35. Kapitel

Louis:

Ich habe diesen Film noch nie gesehen. Ich wusste, dass es ein Liebesfilm ist, aber das war's auch schon. Dass es so kitschig ist, dachte ich nicht. Harry schaut gebannt auf den Bildschirm. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, er hat diesen Film noch nie gesehen. Schmunzelnd sehe ich ihn an. Er ist vollkommen gebannt. Er nimmt sich wenig später die Teetasse und möchte etwas trinken, doch sie ist leer. Er verzieht unzufrieden der Mund. „Doch nicht so schlecht, der Tee?", frage ich ihn wissend.

„Uhm... es war okay."

Ich schlage die Decke zurück. „Du musst nicht..." Er sieht meinen Blick ganz genau und spricht den Satz nicht zu Ende. Stattdessen streckt er mir die leere Tasse hin. „Danke", sagt er, als ich in die Küche gehe. Er spricht zwar leise, aber laut genug, dass ich es hören konnte. „Gerne", antworte ich ihm und weiß genau, dass er gerade errötet. Ich setze neues Wasser auf und nehme einen frischen Teebeutel aus der Packung. In der Zeit, in der das Wasser kocht, räume ich das Geschirr weg und die Küche ist kurz darauf komplett aufgeräumt. Mit der dampfenden Tasse kehre ich zurück. Sofort hebt Harry die Decke an. Er sitzt aufrecht, anstatt halb zu liegen. Ich setze mich neben ihn und lehne mich an die Ecke zwischen Rückenlehne und Armlehne. „Hast du wieder Honig in den Tee gemacht?" – „Natürlich", sage ich nickend und er pustet ein wenig. Noch ist der Tee zu heiß, um ihn zu trinken. „Kann ich... uhm... also...", stottert er. Fragend sehe ich ihn an, aber nicht fordernd. Er seufzt und presst die Lippen aufeinander.

Ich bin mit nicht genau sicher, was er sagen möchte, also warte ich. Er schaut eine Weile stumm den Film an: so lange, bis der Tee zwar noch sehr warm ist, aber so weit abgekühlt, dass er ihn trinken kann. Er hält die Tasse mit beiden Händen fest und wärmt sich daran. Er rutscht unruhig hin und her, alle paar Minuten. Dann verzieht er den Mund und ich merke, dass er nicht mehr zum Fernseher schaut. Er schaut daran vorbei und scheint nachzudenken. Ich strecke die Hand aus. Er mochte das schon, als wir im Auto saßen. Ich lege meine Hand an seinen Hinterkopf und meine Finger gleiten durch seine Locken. Er seufzt fast augenblicklich auf. Dann werden seine Augen groß und er sieht zu mir. Ich schmunzle. „Was machst du da?" – „Ist es nicht das, was du möchtest?" – „Nicht direkt, also..." – „Komm her", sage ich und nehme ihm die Tasse ab." – „Sicher?", fragt er mich. „Sonst würde ich es nicht anbieten", versichere ich ihm. Er rutscht zu mir und zieht die Beine ran. Einen Moment überlegt er noch, dann rückt er näher und kuschelt sich an mich. Ich gebe ihm die Tasse wieder. Er trinkt einen Schluck und legt seinen Kopf anschließend auf meiner Schulter ab.

Jetzt sieht er dem Film wieder zu und ein sanftes Lächeln hat sich auf seine Lippen geschlichen. Ich lege die Hand auf seine Stirn. Er zuckt nicht einmal. Er hat immer noch Fieber, wahrscheinlich genauso hoch, wie vorhin noch, aber ihm scheint es trotzdem besser zu gehen. Wer ist schon gern allein, wenn man krank ist? Der Film wird immer kitschiger, aber es rundet das Bild, dass ich langsam, aber sicher von Harry bekomme gut ab. Nach wie vor streiche ich durch seine Locken und kraule seine Kopfhaut. Er lehnt sich meiner Berührung entgegen. Ich frage mich, wann er das letzte Mal so etwas zugelassen hat. Etwas, das nicht einfach Sex und Befriedigung war. Und ich frage mich, wie blöd ich eigentlich bin, das hier zuzulassen.

Im ersten Moment merke ich es nicht. Als ich aber nach einer Weile Harry ansehe, bemerke ich, dass seine Augen immer wieder zufallen. Er versucht zu offen zu halten, aber es scheint immer schwieriger zu sein. „Schlaf ruhig." – „Ich bin nich' müde", murmelt er. Mhm, ist klar. „Ich bleibe, wenn du willst", biete ich an. „Mhm... bitte." – „Werde ich", verspreche ich ihm und sobald ich es ausspreche, schließt er die Augen. Den Film lasse ich weiterlaufen. Auch, wenn er bereits halb schläft, bin ich sicher, dass er es bemerken würde, wenn ich kurz vor Schluss den Film abschalten würde. Mich interessiert das Ende nicht sonderlich, aber es sind kaum noch zehn Minuten bis zum Abspann.

Ich nehme Harry die Tasse ab und stelle sie auf den Tisch. Als ich mich wieder nach hinten lehne, drückt er sich näher an mich und legt einen Arm um meine Hüfte. Er liegt inzwischen fast auf meinem Schoß, er ist während des Films immer weiter nach unten gerutscht. Gerade, als die Finale Szene über den Bildschirm flackert, wird seine Atmung ruhiger und sein Körper entspannt sich immer mehr. Er ist eingeschlafen. Zufrieden schalte ich nach der Szene den Fernseher aus und angle mir mein Handy aus der Hosentasche. Ich hole es langsam und vorsichtig heraus, damit er durch meine Bewegung nicht aufwacht. Er soll schlafen und sich ausruhen.

Nachdem ich auf ein paar Nachrichten von meiner Familie geantwortet habe, sehe ich, dass Liam die nächste Podcastfolge veröffentlich hat. Es ist keine, in der ich vorkomme. Es geht um ehrenamtliches Engagement in der Londoner Tierauffangstation. Er hat eine Frau bei sich, die dort schon seit zwanzig Jahren zweimal die Woche hilft. Da Harry sowieso schläft und ich nicht aufstehen will, um meine Kopfhörer zu holen, lasse ich den Podcast über den Handylautsprecher laufen - nicht zu laut natürlich – und scrolle durch Social Media.

Die Folge ist wie zu erwarten richtig gut geworden. Ich weiß durch meine Arbeit, wie viele Wildtiere es tatsächlich in London gibt. Das hätte ich vor meiner Arbeit nie erwartet. Es ist gut, dass sich Menschen wie sie um diese Tiere kümmern. So viel wie nötig, so wenig wie möglich, ist die Devise, schließlich sind es Wildtiere und keine Haustiere. Harry murmelt irgendetwas. Ich stoppe den Podcast und sehe zu ihm herab. Sein Kopf liegt inzwischen auf meinem Schoß und eine Hand auf meinem Oberschenkel. „Schlaf weiter", sage ich leise. „Mhm... mach weiter", murmelt er schlaftrunken. Ich bin nicht sicher, ob er wach ist. „Womit." – „Kraulen", brummt er unzufrieden. Ich habe meine Hand von seinem Kopf genommen, als ich mein Handy herausgeholt habe. Schmunzelnd lege ich sie zurück und meine Fingerspitzen gleiten über seine Kopfhaut. „Besser?", frage ich ihn, doch bekomme keine Antwort. Er ist wieder eingeschlafen. Nachher wird er garantiert nicht wissen, dass dieser Moment geschehen ist.

Die Podcastfolge geht eine gute Stunde. So lange bleibe ich ruhig auf der Couch sitzen und streiche durch die braunen Locken. Er wacht nicht noch einmal auf. Nachdem Liam abmoderiert hat, muss ich aber wohl oder übel aufstehen: Ich muss dringend ins Bad. „Harry?" Er antwortet nicht. „Du solltest langsam ins Bett." – „Mhm-mhm", widerspricht er murrend. „Doch solltest du." – „Ich will nich' aufsteh'n." Ich grinse. „Ich könnte dich tragen." – „Kann'su eh nich'", grummelt er.

Ich stehe vorsichtig und sein Kopf landet sanft auf der Sitzfläche. Er bleibt einfach liegen. Schnell schlage ich sein Bett auf und öffne das Fenster. Auch hier muss dringend frische Luft rein. Dann kehre ich zurück ins Wohnzimmer und schiebe meine Arme unter ihn: einen unter seine Beine, den anderen unter seine Schultern. „Was machst du – Louis!" Er schlägt die Augen auf, aber da habe ich ihn schon hochgehoben – samt Decke versteht sich. „Du kannst doch nicht...oh." – „Doch kann ich. Schon vergessen? Ich bin bei der Feuerwehr." Sein Kopf fällt gegen meine Schulter und seine Arme liegen um meinen Nacken. „Okay", gibt er sich geschlagen. Das war ja einfach.

Ich trage ihn in sein Bett und lege ihn vorsichtig ab. Die Wolldecke werfe ich auf den Sessel am Fußende. „Kalt." – „Das ist frische Luft." – „Trotzdem kalt." – „Ich mache das Fenster gleich zu", versichere ich ihm und ziehe die Decke etwas höher. Er nickt zufrieden.

Das Fenster lasse ich auf, solange ich im Bad bin. Als ich vor dem Spiegel stehe und mich selbst ansehe, frage ich mich wieder, was ich hier eigentlich mache. Ich hatte mir geschworen, mich nicht mehr auf Harry einzulassen – emotional. (Und eigentlich auch körperlich, aber das habe ich längst übern Haufen geworfen). Niall oder Gemma sollten hier sein, nicht ich. Mich sollte es überhaupt nicht interessieren, dass er nicht gerne allein ist, wenn er krank ist, was sein Lieblingsfilm ist und welche Kuschelsocken er gerne trägt. Das müsste mir alles egal sein. Fuck. „Ich bin so ein Idiot", sage ich leise zu mir selbst und mein Blick fällt auf die Narbe an meiner Schläfe. Sie scheint so auffällig zu sein wie lange nicht mehr. Sie leuchtet mich praktisch wie ein großes Warnsignal an. Harry ist tabu. Ich will es nicht noch einmal erleben. Ich will nicht – „Louis?" Seufzend verlasse ich das Bad.

„Kannst du das Fenster jetzt zu machen?", fragt er mit kratziger Stimme. „Und... uhm... mir eine Wärmflasche machen?" – „Ist dir immer noch so kalt?" Er nickt. „Wo ist die?", möchte ich wissen und er deutet auf den Sessel. „Unter der Decke." Ich fische die Wärmflasche darunter weg. „Das ist ein Schaf", stelle ich fest. Genaugenommen ist es ein rosafarbenes Schaf. „Das... also..." – „Süß", unterbreche ich ihn, als er sich direkt rechtfertigen möchte. Es ist genau wie mit den Socken, er möchte nicht, dass ich denke, er würde es mögen.

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Harry ist kuschelig und Louis lässt sich darauf ein. Was haltet ihr davon? Und was wird Harry dazu sagen, wenn er wieder gesund ist? 

Love, L 

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