34. Kapitel
Louis:
Das sollte ich nicht tun. Ich sollte einfach nach Hause gehen und die Beine hochlegen. Vielleicht würde ich mir etwas kochen oder etwas bestellen. Aber nein, stattdessen bin ich auf dem Weg in den nächsten Supermarkt, um alles für eine Suppe einzupacken. Ich kann nicht viel kochen, aber Erkältungssuppe bekomme ich hin. Das Rezept hat Mum mir vor Jahren mal geschickt und zum Glück habe ich es auf dem Handy, sodass ich zielsicher alles einpacken kann, was ich brauche. Mein nächster Stopp führt mich zur Apotheke. Hustensaft, Fiebersaft, Schmerztabletten. Damit sollte es erst einmal klappen. Ich bezahle und mache mich auf den Weg zu Harry. Wieso kann sich nicht irgendein anderer Idiot um ihn kümmern?
Als ich vor seiner Tür ankomme, warte ich einen Moment. Ob er wohl schläft? Wenn ja, dann hat er jetzt Pech. Ich drücke die Klingel ein paar Sekunden länger, als ich es normalerweise tun würde und warte darauf, dass er öffnet. Es dauert ein wenig, aber schließlich höre ich den Summer. Harry steht in einem dicken Hoodie und Jogginghose in der Tür. „Du solltest dir angewöhnen, erst an die Gegensprechanlage zu gehen", sage ich direkt mahnend, als ich die Treppen herauskomme. „Was?", fragt er leise und ich drücke mich an ihm vorbei in die Wohnung. Es ist unglaublich stickig hier drin. Kein Wunder, dass es ihm nicht besser geht. Bei dieser Luft hier ist das unmöglich. Ich stelle den Einkauf in die Küche und öffne die Fenster. „Das ist zu kalt, mach das zu!", meckert er sofort, aber ich ignoriere es. „Louis!" Er läuft zu den Fenstern, um sie zu schließen. „Lass sie offen. Hier muss dringend frische Luft rein. Du solltest dir lieber dicke Socken anziehen, wenn du frierst."
Perplex sieht er mich an. Der strenge Ton funktioniert offenbar noch besser, wenn er angeschlagen ist. „Socken?" – „Dicke Socken", bestätige ich. „Okay... uhm..." Er stockt, dreht sich dann um und geht in sein Schlafzimmer. Die leere Asia-Box, die auf der Arbeitsplatte steht, werfe ich weg. Ich öffne ein paar Schränke und finde schnell wonach ich suche: einen Topf und ein Schneidebrett für das Gemüse. Ich fange gerade an, das Gemüse zu schneiden, als er zurück in die Küche tapst. „Was machst du da?" – „Kochen", antworte ich, als wäre es nicht offensichtlich. Mein Blick huscht für einen Moment zu seinen Füßen. „Die hat mir Gemma irgendwann mal geschenkt", sagt er sofort, als ich die Socken sehe. Es sind dicke, flauschige Socken: pink und mit je einer Schleife hinten dran. „Süß", kommentiere ich nur und er tritt nervös auf der Stelle. „Ich hatte keine anderen mehr." – „Es sind nur Socken, Harry", antworte ich ihm amüsiert. Schämt er sich wirklich dafür? Er sieht nach unten und bewegt die Zehen. Ich wette, insgeheim gefallen sie ihm.
„Was kochst du?" Er kommt näher und sieht mir bei den Vorbereitungen zu. „Suppe." – „Mhm." Er murrt unzufrieden. „Von Fertigessen wirst du nicht wieder fit." – „Hat bisher immer geklappt", widerspricht er. „Pech. Bedank dich bei Niall, wenn es dir nicht schmeckt", entgegne ich trocken. „Niall?" Verwundert sieht er mich an. „Er hat auf der Wache angerufen. Genaugenommen hat er bei mehreren Wachen angerufen", erzähle ich ihm. „Er wusste nur, dass ich Feuerwehrmann bin und meinte, er konnte mich nicht anders erreichen." – „Er hätte mir auch einfach schreiben können." – „Als hättest du ihm meine Nummer geschickt", sage ich schmunzelnd. Harry schweigt. Wir beide wissen, dass ich recht habe. „Leg dich aufs Sofa. Du frierst", bestimme ich dann. Er zögert einen Moment. Dann nickt er und geht von der offenen Küche ins Wohnzimmer. Einen Moment sehe ich zu, wie er sich die große Wolldecke nimmt und sich darin einkuschelt. Dann wende ich meinen Blick wieder den Zutaten zu.
„Er hätte dich nicht anrufen müssen." – „Es geht dir beschissen. Ich schätze, das hat er heute Morgen nicht übersehen können", erwidere ich schulterzuckend. „Er hätte heute Morgen auch nicht hierkommen müssen." – „Freu dich doch einfach, dass er sich um dich sorgt." Harry nickt und zieht die Decke höher. „Bist du gegen irgendetwas allergisch?" – „Wieso fragst du?" – „Weil ich dich mit der Suppe nicht vergiften will." – „Uhm... Nüsse. Ich habe eine Erdnussallergie. Sonst nichts."
Das Wasser kocht und ich gebe nach und nach das Gemüse dazu. Und natürlich die Nudeln. Ich habe vor dem Regal kurz gezögert, dann habe ich aber anstatt den normalen Suppennudeln Buchstabennudeln gekauft. Einen richtigen Grund gab es dafür nicht, es war eher ein Bauchgefühl, dass es ihm gefallen könnte. Außerdem setze ich einen Erkältungstee auf. „Magst du Honig?" – „Wer mag denn keinen Honig?", fragt Harry mit kratziger Stimme. Prompt fängt er an zu husten. „Meine Schwester zum Beispiel", antworte ich, obwohl ich glaube, dass er nicht wirklich eine Antwort darauf haben wollte. Ich verrühre den Honig im Tee und bringe Harry die dampfende Tasse. Er riecht mit langer Nase daran. „Mhm." – „Unzufrieden?" – „Solchen Tee habe ich nicht zuhause. Was ist das?" – „Erkältungstee. Trink es einfach." Er blickt zu mir. Abwartend sehe ich ihn an. Er seufzt und nimmt einen Schluck. „Könnte schlimmer sein." Na, geht doch.
Harry schließt die Augen. Er spricht noch mit mir, aber selbst wenn er schlafen würde, wäre das nicht schlimm. Die Suppe kocht vor sich hin und ich räume die Küche auf. Im Schrank finde ich ein paar Aufbackbrötchen, die ich kurzerhand in den Ofen packe. Als alles so weit fertig ist, gehe ich ins Wohnzimmer zu Harry. Zu meinem Erstaunen ist die Tasse fast leer. So eklig war der Tee wohl doch nicht. Ich setze mich auf den Sessel, er schräg neben dem Sofa steht. „Hast du schon Fieber gemessen?" – „Ich habe kein Fieber", kommt es prompt zurück. Ich seufze und stehe auf. „Wo hast du dein Fieberthermometer." – „Nirgendwo." – „Wo?", wiederhole ich meine Frage und er zieht die Stirn kraus. „Im Bad in der Kiste. Die steht auf dem Spiegelschrank." – „Danke", antworte ich und gehe in sein Badezimmer. In der Kiste liegen Pflaster und Sporttape und einige Medikamente gegen alles Mögliche. Es ist eine normale Hausapotheke.
Mit dem Thermometer kehre ich zurück ins Wohnzimmer. Weil ich nicht weiß, wie lange es schon in dieser Kiste herumliegt, habe ich es vorsichtshalber kurz abgewaschen. „Mund auf." Harry schnaubt, öffnet aber widerwillig den Mund. Es paar Sekunden ist es still zwischen uns – so lange, bis das Thermometer piept und ich es wieder an mich nehme. „Du hast Fieber." – „Lügner." – „39 Grad." – „Scheiße." – „Das wird schon." Er öffnet die Augen und lächelt schief. „Okay... uhm... braucht die Suppe noch lange?" – „Hast du Hunger?" Er nickt verhalten und sagt dann: „Es riecht ziemlich gut... also... uhm..." – „Ich bringe dir eine Schale, sobald die Brötchen auch fertig sind." – „Du hast Brötchen aufgebacken?" Er scheint es vorhin nicht mitbekommen zu haben, so überrascht, wie er darüber gerade ist.
Ich lächle nur kurz und gehe in die Küche. Die Suppe ist durchgezogen und die Brötchen sind fertig. Ich mache zwei Schalen fertig und nehme eine weitere, um die aufgeschnittenen Brötchen hineinzulegen. Wenig später gehe ich damit ins Wohnzimmer. „Setz dich ein bisschen auf, ja?", bitte ich ihn und er hievt sich hoch. Ihm ist anzusehen, dass ihm jede Bewegung schwerfällt. Ich gebe ihm eine Schale und stelle die Brötchen auf den Tisch vor ihm, ehe ich mich wieder auf den Sessel setze und selbst etwas esse.
Er rührt durch die Suppe. „Du hättest das nicht machen müssen." – „Sag doch einfach danke, und probiere die Suppe, okay?" Harry sieht mich an. „Danke, Louis." Die Ehrlichkeit, die in seinen Worten mitschwingt, lässt meinen Kopf einen kurzen Moment aussetzen. „Hätte Niall sicher auch gemacht, wenn er Zeit gehabt hätte." Harry zögert. „Vielleicht", sagt er dann und seufzt auf, als er die Suppe probiert. „Gut?" – „Mhm!" Er nickt und ist noch einen Löffel. „Ich hätte Niall weggeschickt, ziemlich sicher", gibt er wenig später zu. „Und mich nicht?" – „Du hast dich nicht so schnell abbügeln lassen", erwidert er und zuckt mit den Schultern. „Wäre ich gesund, hätte ich mehr diskutiert." – „Da bin ich mir nicht so sicher." Schmunzelnd sehe ich ihn an. Er widerspricht mir nicht. Stattdessen isst er weiter und nimmt sich ein Brötchen dazu, um es in die Suppe zu tunken.
„Ich hab ein bisschen mehr Suppe gemacht, damit du dir die morgen aufwärmen kannst." – „Wieso tust du das?", fragt er und stellt die leere Schale weg. „Weil du krank bist." Und ich ein Idiot bin. „Nur weil Niall dich darum gebeten hat?" – „Ich hatte Feierabend und du bist krank. Es ist nur eine Suppe, Harry." Er nickt und kuschelt sich zurück in die Decke. „Musst du gleich nach Hause?" – „Wieso fragst du?" Er antwortet mir nicht. Ich mustere ihn und pokere ein wenig höher, als ich frage: „Kann es sein, dass du nicht gerne allein bist, wenn du krank bist?" – „Bin ich nie", höre ich ihn leise sagen. „Ich bin nie gerne allein." Ich spreche es nicht aus, denke mir aber: dafür bist du ganz schön oft allein.
„Was ist dein Lieblingsfilm?" – „Willst du das Thema wechseln?" Ich stehe auf und gehe zu dem großen Fernseher, neben dem die Fernbedienung liegt. Mit Sicherheit hat er ein Abo bei jedem Streamingdienst. Vor allem bei dem, der seinen Lieblingsfilm hat. Ich setze mich zu ihm aufs Sofa und sehe ihn abwartend an. „Uhm... The Notebook." Zufrieden nehme ich den Daumen von dem Knopf der Sprachsteuerung und nur einen Moment später erscheint der Film auf dem Fernseher. „Du musst nicht..." Er bringt den Satz nicht zu Ende. Mein Blick hat offenbar diesmal ausgerecht. „Danke", korrigiert er sich selbst und greift nach dem Saum der Decke. Ich sitze an seinen Füßen und nun liegt die Decke auch über meinen Beinen.
-- -- -- -- --
Ich bin ehrlich mit euch: Ich liebe dieses Kapitel. Die zwei tauen langsam auf. Was haltet ihr davon?
Love L
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top