Kapitel 35
Ich spuckte Salzwasser und hustete. Gleichzeitig versuchte ich mich irgendwo festzuhalten um nicht wieder quer über das ganze Deck zu rutschen. Meine Augen brannten vom Salzwasser und ich sah alles nur noch verschwommen. Mein Rücken tat höllisch weh und ich nahm war, wie sich die Wasserpfütze neben mir leicht rot färbte.
Plötzlich packte mich jemand um die Taille und zog mich hinter die Treppe die hinauf zum Steuer führte. Hart schlug mein Kopf gegen die rutschige Holzwand, als das Schiff erneut schwankte. Ich sah plötzlich Sternchen und erneut hustete und spuckte ich Wasser. Krampfhaft hielt ich mich an der Person fest, die mich so eben wohl gerettet hatte.
Wasser schwappte erneut auf das Deck und überflutete erneut das gesamte Deck.
Eine gewaltige Welle brach sich direkt auf unserem Schiff und ich sah, wie einige Holzdielen aus dem Boden herausbrachen und weggespült wurden.
Wir würden untergehen!
„Komm schon!", sagte die Person hinter mir und zog mich weiter unter die Treppe. „Halt dich fest!"
Ich drehte mich in seine Richtung und hielt mich an einer Treppenstufe fest. „Danke.", quetschte ich so gut es ging hervor.
„Das war ich dir schuldig.", antwortete Max und quetschte sich mit mir in die hinterste Ecke um nicht gleich wieder weggetrieben zu werden. Seine schwarze Haut glänzte unter den Wassertropfen, die auf seinen Armen lagen.
"Himmel! Grace! Dein Rücken!", keuchte Max für einen Moment, als er sah, dass die schwarze Uniform bereits mit Blut durchtränkt wurde. Ich antwortete nicht darauf. Ich versuchte es einfach auszublenden. Veruschte den Schmerz zu ignorieren, auch wenn es mir nicht ganz gelang.
Wo ist Damien?' schoss es mir auf einmal durch den Kopf. Doch meine Gedanken wurden plötzlich von einem lauten Schrei unterbrochen.
„Nein!" Die dunkle Stimme konnte eindeutig nur von Captain Jartsow stammen. „Der Kompass!", schrie er erneut und man hörte deutlich die Verzweiflung in seiner Stimme. Es klimperte als, der vergoldete Kompass auf das Deck aufschlug. Ich konnte ihn nur kurz sehen, dann wurde er auch schon vom Wasser über Bord gespült.
„Wie sollen wir denn ohne den Kompass wieder hier rauskommen?", fragte ich Max mit einer leichten Panik in der Stimme.
„Ich weiß es nicht. Das wird schwer werden.", sagte er ohne jeglichen Ausdruck in der Stimme.
Ich suchte mit den Augen das Deck ab. Einige Bändiger waren wieder hinunter in die Kajüte geflüchtet, doch meiner Meinung nach war das keine so gute Idee gewesen. Das Wasser würde bestimmt auch bis hinunter laufen und alles überfluten.
Wie sollten wir diesen Sturm nur überleben?
Ich schaute hinauf zum Himmel. Dicke, schwarze Wolken ließen ihren Regen auf uns herab. Ich zuckte zusammen, als es ohrenbetäubend donnerte und gleich darauf ein gleißend heller Blitz am Himmel zuckte. Das Gewitter war direkt über uns. Doch auf einmal blitze hinter einer dicken schwarzen Wolke etwas hervor. Der silberne Mond strahlte am Himmel wie hunderte Diamanten. Augenblicklich kam mir eine Erinnerung in den Sinn.
Ich und Damien saßen auf der Bank im Schlossgarten. Es war der Tag des Sommernachtsballs und ich hatte ebenfalls wie gerade den wunderschönen Vollmond betrachtet. Dann hatte ich meinen Daumen ausgestreckt und ihn direkt vor den Mond gehalten. Egal an welchem Ort man war, der Daumen war immer so groß wie der Mond. Und dieser Gedanke gab mir Hoffnung. Durchflutete mich mit all meinen Erinnerungen.
Mein Vater und ich waren im Wald spazieren gegangen. Es war dunkel, doch ich hatte keine Angst. Mit meinem Vater an meiner Seite hatte ich nie Angst gehabt. Er gab mir dieses Gefühl geborgen zu sein. An seiner Seite hatte ich das Gefühl, dass nie etwas Schlimmes geschehen könnte.
Wir waren schweigend durch den Wald gelaufen. Die Äste knackten unter unseren Stiefeln und ein Uhu war zu hören gewesen. Ich erinnerte mich noch genau daran.
Ich hatte dieses Bild direkt vor Augen und es war als wäre ich zurück an diesem Ort und würde alles noch einmal erleben.
Wir traten auf eine Lichtung und wir setzten uns direkt in die Mitte. Das Moos war noch feucht gewesen, doch es hatte mir nichts ausgemacht. Wir schauten hinauf in den Himmel und sahen den gleißend hellen Vollmond, der unglaublich schön und magisch zugleich auf uns herab schien und uns in ein helles Silbernes Licht tauchte.
„Wenn du den Mond sehen kannst, dann gibt es noch Hoffnung.", hatte mein Vater gesagt.
Ich hatte den Satz nie verstanden. Bis heute. In diesem Moment verstand ich. Es gab immer Hoffnung. Man selbst war die Hoffnung, man durfte nur nicht aufgeben.
Ich schaute Max an. „Wir können das schaffen. Wir können den Sturm stoppen.", sagte ich und versuchte mit meiner Stimme das tosende Meer und den strömenden Regen zu übertönen.
Blitze zuckten am Himmel und der Regen prasselte wie Ziegelsteine auf das Deck.
Er schaute mich verwirrt an. „Wir besitzen die Macht das Wetter zu kontrollieren nicht. Das ist unmöglich.", sagte er verwirrt und schüttelte den Kopf. Gleich darauf hielt er sich wieder krampfhaft an der Treppe fest, um nicht vom Wasser weggespült zu werden, dass sich erneut auf dem Deck brach.
„Nichts ist unmöglich, Max. Wir können alles schaffen.", sagte ich.
Ich wusste selbst dass es eigentlich unmöglich war, das Wetter zu kontrollieren. Es war ein Gesetz und es funktionierte einfach nicht. Wir hatten nicht die Macht dazu das Wetter zu kontrollieren, aber in diesem Moment spürte ich das es möglich war. Es gab Hoffnung. Wir waren die Hoffnung. Wir konnten es schaffen. Alle zusammen.
„Wir können es schaffen. Du musst nur daran glauben, Max. Vertraue mir.", sagte ich und griff nach seiner Hand. Einen Moment zögerte er, doch dann stand er auf. Einen Versuch ist es wert.' hörte ich seine Gedanken in meinem Kopf, als ich diese las. Er hatte es nicht aufgegeben. Das würde er nicht noch einmal tun. Ich zwang mich zu einem Lächeln.
Wir standen auf und liefen auf die Mitte des Schiffes zu. Ich hatte Mühe nicht auszurutschen, denn das Deck war Spiegelglatt durch das ganze Wasser. Schließlich hielten Max und ich uns am Mast des Schiffes fest und versuchten nicht das Gleichgewicht zu verlieren, denn das Schiff hob und senkte sich erneut.
„Bändiger!",schrie ich und schaute mich nach den Bändigern die sich mit angsterfüllten Gesichtern krampfhaft an irgendetwas festhielten, um nicht von den grausamen Wellen in die Tiefe des Meeres gerissen zu werden.
„Wir können es schaffen! Wir können diesen Sturm beenden. Helft uns und beendet diesen Sturm. Wir können das überleben. Wir können das schaffen!", ich rief geradewegs meine Gedanken hinaus. Innerlich betete ich, dass die Bändiger mir glauben würden. Wir konnten diesen Sturm nicht überleben wenn wir nichts unternahmen.
Wir konnten es schaffen.
Gemeinsam.
Wie vom Schock erstarrt regten die Bändiger sich nicht. Sie glaubten mir nicht.
„Wir können das schaffen! Ihr müsst nur daran glauben!", schrie ich gegen das tosende Meer an.
Eine weitere gewaltige Welle baute sich vor uns auf. Das könnte unser Ende sein. Die Welle war so unglaublich groß, dass ich es noch nicht einmal beschreiben konnte. Sie türmte sich vor uns auf wie eine Mauer.
„Kommt schon!", schrie ich nun sichtlich verzweifelt.
So durfte es nicht enden!
"Wir können es doch wenigstes versuchen. Das ist immernoch besser als zu sterben ohne etwas dagegen unternommen zu haben!", kam Max mir zu Hilfe.
Dann regte sich etwas.
Auf einmal standen einige Bändiger auf und kamen zu uns. Die anderen folgten, bis wir schließlich alle in der Mitte des Decks standen und auf die gewaltige Welle starrten.
Die Soldaten des Schloss aus Alentija, die uns zur Flucht verholfen hatten, starrten wie gebannt entweder zu uns oder auf die gewaltige Welle, die sich vor uns aufbaute. Die Besatzung des Schiffes traute offenbar ihren Augen nicht. Sie konnten nicht glauben was hier vor sich ging.
Wer konnte das schon...
Das ist nicht unser Ende. Wir können das schaffen.', dachte ich und kniff für einen Moment die Augen zu.
Dann hoben wir wie auf ein unbekanntes Stichwort gleichzeitig die Arme und begannen das Wasser zu bändigen. Wir führten die Bewegungen völlig synchron aus, als hätten wir sie einstudiert. Wasser schwappte abermals über das Deck und das Wasser stand uns bis zu den Knöcheln, doch ich blendete es voll und ganz aus. Ich war wie in Trance und tat das was ich am besten konnte.
Das war unsere Macht und wir konnten alles damit erreichen. Unsere Bewegungen waren fließend wie das Wasser. Wir passten uns ihm genau an und das Wasser folgte uns. Es funktionierte. Die gewaltige Welle wanderte nicht weiter auf uns zu, sondern blieb stehen. Sie blieb einfach mitten auf dem tosenden Meer stehen und verschonte uns. Wir führten weiter die Bewegungen aus und kämpften gegen das tosende Meer an. Nun legte sich auch langsam der Sturm um uns herum und das Meer wurde ruhiger.
Wasserbändigen ist kein Zwang das Wasser dazu zu bewegen uns zu gehorchen, Grace. Das Wasser muss „freiwillig" das tun was wir wollen, wir müssen es so zu sagen dazu überreden.
Das waren die Worte von Rick. Sie waren noch heute in meinem Kopf. Wort für Wort. Denn es waren wahre Worte. Das war die Grundregel für das Bändigen, nur so konnte man es beherrschen.
Wir waren ein mächtiges Volk und wir konnten es schaffen. Wir waren dazu geboren worden und die Energie des Bändigens floss in uns wie unser Blut.
Das Wasser legte sich. Die gigantische Welle senkte sich und das Wasser wurde wieder still.
Dann sahen wir den letzten, gleißend hellen Blitz am Himmel zucken. Er streckte sich über den ganzen Himmel und war gleißend rot. Alle schauten wie gebannt an den Himmel.
Wir hatten es geschafft. Wir hatten den Sturm beendet!
Ich wachte von den kleinen Wassertropfen auf, die mir von der Decke ins Gesicht tropften. Ich lag in der noch immer nassen Hängematte und starrte an die Decke. Schaute zu wie jeder einzelne Tropfen auf meine Stirn fiel. Dann hob ich langsam meine Hand, spreizte die Finger und drehte sie. Augenblicklich gefror das Wasser an der Decke.
Es war ein reines Wunder, dass ich gestern noch hatte einschlafen können.
Wir hatten es geschafft. Der Sturm war vorbei und wir waren verschont geblieben. Doch was geschah nun? Wir hatten den Kompass verloren. Wir hatten keine Ahnung wo wir waren, geschweige denn in welche Richtung wir segelten. Wie sollten wir Etriest erreichen, wenn wir keine Ahnung hatten in welche Richtung wir segeln mussten? Wir trieben geradewegs ins Unbekannte. Ich wusste es nicht, aber die Hauptsache war für mich, dass wir noch lebten.
Gott, wir hatten es überlebt!
Wir hatten das unmögliche geschafft.
Wir hatten den Sturm beendet!
Schwungvoll schwang ich meine Beine aus der Hängematte und mein Rücken dankte mir diese ruckartige Bewegung mit einem höllischen Schmerz. Ich stand auf und bemerkte, dass sich keine Bändiger mehr in der Kajüte befanden. Anscheinend waren alle schon an Deck. Meine Kleidung war noch immer durchnässt gewesen, deshalb trug ich jetzt eine weite weiße Bluse und darüber ein dunkelbraunes, ärmelloses Wams aus Leder. Außerdem trug ich weite hellbraune Hosen, die ab den Unterschenkeln etwas enger wurden.
Ich zog mir meine Lederstiefel wieder an, obwohl sie noch so vor Nässe trieften, doch Stiefel hatte die Besatzung nicht genug gehabt, die sie uns leihen konnten.
Schnell griff ich nach dem langen, roten Kopftuch und band es mir um den Kopf, sodass mich mein langes Haar nicht mehr störte. Dann knotete ich es hinten am Kopf zwei Mal zusammen. Anschließend lief ich zur Tür der Kajüte und trat hinaus.
Noch immer stand Wasser auf dem Boden, doch es war lang nicht mehr so viel wie zuvor. Das Wasser spritzte hinter mir auf, als ich den schmalen Gang entlang rannte und die Treppe hinauf eilte.
Ich drückte die Türklinke herunter und wollte gerade hinaus laufen, als ich ein wenig erschrak, als es leise knackte. Ich hielt die abgebrochene Türklinke in der Hand. Ich hatte die Türklinke abgebrochen!
„Scheiße...", fluchte ich leise und versuchte hektisch die Türklinke wieder an die Tür anzubringen. Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich noch während ich redete um.
„Es tut mir Leid ich habe ausver...-‚'', begann ich doch brach ab, als ich das grinsende Gesicht von Lee Karrjet erblickte.
„Du randalierst also?", sagte er und grinste noch immer verschmitzt.
Ich atmete genervt aus. Dann warf ich ihm die abgebrochene Türklinke zu und drehte mich wieder um. Doch wie sollte ich jetzt an Deck kommen? Kurz entschlossen stieß ich so sachte es nur ging mit dem Fuß gegen die Tür.
„Hey! Was hast du denn gegen die Tür? Sie hat dir doch gar nichts getan!", lachte Lee hinter mir.
"Gott!", seufzte ich und verdrehte die Augen.
"Du kannst mich ruhig Lee nennen.", sagte er und lachte anschließend über seinen eigenen Witz.
Ich stieß erneut mit meinem Fuß gegen die Tür. Dieses Mal fester und siehe da, sie öffnete sich. Ohne mich noch einmal umzudrehen trat ich heraus.
Ich schaute mich um und erblickte die Bändiger die allesamt an der rechten Seite des Schiffes standen und wie gebannt hinaus aufs Meer schauten. Was war denn los?
Sogar einige der Besatzung machte sich nun auf und stellte sich an die Reling. Ich hatte fast Angst, das Bot würde überkippen, da nun mehr oder weniger das ganze Gewicht auf der rechten Seite lag. Ich streckte mich hinter einigen Bändigern um auch hinaus aufs Meer schauen zu können und zu erblicken, was nun alle so anstarrten. Dann hörte ich den Schrei eines Seemanns und musste augenblicklich grinsen.
„Land in Sicht!", schrie er und alle jubelten.
Wir hatten es geschafft! Wir hatten die Insel erreicht, auch ganz ohne Kompass!
Etwas Glück lag wohl doch auf dieser Welt.
Ich quetschte mich zwischen einigen Bändigern hindurch, sodass ich nun auch endlich etwas sehen konnte. Ein wunderschöner Sandstrand erstreckte sich hinten am Horizont.
Es war nicht mehr weit!
Ich ließ meinen Blick über die Menge wandern und erblickte Damien am Rand. Ich lachte und rannte auf ihn zu. Er bemerkte mich erst kurz bevor ich ihn erreicht hatte und fing mich somit nur mit Mühe auf und stolperte einige Schritte zurück.
„Wir haben es geschafft, Damien! Wir sind da!", rief ich über glücklich und strahlte ihn an.
Ich zog ihn am Nacken zu mir herunter und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.
„Wir haben es geschafft!" Ich strahlte wie ein Kind.
„Ja, das haben wir, Grace!", sagte er und lachte ebenfalls. Dann hob er mich hoch und drehte mich schwungvoll im Kreis.
„Wir haben es geschafft."
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