61. Kapitel

Louis:

Der Tag läuft gut. Die Einsätze sind nicht zu dramatisch, aber auch nicht langweilig. Es ist eine gute Mischung aus allem. Ein paar kleine Rauchentwicklungen, zwei Unfälle und drei Fehlmeldungen. Nichts allzu Schlimmes. Harry hat mir vor einer Viertelstunde geschrieben. Ich bin nicht sicher, wie weit er weg ist, aber ich rechne in den nächsten zehn Minuten mit ihm. In der Umkleide stehe ich vor einem der Spiegel und richte meine Haare. Marah kommt rein und mustert mich skeptisch. „Was wird das?" – „Nichts." – „Das sieht nicht nach nichts aus", antwortet sie mir und ich verdrehe kurz die Augen. „Ich habe meine Haare gekämmt. Offensichtlich", sage ich knapp und betrachte mich im Spiegel. Ich trage das Shirt der Wache und die normale Hose. Wenn ich die Einsatzhose tragen würde, würde die ganze Truppe mich auslachen. Aber Harry würde sofort durchdrehen. Ich bin mir sicher, dass sein Schwanz zucken würde, sobald er mich sieht. Ist es mir das Wert? Nicht jetzt, aber vielleicht bald. Jetzt kann ich mich sowieso nicht mit ihm verziehen, also wäre der erste Effekt verschwendet.

„Und für wen machst du deine Haare?" – „Für niemanden"; antworte ich, obwohl gleich natürlich jeder sehen wird, dass Harry hier ist. „Klar. Für niemanden." Sie verdreht die Augen und ihr Tonfall ist sarkastisch. „Nur für deinen Helm, den du beim nächsten Brand aufsetzt und der deine Frisur sowieso wieder kaputt macht, richtig?" – „Richtig." Marah fängt an zu lachen. „Alles klar. Wann ist er hier?" – „Was?" – „Dein Helm." – „Der liegt im Wagen. Meinst du Harry?" – „Ich habe nur darauf gewartet, dass du es bestätigst", erwidert sie zufrieden und sieht an mir herab. „Du siehst aus wie immer. Wieso zupfst du die ganze Zeit an den Klamotten herum." – „Das geht dich nichts an." Ich könnte es ihr auch einfach sagen. Hier kann sowieso niemand lange etwas geheim halten. Es ist bescheuert, es überhaupt zu versuchen.

Als hätte ich es heraufbeschworen, betritt Matt die Kabine. Oder steht er dort schon etwas länger? Zumindest muss er den letzten Teil der Unterhaltung gehört haben, denn er antwortet ungeniert: „Ich wette dieser Styles steht auf Uniformen und deswegen putzt Louis sich so heraus." Marah sieht zu Matt, dann wieder zu mir. Ich verdrehe die Augen. „Und wenn schon." – „Willst du gleich die Einsatzhose anziehen? Und die Jacke?" – „Nein, mach das anders", wirft Matt ein, ohne mich zu Wort kommen zu lassen. „Mach es wie in diesen Charity-Kalendern." – „Oh ja! Einfach ohne Shirt aber mit den Hosenträgern", stimmt Marah begeistert zu. „Ich wette, Harry wird dir sofort verfallen." – „Und dann? Soll ich ihn in einen der Schlafräume ziehen und da vögeln?", frage ich die beiden trocken. „Das mache ich garantiert nicht, wenn die ganze Wache zuhört", stelle ich klar. Gedanklich stimme ich allerdings im selben Moment zu, dass Harry der Anblick wahrscheinlich durchaus gefallen würde. Nicht umsonst verkaufen sich diese Feuerwehrkalender jedes Jahr wie geschnitten Brot. „Sonst würdest du es also machen?", fragt Marah. „Haltet die Klappe. Beide." Ich verlasse die Kabine und kehre zurück in die große Küche, um mir einen Tee zu machen.

Gerade, als ich den Teebeutel in die Tasse gebe, höre ich ein lautes: „Hallo?" Es kommt von unten, besser gesagt, aus dem Eingangsbereich. Ich lasse die Tasse stehen und gehe zur Treppe. Harry steht dort und sieht sich um. Er trägt einen (wahrscheinlich maßangefertigen) Anzug. Es steht ihm ziemlich gut. Das kühle Grau lässt ihn verdammt seriös wirken. Wenn ich es nicht wüsste, würde ich sagen, er kommt gerade von der Arbeit. Das Jackett umschmeichelt seine breiten Schultern. Es ist nicht ganz gerade geschnitten und deutet leicht seine schmale Taille an. Es wirkt nicht zu gewollt oder zu dünn. Es betont seine Figur genau richtig. Als er mich entdeckt, fängt er an zu lächeln. „Hi, komm gerne hoch", sage ich. „Was hast du alles dabei?" – „Essen", antwortet er schulterzuckend. Ich führe ihn in die Küche und er stellt die Tüten auf dem großen Esstisch ab. Sobald er die Hände frei hat, ziehe ich ihn mit einem Arm um die Taille zu mir und küsse ihn. Er keucht auf, entspannt sich einen Moment später und legt die Arme um meinen Nacken und erwidert den Kuss. Fuck, ich möchte, dass er am liebsten jeden Tag herkommt. Abends einen Kuss vor Beginn der Nacht kriegen? Ja, bitte!

Knutscht ihr etwa in unserer Küche?" Charly steht an der Seite und trinkt Kaffee. „Hi", sagt Harry knapp. „Ich habe Abendessen mit. Louis meinte, das wäre okay, dass ich herkomme." – „Moment, hast du für alle was?", verstehe ich und blicke auf die Tüten. Er zuckt mit den Schultern. „Es ist dein Team und ich habe hier nicht den besten Eindruck hinterlassen. Deswegen habe ich ein bisschen mehr gekauft." – „Marah hat gekocht", bemerke ich und sehe zum Herd. „Oh. Ich wollte hier nichts durcheinander bringen. Tut mir leid", rudert er sofort zurück. Charly schüttelt den Kopf. „Tust du nicht. Wir packen den Topf einfach in den Kühlschrank. Das hält sich bis morgen." Harry lächelt wieder ein bisschen. „Okay."

Charly sammelt die Truppe zusammen. Ich packe mit Harry das Essen aus und Decke den Tisch. Als ich eine Packung Penne Fungi öffne, rümpfe ich kurz die Nase. Ich mag Pilze nicht, weder den Geschmack noch den Geruch. „Ich habe auch etwas ohne Pilze", meint Harry daraufhin. Verwundert sehe ich ihn an. „Es war nicht zu übersehen, dass du das nicht magst", fügt er hinzu und drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.

„Möchtest du einen Kaffee?", biete ich ihm an, aber er lehnt ab. „Lieber ein Wasser. Für Kaffee ist es mir zu spät." Ich hole ein Glas heraus und merke seinen Blick in meinem Rücken. Ich drehe mich wieder zu ihm um und ertappe ihn in diesem Moment dabei, wie er mich mustert. Fragend hebe ich eine Augenbraue und er errötet. Ich gehe auf ihn zu und gebe ihm das gefüllte Wasserglas. „Das ist nicht meine Einsatzuniform", sage ich und er befeuchtet seine Lippen. Ich gehe davon aus, dass er es unbewusst tut. „Ich weiß, aber da ist ein Logo und es sitzt so gut und... uhm..." – „Also reicht dir das schon?" – „Gibt es die Option für mehr?", verhandelt er, schüttelt dann aber sofort den Kopf. „So etwas sollte ich nicht fragen. Vergiss es." – „Vielleicht irgendwann mal", antworte ich ihm und zucke mit den Schultern. Ich hatte nie daran gedacht, dass ich meine Uniform mal für etwas anderes als die Arbeit nutzen würde, aber wenn es ihn derart scharf macht – vielleicht denke ich inzwischen anders darüber.

Mein Team kommt in die Küche und sieht den reich gedeckten Tisch. „Geil", höre ich Matt sagen. „Danke, Harry. Das hättest du nicht tun müssen", sagt Marah. Harry winkt ab und setzt sich zu mir. „Ich habe das gerne getan. Und so kann ich mit Louis Abendessen", erwidert er schulterzuckend. Matt nimmt sich das Gericht mit den Pilzen. Soll er machen, ich will es definitiv nicht. Harry wartet, bis sich alle etwas genommen haben, bevor er selbst wählt. Ich lege für einen Moment meine Hand auf seinen Oberschenkel und seine Lippen zucken. Er möchte nicht grinsen, kann aber nicht verhindern, dass er rot um die Nase wird und räuspert sich einmal. Ich lächle zufrieden und nehme meine Hand wieder weg. Verdammt, ich werde niemals genug davon bekommen, wie er auf mich reagiert. Ich hoffe, das hört nicht auf.

„Das ist echt lecker. Wo hast das Essen besorgt?", fragt Marah und wickelt Harry damit in ein Gespräch ein. Ich weiß, dass das Team nicht sonderlich gut von Harry denkt. Dachte. Ich nicke Marah dankend zu, dass sie ihn mit offenen Armen hier empfängt und er nicht stumm beim Essen daneben sitzt. Wobei, das würde Charly nicht zulassen, nachdem Harry uns mit Abendessen versorgt hat. Bocca di Lupo, ich kann dir die Adresse gleich geben", antwortet er. Den Namen habe ich noch nie gehört. „Wie viel bekommst du dafür?", möchte Charly wissen, aber mein Freund winkt sofort ab. „Nichts. Ich habe schließlich einfach so Essen mitgebracht." – „War es teuer?", möchte ich unbedacht wissen. „Es war okay. Angemessen." – „Also ja", verstehe ich. „Du musst nicht bei Edelrestaurants für uns einkaufen. Ein normaler Italiener tut es okay, das weißt du, oder?", hinterfrage ich. Er zuckt mit einer Schulter. „Der Laden schien gut zu sein. So teuer war es nicht." Wir bewegen uns nur in sehr unterschiedlichen Kreisen. Er spricht es nicht aus. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er es gedacht hat. Ich konnte es allerdings nicht verhindern.

Er merkt es mir nicht an, das tut keiner hier. Stattdessen interessiert Harry sich für meine Arbeit und das Team erzählt natürlich nur zu gerne von unseren Einsätzen. Harry taut immer mehr auf und ehe ich mich versehe sind die Teller leer. Er unterhält sich nach wie vor mit meinem Team. Ich schiele auf die Uhr. Er ist seit einer Stunde hier. Es ist nicht so, als würde ich ihn nicht hierhaben wollen, es ist eher so, dass ich mich wundere. Sonst ist sein Tag sehr strukturiert, voller Termine und Verpflichtungen. Jetzt gerade achtet er kein bisschen auf die Zeit. Es ist schön zu sehen, wie entspannt er gerade ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das nachher nicht ärgern wird.

In dem Moment, in dem ich mein Handy wieder wegstecken möchte, bekomme ich eine Nachricht.

Liam: Ruf mich an, wenn du Zeit hast.

Liam: Du hast gerade Schicht, oder? Morgen reicht auch.

Me: Was gibt's? Geht es um den Podcast?

Liam: Nein. Wir müssen über etwas anderes reden.

Bitte was? Bevor ich nachfragen kann, ertöt der Alarm. Sofort springen alle auf. Harry sieht uns mit großen Augen an. „Wir müssen los. Danke für das Essen", sage ich schnell und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. „Komm gut nach Hause, ja? Wir räumen hier nachher auf. Melde dich, wenn du daheim bist." Bevor er antworten kann, eile ich meinem Team hinterher.

-- -- -- -- --

Was könnte Liam von ihm wollen? Und was denkt ihr darüber, dass das Team Harry eine zweite Chance gegeben hat? 

Love, L

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top