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Zurück am Tisch, versuchte ich Jace Blicken durchgehend auszuweichen. Nie fühlte sich etwas unangenehmer an, als mich vor jemand Fremden so gehen zu lassen. Ich bekam das Bild nicht aus dem Kopf, wie ich stöhnend an seinem Hemd riss. Dazu seine Augen, die mich in Besitz nahmen. Unangenehm und absolut verwerflich kamen mir meine Gedanken vor. 

“Du siehst ganz blass aus, Schatz”, warf meine Mutter ein, nachdem ich in meinem Reis rumstocherte und keinen Bissen runter bekam. Als ich daraufhin zu ihr sehen wollte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass Jace mich musterte. Hitze stieg in meine Wangen. Mein Puls raste vor Scham. Keine Sekunde länger konnte ich mich dazu zwingen, an diesem Tisch sitzen zu bleiben.

“Ich fühle mich auch krank”, erklärte ich mit heiserer Stimme und erhob mich dabei. Mein Vater richtete sofort seine Aufmerksamkeit auf mich und stand ebenfalls auf. 

“Soll ich dich-”

“Nein”, unterbrach ich ihn lächelnd und legte dabei meine Hand auf seinen Arm. “Genießt den Abend. Ich rufe Daxton an.”

Ein Schnauben ertönte hinter mir. Fassungslos drehte ich mich zu Jace, der ein Grinsen auf den Lippen liegen hatte und an seinem Glas nippte. Wäre ich nicht auf seinem Bein zum Orgasmus gekommen und davon immer noch außer mir, würde ich ihn fragen, ob er ein Problem hätte. Ich ließ es aber bleiben, nahm meinen Mantel und wünschte allen noch einen schönen Abend. 

Auf dem Weg zum Ausgang zog ich mir den Mantel über und trat anschließend raus in die regnerische Dunkelheit. Den Schirm hatte ich vergessen, doch es war mir egal. Lieber würde ich den Regen auf meiner Kleidung willkommen heißen, als mich noch mal Jace zu stellen. An der Seite des Restaurants, zwischen Parkplatz und Wald, gab es ein kleines Dach zum Unterstellen. Ich begab mich dorthin und nahm mein Handy zur Hand. Bevor ich allerdings Daxton anrief, erkannte ich die Nachricht einer Nummer, die ich nicht eingespeichert hatte.

Denkst du, weil du meine Briefe nicht liest, werden die Worte darin nicht wahr? Denkst du, du könntest mir ausweichen?

Erschrocken starrte ich die Nachricht an. Dabei hörte ich um mich herum nur den Regen, der unaufhörlich auf den Asphalt prasselte. Da mich das Gefühl einnahm, beobachtet zu werden, drehte ich mich um und sah mir meine Umgebung an. Niemand war unterwegs. Es gab nur mich und die leisen Stimmen der Gäste, die durch die dünnen Fenster hallten. Dann empfing ich noch eine Nachricht.

Du wirst mich in dieser Dunkelheit nicht erkennen. Lass mich aber zusehen, welch Emotionen meine Fantasien in deinem Kopf auslösen. Zeig mir, wie sehr du mich willst. 

Und da wurde mir schlagartig klar, dass er mich wirklich in diesem Moment anstarrte. Er war hier. Ganz in der Nähe. Unkontrolliert fingen meine Hände an zu zittern. Ich traute mich nicht, von dem Display aufzusehen. Immer weiter starrte ich mit flacher Atmung auf seine Nachricht, während der Wind sich mit dem Regen vermischte. Der Geruch von nasser Erde stieg in meine Nase. 

Es kam mir vor, als würde ich Stunden hier stehen. Stunden, die mich innerlich an meine Grenzen brachten. Ich wollte vor Wut schreien, vor Angst weinen und von Panik eingenommen weglaufen. Ich tat nichts davon. Stand nur da und steckte mein Handy in die Tasche des Mantels, um anschließend den Brief rauszuholen.

Unter Herzrasen faltete ich ihn auf. Das warme Licht, welches an der Fassade des Restaurants hing, gab mir genug Aussicht auf die Buchstaben. Ehe ich jedoch ein Wort davon las, wandte ich meinen Blick instinktiv zum Wald neben mir. Nur Dunkelheit offenbarte sich mir. Nichts und niemand würde es mitbekommen, würde dieses kranke Schwein mich jetzt entführen. Wieso aber tat er es nicht? Wieso zeigte er sich nicht? 

Weil er es gar nicht wollte… 

Zumindest jetzt noch nicht…

Dieser Gedanke verfestigte sich in mir und ich wusste nicht warum, aber ich war zum ersten Mal bereit, mich gegen dieses Arschloch zu wehren. Wenn schon mein Ehemann alles in mir einnahm und selbst die Luft die ich atmete bestimmte, dann würde ich garantiert nicht zulassen, dass noch ein zweiter Mann von meiner Seele Besitz nahm.

Ohne Ausdruck starrte ich weiterhin zum Wald, während ich genüsslich damit anfing, den Brief in alle Einzelteile zu zerreißen. Ich gab mir die größte Mühe, alles in kleine Fetzen zu verwandeln. Kein Mensch würde die Wörter noch lesen können, wenn man sie erneut zusammensetzen würde. Als ich fertig damit war, lief ich einige Schritte auf den Wald zu und warf die einzelnen Schnipsel vor mir zu Boden. Sie wurden vom Regen weggespült. Nichts blieb übrig, außer meinem festen Herzschlag und dem Gefühl, einmal in meinem Leben gewonnen zu haben. Ich richtete mit gehobenem Kinn meinen Mantel. Wischte mir anschließend die nassen Strähnen aus dem Gesicht und drehte mich wieder zum Parkplatz. Kaum unter dem kleinen Vordach angekommen, wählte ich Daxtons Nummer. Ich wartete ungeduldig und spähte immer wieder über meine Schulter, doch er ging nicht dran.

“Wo bist du nur …”, murmelte ich und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Erneut rief ich ihn an, doch wieder nichts. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in mir aus. Erst Recht, als ich plötzlich hinter mir einen Ast knacken hörte. Mit verengten Augen suchte ich den Waldrand ab, doch ich erkannte nichts. Gar nichts. Nur tiefes Schwarz. Länger würde ich meinen Mut allerdings nicht halten können und schnell lief ich um die Ecke wieder zum Eingang des Restaurants. Als ich die Klinke bereits zwischen den Fingern hatte, hörte ich aber ein Auto hinter mir. Neugierig drehte ich mich um und erkannte Daxton. 

Schon merkwürdig, dass ich vor Stunden noch vor ihm geflohen war und jetzt pure Dankbarkeit empfand, ihn zu sehen. Natürlich verurteilte ich mich dafür, doch meine Erleichterung überschattete meinen Selbsthass. Daxton stieg aus dem Wagen und kam mit den Augen auf meine gewandt zu mir gelaufen. An meinem blassen Gesichtsausdruck konnte er lesen, dass etwas nicht stimmte. Seine Schritte beschleunigten sich und er umfasste meine Wange behutsam, als er genau vor mir zum Stehen kam.

“Was ist-”

“Ich glaube, ich werde verrückt, Daxton!”, offenbarte ich mich ihm und deutete mit den Augen zur Ecke des Restaurants. Ich hatte nicht vor, ihm die Briefe und Nachrichten zu zeigen, doch ich konnte nicht damit umgehen, dass mir jemand so nahe kam. Es fühlte sich beängstigend ein und ich bereute, meinen Schatten provoziert zu haben. “Da war jemand im Wald! Irgendjemand hat-”

“Setz dich ins Auto und verriegel die Tür”, wies Daxton mich an und nahm seine Waffe zur Hand. Ich nickte und wollte wirklich zum Wagen laufen, doch ich entschied mich um und folgte ihm. Als ich um die Ecke schlich, bemerkte Daxton mich hinter sich. “Riley! Du sollst ins Auto!”

“Nein!”, widersetze ich mich ihm. “Ich bleibe genau hier stehen. Ich verspreche es! Aber ich will dich im Auge behalten.”

“Hast du etwa Angst um mich?”, fragte er plötzlich mit einem Lächeln, da hörte ich aber erneut etwas rascheln. Auch Daxton hörte es und stellte sich schützend vor mich. Seine Hand schoss nach hinten, um sie fest um meine Hüfte zu legen. Er drückte mich an seinen Rücken, während er den Lauf seiner Waffe auf den dunklen Wald richtete. Es klang absurd, doch mit Daxton vor mir fühlte ich mich in diesem Moment unbesiegbar. Niemals würde er zulassen, dass jemand mir weh tun würde - niemand, außer er selbst…

“Ich gehe nachsehen. Du bleibst genau hier stehen und falls du mich nicht mehr siehst, läufst du sofort ins Restaurant. Du kommst mir nicht nach, Riley!”

“Bist du wahnsinnig!?” Panik überkam mich, allein beim Gedanken, dass Daxton aus meinem Sichtfeld verschwinden würde. Ich umfasste seine Schulter und drehte ihn zu mir, um flehend in seine blauen Augen zu blicken. “Bitte lass uns gehen!”

“Beruhige dich”, sprach er zu mir herab. “Ich bin sofort wieder da.”

“Daxton!”, zischte ich, doch er gab mir einen Kuss auf meine Stirn und lief anschließend mit gezogener Waffe vor mir auf den Wald zu.

“Komm raus oder ich reiße dir den Arsch auf!”, hörte ich ihn wütend fluchen und hatte dabei immer mehr Probleme, ihn in der Dunkelheit noch erkennen zu können. Sein schwarzer Mantel passte sich der Umgebung an. Der Regen raschelte durch die Baumkronen. Ich lauschte meinem eigenen Atem und kaum, dass Daxton nicht mehr zu sehen war, lief ich einige Schritte vor. 

“Daxton!?”, rief ich und hielt den Atem an, um auf seine Antwort zu warten. Es kam allerdings keine. “Daxton!”, setzte ich überfordert nach und schluckte schwer, als erneut nur Stille zurückblieb. Überfordert begann ich damit, hin und her zu laufen. Ich überlegte die Polizei zu rufen, doch sie würden zu lange brauchen. Mein Vater allerdings war ein guter Jäger. Ich entschloss mich ihn zu holen.

Mit schnellen Schritten rannte ich um die Ecke und erkannte am Eingang stehend Jace, der sich eine Zigarette anzündente. Ich neigte meinen Kopf nach unten und wollte an ihm vorbei zum Eingang, da hielt er mich am Arm fest. 

“Wolltest du nicht nach Hause fahren?”, fragte er irrtiert über mein Auftauchen, doch ich hörte ihm kaum zu und wandte mich an ihm vorbei zur Tür. 

“Ich brauche meinen Vater.”

“Die sind gerade weg.”

Mit großen Augen nahm ich Jace ins Visier. Ich hob mein Kinn an und sah nur noch ihn als Hilfe.

“Du musst in den Wald”, forderte ich, da runzelte er seine Stirn und schnipste seine Zigarette weg.

“Du musst mir erstmal eine neue Hose kaufen”, gab er mir schließlich mit einem frechen Grinsen zurück, da er sicher den Ernst der Lage nicht erkannte.

“Jace! Da war jemand, der mich beobachtet hat! Jetzt ist Daxton weg und-”

“Und du willst, dass ich ihn suche?”, erwiderte er mir und kam einen Schritt auf mich zu, um mit einem überheblichen Ausdruck zu mir herabzusehen. “Sei dankbar. Vielleicht bist du den Typen bald los. Manches klärt sich von alleine.”

Arschloch!

“Ich helfe dir, und das ist dann der Dank dafür?”

“Du hilfst mir?”, setzte er an und hob seine Augenbrauen. “Mit Informationen, die ich selbst schon habe?”

“Wusstest du, dass du mir nur Ärger mit Daxton gebracht hast! Trotzdem versuche ich dir zu helfen!”

“Ein Grund mehr, ihn in diesem Wald zu lassen, findest du nicht auch?”

“Ach! Was weißt du schon!” Wütend stieß ich ihn beim Vorbeigehen mit meiner Schulter. Er hielt mich erneut am Handgelenk fest. 

“Ich weiß, dass die Rötungen an deinem Hals Schmerzen verursachen. Das diese Fessel an deinem Fußgelenk kein Spiel, sondern vollkommene Kontrolle ausgestrahlt hat. Du zuckst sobald jemand schnelle Bewegungen in deiner Nähe macht und trotzdem rennst du ihm hinterher.”

“Lass mich los”, zischte ich und entriss ihm mein Handgelenk, um ohne ihn noch mal anzusehen um die Ecke zu verschwinden. Purer Hass trieb mich an, immer weiter in den Wald hinein zu laufen. Jace hatte Recht und das sammelte noch viel mehr Wut in meinen Adern. Wut auf mich selbst und auch auf Daxton.

“Daxton!”, rief ich zwischen den ersten Bäumen angekommen. Doch wieder erhielt ich keine Antwort. Adrenalin machte sich in mir breit, da ich bereits davon ausging, gleich eine Leiche zu finden oder selbst Eine zu werden. Der Gedanke brachte mir Panik, wirkte jedoch auch befreiend angesichtsdessen, wie mein Leben im Moment verlief.

Einen Fuß vor den anderen setzend, versuchte ich mich so leise wie möglich über die nasse Erde und die Äste zu bewegen. Kein Mucks war zu hören. Einzig die Geräusche der Bäume im Wind. 

“Ich bin so dumm”, flüsterte ich zu mir selbst, als ich mich an einen Baum lehnte und konzentriert die Umgebung absuchte. Da ich erneut nichts wahrnahm, wollte ich weiter, da spürte ich aber schlagartig eine Hand vor meinem Mund. Ich schrie in seine Haut und zappelte. Dann erkannte ich aber, dass es Daxton war, der sich einen Finger auf den Mund legte und mir bedeutete ruhig zu bleiben. Ich nickte und schon nahm er langsam wieder seine Hand von meinem Mund, um sich nah vor mich zu stellen. 

“Hast du ihn gesehen?”, flüsterte ich und starrte verwirrt zu Daxton auf, als dieser mich plötzlich an meiner Hüfte gegen den Baum hinter mir presste. 

“Nein”, sprach er ruhig und drängte sich enger an mich, um seine Hand unter mein Kleid wandern zu lassen. “Aber falls er hier ist und dich beobachtet, werden wir ihm jetzt zeigen, wem du gehörst.”

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