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Erstarrt vor Angst blickte ich in die Finsternis, die sich vor mir erstreckte. Zum ersten Mal in meinem Leben, fiel mir auf, welch Freiheit in der Nacht lag. Zwischen den finsteren Bäumen wirkte alles unendlich weit. Es gab in dem tiefen schwarz kein Ende und keinen Anfang.
Die Hand meines Angreifers lag immer noch fest auf meinen Lippen. Mein Körper an seinem zitterte. Er spürte meine Angst. Spürte sie und zehrte davon. Er ließ sich Zeit damit, mich zu quälen. Brachte mein Herz dazu, sich vor Panik schmerzhaft zusammenzuziehen. Erinnerungen zogen in meinem Verstand vorbei. Bilder, von denen ich nicht mal mehr wusste, dass sie in meinem Unterbewusstsein existierten. Es waren kurze Momentaufnahmen meines Lebens, das mir täglich so grausam erschien - von dem ich trotzdem nicht wollte, das es in dieser Nacht enden würde.
Ich ließ den Wald los und konzentriere mich auf mein Spiegelbild, welches mir im Fenster entgegen starrte. Der Angreifer verbarg sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske. Es versteckte sich gut. Ich konnte seine Augen in dieser Dunkelheit nicht ausmachen, ganz egal wie sehr ich mich anstrengte.
Meine Hände ballten sich zitternd zu Fäusten. Ich wusste, ich musste mich wehren. Auch wenn ich Angst hatte, bei der noch so kleinsten Bewegung sterben zu müssen. Doch gab es eine Alternative für mich? Nein. Ich musste es versuchen und darauf hoffen, dass mein Ehemann mich hören würde.
Mit geschlossenen Augen atmete ich mehrere Male tief durch meine Nase ein. Ich nahm die Tränen wahr, die langsam über meine Wangen bis auf seine Hand herabliefen. Mir fiel sein Geruch auf. Holzig. Nicht außergewöhnlich. Ein Duft der nicht gut genug war, um aus der Masse herauszustechen. Ich würde in mir trotzdem einprägen.
Als ich mich bereit fühlte, die sicher größte Dummheit meines Lebens zu tun, verlagerte ich mein Gewicht auf mein rechtes Bein. Ich konzentriere mich auf seine Atmung. Die feinen Luftzüge, die er in meinen Nacken hauchte. Seine Nähe widerte mich an. Ließ eine unangenehme Gänsehaut entstehen, die ich nie vergessen würde.
Dann öffnete ich wieder meine Augen. Bereit dazu, mich ihm zu stellen. Hektisch, zu schnell, als das er es wahrnehmen konnte, drückte ich mein gesamtes Gewicht nach hinten. Er hielt mir stand, doch für einen Moment, nahm er seine Hand von meinem Mund. Meine einzige Chance...
“Daxton!”, schrie ich so laut, wie es meiner trockenen Kehle möglich war. “Daxton!” Mehrere Male brüllte ich seinen Namen durch die Dunkelheit des Hauses, ehe mein Angreifer sich sammelte und mir erneut seine Hand auf den Mund presste.
“Shhht”, hauchte er mir ins Ohr und riss mich herum, sodass wir mit den Rücken zum Fenster standen. Ich zappelte und versuchte mich selbst zu retten, doch ich erlag ihm. Mein Körper hatte gegen seinen keine Chance.
“Hey!” Mit großen Augen starrte ich in den Flur vor mir. Ich erkannte Daxton, der eine Pistole genau auf den Angreifer hinter mir richtete. Er starrte mich an, als würde ich nur noch ein Geist sein, kam dann aber einen Schritt näher. Sofort reagierte der Mann hinter mir. Seine Hand um meine Lippen drückte fester zu, während ich plötzlich etwas kaltes, scharfes an meinem Hals wahrnahm. Mein Herz nahm einen ungesunden Rhythmus an und ich streckte zitternd meine Hand nach Daxton aus. “Nimm sofort das Messer runter!”
Daxton zielte weiterhin auf ihn, doch dieser Unbekannte benutzte mich als Schutzschild. Es gab kein freies Schussfeld, ohne mich in Gefahr zu bringen. Das wusste ich, und das wusste auch Daxton, der seinen Blick auf mich wandte, doch seine Haltung nicht aufgab.
“Alles wird gut!”, versprach er mir. Dabei hörte ich seine Stimme zittern. Genau das brachte mir erneute Tränen. Würde er sich sicher darüber sein, würde seine Stimme nicht beben. “Riley, sieh mich an.”
Durch meinem Tränenschleier hindurch blickte ich ihm genau in die Augen. Er nickte kaum merklich. “Alles wird gut. Hast du verstanden?"
Ich nickte und schluchzte in die Hand meines Angreifers. Gequälte Laute entkamen meiner Kehle, in denen ich mich selbst nicht mehr erkannte.
“Nimm das scheiß Messer runter! Du bist wegen mir hier!” Daxton entsicherte seine Pistole. “Lass - sie - gehen!”
Ich sah ihn zwar hinter mir nicht, doch es brachte mich erneut zum Schluchzen, als ich spürte, wie der Angreifer den Kopf schüttelte. Ich wollte so vieles sagen, was mir durch seine Hand verwehrt blieb. Konnte keinen Gedanken mehr ordnen. Alles in mir glich einem unaufhaltsamen Tornado und egal was ich tun würde, es würde nur Schutt und Asche übrig bleiben.
Als das Messer an meinem Hals plötzlich enger an meine Haut gedrückt wurde, wimmerte ich und sah zu, wie Daxton seine Augen geschockt weitete und ohne zu zögern seine Hände hochnahm.
“Stop!”, brüllte er wütend. “Hier! Ich lege die Waffe weg!” Er beugte sich herunter und legte sie auf den Boden, um sich langsam wieder aufzurichten. “Lass sie jetzt gehen!”
Der Druck an meinem Hals nahm ab. Ich spürte ihn nicht mehr und nahm gleichzeitig erleichtert war, dass der Mann seinen Arm sinken ließ. Daxton starrte mir die gesamte Zeit über tief in meine Augen. Da waren so viele Emotionen, die in seinem Ausdruck gefangen aufeinander prallten. Wut. Zorn. Trauer und Panik. Ich fühlte mich wie benebelt.
Daxton schubste mit dem Fuß die Pistole zur Seite. Ich sah kurz herab und atmete tief durch, als mein Mund endlich freigegeben wurde.
“Riley! Komm langsam zu mir.” Daxton stand sicher 4 Meter entfernt von mir. Er streckte seine Hand aus. Blickte angespannt an mir vorbei. Ich setzte einen Fuß panisch nach vorne und wollte gerade losrennen, da riss ich jedoch meine Augen weit auf. “Nein!”
Ein Schmerz, heiß und stechend, durchzog meine Seite. Geschockt wandte ich meinen Blick nach unten und erkannte das Messer, welches der Mann gerade aus meiner Haut zog. Blut lief aus meiner Wunde. Erst nur langsam, als würde mein Körper es nicht loslassen wollen. Dann jedoch umgab mich im nächsten Moment eisige Kälte.
“Daxton…”, flüsterte ich und kippte beinahe seitlich um. Ich hielt mich auf meinen wackeligen Beinen und drückte meine Hand auf die Seite.
Der Unbekannte flüchtete zum Fenster. Er brauchte lange genug, sodass Daxton ihn hätte erwischen können. Dieser eilte jedoch sofort zu mir, um mich mit seinen Armen aufzufangen.
“Atme! Atme ganz ruhig!” Er legte mich vorsichtig auf dem Boden ab und erhob sich anschließend, um in den Flur zu verschwinden. Alles in mir schmerzte, als hätte das Messer jeden Millimeter meines Körpers zerfetzt. Ich umfasste meinen Brustkorb und empfand kein einzig gutes Gefühl mehr. Es war also all das Gute, dass einem beim Anblick des Todes genommen wurde. Es blieb nur Kälte zurück.
Mein Kopf drehte sich zur Seite. Daxton kam mit einem Handy am Ohr zu mir zurück gerannt. Mit einem weißem Tuch in seiner Hand kniete er sich neben mich, um anschließend sein Handy fallen zu lassen.
“Hilfe kommt! Sie sind gleich da!” Ununterbrochen lagen seine Augen auf meinen und zum ersten Mal sah ich den Mann weinen, den ich schon so lange kannte.
Meine Lippen zitterten. Mein Kreislauf sackte zusammen. Alles um mich herum drohte in Dunkelheit zu versinken. Daxton ließ es jedoch nicht zu, dass ich mich dieser hingab. Es war verlockend. Das Gefühl aufzugeben. Alles wirkte so friedlich und ruhig. Nicht zu vergleichen damit, wie schwer sich jeder Tag anfühlte.
“Riley!”, hörte ich Daxton, der meine Wangen umfasste, sodass ich kraftlos in sein Gesicht aufsah. “Ich erlaube dir nicht zu gehen! Hörst du mich! Ich lasse dich nicht los!” Er nahm eine Hand wieder von meiner Wange und drückte mir das Handtuch auf die Seite. Von dem Schmerz überwältigt zuckte mein gesamter Körper. Ich wollte schreien, fühlte mich aber zu schwach dafür. “Du wirst mich nicht verlassen. Du wirst mich nicht alleine lassen!”
Daxton zog mich enger an sich. Mein Kopf lag an seinem Bauch. Ich spürte sein Zittern. Hörte sein Herz laut klopfen. Sein Geruch nahm mich ein und erneut wollte ich meine Augen schließen, um dieser Kälte zu entkommen.
“Hilfe ist gleich da… Du schaffst das… Du musst es schaffen…”
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