Kapitel 13
Ich saß an dem alten Schreibtisch aus Holz, schaute aus dem Fenster und beobachtete die Vögel, die am Himmel ihre Kreise zogen, als es an der Tür klopfte. Ich ging davon aus, dass es Damien war, doch Chad streckte seinen Kopf herein.
„Kommt doch herein." Ich winkte ihn herein.
„Ich wollte nur die Uniform abholen.", sagte er mit einem fahlen Gesichtsausdruck.
„Ach so, natürlich.", sagte ich und stand auf.
„Setzt Euch doch.", schob ich noch hinterher, doch er schüttelte den Kopf.
Ich lief zum Bett und bückte mich. Ich hatte die Uniform und das Schwert unter dem Bett versteckt. Ich hatte gedacht, dass Selma eine Uniform der Soldaten in meinem Kleiderschrank eher gefunden hätte, als wenn ich sie in das hinterste Eck unter meinem Bett verstaute. Und außerdem war ja auch noch ein Schwert dabei gewesen. Ich machte mich so lang wie ich konnte und griff nach der Kleidung. Ich zog es hervor und reichte es Chad.
„Wartet, das Schwert kommt noch." Ich lächelte und zog unter dem Bett das Schwert und die restlichen Sachen der Uniform hervor und reichte sie ihm.
„Danke.", sagte er und drehte sich bereits zum Gehen um, als ich ihm noch eine Hand auf die Schulter legte.
„Wartet.", sagte ich und er drehte sich noch einmal um und schaute mich gespannt an.
„Ich möchte Euch nur noch einmal Danken. Das was Ihr für mich getan habt... Es war nicht selbstverständlich und wahrscheinlich wäre ich ohne Eure Hilfe schon längst tot. Also-... Danke. Und ich werde für ewig in Eurer Schuld stehen." Ich schaute ihn verlegen an.
„Keine Ursache.", sagte er ausdruckslos und ging ohne ein weiteres Wort.
Am nächsten Tag fragte ich Selma nach dem Sommernachtsball.
„Du darfst dort hingehen?", fragte sie mich verwundert und wischte nebenbei die Regale im Esszimmer ab.
„Ja, ich wurde von Lord Kemmington eingeladen." Sie stockte kurz, wischte dann aber weiter.
Ich stützte mich mit den Händen an einem Stuhl ab, schaute ihr zu und wartete auf eine Antwort. Es dauerte, bis sie schließlich antwortete.
„Das ist dein Ernst?", erwiderte sie dann nach einer Weile, und es klang eher wie eine Aussage als eine Frage.
Ich nickte. „Ja. Was zieht man denn auf so einem Ball an?"
Sie hörte auf zu putzen und drehte sich zu mir um. „Keine Sorge, darum werde ich mich kümmern.", sie lächelte und machte sich wieder an die Arbeit. Ich schaute ihr noch eine Weile zu, bis mir bewusst wurde, dass ich keine Antwort mehr erhalten würde und kehrte dann schließlich zurück ins Schlafzimmer.
Am Nachmittag besuchte mich wieder Damien.
„Wie froh ich bin Euch zu sehen.", sagte ich und drehte mich zu ihm um, als er zur Tür herein kam.
Er blickte mich triumphierend an. „Das freut mich, aber wieso das?"
„Weil es hier drin, allein, auf Dauer sterbenslangweilig ist.", sagte ich und lehnte mich gegen die Wand. Er lachte nur.
„Das ist nicht lustig, Eure Hoheit." Ich seufzte. „Ihr könnt den ganzen Tag tun und lassen was Ihr wollt. Ich möchte auch mal hier raus!", rief ich gespielt versunken in Selbstmitleid.
„Dann lass uns das doch tun.", schlug er vor.
„Ich könnte dir die Bibliothek zeigen, wenn du Lust hast."
„Sehr gerne.", sagte ich erleichtert und meine Miene hellte sich sogleich auf.
„Na dann, komm'."
Wir liefen nicht weit, als wir auch schon vor einer großen dunkelbraunem Tür, mit silbernen Schnörkeln verziert, stehen blieben. Gespannt schaute ich an Damien vorbei, als er uns die Tür öffnete und wir eintraten. Dies war keine Bibliothek. Dies war ein Bücherhimmel!
Riesige Regale, die bis zu Decke reichten, teilten Reihe für Reihe den Raum. Kleine Leitern mit Rollen standen an den Regalen, sodass man auch hinauf steigen konnte um sich von ganz oben
Gemälde von Schriftstellern und Landschaften zierten die kahlen, braunen Wände. Der Boden war mit einem roten Teppichboden verschönert worden und machte sogleich einen freundlichen Eindruck. Ich staunte. Das war unglaublich. Nichts außer Bücher.
„Komm', ich zeige dir die Stelle mit den besten Büchern.", sagte Damien und führte mich zwischen den Bücherregalen, die mindestens doppelt so groß waren wie ich, hindurch. Ich entdeckte an der Decke einen riesigen Kronleuchter mit großen weißen Kerzen und funkelnden, durchsichtigen Steinen. Ich glaubte, es waren Diamanten. Er war einfach wunderschön. Ich stellte mir vor, wie es wohl aussah, wenn es dunkel wurde und die Kerzen angezündet wurden. Alles würde bestimmt wunderschön leuchten und funkeln.
Wir liefen an einigen Leuten vorbei, die in ein Buch vertieft vor den Regalen standen oder gerade in den Regalen stöberten. Zwischen zwei Regalen die endeten, bogen wir nach links ab und liefen immer weiter nach hinten, bis wir schließlich zwischen einer Treppe und einem ebenso riesigem Regal wie die anderen stehen blieben. Ich begutachtete die hölzerne Wendeltreppe, die nach oben führte.
„Gibt es etwa noch einen zweiten Stock?", fragte ich erstaunt.
„Ja, natürlich. Dort oben gibt es noch einmal so viele Bücher wie hier unten.", sagte er und lachte über meinen verdatterten Gesichtsausdruck.
„Das sind meiner Meinung die besten Bücher.", er strich mit den Fingern über die Bücher, die er meinte. „Die meisten sind Legenden über das Land, Geschichten von früher oder einfach erfundene, sehr spannende Geschichten."
Ich begutachtete ihn von der Seite. „Lest Ihr gerne?"
„Sagen wir es so. Ich lese manchmal. Da habe ich so meine Lesephase, in der ich Bücher verschlinge." Er lachte. „Ja und dann ist diese Phase auch wieder vorbei und ich lese überhaupt nicht mehr."
Wir blieben noch eine ganze Weile in der Bibliothek. Damien reichte mir einen ganzen Stapel mit Büchern, die ich unbedingt lesen sollte. Ich brachte den Stapel schnell in mein Zimmer. Wenigstens hatte ich jetzt eine sinnvolle Beschäftigung. Ich legte den Stapel auf den schmalen Nachttisch neben dem großen Himmelbett und als ich merkte das der etwas zu klein war, sortierte ich noch einige Bücher in das Regal, welches neben der Tür hing. Dann lief ich wieder zu Damien, der vor meiner Zimmertür auf mich wartete. Ein dunkelblonder junger Mann stand bei ihm. Es musste wohl ein Freund sein.
Ich trat aus der Tür und der Blonde schaute mich neugierig an. Ich stellte mich neben Damien und begutachtete seinen Freund. Er war etwas größer als Damien und hatte dunkelblondes, kurzes Haar. Eine lange, dünne Narbe war an seinem Kinn zu sehen und ich fragte mich woher diese wohl stammte.
„Lydia, das ist mein Freund Dean. Dean," er schaute nun zu ihm. „Lydia Eltringham." Ich lächelte Dean zu und er grinste zurück. „Freut mich, dich kennenzulernen."
„Ganz meinerseits." Es herrschte eine kurze Stille bis Dean plötzlich strahlte.
„Damien, ich muss Euch unbedingt etwas zeigen.", er grinste.
„Na dann!?", antwortete Damien erwartungsvoll.
„Ja, wir müssen nach hinten.", Er fuhr sich mit seiner Hand über das stoppelige Kinn.
„Zum Schießstand."
„Das tut mir Leid, aber ich kann im Moment nicht. Lydia."
Oh. Schnell ergriff ich das Wort. „Das macht nichts, ehrlich." Ich schaute die beiden an. „Ich kann doch einfach mitkommen, wenn das euch nichts ausmacht." Entschuldigend lächelte ich.
Wenig später waren wir auf dem Weg zum Schießstand, was auch immer das sein mochte. Dean und Damien redeten über irgendwelche Veranstaltungen, die ich aber einfach ausblendete. Mich interessierte es nicht wirklich, genauso wenig wie das, wo wir hingingen, aber es war immer noch tausendmal besser als wieder stundenlang in meinem Zimmer zu sitzen. Also eilte ich hinter den beiden her. Sie waren schnellen Schrittes unterwegs.
Wir traten aus dem Schloss und kamen auf den gepflasterten Innenhof des Schlosses. Vorsichtig stakste ich auf meinen hohen Absätzen über den Innenhof und hoffte nicht umzuknicken. Ich hatte das Laufen mit diesen bescheuerten hohen Schuhen immer noch nicht raus. Am liebsten würde ich diese staksigen Schuhe wieder gegen meine dunklen Lederstiefel eintauschen, auch wenn es unter dem Kleid bestimmt nicht so schön aussehen würde. Aber das wäre mir dann egal. Die Hauptsache wäre, dass ich wieder normal laufen könnte.
Wir liefen nach rechts über den Innenhof, bis wir schließlich ein kleines Tor aus Gitterstäben öffneten. Dahinter befand sich ein ebenfalls, anfangs gepflasterter Innenhof. Hier standen Knappen und irgendwelche Leute die ich noch nie zuvor hier gesehen hatte mit Pfeil und Bogen in den Händen. Als sie Damien sahen, machten sie einen kleinen Knicks und flüsterten: „Eure Hoheit". Verwundert schauten sie dann mir hinterher, wenn sie mich entdeckten. Ja, ich war keine besonders bekannte Person am Hofe und das zu meinem Glück. Die Leute mit den Bögen, standen frontal zu Zielscheiben aus Stroh. Sie waren rund und in der Mitte der Zielscheiben befand sich ein roter Punkt, in den einige auch trafen.
Ich hatte gar nicht gemerkt dass ich stehen geblieben war, bis Damien sich irgendwann nach mir umdrehte und mich mitzog.
Damien und ich warteten vor der kleinen Scheune, in der, wie ich sehen konnte, die ganzen Pfeile, Bögen, Schwerter und sonstige Waffen verstaut wurden. Ich schaute mich nochmals um. In der hinteren Ecke sah ich Leute die ebenfalls Schwertkampf trainierten. Geschickt schlugen sie zu und duckten, sich unter den Schwertern weg, wenn sie zu spät reagiert hatten. Fasziniert schaute ich ihnen zu. Auch wenn ich nie wirklich gut im Schwertkampf gewesen war, wünschte ich mir, dass ich weiter üben konnte. Irgendwann würde ich es können müssen, wenn mich die Swaresk erneut überfallen würden. Vielleicht konnte ich ja mit ihnen trainieren?
Dean unterbrach mich in meinen Gedanken, als er mit einem Bogen aus der Scheune gelaufen kam und ihn Damien hinhielt.
„Ist das dein neuer Bogen?", fragte Damien erstaunt und sichtlich beeindruckt. „Genau. Den hat mir mein Vater geschenkt. Er ist von Dijego und Ihr wisst ja, dass das einer der besten Bogen Hersteller in ganz Alentija ist." Er grinste stolz.
„Ich habe ihn noch nicht ausprobiert. Wenn Ihr wollt, können wir das jetzt tun." Damien grinste.
„Klar." Dean lächelte und lief zurück in die Scheune um Pfeile zu holen.
Wenig später kam er mit einem Köcher aus Leder voller Pfeilen, den er sich hinten auf den Rücken schnallte, wieder. Die beiden gesellten sich zu einer freien Zielscheibe. Ich setzte mich auf eine Bank, die seitlich an der Mauer stand, und schaute ihnen zu. Ich war gespannt, wie sie sich anstellten. Ob sie wohl in die rote Mitte trafen?
Dean zog einen Pfeil aus seinem Köcher und legte ihn an den Bogen. Dann legte er Zeige- und Mittelfinger um die Hinterseite des mit dunklen Federn gezierten Pfeils, spannte den Bogen und zielte. Er brauchte eine Weile bis er schließlich schoss. Der Pfeil blieb gerade so außen an der Zielscheibe stecken.
Dean fluchte leise. „An diesen Bogen muss ich mich wohl erst gewöhnen."
„Darf' ich?", fragte Damien und Dean reichte ihm einen Pfeil und seinen Bogen.
Damien legte den Pfeil ein, spannte ihn, zielte und schoss. Der Pfeil landete vielleicht zwei Zentimeter neben dem Pfeil von Dean. Ich lachte leise. Dean und Damien drehten sich auf einmal mit bösen Blicken zu mir um.
Dean zog die Augenbrauen hoch. „Mach es doch besser, Lydia.", meinte Dean und streckte mir den Bogen entgegen.
„Nein, nein. Das ist nicht nötig.", sagte ich und winkte ab.
„Und ob! Das ist es wohl!", sagte Dean, kam zu mir heran und drückte mir den Bogen in die Hand. Na super, was hatte ich mir da eingehandelt. Ich würde mich schrecklich blamieren! Wenn wir wenigstens zu Hause das Schießen mit Pfeil und Bogen geübt hätten, hätte es ja nicht ganz so schlimm werden können, aber ich hatte noch nie mit diesem Ding geschossen. Ich schaute zu Dean, der mich gespannt ansah und zu Damien, der keine Reaktion zeigte. Seufzend stand ich auf. Das würde peinlich werden.
Ich stellte mich an die Stelle an der Damien zuvor gestanden hatte und zog einen Pfeil aus Deans Köcher. Zögerlich legte ich den Pfeil ein und spannte testend den Bogen. Er war noch etwas steif, da er erst zwei Mal benutzt worden war. Ich atmete tief durch. Ich fragte mich, wieso ich nicht einfach einmal den Mund halten konnte. Hoffentlich würde ich nicht irgendeinen unschuldigen Knappen abschießen. Ich kniff ein Auge zu und zielte auf den roten Punkt in der Mitte der Zielscheibe. Beim Ausatmen ließ ich die Sehne des Bogens los und der Pfeil schoss mit hoher Geschwindigkeit auf die Zielscheibe zu und traf direkt in die Mitte des roten Punktes.
Was? Das konnte doch nicht sein! Hatte ich gerade wirklich in die Mitte der Zielscheibe getroffen? Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen wie erfreut und überrascht ich war, dass ich die Zielscheibe überhaupt und dann auch noch in die Mitte des roten Punktes getroffen hatte. Deshalb verzog ich einfach keine Miene und reichte Dean seinen Bogen zurück. Sein Mund stand offen und er schaute immer noch dümmlich auf den Pfeil in der Mitte der Zielscheibe.
Ich blickte zu Damien der mich erstaunt ansah.
„Wie hast du das gemacht?"
Ich grinste. „Ich habe gezielt und geschossen, Eure Hoheit." Ich lachte.
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