11. Hells Bells
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https://youtu.be/xJR1oTDt1Ak
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Während der Fahrt tauschten sie sich darüber aus, was sie am Vortag alles herausgefunden hatten. Jay begann mit den sozialen Netzwerken. Wender, so stellte er fest, kam sehr selbstverliebt rüber. Auf seinen Bildern posierte er stets an exotischen Orten, in schicken Cafés – immer im Mittelpunkt. „Er war eindeutig von sich selbst überzeugt," sagte Jay nachdenklich.
Poch hingegen wirkte eher arrogant, als ob er mit seinen Antiquitäten angeben wollte. „Er posierte ständig mit irgendwelchen teuren Kunstwerken, immer etwas Neues," fügte er hinzu. „So richtig protzig."
Lzzy hörte aufmerksam zu, nickte hin und wieder und behielt dabei stets den Blick auf die Straße gerichtet. „Und Kauli?" fragte sie schließlich.
„Kauli...", begann Jay, „der war der Party-Typ. Immer mit Freunden, überall, wo gefeiert wurde. Nichts schien ihm zu fehlen."
„Was ist mit Schweig?" fragte Lzzy, als sie merkte, dass er die Person war, die sie noch nicht richtig einordnen konnte.
Jay zuckte mit den Schultern. „Bei Schweig war's schwierig. Es gab nicht viel, was ich finden konnte. Er war in den sozialen Netzwerken kaum aktiv und dazu noch blockiert oder gelöscht von vielen. Aber alles, was ich fand, ließ darauf schließen, dass er ein ziemlich aggressiver Typ war."
Lzzy überlegte kurz und fuhr dann fort: „Das heißt, der Teppich von Kauli und die vielen unterschiedlichen Einkäufe von Poch... all das deutet darauf hin, dass es keine verfluchten Objekte gibt, die sie alle verbinden. Vielleicht ging es einfach nur um den jeweiligen Besitz von wertvollen, teuren Dingen."
Jay nickte zustimmend. „Ja, das passt zu Pochs Protzen und Kaulis Feierwut. Aber Wender, der war da anders. Er kaufte nur sporadisch, aber immer das Beste."
„Genau," stimmte Lzzy zu. „Und Schweig, wie gesagt... bei ihm haben wir nur das Verhalten aus den Netzwerken. Er schien sich von niemandem etwas sagen zu lassen, war ein Einzelgänger."
Ihre Gespräche über die vier Opfer hatten sie noch nicht zu einer klaren Verbindung geführt, doch sie hatten wertvolle Informationen gesammelt. Irgendetwas fehlte noch, ein entscheidendes Detail, das alles zusammenfügte.
„Wir übersehen etwas," murmelte Lzzy nachdenklich und trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad.
Jay starrte aus dem Fenster, als könnte die vorbeiziehende Stadt ihm die Antwort liefern. „Ja... aber was?"
Sie mussten tiefer graben, weiterforschen. Irgendwo zwischen den Fakten lauerte die Wahrheit – sie mussten sie nur noch finden. Der Tag war noch lang, und sie waren entschlossen, nicht aufzugeben.
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Um 14:58 erreichen sie den Antiquitätenhändler. Genau in dem Moment, als Jay in die Straße einbiegt, wird direkt vor der Eingangstür eine Parklücke frei – perfektes Timing. Ohne zu zögern lenkt er den Wagen hinein und stellt den Motor ab.
Sie steigen aus und lassen ihren Blick über die Fassade des alten Ladens schweifen. Das Holz der Tür ist dunkel und leicht verwittert, die Schaufenster sind mit kostbaren, aber staubigen Exponaten gefüllt. Dann fällt ihr Blick auf das kunstvoll verzierte Schild über dem Eingang.
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Everkunst - Antiquitäten und mehr
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Lzzy runzelt die Stirn. Warum war ihr der Name auf der Website nicht sofort aufgefallen? Doch für Grübeleien bleibt keine Zeit. „Wollen wir?" fragt sie schließlich.
Jay streckt den Arm aus und weist ihr mit einer eleganten Geste den Weg zur Tür. „Aber gerne doch!" entgegnet er mit einem Schmunzeln.
Gemeinsam betreten sie den Laden. Es ist, als wären sie in einen alten Film versetzt worden – eine kleine Glocke über der Tür kündigt ihre Ankunft mit einem hellen Klingeln an.
Der Raum ist dunkel, erfüllt vom Geruch alten Holzes und einer leichten Spur von Staub. Überall stehen kunstvoll gearbeitete Skulpturen, platziert auf massiven Eichenholzregalen, die den Raum fast erdrückend wirken lassen. Der Blick schweift über Vasen, Teller, antike Medaillen – ja, sogar mittelalterliche Rüstungen und Schwerter zieren die Wände.
Langsam nähern sie sich einer Art Tresen. Darauf steht eine altertümliche Kasse mit dicken Tasten und einer vergilbten Kassenrolle. Sie sieht aus, als stamme sie aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert – kaum noch in Gebrauch, aber ein Blickfang, wie vieles hier. Sicherlich ist kaum eines dieser Exponate mit Bargeld zu bezahlen.
Nach einem kurzen Moment erscheint ein älterer Mann hinter dem Tresen. Vielleicht Ende sechzig, Anfang siebzig. Sein brauner Cordanzug und die grüne Fliege lassen ihn nicht gerade jünger wirken. Ein gepflegter Vollbart und dunkelbraune Haare mit vereinzelten grauen Strähnen unterstreichen sein distinguiertes Erscheinungsbild. Eine kleine Nickelbrille sitzt tief auf seiner Nase, und seine gebückte Haltung lässt ihn womöglich älter erscheinen, als er tatsächlich ist.
„Kann ich Ihnen helfen?" Seine Stimme klingt wenig begeistert, leicht gereizt und nicht frei von Arroganz.
Während Lzzy in ihrer Tasche nach ihrem Ausweis kramt, blickt sie ihm fest in die Augen. „Herr Bilwis, nehme ich an?"
Er nickt knapp. „Steht vor Ihnen."
Endlich findet sie ihren Kripo-Ausweis und hält ihn hoch. „Mein Name ist Krüger. Das ist mein Partner Fassbender."
Jay, der das Gespräch bisher aus der Entfernung beobachtet hat, tritt nun näher. Lzzy fährt fort: „Wir sind hier wegen einiger Ihrer Verkäufe. Den Käufern ist danach ein Unglück widerfahren, und wir gehen jeder Spur nach."
Bilwis seufzt, verschränkt die Arme und sieht sie aus verengten Augen an. Seine Stimme bleibt ungeduldig, fast genervt. „Wenn es denn sein muss."
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Er führt sie in ein Büro und bittet sie, Platz zu nehmen, dann setzt er sich an einen riesigen Eichenschreibtisch. Dieser wirkt so massiv, dass man sicher drei Leute bräuchte, um ihn anzuheben. Eine Lampe mit grünem Glasschirm steht neben ihm auf dem Schreibtisch. Man könnte sie fast einschalten, so dunkel ist es hier. An den Fenstern hängen dunkelgrüne Vorhänge, die so weit zugezogen sind, dass kaum Licht in den Raum fallen kann. Das erklärt diese Dunkelheit. An den Wänden sind altertümliche Regale angebracht, voller Ordner und Akten. Bilwis schiebt die Schreibtischunterlage vor sich in die richtige Position: „Also, wie kann ich helfen?"
Dann fängt Lzzy an: „Es geht um die Käufe von Herrn Wender, Poch, Kauli und Schweig. Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, als sie bei Ihnen waren?"
Bilwis zieht seine Stirn kraus, noch immer wirkt er genervt, als wollte er die beiden nur schnell loswerden: „Sollte es das?"
Jay sieht ihn etwas skeptisch an: „Na ja, bei unseren Nachforschungen sind uns einige private Probleme aller vier aufgefallen." Er wird nicht schlau aus seinem Verhalten, irgendwas stimmt nicht mit ihm.
Lzzy sieht ihm direkt an und wartet auf seine Reaktion. Die kommt auch einen Moment später: „Durchaus, ja. Der Schweig hatte einige schwere Probleme. Mir wurde zugetragen, er wird schnell handgreiflich. Mir ist zu Ohren gekommen, dass er sogar seine Frau geschlagen haben soll."
Erstaunlich was er alles weiß, überlegt Jay, bevor er Bilwis antwortet. „Sie sind ja gut informiert!"
„Wissen Sie, es ist eine kleine Stadt!" Er streicht sich durch den Bart: „Doch auch so ist mir sein Zorn nicht verborgen geblieben."
Lzzy blinzelt kurz, ihr kommt etwas komisch vor, bevor sie weiter nachfragt: „Was ist mit den anderen?"
Er überlegt kurz: „Der Kauli, sagen Sie?"
Sie nickt: „Ja, auch."
Bilwis zieht die Stirn wieder kraus, bevor er weiterredet. „Wissen Sie, ich mag ja altmodisch sein, aber er kam hier mit halb aufgeknöpftem Hemd rein. Suchte nicht speziell etwas, nein. Er ging nur durchs Lager und sagte: ‚Ich will das, das und das.' Wusste die Kunst nicht zu schätzen und alberte mit seinem Begleiter herum. Wollüstig liefen sie hier durch den Laden, unglaublich."
Lzzy schluckt, auch Jay bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Sie wirft ihm einen Blick zu, dass er sofort weiß, hier stimmt definitiv etwas nicht. Dann wendet sie sich wieder Bilwis zu: „Entschuldigen Sie mich kurz, ich habe meine Tasche im Auto vergessen. Herr Fassbender macht hier weiter."
Sie schaut zu Jay. „Ich bräuchte den Schlüssel!"
Er sieht sie etwas überrascht an: „Oh, ja klar!"
Er holt den Schlüssel aus seiner Hosentasche und reicht diesen Lzzy. Allerdings bemerkt er, was etwas nicht stimmt, Lzzy würde ihn niemals hier alleine lassen, ohne das sie einen Grund dazu hätte.
„Danke." Sie nimmt den Schlüssel an sich und sieht dann zu Bilwis: „Ich bin gleich wieder da."
Er zuckt nur mit den Schultern, als sie das Büro verlässt. Schnellen Schrittes geht sie durch den Laden, verlässt diesen und geht zum Auto. Sie setzt sich auf den Fahrersitz, startet den Wagen und fährt mit quietschenden Reifen davon.
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Im Büro muss Jay dann weiter machen: „Wie sieht es bei Wender aus?"
Bilwis schüttelt verzweifelt den Kopf: „Ha, ja, der dachte, er sei der Beste, wüsste alles. Wollte sich von mir nichts sagen lassen, wusste immer alles besser. Sie wissen ja, wie das bei manchen Personen mit der Hochmut ist. Danach kommt für gewöhnlich der Fall."
Als er das sagt, grinst er auf eine Art, die Jay nicht gefiel. Ein kalter Schauer läuft ihm über den Rücken. Im nächsten Moment klingelt sein Handy. Jay holt es aus seiner Hosentasche: „Entschuldigen Sie bitte."
Bilwis nickt. Als er sein Handy entsperrt, sieht er, dass Lzzy geschrieben hat.
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L: Halte ihn noch etwas hin.
L: Ich muss noch etwas von zu Hause holen.
L: Halte ihn hin!!!
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Jay holt tief Luft, das verheißt nichts Gutes. Er steckt sein Handy weg und schaut zu Bilwis. „Tut mir leid, bin jetzt wieder für Sie da." Auch wenn sich seine Gedanken überschlagen, irgendetwas ist hier faul, er kann es förmlich riechen.
Er spielt etwas mit den Stiften auf dem Schreibtisch: „Kein Problem, solange Sie die Form wahren. Das ist bei den Kunden hier nicht immer gegeben."
Jay nickt zustimmend: „Kann ich mir vorstellen!" Vielleicht ist es gut, sympathisch rüberzukommen. Daher bemüht Jay sich, freundlich und interessiert zu erscheinen. „Eine Frage habe ich leider noch, dann sind wir auch durch und Sie sind mich wieder los!"
Bilwis beugt sich etwas zu Jay rüber: „Nun gut, dann lassen Sie mich wissen, worum es geht."
Einer fehlt noch: „Ich hab nur noch Poch auf meiner Liste."
Da lacht er fast: „Oh ja, der konnte gar nicht genug bekommen, er wollte nur die teuersten Stücke, für ihn war das Beste gerade gut genug. Nun, mir soll's recht sein, ist ja mein Umsatz." Er rieb sich über die Augen. Für einen kurzen Augenblick kam es Jay vor, als würden diese rot leuchten. Doch das war auch genauso schnell wieder verschwunden.
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In der Zwischenzeit kommt Lzzy an ihrer Wohnung an, rennt sie rein und greift einen Koffer. Sie schmeißt diesen in den Kofferraum, steigt sie ein und fährt mit durchdrehenden Reifen zurück.
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Bei Jay scheint Bilwis gerade in Stimmung zu sein, er sitzt Jay gegenüber und beugt sich vor: „Wissen Sie, ich mochte die alle nicht. Ihr Verhalten, auch die Habgier von Poch. Sowas muss unterbunden werden."
Jay sieht ihn an. Er bemerkt, wie sehr ihn das beschäftigt, ja sogar aufregt.
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Kurze Zeit später erreicht Lzzy den Laden, stürmt mit dem Koffer hinein. Es ist fast geschafft.
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Jay hört Bilwis Monolog aufmerksam zu: „Es ist ermüdend, die ganze Selbstgefälligkeit mancher Menschen. Zeitweise muss ihnen Einhalt geboten werden!"
Jay überlegt: „Scheinbar, dachte da jemand ähnlich."
Bilwis guckt etwas überrascht: „Was meinen Sie?"
Da beginnt Jay zu erklären: „Haben Sie das nicht in den Zeitungen gelesen?"
Das hat er verstanden: „Sie meinen die Tode?" Nicht ohne Arroganz lässt sich Bilwis wieder in seinen Stuhl fallen. „Ich dachte, das seien Unfälle gewesen?"
Doch Jay bleibt in der Fassbender-Rolle: „Wir gehen der Sache nur nach, wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen."
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Im nächsten Moment klopft es an der Tür. Lzzy tritt ein: „Oh, Frau Krüger. Schön, dass Sie wieder da sind!" Er deutet auf den Stuhl neben Jay.
Lzzy setzt sich hin: „Tut mir leid, es hat etwas länger gedauert!" Überraschend freundlich antwortet er: „Nicht der Rede wert. Haben Sie weitere Fragen?"
Lzzy schaut Jay an. „Konnten Sie alles in Erfahrung bringen?" Jay sieht sie an, bemerkt, wie sie ihre Augen leicht zusammenkneift. „Ja, ich denke, wir sind mit allem fertig. Herr Bilwis konnte uns seine Sichtweise sehr gut darstellen."
Lzzy nickt: „Gut!"
Bilwis schlägt beide Hände auf seine Beine und steht auf: „Dann sind wir hier ja fertig." Lzzy und Jay stehen auch auf und verlassen das Büro. Im Verkaufsraum gehen die beiden langsam zur Tür. „Ich hoffe, Ihnen etwas geholfen zu haben", freut er sich.
Lzzy sieht es ähnlich: „Glauben Sie mir, das haben Sie!" Lzzy hält Jay leicht am Arm fest. Sie dreht langsam den Kopf nach hinten, um zu sehen, an welcher Stelle Bilwis steht.
Er will sich gerade verabschieden: „Nun gut, dann hoffe ich, Sie..." Doch Bilwis stockt und spricht nicht weiter.
Lzzy dreht das 'OPEN'-Schild in der Eingangstür um. „Heute ist vorerst geschlossen." Dann drehen sich Lzzy und Jay um.
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Sie sehen, dass Bilwis wie angewurzelt vor ihnen stehen bleibt. Jay sieht auf den Boden, dann kann er den Grund erkennen. Mit rotbrauner Farbe, kaum zu erkennen, sind zwei Kreise um ein Pentagramm gezeichnet. Zwischen den Kreisen sind diverse Symbole und Schriften. Es scheint Latein zu sein.
„Jäger?"
Schreit Bilwis sie an: „Ich habe hier jahrelang keine mehr gesehen." Er baut sich auf, von seiner gebückten Haltung keine Spur. Er nimmt die Brille ab und steckt sie in seine Brusttasche.
Lzzy zieht einen Koffer hinter ein paar Figuren hervor und kramt etwas heraus. „Habt ihr eine Ahnung, mit wem ihr euch hier anlegt?"
Jay, der etwas perplex dasteht, ist noch immer in seiner Rolle: „Sie stehen unter Mordverdacht!"
Da muss Bilwis lauthals lachen: „Ernsthaft?"
Er dreht sich zu Jay, schaut ihm direkt in die Augen. Doch plötzlich verändert sich etwas. Es scheint, als würden sich seine Pupillen erweitern, nein, nicht nur das. Seine Pupillen beginnen rot zu leuchten, dann weiten sich die roten Pupillen, bis das ganze Auge rot erscheint, ja geradezu leuchtet.
Jay tritt ein paar Schritte zurück. Das erfreut Bilwis sichtlich und er lacht umso lauter. Lachend wendet er sich an Lzzy: „Du hast einen Anfänger dabei? Ich bin sicher, er hat keine Ahnung, wer ich bin."
Sie sieht zu Jay: „Wir haben hier einen waschechten Dämon!"
Jay weiß noch immer nicht, was genau hier gerade vorgeht: „Bitte was?"
Doch Bilwis lacht nur: „Habe ich es mir doch gedacht! Was hat mich verraten?"
Lzzy schaut ihn an: „Das Zitieren der Todsünden. Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn und so weiter. Nach Schweigs Zorn und Kauli, mit der Erwähnung von Wollust, war es mir klar."
Er grinst: „Doch zu offensichtlich, verstehe."
Lzzy ist jedoch neugierig: „Doch frage ich mich, wie Sie das gemacht haben?"
Seine roten Augen funkeln sie an: „Man nennt mich, Incubus!"
Das scheint ein Test zu sein, ob Lzzy der Name bekannt ist. „Du bist Incubus? Das erklärt, wie sie dir zu Opfer fielen."
Er lacht erneut. Jay schaut Lzzy an, sie deutet seinen Blick und erklärt es Jay: „Incubus ist ein nachtaktiver Dämon, der Alpträume verursacht!"
Er lacht hämisch: „Ganz recht!"
Das erklärt aber nicht, wie genau er das gemacht hat: „Das heißt, du lässt deine körperliche Hülle schlafen und ‚gehst' dann zu deinen Opfern?"
Doch sein Plan ist viel ausgeklügelter: „Ich bin mit den Sachen aus meinem Laden verbunden. Sobald es dunkel wird, lasse ich meine Skulpturen oder Gemälde lebendig werden."
Doch dann mischt Jay sich ein, seine Neugier war geweckt: „Aber wie sind sie dann gestorben?"
Daraufhin stellt er sich gerade hin und hebt seine Hand. Jedoch nicht die menschliche, es scheint, als würde eine halbdurchsichtige Hand aus der anderen brechen. Er streckt die Finger auseinander, es beginnt sofort kälter zu werden. Dann reckt er Jay die Hand entgegen und will sein Herz greifen. Jay geht einen Schritt zurück und schaut zu Lzzy.
Doch sie bleibt ganz ruhig und legt nur den Kopf schief, wendet ihren Blick aber nicht von Incubus ab. Im nächsten Moment stößt die Hand gegen eine unsichtbare Wand und prallt davon zurück.
„Das Siegel, du erinnerst dich?" Lzzy sieht ihn grinsend an.
Doch Jay versucht es zu verstehen. „Moment, das heißt, du fährst in die Gegenstände und greifst dann, mit deiner Hand, nach ihren Herzen?"
Er lacht erneut: „Nicht ganz. Nachts, wenn sie schlafen, lasse ich sie zum Artefakt schlafwandeln und dann reiße ich ihnen die Seele aus dem Leib!"
Lzzy überlegt: „Das erklärt das mit den weit aufgerissenen Augen und dem plötzlichen Herztod. Aber warum immer am selben Tag, alle drei Monate?"
Er lacht immer weiter: „Es soll weitergehen, die sieben Todsünden. Sieben Opfergaben, alle drei Monate, um ein Opfer zu finden, das sich schuldig gemacht hat. Dass uns die Ehre erweist, zu uns in die Hölle zu kommen. Sie freizulassen, eine neue Ordnung herzustellen."
Lzzy und Jay sehen sich an. „Was habt ihr vor?" Lzzy ist erschrocken, von dem, was das bedeuten kann. „Das wüsstet ihr wohl gern. Auch wenn ihr mich erwischt habt, wird jemand anderes meinen Platz einnehmen! Der 27.6.23, merkt euch diesen Tag, das ist Nummer 5!"
Erneut lacht er hämisch und ohne Unterlass.
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Lzzy holt ein altes, in Leder eingebundenes Buch aus dem Koffer und schlägt es auf. Sie reicht es Jay, deutet mit dem Finger auf einige Textpassagen: „Laut lesen!"
Noch während sie das sagte, holt sie etwas aus dem Koffer. Sie zieht einen silbernen Flachmann hervor. Jay versteht noch immer nicht, was für ein Spiel hier gespielt wird, doch liest er das Geschriebene. Es ist Latein, trotzdem er fängt an, es so gut wie möglich zu lesen:
„Regna terrae, cantate deo, psallite domino."
Im nächsten Moment beginnt Incubus sich zu strecken und zu schreien: „Ihr wisst nicht, was euch erwartet!"
Lzzy nimmt den Flachmann, schwenkt ihn nach vorne. Die Flüssigkeit auf dem Flachmann tropft auf Incubus. Der sofort nur noch mehr schreit und zu dampfen beginnt. „Das ist Weihwasser, lies weiter!"
„Qui vehitur per caelus, caelus antiquos!"
Erneut spritzt Lzzy Weihwasser auf ihn, das Gekreische wird immer lauter: „Wir werden nicht aufhören!"
Nachdem Jay dieses Schauspiel beobachtet, konzentriert er sich wieder auf die Formel und liest weiter:
„Ecce, edit vacem suam, akinoscite potentiam deil."
Incubus beginnt zu zittern: „Sie werden euch finden, wir können nicht aufgehalten werden!" Der Dampf ist zu Rauch geworden. Doch Jay macht weiter:
„Majestas ejus, et potentia ejus in nubibus."
Es kommt beiden vor, als würde der Boden vibrieren. Doch Incubus steht still da. Der Körper wurde starr; erneut bricht eine schemenhafte Hand aus dem menschlichen Körper. Dann immer mehr, wie ein Geist, ein Schatten, löst sich eine Gestalt vom menschlichen Wirt. Die andere Hand bricht aus, der Oberkörper und der Kopf. Bis der Dämon seinen Wirt verlässt. Der menschliche Körper fällt zu Boden. Nur noch ein halb durchsichtiger, fast schwarzer Schatten, mit rot leuchtenden Augen, steht vor ihnen.
Der Dämon spricht mit bebender tiefer Stimme: „Das habt ihr nicht umsonst getan, ihr werdet büßen!"
Er tritt vor und trommelt mit den Händen gegen die unsichtbare Wand des Siegels. Lzzy ist alarmiert: „Schnell, lies weiter, der nächste Absatz!"
Jay wird nervös, so etwas hat er nie vorher gesehen. Er liest sofort weiter:
„Timendus est deus e sancto suo, deus Israel."
Incubus wird immer wütender, er hämmert immer stärker gegen die Wand. Seine roten Augen beginnen zu brennen. Auf einmal beginnt die Wand instabil zu werden. Es hört sich an, als würde Glas zersplittern.
„WEITER!!!"
Schreit Lzzy, während sie erneut versucht, Incubus mit dem Weihwasser zurückzuhalten. Jay hält das Buch mit beiden Händen fest und liest immer weiter:
„Ipse potentiam datet et Gloria Patri."
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Gerade, als das Siegel zu brechen scheint, hat Jay den letzten Satz ausgesprochen. Es zerspringt die schwarze, durchsichtige Gestalt und fällt als rote Flüssigkeit zu Boden. Langsam ziehen die Tropfen durch die Fugen der Dielenbretter hindurch, bis keine mehr zu sehen sind.
Lzzy atmet tief durch. „Das war knapp!"
Jay steht da, mit dem Buch in den Händen und starrt auf das Siegel am Boden: „Warte, haben wir gerade einen Dämon zurück in die Hölle geschickt?"
Lzzy nickt: „Ja, das haben wir. Aber ich glaube, das war erst der Anfang!" Befürchtet Lzzy. Sie geht zu dem Mann auf dem Boden. Jay folgt ihr: „Was ist mit ihm?"
Sie sieht ihn an und tastet ihn ab: „Wenn wir Glück haben, hat er das überlebt, je nachdem, wie der Dämon mit seinem Körper umgegangen ist."
Langsam kommt der Mann zu sich und öffnet die Augen: „W... wo bin ich?"
Lzzy beruhigt ihn: „Sie sind im Laden, alles in Ordnung?" Dann sieht sie zu Jay: „Rufst du bitte einen Krankenwagen?"
Er zückt sofort sein Handy und ruft den Notruf. Nach einem Moment gibt er zu verstehen: „Sind auf dem Weg!"
Sie kümmert sich weiter um den Mann: „Wir waren draußen am Laden, haben hier etwas Knallen gehört und Sie dann hier liegen sehen." Sie schaut auf das Buch und den Koffer. So gibt sie Jay zu verstehen, dass er alles einpacken soll. Jay versteht, was sie damit sagen will. Packt alles vorsichtig ein und spricht die beiden dann an: „Ich mache mal die Tür auf, etwas Luft könnte Ihnen guttun." Lzzy nickt, während er das 'Open'-Schild wieder umdreht, bevor er die Tür öffnet. Mit einem Keil klemmt er die Tür fest, so bleibt sie offen stehen. Dann tritt er nach draußen und bringt den Koffer ins Auto.
Als er zurück in den Laden tritt, hat sich der Mann aufgesetzt. Jay hört gerade, als Lzzy ihn fragt: „Geht es Ihnen besser? Können Sie sich wieder erinnern?"
Er streicht sich mit der Hand übers Gesicht: „Ja, ja. Mein Name ist Bernd Bilwis, mir gehört der Laden. Entschuldigen Sie, ich habe einen totalen Filmriss."
Sie beruhigt ihn: „Kein Problem, nur gut, dass es Ihnen gut geht."
Dann meldet sich Jay: „Der Krankenwagen kommt. Ich winke ihn her." Jay geht raus und stellt sich an die Straße.
„Gleich ist der Krankenwagen da, die werden sich um Sie kümmern. Haben Sie einen Schlüssel zum Absperren des Ladens?"
Er greift in seine Hosentaschen: „Ja, alles klar, hab den Schlüssel dabei."
Dann treten die Rettungssanitäter in den Laden. Lzzy erzählt, dass sie am Laden vorbeigingen, als sie etwas Scheppern hörten. Sie sind dann in den Laden gegangen und sahen ihn da liegen. Danach riefen sie sofort den Notruf. Alles klar, die Sanitäter nahmen ihn mit, wollten wahrscheinlich einen Schlaganfall oder eine Herzattacke ausschließen. Er bedankt sich bei Lzzy und Jay, dann fahren sie mit ihm davon.
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Auch Lzzy und Jay steigen ins Auto. Doch Jay lässt den Motor noch nicht an. Auch nicht, als Lzzy ihm den Schlüssel reicht. „Was war das jetzt gerade?"
Lzzy atmet tief durch: „Ich muss zugeben, das habe ich so nicht erwartet!"
Jay fragt trotzdem nach: „Ein Siegel?"
Sie nickt: „Ja, tritt ein Dämon in ein solches Siegel, ist er gefangen. Kann seine Macht nicht verwenden und nicht ausbrechen!"
Doch Jay hat es etwas anders wahrgenommen: „Das sah am Ende aber ganz anders aus."
Sie erklärt: „Die Formel, aus Latein, die du vorgelesen hast. Der erste Teil treibt den Dämon aus dem Opfer..."
Doch Jay fällt ihr ins Wort: „...und diese schwarze Schattengestalt, war dieser Dämon. Ich sehe diese rot leuchtenden Augen noch immer vor mir. Durch die Augen können wir sie erkennen, aber der schwarze Schatten, wie du sagst, das ist seine echte Gestalt." Er holt tief Luft: „Aber der zweite Teil..."
Diesmal fällt Lzzy ihm ins Wort: „...schickt ihn wieder in die Hölle."
Jay muss nachdenken: „Okay, aber du lässt mich ganz alleine mit ihm?" Er sieht sie erstaunt und verängstigt an.
„Er wusste nicht, dass wir Jäger sind. Ich hatte keine Wahl und musste schnell handeln, hätte er es geahnt, wären wir nicht lebend aus seinem Büro gekommen. Ohne das Siegel hätten wir keine Chance."
Er ist einen Moment still, er muss nachdenken, dann fragt er: „Was ist mit Bilwis?"
Lzzy überlegt: „Ich denke, er kommt wieder auf die Beine. Auch wenn es ungewöhnlich ist, dass ein Dämon so sorgsam mit einer Hülle umgeht. Aber ich denke, wir haben da ein ganz anderes Problem! Merkt euch den 27.6.23, die sieben Todsünden, da ist etwas Großes im Anmarsch."
Er sieht sie mit zusammengekniffenen Augen an: „Was sollte das heißen?"
Das führt sie näher aus: „Wenn die sieben Todsünden bestraft werden und die Seelen in die Hölle fahren, wird die Tür geöffnet, für die vier Reiter!"
Das versteht Jay, auch wenn er das sonst nur aus Büchern und Filmen kennt: „Moment, DIE vier Reiter? Die Reiter der Apokalypse? Also nicht Metallica, die Geschichte mit dem biblischen Ausmaß, Weltuntergang, episch und so?"
Lzzy schaut durch die Windschutzscheibe: „Das biblische, fürchte ich müssen wir verhindern! Das darf niemals passieren."
Jay weiß nicht, was er sagen soll und startet den Wagen. Erneut ist eine Störung im Autoradio zu hören. Doch sie ist so kurz, dass die beiden nicht darauf reagieren. Jay legt den ersten Gang ein und sie fahren los.
Doch in der Seitenstraße neben dem Antiquitäten-Laden leuchtet ein Handy-Display. Es schimmert durch eine schwarze Schattengestalt.
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Incubus wurde ausgelöscht
Sie beginnt lästig zu werden
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Ersatz wurde bereits installiert
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Wie soll ich weiter vorgehen?
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Beobachtung fortsetzen, es dauert nicht mehr lang...
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