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Alleine saß ich auf einem der Stühle im Wartezimmer des Krankenhauses. Mein Kinn auf meine Hände abgestützt, starrte ich ins Leere. Gedanken flogen mir durch den Kopf. Zu schnell, um einen fassen zu können. Ich fühlte mich wie unter Wasser. Als würde ich etwas greifen wollen und doch war ich zu langsam. Vielleicht hatte ich nun wirklich einen psychischen Knacks, der auf ewig an mir haften würde.
“Oh - Riley! Was ist passiert?!” Mein Gesicht zur Seite gedreht, erkannte ich einige Männer in Polizeiuniformen. Zwei von ihnen kannte ich persönlich. Caleb und Jimmy. Die anderen nur flüchtig vom Sehen. Den Geruch nach Desinfektion inhalierend, erhob ich mich nur mühsam.
“Ein Unbekannter ist über ihn hergefallen”, erklärte ich Caleb, der mich sofort in seine Arme schloss. Wir hatten keine Bindung zueinander, außer dass wir uns ab und zu begegneten, wenn er Daxton besuchte oder ich aufs Revier kam. Seine Nähe überforderte mich, sodass ich ihn leicht von mir drückte. Mit einem besorgten Ausdruck fuhr er sich durch die hellblonden Haare, an denen man vorne Geheimratsecken erkennen konnte.
“Ich weiß, wie schwer das alles sicher für dich sein muss - aber hast du irgendwas gesehen? Sein Gesicht? Seine Kleidung? Irgendwelche Anhaltspunkte?”
“Nein”, gab ich ohne zu zögern von mir und wandte meinen Blick zu Jimmy. Er war etwas älter. Mitte 40. Trug seinen Schnauzer, als wäre er aufgeklebt. “Es war dunkel und ging alles so schnell. Ich habe überhaupt nichts erkannt.”
Sie nickten beide und sahen sich kurz an. Vermutlich glaubten sie mir nicht, doch das es Jace war, würde ich ihnen nicht offenbaren. Nicht, nachdem er mir vermutlich das Leben gerettet hatte und ich noch einen Gefallen von ihm einfordern wollte. Dann nahm Caleb mich als Erster wieder nachdenklich ins Visier. Seine Stirn zog Falten, während er seine Augen zusätzlich verengte.
“Warum wart ihr in dem Wald?” Für eine Millisekunde erstarrte ich, doch Daxton würde sowieso die Wahrheit erzählen. Ich entschied mich alles plausibel genug zu erklären, damit sie mich in Ruhe lassen würden.
“Ich wurde bereits vor einigen Tagen verfolgt und ich hatte heute wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Daxton kam zum Restaurant, um mich abzuholen, da hörten wir ein Geräusch. Er wollte nachsehen. Als er nicht zurückkam, bin ich ihm hinterher.”
“Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, uns zu rufen?” Jimmy durchbohrte mich mit seinen dunklen Augen. Ich zuckte nervös mit den Schultern, da kam zu meiner Erleichterung ein Arzt auf uns zu, der dieses unangenehme Verhör unterbrach.
“Mrs. Chambers?”, wandte er sich an mich, da nickte ich und hörte ihm aufmerksam zu. “Ihr Mann hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und eine geprellte Rippe. Wir werden ihn über Nacht hier behalten und morgen weitersehen. Es besteht kein Grund zur Sorge.”
“Können wir zu ihm?” Diese Frage hätte eigentlich von mir kommen müssen, doch Caleb stellte sich an meine Seite, um den Arzt auffordernd zu mustern. Ich wollte gar nicht zu ihm und holte tief Luft.
“Ich werde nach Hause fahren. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden.” Mir war bewusst, wie kalt und desinteressiert ich auf allesamt wirkte. Welche Ehefrau würde gehen, wenn ihr Mann sie am meisten brauchte? Sicher keine … Sie waren allerdings auch mit Männern verheiratet, die sie nicht fast bei einem Blowjob erstickt hätten.
Ohne mich nochmal umzudrehen, lief ich den breiten Gang entlang, um am Aufzug angekommen den Kopf zu drücken. Ungeduldig tapste ich von einem Fuß auf den anderen, bis ich jemanden hinter mir hörte. Sein Blick brannte sich in meinen Rücken. Eindringlich und voller Skepsis.
“Wieso wurdest du nicht angegriffen?” Ich drehte mich gar nicht erst zu Jimmy herum. Weiterhin lagen meine Augen auf den Türen des Aufzugs. “Ich meine, wenn du verfolgt wurdest, wie du behauptest … wieso trifft es dann nur Daxton?”
“Ich weiß es nicht!” Überfordert biss ich auf meine Unterlippe, während ich versuchte ruhig zu bleiben. Mein Herzschlag beschleunigte sich, je länger Jimmy hinter mir verweilte. Erst, als der Aufzug piepste, drehte ich mich zu ihm herum. “Frag Daxton, wenn du mir nicht glaubst.”
Mit schnellen Schritten lief ich in den Aufzug, woraufhin Jimmy mich weiterhin ausdrucklos beobachtete. Ich hielt seinem Blick stand. Gab mir Mühe, ruhig und entspannt zu wirken. Er wartete sicher auf das kleinste Anzeichen von Schwäche. Doch ich ließ mir nichts anmerken.
“Das werde ich”, sprach er, während die Türen sich schlossen. Es klang wie eine Drohung. Ich hatte gerade einen Polizisten belogen. Sogar mehrere. Doch es war das Richtige. Als der Aufzug unten ankam, durchquerte ich den spärlich eingerichteten Eingangsbereich und trat hinaus in die Dunkelheit.
Eiskalter Wind wehte umher. Einige Taxis standen am Rand der kreisförmigen Einfahrt. Ich erkannte einen Rettungswagen mit Blaulicht, der an der Seite parkte. Die Lichter erhellten die sonst so dunkle Nacht.
Mit dem Blick zur Straße gewandt, entschied ich mich nach Hause zu laufen. Ich brauchte frische Luft. Brauchte Zeit, Geschehenes zu verarbeiten. Dieses Gefühl zu sterben nagte an mir. Zerstörte mich innerlich. Doch umso länger ich darüber nachdachte, umso klarer wurde eine Erkenntnis …
Daxton wollte mich nur bestrafen. Er würde mich niemals töten. Seine kranke Besessenheit mir gegenüber würde nicht zulassen, mich zu beseitigen. So krank es klang, aber es erleichterte mir das Atmen, diese Tatsache in meinem Verstand zu festigen.
Während ich die leere Straße entlang lief, dachte ich auch darüber nach, wer sich hinter meinem Schatten befand. Natürlich dachte ich des Öfteren, Daxton selbst könnte dahinter stecken. Mittlerweile wusste ich gar nichts mehr und erwischte mich dabei, wie ich sogar Jace diesen Schuh anziehen wollte. Er hatte mich zwar vor Daxton gerettet, doch er könnte trotzdem ein kranker Soziopath sein. Was wusste ich schon über ihn? Rein gar nichts.
Nach einer guten Viertelstunde, kam ich vor der Villa an. Der Pförtner öffnete mir das Tor, jedoch verharrte ich auf dem Bürgersteig, als mein Handy klingelte. Ich nahm es aus der Tasche meines Mantels. Unbekannt.
Für einen kurzen Moment lähmte mich die Angst davor, wer sich wohl am anderen Ende der Leitung befand. Ich starrte auf das Licht meines Displays. Spürte das Vibrieren in meiner Hand. Strähnen meiner Haare wehten vor meinen Augen vorbei. Die kalte Nacht umhüllte mich. Meine Neugier besiegte schließlich meine Angst. Ich atmete tief durch und nahm den Anruf entgegen.
“Ja?”
Stille… absolut unangenehme Stille. Ganz leise nahm ich plötzlich wahr, dass derjenige ebenso tief durchatmete.
“Sieht so aus, als würde ich etwas bei dir gut haben.”
“Jace?”, flüsterte ich. Meine Stimme wurde vom Wind in die Nacht getragen.
“Ich hab dir Zeit verschafft. Finde du jetzt raus, was die Polizei verschweigt. Wir treffen uns morgen.”
“Warte!”, entkam es mir, da hörte ich aber nur noch das Auflege-Geräusch aus meinem Handy ertönen. Fassungslos ließ ich meine Hand sinken und hob mein Kinn an, um die von Finsternis eingehüllte Villa zu betrachten. Das Krächzen eines Raben hallte durch die Bäume. Eine Gänsehaut zog über meine Arme.
Wo sollte ich nur anfangen?
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Der nächste Morgen begann für mich wie jeder andere, außer, dass Daxton sich nicht im Haus aufhielt. Nachdem ich mich fertig gemacht und angezogen hatte, suchte ich den Essbereich auf. Amy bereitete das Frühstück zu, bis sie mich irritiert betrachtete.
“Entschuldigen Sie, aber wo ist Daxton?” Sie schien mehr als besorgt zu sein. Ihre nervöse Haltung verriet sie. Für einen kurzen Augenblick betrachtete ich ihre dunklen hochgesteckten Haare, bis ich daraufhin desinteressiert meine Schultern hochzog.
“Er ist nicht da. Aber keine Sorge, liebste Amy. Es wird sich gut um ihn gekümmert.” Ich wusste genau, wie wütend sie auf mich wurde. Alleine schon, weil ich ihr nicht die Wahrheit sagte. Immerhin stand sie auf Daxton, seit sie bei uns anfing. Und das, obwohl sie meine Schreie oft genug hörte. Sie nutzte trotzdem jede Chance, ihm nah zu kommen. Doch ich war nicht deswegen sauer auf sie. Ich hasste es lediglich, dass sie mich ständig überwachte, sobald er das Haus verließ. Wahrscheinlich hoffte sie mich loszuwerden, in dem sie mich bei irgendwelchen hinterhältigen Sachen erwischte. Bis jetzt hielt ich mich aber so gut es ging an Daxtons Regeln. Nur heute musste ich in sein Büro und somit, musste ich Amy zuerst loswerden. “Weißt du was?”
Sie schenkte mir gerade Kaffee in meine Tasse ein, während ich Platz nahm und meine rote Bluse zurecht rückte. Neugierig wartete sie, dass ich weitersprechen würde.
“Du kannst gerne zu Daxton ins Krankenhaus fahren. Er braucht frische Kleidung und durch die Ereignisse von gestern Abend, würde ich nur ungerne das Haus verlassen.”
“Aber natürlich!”, erwiderte sie mir, woraufhin ich zur Tür zeigte.
“Seine Tasche befindet sich unten im Schrank. Pack bitte Kleidung für heute und seine Zahnbürste ein.” Sie nickte und verschwand. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Vielleicht würde ich Jace heute schon helfen können und dann würde ich ihn dazu bringen, mir dabei behilflich zu sein, meinen Schatten zu entlarven. Alles würde gut werden. Ohne meinen Stalker, hätte ich auch keine Angst mehr alleine zu leben.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Amy wieder in den Essbereich kam. Ich hatte bereits in Ruhe zu Ende gefrühstückt und spielte auf meinem Handy.
“Ich bin in einer Stunde wieder da und räume dann den Tisch ab.”
“Danke”, gab ich ihr zurück, ohne sie zu beachten. Als ich dann ihre Schritte im Flur hörte und kurz darauf die Haustür, erhob ich mich eilig vom Tisch, um zu einem der Fenster zu laufen. Sie fuhr mit ihrem Privatwagen. Ein kleines, altes Auto, dessen pinke Farbe überhaupt nicht zu dem grauen Himmel passte. Die roten Rücklichter verschwanden im Nebel und schon raste ich die Treppen nach oben.
Daxtons Schlüssel musste sich einfach irgendwo im Haus befinden. Er hatte ihn nicht an dem Bund, an dem sich Haus- und Autoschlüssel befanden. Und ich glaubte kaum, dass er beide immer mit sich führen würde. Vielleicht gab es auch einen Ersatzschlüssel.
Im Schlafzimmer angekommen, durchwühlte ich hektisch seine Seite des Schranks. Ich durchsuchte seine Boxershorts. Steckte meine Hände zwischen den Stapeln an Klamotten durch. Sogar seine Socken rupfte ich auseinander. Jedoch keine Spur.
Als nächstes suchte ich eilig seinen Nachttisch auf. In der unteren Schublade befanden sich nur Sexspielzeuge und Gleitgel. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Schnell drückte ich sie wieder zu und riss die Obere auf. Doch auch dort lagen nur unwichtige Utensilien.
Mein Blick fiel zur Matratze neben mir. Ich ging auf die Knie und hob sie etwas. Dann erstarrte ich, als ich zwar keinen Schlüssel, jedoch einen braunen, großen Briefumschlag entdeckte. Mein Brustkorb spannte sich an. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Zog mit zitternden Händen den Umschlag zwischen Lattenrost und Matratze raus. Meine Fingerspitzen kribbelten vor Neugier.
Mit angehaltenem Atem öffnete ich den Umschlag und spähte mit einem Auge hinein. Sofort stieß ich die angesammelte Luft über meine Unterlippe aus, um gleichzeitig die Fotos aus dem Umschlag zu ziehen.
Es waren so viele Bilder von mir, dass ich vollkommen überfordert jedes Einzelne betrachtete. Ich wirkte auf vielen dieser Fotos glücklich. Auf einigen war ich noch klein. Höchstens 13 oder 14. Daxton musste sie heimlich gemacht haben, denn ich konnte mich an keines erinnern.
Als mir eines aus der Hand fiel, dass mich mit einem Bikini und Zara am Bach zeigte, fiel mir auf, dass auf der Rückseite etwas geschrieben stand.
16.08
Du hast mir heute zum ersten Mal gesagt, wie gerne du mich um dich hast. Es fällt mir nicht leicht, all die anderen Jungs von dir fernzuhalten, doch ich werde niemals damit aufhören.
“Er ist schon immer so gewesen”, flüsterte ich und sah mir die ganzen anderen Fotos an.
19.10
Heute hast du geweint und wolltest nicht mit mir darüber reden. Ich verspreche, irgendwann werde ich der Einzige sein, dem du dich anvertrauen kannst.
24.11
Dein Lächeln ist mein Sieg.
06.03
Ich hab dem Kerl die Nase gebrochen, der sich über deinen Pullover lustig gemacht hat.
17.05
Heute hattest du ein Date. Zumindest wolltest du es, bis ich dem Typen die Reifen zerstochen habe. Ich hasse den Gedanken, deine Aufmerksamkeit teilen zu müssen, jedoch habe ich dich bald für immer an meiner Seite.
Die Bilder fielen auf den weißen Teppich, während ich mir erst über das Ausmaß seiner Liebe zu mir klar wurde. Ich wusste, dass er sich ziemlich schnell in mich verliebt hatte. Irgendwie wussten es alle. Ständig umgab er mich. Ich war die erste, die er in der Pause suchte und auch die Einzige, die er immer nach Hause begleitete. Ich hatte allerdings erst mit 17 wirkliches Interesse auf der Ebene einer Beziehung wahrgenommen. Er führte mich aus. Behandelte mich wie eine Prinzessin. Es gab so viele Abende, die wir lachend in seinem Auto verbrachten. Gemeinsam vor dem Kamin. Er hörte mir zu, als ich Probleme hatte. Las mir abends aus meinen Büchern vor, wenn ich nicht schlafen konnte.
Je länger ich mich an diesen Daxton erinnerte, desto weniger verstand ich, wieso er sich so verändert hatte. Was war der Auslöser davon? Ich begriff es einfach nicht und fing mit Wut im Bauch und Tränen in den Augen damit an, all diese Bilder wieder in der Dunkelheit zu verstecken.
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