43. Kapitel
„Du bist wieder ein Griesgram." – „Hast du gerade ernsthaft Griesgram gesagt?", fragt Marah amüsiert. „Was ist daran so schlimm?", fragt Charly und sieht sie irritiert an. „So sprechen nur alte Menschen", antwortet Matt ihm schulterzuckend. „So alt bin ich nun wirklich nicht", widerspricht unser Captain sofort. „Naja, also..." Matt spricht nicht weiter. Marah schüttelt warnend den Kopf. „Ja, das hast du recht Captain. So alt bist du nicht", antwortet Matt ihm stattdessen scheinheilig, aber niemand hier kauft ihm das ab.
Charly sieht zu mir, anstatt ihm zu antworten. „Was denn?", will ich wissen und ziehe meinen Teebeutel aus der Tasse. „Charly sagt, du bist ein Griesgram", wiederholt Matt. Ich verdrehe die Augen. „Das habe ich gehört. Ich weiß nur nicht, was dieser Mist soll." – „Sag ich doch", meint Charly und lehnt sich an die Küchenzeile. „Du bist schlecht gelaunt und das schon seit ein paar Tagen." – „Ist das eine Frage?", will ich von ihm wissen und trinke einen Schluck Tee. Igitt. Der Teebeutel war zu lange drin und jetzt ist der Tee bitter. Ekelhaft. Missmutig stehe ich auf und gehe zur Spüle, um ihn wegzuschütten, ehe ich mir neues Wasser aufsetze. „Was ist los?", fragt Charly mich mit ruhiger Stimme. „Nichts." – „Und hat nichts einen Namen?", fragt er weiter. Irritiert sehe ich ihn an. Ich habe keinen Ton über Harry verloren, wieso fragt er mich so etwas.
„Ich wusste es", sagt er zufrieden. „Hast du geblufft?" – „Vielleicht", antwortet er und zuckt mit den Schultern. „Also habe ich recht? Es geht um diesen Kerl?" – „Und wenn schon." – „Also war er das Risiko nicht wert?", versteht er. Nachdem ich zeitig den Teebeutel aus der Tasse gezogen und mich wieder gesetzt habe, kommt er zu mir. Er lässt sich neben mich auf das Sofa fallen und sieht mich abwertend an. „Du musst nicht darüber sprechen, aber vielleicht hilft es dir." – „Bist du nebenberuflich Psychologe?" – „Das nicht, aber als Captain lernt man doch so einiges dazu", antwortet er und schmunzelt ein bisschen. „Vor allem mit einem Team wie diesem." – „So schlimm sind wir gar nicht!", höre ich Matt quer durch den Raum rufen. „Musst nicht irgendetwas anderes tun? Den Einsatzwagen waschen zum Beispiel?", fragt Charly ihn im Gegenzug. „Was?" – „Los, an die Arbeit." Matt stöhnt genervt, geht dann aber nach unten und schnappt sich die Putzsachen.
„Das hat man davon, wenn man lauscht", meint Charly nur und zuckt mit den Schultern. Ich nicke stumm. „Also? Es hat mit diesem Kerl nicht funktioniert?", kehrt er zum eigentlichen Thema zurück. „Nein", antworte ich knapp und zögere einen Moment, ehe ich hinzufüge: „Er hat den Podcast gefunden." – „Bei dem du zu Gast warst?" – „Mhm." – „Und das ist schlimm, weil?" – „Ich ihn als egoistisches Arschloch bezeichnet habe", sage ich und presse die Lippen zusammen. Er ist ein Arschloch, ich habe nicht gelogen. „Ich habe über den Einsatz gesprochen, bei dem die Küche in seinem Büro gebrannt hat. Es war das Negativbeispiel der Folge und er war das Beispiel dafür, wie man sich Rettungskräften gegenüber nicht verhalten sollte." – „Und dabei hast du ihn beleidigt." – „Ich habe nicht gelogen", stelle ich klar. Charly sieht mich skeptisch an. „Man kann Mist bauen, ohne direkt ein Arschloch zu sein." – „Er nicht." – „Klingt ja nicht so, als würdest du ihn sonderlich mögen."
Ich zucke mit den Schultern. „Tue ich auch nicht." – „Aber du stehst auf ihn." – „Nein, ich habe doch gerade gesagt, dass ich ihn nicht leiden kann." Charly schüttelt leicht den Kopf und hat diesen Gesichtsausdruck, den nur ältere Menschen haben. Es ist dieser Ausdruck, der dir sagt: Ich weiß etwas, dass du noch nicht verstanden hast, weil du zu wenig Lebenserfahrung hast. „Was? Sag es doch einfach", fordere ich.
„Du kannst ihn nicht mögen und auf ihn stehen. Oder verliebt sein, wie auch immer du es nennen willst." – „Was?" – „Das geht sehr wohl und ich denke, genau das ist dir passiert." – „Das ist bescheuert. Ich muss doch jemanden mögen, um verknallt zu sein." Er schüttelt den Kopf. „Nein, nicht unbedingt." – „Du hörst dir aber schon selbst zu, oder?" Er übergeht diese Frage einfach, anstatt mir eine Antwort zu geben. „Ich wette, du hasst es, dass du ihn seit Tagen nicht mehr gesehen hast, oder?" – „Bullshit", streite ich sofort ab. „Es ist besser, wenn ich ihn nicht wiedersehe." – „Und warum?" – „Er ist ein Arschloch." – „Und warum?" – „Wie warum?" – „Was hat er dir getan? Und ich rede nicht vom Einsatz." Ich antworte meinem Captain nicht. Es juckt mir in den Fingern, über die Narbe zu streichen, aber ich unterdrücke es. „Ich weiß es einfach. Und ich will nicht länger darüber reden", blocke ich ab. Es reicht schon, dass ich in letzter Zeit, viel zu oft daran denke.
„Seid ihr fertig?" Marah ist zu uns gekommen. „Ja", entscheide ich und stehe auf. Meine leere Teetasse räume ich in die Spülmaschine. „Offenbar schon", stimmt Charly zu und ich bin dankbar, dass er das Thema ruhen lässt. „Okay, denn du hast Besuch." – „Was?" Irritiert sehe ich sie an. „Geh zum Empfang", meint sie nur und zuckt mit den Schultern. Ich gehe die Treppe herunter. Wer könnte um die Uhrzeit hier auftauchen? Es ist fast zehn Uhr abends.
Noch auf der Treppe sehe ich ihn. Wieso ist mir das nicht vorher in den Sinn gekommen? Er läuft unruhig vor der Tür hin und her. „Was machst du hier?", will ich wissen und bleibe auf der letzten Treppenstufe stehen. Er sieht zu mir. „Hi... uhm..." Abwartend sehe ich ihn an. „Also?" – „Ich wusste nicht, ob ich dir noch einmal schreiben soll, immerhin sind es schon fünf Tage seitdem wir das letzte Mal geschrieben haben und dann dachte ich, du hast vielleicht Dienst, aber... also...", stottert er vor sich hin. Ich sehe zu meinem Kollegen am Empfang, der mich kurz ansieht. „Komm mit", beschließe ich. Ich will das ungerne mit Zuschauern klären. „Einfach mit in die Wache? Geht das?", fragt Harry mich verwundert. „Das hier ist kein Gefängnis", antworte ich nur knapp und gehe die Treppe wieder hoch. Ich führe Harry gar nicht erst in die Küche oder den Aufenthaltsraum, sondern in einen der Ruheräume. Er sieht auf das Bett. „Schläfst du hier?" – „Ich ruhe mich aus", sage ich knapp und verschränke die Arme vor der Brust. „Was willst du hier?"
„Ich bin auf dem Weg nach Hause und dachte, ich schaue kurz, ob du hier bist", fängt er an. „Ich hoffe, du das deine Karre nicht direkt vor unserer Ausfahrt geparkt", antworte ich ihm trocken. „Uhm... nein. Ich stehe zwei Ecken weiter, ich habe hier nichts gefunden", erzählt er mir. Dann strafft er die Schultern und sagt: „Ich will das wir das klären. Das mit dem Podcast." – „Was gibt es da zu klären?", will ich wissen und versuche, diese Situation nicht zu nah an mich heranzulassen. Harry tut mir nicht gut. „Du nennst mich in einem Podcast so, erzählst davon nichts und dann antwortest du mir nicht mehr. Ich würde gerne verstehen, wieso du das machst", erwidert er. „Und ich denke, du hast die letzten Tage darüber nachgedenken können, oder? Das wolltest du doch." – „Konnte ich." – „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?", fragt er mich. Ich warte einen Moment. Harry tritt nervös auf der Stelle.
„Dass das mit uns nicht funktionieren kann", spreche ich schließlich aus, was mir schon seit einigen Tagen durch den Kopf schwirrt. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, es zu versuchen, aber ich weiß, dass ich es früher oder später bereuen würde. Wieder. Und das wird nicht passieren. „Was?", fragt er mich und sieht mich perplex an. „Wieso... also..." – „Wir sind komplett verschieden, merkst du das nicht?", ergreife ich wieder das Wort. „Fällt dir das nicht auf?" – „Das muss nichts schlechtes bedeuten", antwortet er und sieht für einen kurzen Moment an mir vorbei. „In unserem Fall schon", korrigiere ich ihn sofort. Ich weiß, dass ich das hier tun muss. Ich weiß, dass es nichts bringen würde, diesen Schlussstrich weiter hinauszuzögern. Allerdings verstehe ich nicht, wieso es mir so zusetzt ihn mit diesem Ausdruck in den Augen vor mit stehen zu sehen.
Er blinzelt ein paar Mal. Nein, er weint nicht. Wieso sollte er auch? Das mit uns war nichts – schließlich haben wir uns nicht einmal geküsst. Da war überhaupt nichts. „Ich bin kein schlechter Mensch. Ich verstehe nicht, wieso du so von mir denkst." Fast fange ich an zu lachen. Nur fast, denn mein Gesichtsausdruck bleibt unverändert. „Ich habe keine Zeit, dir das jetzt alles zu erklären. Ich bin immer noch im Dienst", blocke ich ab. Kurz zucken seine Augenbrauen. Was habe ich gerade gesagt? „Also gibt es eine Erklärung", versteht er. Ich fasse sofort wieder zu der Narbe. Harry tritt einen Schritt näher an mich heran. Er mustert mich. Ich trete einen Schritt zurück. „Was ist da passiert?" – „Was interessiert dich das?" – „Wurdest du... war das dein Ex oder so? Willst du deswegen nicht mehr, dass wir uns sehen?" – „Was?" – „Ich würde so etwas nicht tun, niemals", sagt er und es klingt fast, wie ein Versprechen.
Ich schüttle ungläubig den Kopf. „Ne, klar. Dafür schickt man ja auch andere Idioten vor." Irritiert sieht er mich an. „Du solltest gehen." – „Und du solltest mit mir reden." Er macht keinen Anschein, hier abhauen zu wollen. Ich schließe die Augen. „Geh, Harry." – „Erst, wenn du erzählst, was los ist." – „Ich mag dich einfach nicht." Er zuckt zusammen. „Das glaube ich dir nicht." – „Ich kann dich nicht leiden, konnte ich von Anfang an nicht." Er schüttelt den Kopf. „Nein, dann... du hättest nicht für mich gekocht, mir die Haare gewaschen und wärst nicht mit mir auf die Hochzeit gegangen." – „Ich habe doch gesagt, ich war dumm und naiv. Und dass ich es jetzt nicht mehr bin", stelle ich klar.
„Das ergibt keinen Sinn", widerspricht er hartnäckig. „Geh einfach, Harry." – „Ich werde nicht..." In diesem Moment ertönt die Sirene. „Ich muss zu einem Einsatz." Mit diesen Worten verlasse ich den Raum und laufe mit meinem Team zum Einsatzwagen.
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Tja, was wäre wohl passiert, wenn die Sirene nicht angegangen wäre? Und meint ihr, Harry bleibt standhaft, oder wird er gehen?
Love, L
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