicht zu Daxton bringen. Ich verstand, wieso er es nicht tun wollte. Er musste aber verstehen, dass Daxton mir die Tatsache, dass ich einige Stunden weg war, verzeihen würde. Jedoch nicht, wenn ich die ganze Nacht ohne ihn verbrachte.
“Steigst du endlich auf?”
Ich starrte durch das dunkle Visier zu Jace, der ein dämliches Grinsen auflegte. Nach einem tiefen Atemzug setzte ich mich etwas ungeschickte hinter ihn. Ich war so durcheinander. Tausend Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Meine Emotionen wirbelten von einem Extrem ins nächste. Ich hatte Angst, vor den Konsequenzen. Fühlte mich allerdings auch frei, während Jace die Maschine durch die Straßen lenkte.
Nachdem wir an der Kreuzung vorbei rasten, wurde mir bewusst, dass er mich tatsächlich nicht nach Hause fuhr.
“Wohin fahren wir?!”, rief ich laut unter dem Helm und krallte meine Finger fester in seine Seiten.
“Zu einer Bar.”
“Zu einer Bar?!”, fragte ich mit großen Augen nach. Er gab noch mehr Gas, wodurch der Motor meine Stimme übertönte. Ich hörte auf zu protestieren, denn tief in meinem Inneren war ich erleichtert, dass er entschied, was zu tun war.
Es dauerte nicht lange, da kamen wir an einer Bar an. Eine wirklich heruntergekommene Bar, deren Neonlicht grün flackerte. Sie befand sich zu meiner Erleichterung am Rand der Stadt. Niemand würde mich hier vermuten. Selbst Daxton nicht, der sicherlich gerade alles nach mir absuchte.
“Woher kennst du diese Bar?” Ich zog den Helm aus und stieg ab, während er dir Maschine ausschaltete.
“Wenn man trinken will, der Vater das aber schlecht für das Ansehen der Familie hält, sucht man sich versteckte Orte.”
Irgendwas an seiner Aussage hörte sich Wehmütig an, auch wenn er es mit einem Lächeln erklärte. Ich runzelte meine Stirn und reichte ihm den Helm.
“Wenn man trinken will? Ich glaube kaum, dass dein Vater etwas gegen ein Glas Wein einzuwenden hätte.”
“Gegen tägliche Flaschen Whisky hatte er aber etwas. Erst Recht, da er mich oft genug betrunken im Garten fand.”
“Aber-”
“Lass uns erstmal rein, okay?” Er nahm meine Hand, was mir einerseits Ruhe vermittelte, anderseits aber zu viel für mich war. Ich ließ es zu, woraufhin er mich in die Bar führte. Durch die dunkle Holztür hindurch kamen wir in einem Raum an, der auf der ersten Blick wirkte, als wäre das reinste Chaos ausgebrochen. Eine runde Theke am rechten Rand, auf der bunte Gläser standen. Im hinteren Teil stand ein moderner Billiardtisch neben einer alten Jukebox. Alt und jung vermischten sich in der bunten Deko aus Gemälden und Postkarten, die sich über die gesamte rote Wand verteilten.
“Jace!” Ein junge Frau kam auf uns zu. Sie stand zuvor mit zwei Männern und einer weiteren Frau am Billiardtisch. Mit einer Hand warf sie ihre schwarzen Haare zurück, ehe sie den neben mir stehenden kurz umarmte. “Wir dachten schon, du kommst nicht mehr.”
Sie grinste zu ihm auf und mir wurde immer unwohler zumute. Ich passte hier nicht hin. Passte nicht an seine Seite. Vor allem aber, war er mein Cousin. Er hielt meine Hand jedoch nicht so, als wären wir verwandt. Ich zog meine Finger aus seinen und starrte überfordert zu ihm auf.
“Entschuldige. Ich muss wirklich nach Hause.”
“Nein”, widersprach er mir, da mischte sich die Frau ein, die sicher kaum älter als 20 war.
“Oh, du bist bestimmt Amanda. Freut mich dich endlich-”
“Mara”, unterbrach Jace sie, während sie mich freundlich anlächelte und ich mir Mühe gab, keine Emotion zu zeigen. “Das ist Riley.”
“O mein Gott”, hauchte Mara und biss sich grinsend in ihre Unterlippe. “Tut mir schrecklich leid. Ich dachte nur…”
“Kein Problem. Wie gesagt, ich wollte sowieso gehen”, entgegnete ich ihr höflich, ehe ich erneut zu Jace aufsah. “Du kannst ja Amanda anrufen. Mir ihr hast du sicher mehr Spaß.”
Ich konnte nicht glauben, eifersüchtig zu sein, doch so war es und genau deswegen entschied ich mich zu flüchten. Ich konnte jedoch keinen Schritt machen, da packte Jace sich meine Hand und zog mich mit sich zum Billiardtisch.
“Das sind Brad, Ivy und Porter”, erklärte Jace und ließ mich erst los, als ich hinten dem Billiardtisch auf einem Hocker Platz nahm. “Und das ist Riley.”
Die Männer nickten mir zu, um anschließend weiter zu spielen, während Ivy und Mara zu tuscheln begannen. Ich versteckte meine Unsicherheit und konzentrierte mich darauf die Kugeln zu beobachten, die eine nach der andern von Porter versenkt wurden. Er spielte wahnsinnig gut.
“Hier.” Jace reichte mir ein Glas und hielt selbst ein Bier in der Hand. Ich sah herab zu der orangenen Flüssigkeit und nahm einen Schluck. Kaum erreichte dieser furchtbar bittere Geschmack meine Zunge, nahm ich fassungslos Jace ins Visier.
“Ist das Wodka?” Er lehnte sich neben mich mit dem Rücken an die Wand und stieß sein Glas leicht an meines.
“Mit Orangensaft, ja.”
“Du weißt, dass ich schwanger bin.”
“Willst du es behalten?” Sein Blick durchbohrte mich und kurz wusste ich nicht, was ich ihm erwidern sollte. Flüchtig betrachtete ich das Glas in meiner Hand. Dann stellte ich es neben mir auf die Theke ab.
“Nein, aber ich will es auch nicht quälen.”
“Verstehe ich.”
“Wieso dann der Wodka?”
“Ich wollte deine Reaktion sehen”, meinte er beiläufig und zog seine Jacke aus, um sich einen Queue zu nehmen und bei der neuen Runde mitzuspielen. Er ließ mich alleine auf dem Hocker zurück und bot mir nicht einmal etwas neues zu trinken an. Was für ein Mistkerl.
“Hey, darf ich dich etwas fragen?” Ivy trat neben mich, gemeinsam mit Mara. Neugierig musterten sie mich, was ich ihnen gleichtat. Beide trugen weiße Tanktops. Die Arme tätowiert, während sie ihre dunklen Haare offen trugen.
“Klar”, gab ich unsicher von mir.
“Schläfst du mit ihm?” Ungläubig stockte mir der Atem. Ich wich ihren Blicken aus und sah zu, wie Jace gerade konzentriert eine der Kugeln visierte. Er hielt den Queue in seiner Hand und ließ die Spitze mehrere Male sanft durch seine Finger gleiten.
“Nein. Er ist mein Cousin”, erklärte ich, was die beiden schockiert dreinblicken ließ. Sie starrten sich kurz an, ehe sie wieder mich ins Visier nehmen. Zu meiner Verwunderung schienen sie glücklich über meine Aussage und überhaupt nicht irritiert davon, dass wir Händchen haltend diese Bar betreten hatten.
“Zum Glück. Wir wollten dich gerade warnen”, meinte Ivy mit einem Lächeln. “Du siehst nämlich nett aus und Jace … sagen wir es so. Man müsste eine Liste führen, um sich all die Namen zu merken, die er jedes Wochenende abschleppt.
“So viele?”
“Ja!”, erwiderte Mara mir, woraufhin beide näher an mich traten. “Wir lieben Jace. Zumindest war er bei seinen Besuchen hier immer cool drauf. Aber seit Vanessa nicht mehr da ist, hat er sich leider verändert. Schön, dass seine Cousine jetzt auf ihn aufpasst.”
Ja, die Cousine die vor einer Stunde noch mit ihm im Schrank rumgemacht hat … Toll gemacht, Riley.
Während die Mädels sich mit den Männern amüsierten, verweilte ich alleine auf dem Hocker und spähte immer wieder zu dem Glas neben mir. Wie viel müsste ich trinken, um zu vergessen? Wie viel könnte das Baby in meinem Bauch überleben?
Von meinen eigenen Gedanken erschrocken, erhob ich mich. Mein Blick fiel zum Billiardtisch. Jace war an der Reihe. Die anderen tranken, sahen ihm zu und unterhielten sich über ein anderes Mädchen, die wohl auch öfter in dieser Bar mit ihnen abhing. Ich riss meine Augen von Jace los und sah mich nach einer Toilette um. Direkt neben der Theke erkannte ich ein kleines Schild. Entschlossen lief ich an der Theke vorbei, an der mehrere alte Männer saßen und Zigarren rauchten.
Im Frauen WC angekommen, stellte ich das kalte Wasser des Waschbeckens an und hielt meine Hände darunter.
“Du bist sowas von geliefert”, flüsterte ich herab und sah anschließend auf zum Spiegel, wodurch ich sofort geschockt die Augen aufriss. Ich erkannte unter Herzrasen meinen Schatten hinter mir. Diese schwarze Maske. Der breite Körper. Mit zitternden Händen drehte ich mich um, doch er war wieder weg. Vollkommen überfordert spähte ich um die Ecke zu den drei Kabinen. Niemand außer mir befand sich hier und das offenbarte mir, dass ich bereits verrückt war. Es gab kein Zurück. Ich wurde aufgrund all dieser Dramen den Verstand verlieren.
“Riley?” Jace klopfte an die Tür und ganz plötzlich, da nahm mich nur noch Wut ein. Wut, die ich nicht bändigen oder schlucken konnte. Sie kroch mir die Kehle rauf.
“Lass mich in Ruhe!”, rief ich und riss die Tür auf. Irritiert betrachtete er mich. “Ein für alle Mal!”
Ich drängte mich an ihm vorbei, da riss er mich aber zurück. Leider prallte ich an seinen Brustkorb. Der Geruch seiner Lederjacke stieg mir in die Nase.
“Nein, ich lasse dich nicht in Ruhe. Du bist gewohnt, dass keiner sich um dich kümmert. Ich bin jetzt da. Du musst mich nicht zurück!”
“Du bist da?”, wiederholte ich ihn bissig und sah zu ihm auf. “Du wolltest nur Informationen von mir! Dazu, hast du meine Schwangerschaft verkündet und als Spitze küsst du mich in dem Schrank! Mich, deine Cousine! Schämst du dich nicht, mich auszunutzen, nur weil ich -”
“Stopp!”, unterbrach er mich und spannte sich an. “Du hast mich geküsst! Werf mir niemals vor, ich würde eine Frau ausnutzen oder mir etwas nehmen, was sie nicht bereit ist zu geben! So ein Bastard bin ich nicht!”
“Gut! Ich gehe trotzdem!” Ich drehte mich um, da umlief er mich und stellte sich mir in den Weg. Ein dämliches Grinsen lag auf seinen Lippen.
“Deine Hormone sind echt abgefuckt. Weißt du das?”
“Meine Hormone? Ich will nach Hause!”
“Willst du nicht.” Seine Stimme wurde ruhiger. Auch das Lächeln verschwand. Er zeigte sich ernst, was wirklich selten bei ihm vorkam. “Du hast Angst. Ich verstehe das und kenne das Gefühl. Das Gefühl, man müsste etwas gegen den Willen tun, nur um einer grausamen Bestrafung aus dem Weg zu gehen. Du musst aber nicht mehr zurück. Weder heute, noch morgen, noch in diesem Leben. Es wird keine Strafe mehr folgen. Er wird nicht an mir vorbeikommen, wenn du es nicht zulässt.”
Tränen sammelten sich in meinen Augen.
“Er wird dich umbringen, Jace. Alleine dafür, dass ich jetzt bei dir bin.”
“Nein, Riley”, flüsterte Jace und fing eine Träne mit seinem Finger auf, die über meine Wange herab rollte. “Du siehst ihn so. Durch deine Angst ist er in deinen Augen ein Monster. Deine Panik macht ihn für dich unbesiegbar. Aber das ist er nicht. Vertrau mir, bitte. Lass uns noch ein paar Stunden hier bleiben und dann fahren wir in ein Motel.”
“Aber-”
“Ivy?”, rief Jace und schon kam sie grinsend auf uns zu. “Kannst du Riley davon erzählen, wie wir deinen Stiefvater terrorisiert haben, bis er seine Finger von dir gelassen hat. Immerhin war er Soldat. Man sollte meinen, er wäre ein harter Kerl.”
Schockiert sah ich zu Jace auf. Dass er mir ihre Geschichte so beiläufig vor die Füße warf, kam mir falsch vor. Ivy schien es jedoch locker zu nehmen. Ihr Blick traf auf meinen und sie lächelte noch breiter als zuvor.
“Ist auch unmöglich, eine Minderjährige zu missbrauchen, wenn man im Rollstuhl sitzt, oder?”
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