Kapitel 10

Der nächste Tag verlief fast genauso wie der zuvor. Ich starrte Löcher in die Decke, lies mir stundenlang die warme Sommersonne ins Gesicht scheinen, bis es mir mittags zu heiß wurde und zeichnete Landschaften auf das übrige Papier, bis es mir schließlich, genauso wie meine Beschäftigungen, ausging.

Seufzend stand ich auf und lief zur Tür. Ohne einen Blick zurück zu werfen, zogen die Wachen vor meiner Tür ihre Schwerter und kreuzten sie vor mir, sodass ich keine Chance hatte zu entwischen, als ich die Tür geöffnet hatte. Dies waren echte Schwerter. Nicht solche, wie wir beim Trainieren unserer Schwertkämpfe genutzt hatten, diese waren scharf und konnten mit einem einzigen Hieb einen Menschen durchteilen.

„Bitte lasst mich zu Prinz Damien. Er wird mir die Erlaubnis geben!", sagte ich und blickte die Wachen flehend an, doch sie schauten mich nicht einmal an. „Geh' zurück in dein Zimmer oder sollen wir dich zurück schleifen?", fragte der rechte mit den langen Haaren. „Bitte!", versuchte ich es noch einmal. Der rechte drehte sich um, steckte sein Schwert zurück an seinen Gürtel und packte mich an beiden Armen. Dann schleifte er mich zurück in mein Zimmer. „Ist schon gut, Ihr könnt mich loslassen! Ich gehe ja schon.", sagte ich, als ich mich versuchte zu entwinden, worauf er nur noch fester zugriff. Er schmiss mich auf mein weiches Bett und lief dann schnellen Schrittes wieder zur Zimmertür hinaus. „Arrrrgh!", schrie ich und warf ein Kissen gegen die weiße Wand.

Irgendwas musste ich doch tun können! Ich konnte ja wohl schlecht bis zum Ende meines Lebens in diesem Zimmer festsitzen und mich zu Tode langweilen. Womöglich würden sie meine Leiche erst ein Jahr später finden, da keiner nach mir suchte und es selbstverständlich war, dass ich in diesem Zimmer saß. Ganz alleine! Aber nein, nicht mit mir!

Ich stand auf und überlegte. Wie kam ich hier wohl am besten hinaus? Mein Blick wanderte zum Balkon. Ich öffnete die Tür und schritt hinaus. Nein, hier waren mindestens zehn Balkone. Hier würde mich bestimmt jemand sehen. Ich schloss die Tür wieder und lief zum Fenster. Hier würde ich hindurch passen. Es war zwar klein, aber ich war schlank. Es musste einfach funktionieren.

Ich schaute hinaus. Ich hatte schon oft beobachtet, wie hier die Wachen auf dem Gelände patrollierten, doch ich musste einfach schnell sein. Wenn ich schnell genug unten war und ganz unbeteiligt über den Rasen schlendern würde, würde es bestimmt nicht auffallen. Ich müsste nur schnell genug hinunter kommen. Die Steine der Schlossmauer waren glatt, doch ein paar standen heraus, an denen ich mich festhalten könnte. Außerdem befanden sich an der linken Seite, wie ich auch schon am ersten Tag heraus gefunden hatte, zwei Fenster, an denen ich mich festhalten konnte und hinüber zu einer Regenrinne kam, diese führte bis fast hinunter zum Boden. Ich müsste dann wohl ein paar Meter springen, aber es war machbar. Ich rannte zurück, griff nach meinem weinroten Mantel und streifte ihn mir über. Dann hielt ich mich an der Gardinenstange fest und schwang ein Bein aus dem Fenster, bevor ich es mir noch anders überlegen konnte.

Wenn sie geglaubt hatten, mich hier festhalten zu können, dann hatten sie sich getäuscht.

Ich schwang mein anderes Bein hinaus und stand jetzt wackelig auf einem kleinen hervorstehenden Stein an der Schlossmauer. Ich schaute hinunter. Oh Gott, war das hoch! Ein falscher Tritt und ich würde geradewegs in den Tod stürtzen.

Vorsichtig griff ich nach dem Kopf eines kleinen Löwen, dessen Statue aus der Wand ragte. Er war fest. Dann griff ich mit der anderen Hand überkreuzt nach dem Fensterrahmen des nächsten Fensters. Die Gardinen waren zugezogen. Zum Glück, somit konnte die Person, die vermutlich im Zimmer war, mich nicht sehen. Ich hangelte mich weiter und war kurzdavor aufzuschreien, als mein Fuß abrutschte und kleine Steinbröckelchen die Schlosswand hinunter rieselten. Mein Herz pulsierte so laut in meiner Brust, als würde es jeden Moment explodieren. Ich atmete tief durch und versuchte die kurze Panik zu verdrängen.

Allmählich senkte sich mein Puls wieder und ich wurde ruhiger.

Nun setzte ich meinen Fuß wieder auf die Stelle zuvor und griff dann mit der rechten Hand nach der nächsten Löwenstatue zwischen den beiden Fenstern. Vorsichtig zog ich meine beiden Füße nach. Mist! Hier war nichts an dem ich meine Füße hätte aufstellen können. Mit aller Kraft hielt ich mich an dem kleinen Löwenkörper fest und versuchte nicht abzurutschen. Meine Güte, war das riskant. Wie war ich nur auf diese Idee gekommen? Wieso tat ich das überhaupt?

Nun war ich an dem letzten Fenster vor der Regenrinne angekommen, doch bei diesem Fenster bestand das Problem darin, das es offen Stand und ich Stimmen hören konnte.

„Sag mir das du mich liebst!", forderte eine helle Stimme aus dem Zimmer.

„Ich liebe dich, mein Schatz.", sagte eine dunkle Stimme. „Mehr als alles andere auf der Welt."

Oh Gott, wenn sie mich sahen! Sie würden denken ich wäre ein Spanner oder so etwas. Ich hörte ein Stöhnen. Nichts wie weg hier. Schnell schaute ich in das Zimmer hinein. Die beiden saßen auf dem Bett und küssten sich nun innig. Ich kannte die Frau. Es war Lady Marine, die mich so missbilligend begutachtet hatte. Gedanklich stieß ich ein kurzes Stoßgebet hervor. Wenn ich Glück hatte, wären sie zu arg mit sich beschäftigt sein, als auf mich zu achten.

Schnell griff ich nach dem äußeren Ende des Fensters und schob schnell meine Beine nach. Nun war ich genau vor dem Fenster. So schnell es ging und doch vorsichtig zog ich meine linke Hand nach. Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte es geschafft. Schnell kletterte ich zur Regenrinne, doch als ich meinen Fuß an ein das kalte Metall setzte, schepperte es.

„Was war das?", fragte Lady Marine aus dem Zimmer.

„Ich weiß es nicht.", antwortete der junge Mann und ich hörte Schritte die Näher kamen.

Das war das Ende! Doch der junge Mann schritt nur ans Fenster um es zu schließen. Was für ein Glückstag. Nun vorsichtiger, kletterte ich langsam die Regenrinne hinunter. „Mist.", flüsterte ich, als mein Kleid an der grauen Regenrinne hängen blieb und mich somit am weiter gehen hinderte. Ich umfasst mit meinem rechten Arm die Rinne fester und streckte mich. Behutsam zog ich an dem beigen Soff, doch er lies sich nicht lösen. Ich zog kräftiger doch nichts geschah. Noch einmal versuchte ich es. Nun kräftiger. Der Stoff riss. Er riss bis hinauf zu meinem Knie, doch immerhin, konnte ich weiter. Aber das schöne Kleid war ruiniert. Wie sollte ich das nur Selma erklären?, fragte ich mich und verstrich daraufhin auch gleich den Gedanken wieder. Das war jetzt wirklich nicht wichtig.

Die Regenrinne war rutschig und ich hatte Mühe mich an ihr festzuhalten und gleichzeitig weiter hinunter zu klettern, doch ich schaffte es. Als ich an dem Ende der Regenrinne angekommen war, blickte ich nach unten. Ach du meine Güte! Dies war aber immer noch ganz schön hoch. Außerdem musste ich so springen dass ich nicht in der Wassertonne landete, in der sich das alte Regenwasser sammelte. Konnte ich nicht noch ein bisschen weiter hinunter klettern? Ich schaute mich um. Rechts befand sich nichts an dem ich mich hätte festhalten können, doch links, befand sich ein Stein, der etwa so groß war wie meine Hand. Ich könnte es versuchen, denn mehr als fallen konnte ich nicht.

Ich griff nach dem Stein, und hielt mich fest. Dann zog ich mein linkes Bein nach. Na toll, jetzt hing ich dort. Mein rechter Arm, klammerte sich noch immer an die Regenrinne und mein rechter Fuß auch.Mit dem anderen hielt ich mich krampfhaft an einem kleinen Stein fest und mein linker Fuß hing nutzlos in der Luft. Wie sollte ich dort hinüber kommen ohne abzustürzen?

Ich löste meinen Arm und griff nach dem Stein, an dem ich mich auch schon bereits festhielt. Doch somit rutschten meine Füße ab und ich hing nur noch mit den Händen an diesem kleinen Stein. Ich versuchte wieder an die Felswand zu gelangen doch ich schaffte es nicht. Kleine Steinchen bröckelten von der Wand hinunter, als ich langsam keine Kraft mehr hatte und meine Hände abrutschten. Ich blickte mich um, nirgendwo war etwas an dem ich mich festhalten konnte.

Scheiße!

Ich konnte mich nicht länger festhalten und rutschte nun langsam ab. Meine Finger lösten sich von dem hervorstehenden Stein, an dem ich mich krampfhaft festhielt. Meine Finger färbten sich langsam weiß, da kein Blut mehr hindurchfließen konnte. Mit aller Kraft versuchte ich mich fest zu halten, doch ich rutschte ab.

Ich schaute nicht nach unten. Unter mir müsste eine Wiese sein, schoss es mir kurz durch den Kopf, der Aufprall dürfte nicht all zu hart werden.

Ich kniff die Augen zu, und hoffte.

Es spritzte, als ich schließlich in kaltes Wasser eintauchte. Keuchend tauchte ich auf. Ich war genau in die große Regentonne gefallen. Ich stützte meine Arme an den Seiten der Tonne ab und hievte mich hinaus. Ich fühlte mich nun doppelt so schwer, da sich meine Kleidung voll und ganz mit Wasser vollgesaugt hatte. Ich schwang meine Beine hinaus und fiel keuchend auf den Boden. Hilfe war das kalt!

Doch plötzlich entrann mir ein lachen. Ich war aus meinem Zimmer und eine Regenrinne hinunter geklettert und anschließend zielgenau in eine Regenwassertonne gefallen! Ich strich mir das klatschnasse Haar aus dem Gesicht und stand auf. Und was jetzt?

Na toll, das hätte ich mir wohl früher überlegen sollen.

Ich lief um die Ecke, als plötzlich ein ganz in schwarz gekleideter Soldat vor mir stand. Scheiße. Ich war ihm so zu sagen direkt in die Arme gelaufen.

Er trug ein schwarzes Wams aus Leder, das ihm bis zu der Hälfte seiner Oberschenkel reichte. Sein dunkel braunes Haar war lang und sah aus als könnte es dringend einmal wieder einen Schnitt gebrauchen. In einem schwarzen Gürtel steckte ein Langschwert und ein Dolch. Seine Beine steckten in weiten schwarzen Hosen. Außerdem trug er schwarze Lederstiefel und Handschuhe.

Er begutachtete mich von oben bis unten. Ich überlegte ob ich weglaufen sollte, doch das würde wohl eher noch mehr Verdacht aufbringen, als er auch schon einen Schritt auf mich zu machte und fragte: „Wer seid Ihr?"

Etwas eingeschüchtert von seiner Größe trat ich einen Schritt zurück und antwortete: „Ich bin Lydia Eltringham."

Er verzog keine Miene. „ Ach so, dieses Mädchen das sich verlaufen hat und wahrscheinlich eine Spionin ist. Wie seid ihr aus dem Schloss gelangt?" Unauffällig, aber so dass ich es bemerkte, legte er eine Hand an sein Schwert.

Was sollte ich darauf antworten? Dass mich die Wachen hinaus gelassen hatten, dass ich die Erlaubnis von Prinz Damien bekommen hatte oder die Wahrheit? Alle drei Möglichkeiten wären schlecht. Würde ich sagen dass die Wachen mich hinausgelassen hatten, würden die beiden mächtig Ärger bekommen und mich anschließend wahrscheinlich umbringen. Wenn ich sagen würde dass ich die Erlaubnis von Prinz Damien bekommen hätte, würde er diesen womöglich aufsuchen und feststellen dass ich ihn angelogen hatte und dann sonst was mit mir machen. Würde ich die Wahrheit sagen, konnte ich mich gleich schon einmal mit dem Galgen anfreunden. Ich zögerte, und das womöglich zu lange. Denn der Soldat packte mich am Arm und zog mich mit.

Was hatte ich mir da nur eingebrockt. Wie blöd war ich eigentlich? Kam aus dem Schloss und dachte ich könnte einen Spaziergang durch den Garten machen und dann unauffällig wieder verschwinden.

Wo würde er mich hinbringen?

Ich wehrte mich nicht, es hatte ja ohne hin keinen Sinn. Ich war einfach nur dumm.

Wir liefen an der Schlossmauer entlang, bis wir schließlich an einer Tür ankamen, die er öffnete. Wir liefen hinein. Hier drinnen war es dunkel und stickig. An der Wand vor uns war eine Bank aus Stein eingemeißelt worden. Rechts befand sich nochmals eine schwere hölzerne Tür. Neben der Bank standen schwarze Stiefel wie dieser Soldat sie trug. In allen Ecken und Winkeln hatten Spinnen ihre kunstvollen Netze gesponnen, die trotz des wenigen Lichtes glitzerten.

Der Soldat drehte sich zu mir um. „Ich weiß, dass Ihr keine Erlaubnis bekommen habt das Schloss zu verlassen, also sagt mir wie Ihr aus dem Schloss gelangt seid.", sagte er und lies mich los. „Und wieso Ihr so nass seid.", schob er noch hinter her.

Ich überlegte. Ich saß echt in der Klemme. Offenbar schwieg ich wieder zu lange, denn er sagte: „Die Wahrheit, bitte." Mist, Mist, Mist. Ich musste mir etwas Gutes einfallen lassen. Etwas sehr Gutes, glaubwürdiges.

„Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?" ,fragte ich um etwas vom Thema abzulenken.

„Ich werde euch kein zweites Mal fragen.", sagte er, zuckte nicht einmal mit der Wimper und griff nach seinem Dolch.

„Ich- ich kann nicht...", stotterte ich und stolperte zwei Schritte zurück und stieß gegen die Wand hinter mir. Der Soldat folgte mir mit großen Schritten und versperrte somit den Weg zu einer Flucht.

„Muss ich Euch erst drohen?", fragte er, zog seinen Dolch hervor und hielt ihn mir an die Kehle. Das war aber ganz schön aus den Fugen geraten. Auf meinen Armen spürte ich bereits wie sich eine Gänsehaut bildete. Würde er mich umbringen? Die Angst kam in mir hoch. Ich konnte ihm doch nicht einfach die Wahrheit sagen! Das wäre ein Selbstmordkommando. Doch wenn du auch nur ein kleines Anzeichen machst, worin das auch immer bestehen möge, werde ich nicht zögern dich hinrichten zu lassen.' Diesen Satz hatte König Kirmemsew gesagt, der in dieser Situation wohl ziemlich genau zutraft. Es war nicht nur ein kleines Anzeichen, sondern ein Großes.

Als ich nicht antwortete drückte er den Dolch fester gegen meinen Hals und ich spürte wie mir etwas Blut den Hals hinunter rann. Ich keuchte auf. Würde er mich töten, wenn ich ihm nicht die Wharheit sagte? Würde er?

Meine Hände zitterten und die Panik kroch in mir hoch. Wieso hatte ich das nur getan? Wieso? Innerlich warf ich mir selbst die schlimmsten Schimpfwörter gegen den Kopf, die mir in diesem Moment einfielen. Wieso nur?

„Ich bin aus dem Fenster geklettert.", stieß ich schließlich so klar wie es nur ging, wenn man ein Messer an den Hals gedrückt bekam, hervor. Ich spürte wie der Druck des Messers an meinem Hals etwas nach lies.

„Und wie habt Ihr das bitte geschafft?", fragte er. Er glaubte mir nicht ganz.

„Ich bin die Regenrinne runter geklettert." Er begutachtete mein Gesicht. Offenbar suchte er nach Anzeichen das ich log.

„Und weshalb seid Ihr so nass?"

„Ich bin in die Regentonne gefallen." Der Soldat unterdrückte ein Lachen, lies dann aber von mir ab und trat einen Schritt zurück. „Ganz schön mutig, für eine Frau.", sagte er und schob den Dolch mit Schwung zurück an den Platz an seinem Gürtel.

Erleichterung.

Auf diese Aussage erwiderte ich nichts. Ich trat einen Schritt in Richtung Tür. „Könnt Ihr mich dann jetzt gehen lassen?", fragte ich ihn und betete dass er es tun würde, auch wenn er ganz und gar nicht danach aussah.

„Nein, so nicht.", sagte er und fuhr sich mit der Hand durch das wilde Haar. „Außerdem", setzte er an „Wie ist denn Euer Plan, wieder zurück ins Schloss zu kommen oder wolltet Ihr etwa abhauen?"

„Nein, ich wollte nicht abhauen.", sagte ich und schluckte unmerklich.

„Na da hätte ich euch gern die Regenrinne wieder hochspringen sehen. Wie Ihr sicher wisst, hört diese etwas fünf Meter über dem Boden auf.", er und grinste.

Oh, daran hatte ich nicht gedacht. Am liebsten hätte ich mir nun selbst eine Ohrfeige verpasst.

Angespannt wie eine Katze kurz vorm Absprung stand ich da und wartete auf eine Reaktion.

„Ich bin Chad Prize.", sagte er „Meistens bin ich Soldat der Nachtwache, aber an manchen Tagen wache ich auch Tagsüber. Ich erlebe hier vieles."

Na das sagte mir ja viel.

"Ich kann Euch helfen wieder unbemerkt ins Schloss zu gelangen.", sagte er ohne jeglichen Ausdruck in seinem Gesicht.

Meinte er das Ernst? Wollte er mir wirklich helfen wieder zurück ins Schloss zu gelangen, obwohl ich so dumm wie Stroh gewesen war?

"Das würdet Ihr tun?", fragte ich nach einer Weile zögerlich.

"Ja, das würde ich. Für die Wahrheit.", sagte er und trat einen weiteren Schritt zurück.

"Aber das war die Wahrheit.", sagte ich und schaute ihn verwirrt an. Noch immer hatte ich Angst, er würde in einem Moment, in dem ich nicht damit rechnete, auf mich zu springen und mich mit seinem glänzenden Schwert durchbohren.

"Nicht das.", sagte er und winkte ab. "Ich möchte wissen, wieso ihr wirklich auf das Gelände des Königs eingedrungen seid." Er machte eine bedeutende Pause. "Die Geschichte, dass Ihr Euch verlaufen habt, kaufe ich Euch nämlich nicht ab. Das tut niemand. Und ich glaube auch nicht, dass Ihr eine Spionin seid."

Es war eine Frage, die ich mir genauso stellte wie er. Wieso hatten sie mich hierbehalten? Hätten sie wirklich geglaubt dass ich eine Spionin wäre, wäre es das Einfachste gewesen mich umzubringen und somit zu beseitigen. Irgendetwas wussten sie.

Mir blieb nichts anderes übrig als zu lügen. Würde er die Wahrheit kennen, würde er mich sofort dem König überbringen und das Gleiche mit mir machen, wie er auch mit den anderen meiner Spezies gemacht hatte.

„Ich habe mich verlaufen, das ist die Wahrheit.", sagte ich so glaubhaft wie nur möglich. „Wieso sie mich hier festhalten weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich verstehe -‚'' „Ich kaufe Euch diese Geschichte nicht ab, niemand tut das!", sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen! Nein, das konnte ich wirklich nicht. Er würde mich dem König höchst persönlich ausliefern und das wäre mein Ende.

Wie hatte ich mir das nur eingebrockt? Wie hatte ich mir das alles nur selbst antun können?

Plötzlich kam mir ein Gedanke. Könnte ich hier meine Kräfte aufrufen? Dann könnte ich ihn, so leid es mir auch tat, ausschalten und somit fliehen. Doch wie ich, während meiner Zeit als Auszubildende, gemerkt hatte, war ich ziemlich schlecht und würde meine Kräfte bestimmt nicht richtig einsetzen können. Doch ich musste es versuchen.

Nein, dieses Risiko konnte ich nicht eingehen. Aber ich konnte es anders versuchen, auch wenn es sinnlos war, da er ein geübter Soldat war. Aber es war meine einzige Chance!

Ich fuhr herum und schlug ihm meinen Ellenbogen ins Gesicht. Erschrocken fasste er sich ins Gesicht. Damit hatte er nicht gerechnet. Doch dann zog er sein Schwert.

Ich war verloren.

In dieser Kammer konnte ich noch nicht einmal fliehen.

„Möchtest du es wirklich so? Du wirst nicht gewinnen!", sagte er und schwang sein Schwert. Ich achtete nicht darauf und sprang hinter ihn. Er drehte sich um und holte mit seinem Schwert aus. Ich sprang zur Seite. Schnell holte er mit dem Schwert aus und traf mich auf die Schulter. Im letzten Moment konnte ich noch ausweichen, bevor er meine ganze Schulter absäbelte.

Der Schmerz zog sich durch meine ganze Schulter. Ich spürte bereits das Blut, dass aus der Wunde sickerte. Ich verzog das Gesicht vor Schmerz.

Plötzlich blieb ich stehen. Ich hatte keine Chance. Meine einzige Chance waren meine Kräfte. Es musste einfach funktionieren!

Ich konzentrierte mich auf sein Schwert und hob die Hand. Es bewegte sich. Ruckartig zog ich meine Hand hinauf und das Schwert wurde Chads Hand entrissen. Er schaute auf seine Hand und dann auf das Schwert, das nun vor mir schwebte. Ich lies die Hand sinken und finge das Schwert auf. Ich hatte es geschafft! „Wie habt Ihr das gemacht?", fragte er, bis ihm offensichtlich ein Licht aufging. Ich hatte mich somit selbst verraten. Sollte ich noch etwas nachhelfen? Dann könnte ich ihn womöglich ausschalten. Ich hob meine Hände und lies sie gleich darauf aber auch schon wieder sinken. Auch wenn er ein Soldat war und noch dazu einer vom König, konnte ich es nicht. „Ihr seid eine von ihnen, oder?", fragte er. Ich hielt das Schwert schützend vor mich. Ich hatte keine Ahnung was ich tun sollte. „Ihr seid eine Bändigerin." Ich schluckte. Er wusste Bescheid. „Du kannst mir vertrauen.", sagte er und lies die Hände sinken.

„Und woher weiß ich das?", fragte ich ihn und hielt immer noch das Schwert schützend vor mir. „Hör zu, ich weiß mehr als du glaubst über alles. Und du musst dich wirklich in Acht nehmen. Sie tun Dinge mit ihnen-..." „Was tun' sie mit ihnen und wo sind sie?", fragte ich ihn. „Ich weiß nicht wo sie sind und auch nicht genau was sie tun. Doch so viel weiß ich, dass du dir nicht wünschst bei ihnen zu sein." Das half mir nichts. „Leben sie noch? Sind sie noch am Leben?", fragte ich ihn und schritt um ihn herum. „Leg' das Schwert weg. Ich könnte dich auch so mit einem Handgriff umbringen, wenn ich wollte. Das Schwert hilft dir gar nichts." Ich zögerte kurz, legte dann aber das Schwert nieder. Ich hatte ja immer noch meine Kräfte, wenn sie mich nicht im Stich ließen. „Sind sie noch am Leben?", fragte ich ihn abermals. „Ich weiß es nicht genau. So wie ich mitbekommen habe, einige ja und einige nein. Aber die, die noch am Leben sind in nicht besonders toller Verfassung." Was taten sie dort bloß mit ihnen. Wir hatten ihnen nichts getan. Wieso? „Jayden Brone. Kennt Ihr diesen Jungen? Ist er noch am Leben?", fragte ich ihn. Ich musste es einfach wissen. Bitte, bitte, lass ihn am Leben sein. Ich schwor mir ihn da rauszuholen, wenn er lebte. Koste es was es wolle. „Nein, ich kenne ihn nicht. Ich habe noch nie von ihm gehört. War er ein Freund von Euch?" „Ja.", sagte ich, schluckte und wandte den Blick auf den Boden. „Hört zu, ich bringe Euch jetzt wieder in Euer Gemach. Und versucht nicht noch einmal zu entfliehen. Ihr hattet heute das größte Glück aller Zeiten.", sagte er und drehte sich um. „Ich werde Euch etwas trockenes zum Anziehen bringen, mit dem ich Euch zurück in das Schloss schmuggeln kann.", damit verschwand er durch die Tür rechts.

Wenig später kam er wieder zurück und schmiss mir etwas schwarzes vor die Füße. „Wenn ihr Euch als Soldat ausgebt, müssten wir unbemerkt ins Schloss gelangen können. Also zieht Euch um." Er schaute mich erwartungsvoll an. „Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ich mich vor Euch ausziehe, oder?", fragte ich ihn vielleicht etwas erstaunt, als er keine Anstalten machte, sich umzudrehen. Seufzend drehte er sich dann aber doch um und ich machte mich daran mich aus meinem klatschnassen Mantel und Kleid zu schälen.

Ich zog mir zuerst die Hose an. Da sie sehr weit war, sah man den Größenunterschied nicht all zu arg. „Ihr könnt die Schuhe neben der Bank nehmen.", sagte Chad ohne sich umzudrehen. Ich griff nach ihnen und zog sie mir an. Sie waren mir mindestens fünf Nummern zu groß. Anschließend schlüpfte ich ein weites Hemd und zog darüber ein schwarzes Wams aus Leder, so wie es Chad trug. Als ich fertig war, drehte sich Chad um und begutachtete mich von oben bis unten, bis er schließlich sagte: „Dein Haar muss weg." Schließlich holte er noch irgendeine Kopfbedeckung, unter der ich dann mein Haar versteckte. Ohne etwas zu sagen, verschwand er noch einmal hinter der Tür und kam mit einem großen Langschwert zurück. „Steck dir das an den Gürtel.", sagte er und öffnete die Tür.

Strahlender Sonnenschein begrüßte uns. „Was machen wir mit dem Kleid?", fragte ich ihn noch, bevor er hinaus trat. „Ich werde es beseitigen wenn ich wieder komme.", sagte er ohne sich umzudrehen. Ich wusste nicht ob ich ihm trauen konnte, schließlich hatte ich ihm gerade meine Kräfte offenbart. Er könnte mich genauso gut direkt zum König bringen. Doch mir blieb keine andere Wahl und irgendetwas sagte mir das ich Chad trauen konnte, was auch immer es war.

Wir liefen schnellen Schrittes über die Wiese, als wir zum Schlossgarten kamen, nahm' Chad den Weg nach links um den Garten. Es war ein Umweg, würde er mich doch woanders hinbringen? Doch dieser Gedanke erledigte sich wieder als Chad sagte: „Wir gehen den normalen wer der Patrouille. Du wirst einfach so aussehen, als hätten wir eine gemeinsame Schicht." Chad war schnell und ich hatte Mühe mit ihm mitzuhalten, ohne mit dem Rennen zu beginnen. Auf halbem Wege kam uns schließlich ein Soldat entgegen. Ich zog mir die Kopfbedeckung tiefer ins Gesicht und tat so als würde ich mich im Gesicht kratzen, sodass er mein Gesicht nicht sah. Ich beobachtete wie Chad und der Soldat sich zunickten, dann aber ohne ein Wort aneinander vorbei schritten.

Was würde mit mir passieren, wenn ich auffliegen würde? Und was wäre dann mit Chad? Und was wäre wenn er mich doch dem König ausliefern würde? Er würde mich bestimmt zu den anderen bringen. Zu den anderen meines Dorfes, zu denen meiner Art. Doch so wie Chad es erwähnt hatte, würde ich mich dort nicht hinwünschen wollen, und das glaubte ich ihm. Noch nie war einer, der von den Swaresk geschnappt worden war, zurück gekehrt, noch nie. Was taten sie nur mit ihnen? Was wollte Kiremsew mit ihnen bezwecken? Ich eilte neben Chad her und blickte in den Himmel. Die Sonne stand bereits tief und es wurde langsam frischer. Auch wenn es Sommer war, waren die Nächte kalt, sodass manchmal sogar Frost auf dem Gras und in den Bäumen zu erkennen war, der wie kleine Eiskristalle in der Morgensonne funkelte. Wir tauchten kurz in den Wald hinein, als wir auch schon wieder hinaus liefen und vor dem großen Schlosstor standen.

Es zog sich in mir zusammen, als ich das Schloss in voller Größe vor mir erblickte. Es war angsteinflößend. König Kiremsew war angsteinflößend. Er würde mich nicht ausliefern, er würde mich nicht ausliefern, war mein einziger Gedanke als wir einen schmalen Pfad mitten durch den Tannenwald entlangliefen und schließlich vor einer kleinen Tür standen, die Chad öffnete.

Wir befanden uns auf dem Innenhof des Schlosses. Dort liefen alte und junge Frauen und Männer umher. Ein kleiner Junge rannte um uns herum, worauf ein kleines Mädchen mit braunen Zöpfen hinterher gerannt kam. Eine Frau schob einen alten Karren mit Obst und Gemüse vorbei. Sie schaute mich verwundert an. Schnell schob ich die Mütze tiefer in mein Gesicht und wandte mich ab. Männer und Frauen begannen ihre Stände abzubauen. War heute Markt gewesen? Eine alte Frau mit langen grauen Haaren hielt ein Brot empor und schrie: „ Die letzten Brote! Die letzten Brote! Zum halben Preis!" Wir liefen nun an den Stallungen vorbei und ich begutachtete fasziniert die bildhübschen Pferde die ihren Kopf aus den Boxen streckten. Wir liefen durch eine Nebentür, direkt neben dem großen Tor das ins Schloss führte. Davor standen grimmig schauende Wachen, die die Leute beobachteten. Unauffällig verschwanden wir durch die Tür. Wir eilten einen dunklen Gang entlang, bis wir schließlich eine schmale Wendeltreppe empor liefen.

Einhundertdreiundvierzig, einhudertvierundvierzig, einhundertfünfundvierzig, einhundertsechsundvierzig... zählte ich leise die Stufen. Als wir oben angekommen waren hatte ich einhundertsechzig Stufen gezählt, auch wenn ich mich mindestens zwei Mal verzählt hatte. Nun waren wir vor einer Tür stehen geblieben, die Chad mit einem Schlüssel, der an seinem Gürtel hing, öffnete. Wir kamen in einem Gang an, der aussah wie alle anderen, in denen man sich leicht verirren konnte. Gemälde von irgendwelchen königlichen Hoheiten oder den Wäldern und Städten von Alentija, unserem Königreich. So schnell es mit diesen viel zu großen Schuhen nur ging, eilte ich hinter Chad her, der nach links und gleich darauf wieder nach rechts abbog. Dann liefen wir eine große Treppe hinauf, die ich als die Treppe vor meinem Gemach erkannte. Ich erblickte die Wachen die vor meinem Gemach standen und senkte den Kopf. Das würde mir gerade noch fehlen, wenn sie mich jetzt erkannten. „Ist schon Schichtwechsel?", fragte der eine mit den langen Haaren und blickte den anderen an. „Ja, das ist es.", antwortete Chad gelassen. Die beiden Wachen liefen den Gang zurück und dann die Treppe hinunter, von der wir gekommen waren. Chad schaute sich kurz um, bevor er die Tür öffnete und eintrat.

Ich schlüpfte hinter ihm ins Zimmer. „Vielen, vielen Dank.", sagte ich und schaute ihm in die dunklen Augen. „Ich stehe in Eurer Schuld." Ich zog mir die bereits juckende Kopfbedeckung vom Kopf und legte sie neben mich auf die Kommode neben meinem Bett. „Nichts zu danken.", sagte er und machte sich bereits wieder auf zum Gehen. „Ich werde Wachen schicken lassen, die Euch weiter bewachen, damit niemand Verdacht schöpft. Und dies Mal würde ich Euch keine heimlichen Ausflüge empfehlen.", er grinste und ich grinst zurück. Das hätte echt schief gehen können. Irgendetwas war noch zu sagen, doch ich wusste nicht was. „Ihr wisst hoffentlich, dass Euer Geheimnis bei mir sicher ist.", sagte er noch, bevor er sich verabschiedete und aus der Tür verschwand.

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Hey! :)

Wie gefällt euch meine Geschichte? Fällt euch irgendetwas positiv oder negativ auf?, wenn ja, schreibt das doch gerne unten in die Kommentare, darüber würde ich mich echt freuen! Und was denkt ihr wie die Geschichte wohl weiter geht? Auch das könnt ihr gerne unten in die Kommentare schreiben.

LG Crownqueen144 ;)

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