42. Kapitel
(friendly reminder: ich freue mich auch bei Kapitel 42 noch über eure Kommentare und/ oder Reaktionen)
Harry:
Ich habe abends durchaus eine Routine, der ich nachkomme: arbeiten, Arbeit für den nächsten Tag vorbereiten, zweimal die Woche Sport, jeden Tag duschen und dann essen. Je nachdem, ob ich im Fitnessstudio war, ist das Abendessen mehr oder weniger spät. Nick meinte einmal, dass er nicht verstehen kann, wie ich abends um die Uhrzeit noch ins Gym gehen kann. Es ist ganz einfach: ich nehme meine Sportsachen aus dem Kofferraum und gehe durch die Eingangstür. Direkt nach seinem Feierabend würde ich allerdings auch nicht gehen, um die Uhrzeit ist es viel zu voll. Um die Uhrzeit, wo ich allerdings das Büro verlasse, ist es wieder schön leer und die meisten Menschen sind wahrscheinlich schon zuhause. Und wenn ich es nicht ins Gym schaffe, habe ich in meinem ziemlich großen Arbeitszimmer eine Kraftstation mit verschiedenen Funktionen stehen.
Heute lasse ich das Gym sausen und auch die restliche Arbeit links liegen. Schnell springe ich unter die Dusche und gerade, als ich mir eine Jogginghose und ein Shirt übergezogen habe, klingelt es. Meine Frühlingsrollen mit den gebratenen Nudeln sind da. Als ich das Essen auf einen Teller gebe und mir Besteck nehme, sehe wieder kurz auf mein Handy. Es ist deutlich früher als sonst, aber das interessiert mich gerade herzlich wenig. Es ist eher die Benachrichtigungen. Oder besser gesagt, die nicht vorhandenen Benachrichtigungen. Ich erwische mich dabei, dass ich mir etwas anderes erhofft habe. Eine Nachricht, vielleicht zwei, von ihm. Eine Antwort auf meine Frage, einen Vorschlag, wann wir uns sehen oder eine Nachricht darüber, wie sein Tag war. Aber da ist nichts. Unzufrieden setze ich mich mit dem Teller in der Hand aufs Sofa. Ich ziehe die Beine hoch und dabei bewegen sich die Ohren der Schäfchensocken. Ich trage sie ständig, wenn ich zuhause bin.
Mein Handy verbindet sich automatisch mit dem Soundsystem. Ich öffne den Podcast und sehe, dass es schon einige Folgen vor Louis gab. Allerdings interessieren die mich herzlich wenig. Louis ist auf dem Cover der Folge, mit diesem anderen Kerl, dem der Podcast wohl gehört. Er trägt seine Uniform nicht, sind aber nicht weniger gut dadurch aus. Das eng anliegende Shirt verrät, wie es darunter wohl aussehen könnte. Er lächelt in die Kamera, er scheint glücklich zu sein.
Ich mache es mir bequem und starte die Folge. Relativ schnell erfahre ich, dass dieser andere Kerl Liam heißt und in jeder Folge jemand anders zu Gast hat. Diesmal Louis als Feuerwehrmann Londons. Ich lehne mich zurück und lausche dem Gespräch. Solche Podcast haben mich nie gereizt, aber ihm einfach zuhören zu können und dabei in Ruhe etwas zu essen, hat was für sich. Louis erzählt wer er ist und dass er Feuerwehrmann ist. Er liebt diesen Job, das wusste ich vorher schon, aber auch so würde ich es in seiner Stimme heraushören. Er erzählt über seinen Alltag. Liam lässt ihn zum Glück relativ viel sprechen.
Als ich mir eine Frühlingsrolle nehme, beginnt Louis von einem Einsatz zu erzählen, bei dem sein Team und er ein älteres Pärchen aus einer brennenden Küche gerettet haben. Er erzählt auch, wie so ein Küchenbrand entstehen und worauf man achten sollte. Es ist überraschend interessant. Und entspannend. Dieses Paar hat wohl genau richtig gehandelt und reagiert. Sie haben sie mit dem Leiterwagen vom Balkon geholt und sicher auf die Straße gebracht. Vor meinem inneren Auge sehe ich Louis in voller Ausrüstung wie er jemanden aus einem brennenden Haus holt. Ich habe nie verstanden, wieso Leute auf Uniformen und Ausrüstungen abfahren, aber bei ihm – da ist es etwas anderes. Meine Gedanken schweifen ab und als ich das bemerke, muss ich den Podcast ein paar Minuten zurückspulen. Ich habe nicht mitbekommen, worüber sie gesprochen haben.
Liam hat wieder das Wort ergriffen. Er fragt Louis danach, wie man sich gegenüber der Feuerwehr und den Ersthelfern am besten Verhalten sollte. Und er fragt, ob sich viele Menschen falsch benehmen. Zu viele, ist Louis' Antwort. Es erschwert seinen Job. Relativ schnell beginnt er, von einem Einsatz zu erzählen, bei dem wohl genau das passiert ist: bei dem Menschen sich nicht richtig verhalten haben, ganz im Gegenteil zu den Rentnern aus der ersten Geschichte. Ich bemerke es im ersten Moment nicht. Louis erzählt davon, dass der Einsatz wie jeder andere angefangen hat, wie sie angekommen und sein Captain die Aufgaben verteilt hat. Jeder wusste, was zu tun ist.
Dann bekomme ich ein komisches Gefühl. Es ist ein Druck auf meinem Magen und meiner Brust. Ich straffe die Schultern ein wenig und höre genauer hin. Erzählt er das wirklich? Nein, das ist bestimmt was anders gewesen. Er würde doch nicht genau davon in dem Podcast erzählen. Es gibt sicher so viele Einsätze, die nicht optimal gelaufen sind, dass es dieser eine Tag ist, ist höchst unwahrscheinlich.
Louis erzählt weiter und ich stelle den inzwischen leeren Teller weg. „Wir machen unseren Job gerne und wir machen ihn gut. Meistens macht er auch Spaß, aber so einem Idioten in einem Einsatz zu begegnen braucht niemand", höre ich ihn sagen. „Wenn die Feuerwehr einem sagt, dass man das Gebäude zu verlassen hat, dann sollte man darauf hören und nicht diskutieren, wir sagen das schließlich nicht zum Spaß oder um jemanden zu ärgern. Einen Laptop und eine Akte kann man ersetzen, ein Leben nicht", sagt er mit fester Stimme. „Und wenn man dann auf so einen Idioten trifft, dem man helfen will und erst einmal diskutieren muss – was soll ich sagen, es ist unser Job, auch so jemandem zu helfen." – „Soll heißen?", fragt Liam ihn. „Ich würde mir wünschen, dass einige Leute mehr Respekt vor unserer Arbeit und vor uns als Menschen haben." – „Das hatte dieser Kerl nicht?" – „Ganz und gar nicht", sagt Louis mit bitterem Tonfall. „Es war ein egoistisches Arschloch, wie aus dem Lehrbuch: nur auf sich fokussiert und total arrogant."
Ich drücke auf Pause. Es war definitiv der Einsatz. Er hat alles genau so beschrieben, wie es bei uns im Büro war: der Kabelbrand, die Küche in der Etage unter meinem Büro, dass niemand mehr dort war außer mir und dass er mir verboten hat, meinen Wagen eben aus der Garage zu holen. Eigentlich sind noch zehn Minuten des Podcast übrig. Ich drücke nicht wieder auf Abspielen. Seine Worte hallen in meinen Gedanken wider. Ein egoistisches Arschloch, wie aus dem Lehrbuch.
Mir wird kalt und ein seltsames Gefühl erfasst meinen Körper. Es ist wie Einsamkeit, nur intensiver. Wie Wut, nur bitterer. Wie Traurigkeit, nur drückender. Es ist beschissen. Einige Minuten sitze ich auf meinem Sofa und sehe gerade aus. Ein egoistisches Arschloch. Ein Idiot. In dem Podcast klingt es so, als könnte er mich absolut nicht ausstehen. Als würde er mich hassen. Wieso hätte er dann Zeit mit mir verbringen sollen? Wieso war er hier, als ich krank war? Wieso ist er mit auf die Hochzeit gegangen?
Kurzerhand nehme ich mir mein Handy und öffne unseren Chat. Die Nachrichten hat er immer noch nicht gelesen – wie überraschend. Trotzdem schreibe ich ihm. Ich tippe die Wörter, bevor ich darüber nachdenke, was ich da eigentlich schreibe.
Me: Ein egoistisches Arschloch? Wieso hast du nicht gleich gesagt, was du von mir hältst? Antwortest du deswegen nicht mehr? Ich hätte gedacht, du hast wenigstens die Eier, mir so etwas zu sagen, bevor du anfängst, mich zu ignorieren.
Als ich mir die Nachricht durchlese (da ist sie schon abgeschickt), komme ich mir wie ein trotziger Teenager vor. „Dämlich", murmle ich, markiere die Nachricht und möchte die löschen. Da sehe ich plötzlich, dass unter Louis' Namen schreibt... steht. Verdammt.
Louis: Was? Wovon redest du?
Me: Du antwortest mir auf keine Nachricht mehr, seit Tagen nicht.
Louis: Ich musste nachdenken.
Me: Nachdenken?
Louis: Ja. So etwas kommt vor.
Louis: Was meinst du mit: egoistisches Arschloch.
Harry: Ist das dein Ernst?
Louis: Offensichtlich, sonst würde ich nicht fragen. Würdest du mir also eine Antwort geben?
Harry: Diese Podcastfolge.
Louis antwortet einen Moment nicht mehr. Er schreibt mir auch nicht. Ich schnaube und schüttle den Kopf. Dann lache ich bitter.
Harry: Hast du gehofft, ich würde es nicht hören?
Louis: Es ist ein kleiner Podcast, nicht einmal sonderlich bekannt. Außerdem dachte ich nicht, dass du dir so etwas anhören würdest.
Harry: Sondern?
Louis: Nachrichten, Politik, Wirtschaft, Börse und Aktien. So etwas.
Louis trifft direkt ins Schwarze. Natürlich höre ich sonst ausschließlich so etwas. Wir wissen beide, dass er recht hat.
Me: Gemma hat mir die Folge geschickt.
Louis: Okay.
Me: Okay?
Louis: Was soll ich dazu sagen? Du hast dich durchaus wie ein egoistisches Arschloch bei diesem Einsatz verhalten.
Me: Du hättest mir sagen können, dass du in einem Podcast über mich sprichst.
Louis: Ich habe keinerlei Persönlichkeitsrechte verletzt. Niemand weiß, dass ich über dich spreche.
Me: Ich weiß es.
Louis: Okay, dann weißt du es.
Es scheint ihn nicht zu kümmern. Ich bin in diesem Moment nicht sicher, was mich mehr verletzt. Was er in diesem Podcast gesagt hat, oder dass es ihn überhaupt nicht interessiert, wie ich auf die Folge reagiert habe. Ein stechendes Gefühl macht sich in mir breit, ausgehend von meinem Brustkorb strahlt des in meinen ganzen Körper aus. Ich möchte mit Louis sprechen, ihn sehen und bei ihm sein. Ich möchte diese Sache verstehen und mit ihm klären, aber er ist wieder offline. Und selbst wenn ich zu ihm fahren wollen würde, würde ich nicht wissen, wo ich hinmüsste.
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Tja, da hat Harry von dem Podcast erfahren. Was denkt ihr darüber? Und wieso ist Louis so abweisend?
Love, L
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