6 - Eine Billion Synapsen

Ich möchte eins sagen --> ich habe keine Ahnung von Neurochirurgie, mein Wissen beschränkt sich auf  Episoden aus Grey's Anatomy, bei denen ich mal wieder an McDreamy's Lippen gehangen habe und jedes Wort aufgesaugt habe was aus diesem hübschen Mund kam! ;)


Die ersten Tage an der Universität vergingen wie im Flug. Auch mein Dad hatte seine Erinnerung an mich anscheinend wieder gefunden und war wieder Alte, freundlich und gutherzig. Immer wieder bedankte er sich bei mir, dass ich ihm half und es verschaffte mir ein gutes Gefühl. Ein fader Beigeschmack jedoch blieb trotzdem.

Meine Kurse liefen gut an. Anatomie war eines meiner Lieblingsfächer, auch wenn das für die meisten meiner Mitstudenten nur schwer zu verstehen war. Es war reines Auswendiglernen und so für mich recht einfach. 
Es war Freitag Nachmittag als ich durch die Flure ging, gerade kam ich aus meinem letzten Kurs und war guter Dinge. Am Aushang sah ich im Vorbeigehen etwas, was mich neugierig machte.
Heute würde ein Vortrag stattfinden im Royal London Hospital. Ein Dr. Shepherd hielt einen Vortrag über neuartige Methoden zur Entfernung von Tumoren. Es ging um Hirntumore. Ich war sofort interessiert und schrieb mir die Adresse auf. Der Vortrag war in zwei Stunden und ich sah in meinem Handy nach, wie lange ich brauchen würde für die Fahrt. Es war nicht weit entfernt von der UCL, meiner Universität, und so konnte ich zwischendurch noch einmal nach Hause fahren.
Schnell lief ich also los und eilte förmlich den Weg bis nach Hause, so dass ich abgehetzt in der Wohnung ankam.

"Louis!?" hörte ich die schwache Stimme meines Vaters und ich ging zu ihm. Er lag im Bett, da es ihm wegen der Infusion die er bekam, ein wenig schlechter ging. Er fühlte sich sehr schlapp, war aber bei vollem Bewusstsein, soweit es die Medikamente zuließen. Übelkeit und Erbrechen machten ihm jedoch zu schaffen. "Hey Dad." sagte ich und setzt mich neben ihn auf die Bettkante. Er lächelte warm und sah mich an. "Wie waren die Kurse?"
"Super! Ich kann's kaum erwarten die ersten Praktika abzulegen."
"Dauert das nicht noch zwei Jahre?" fragte er schmunzelnd nach und ich lächelte und nickte. "Ja. Man kann ja weit voraus denken!" sagte ich schlicht und er nickte. "Durchaus. Was machst du heute noch?"

"Ich fahre zum Royal London Hospital. Da ist ein Vortrag von einem Dr. Shepherd. Den möchte ich mir anhören!" antwortete ich und er seufzte. "Es ist Freitag. Du solltest was mit Freunden machen! Was ist mit dieser Kelly? Mach was mit ihr!" schlug er vor und ich sah ihn nur gelangweilt an. "Setzt Freitag voraus, dass man was mit Freunden macht?"

"Naja, also, ja? Natürlich!" antwortete er mir und lachte leicht, woraufhin er aber sofort sein Gesicht verzog. "Tut dir was weh?" fragte ich sofort besorgt.
"Nein. Aber mir ist wieder verdammt schlecht." murmelte er.
"Das ist dein Medikament, Dad. Nur noch bis morgen, dann hast du es geschafft." sagte ich und er nickte leicht. "Ich weiß. Also, unternimm irgendwas. Ich kann dich anpiepen, wenn etwas ist!"

"Ja. Ich frag mal Kelly." sagte ich ergeben, und meinte es auch ehrlich. Vielleicht hatte sie Zeit. Ich streichelte ihm kurz über die Hand und stand dann auf. "Ich mach mich fertig, ich muss gleich wieder los. Brauchst du noch was?"

"Nein nein. Viel Spaß bei deinem Vortrag!" sagte er und ich lächelte schwach und ging in mein Zimmer um mich umzuziehen.
Ich wählte ein weißes Shirt und eine meiner Skinny Jeans, es war relativ warm draußen, also brauchte ich nur meine Jeansjacke, die ich mir überzog ehe ich im Flur die Vans anzog. "Bis dann!" rief ich noch, schnappte mir Schlüssel und den Pager und verließ die Wohnung.
Ich fuhr mit der U-Bahn eine Weile, hörte währenddessen Musik und versuchte mich zu entspannen. Vielleicht hatte dieser Dr. Shepherd ja etwas Neuartiges, etwas dass helfen könnte. Voller Hoffnung und ein wenig Aufregung betrat ich eine halbe Stunde später das Royal London Hospital. Hier würde ich mich bewerben, wenn ich in zwei Jahren meine Assistenzzeit anfangen würde. Ich wollte hier unbedingt arbeiten. Ehrfürchtig sah ich mich um, wie die Ärzte und Schwestern durch die Halle eilten, auf dem Weg zum nächsten Patienten. Bereit, ein Leben zu retten. Krankheiten zu heilen.
Irgendwann würde ich hier ebenfalls mit dem weißen Kittel entlang hetzen und jemandem das Leben retten. Ich träumte davon schon ewig.
Einige Schilder machten aufmerksam, wo der Vortrag stattfinden sollte, also folgte ich den 'Wegweisern' und trat in den Saal, der schon relativ gut gefüllt war. Ich setzte mich auf einen der freien Plätze in der ersten Reihe, denn ich wollte unbedingt alles mitbekommen und kein einziges Wort verpassen. Ich war der Jüngste hier, was nicht unbedingt überraschend für mich war. Kaum jemand in meinem Alter interessierte sich für die Neurochirurgie. Meine Mitstudenten wussten noch nicht welches Fachgebiet sie wählen wollten, das unterschied sie gravierend von mir.
Als der Saal sich langsam komplett füllte betrat ein Mann mit schwarzen Haaren die kleine Bühne im vorderen Teil und räusperte sich, während er einige Zettel auf das Podium vor sich legte. Ich sah ihn aufmerksam an. Er hatte blaue Augen und seine Haare waren etwas lockig, sie waren nach hinten gestylt und er sah wirklich attraktiv aus. Was das Alter anging war ich mir sehr unsicher, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, doch ich war schlecht in so etwas.
Mein Blick lag fest auf ihm, während er sich vorstellte und uns alle Willkommen hieß.

"In jeder beliebigen Sekunde, feuern etwa eine Billion Synapsen Impulse mit über 700 Stundenkilometern durchs Gehirn. Über die meisten haben wir keine Kontrolle. Wenn uns kalt ist, bekommen wir eine Gänsehaut. Wenn wir erregt werden, schießt das Adrenalin durch den Körper. Der Körper folgt solchen Impulsen automatisch und ich glaube deswegen ist es auch so schwer für uns, unsere eigenen Impulse zu kontrollieren. Natürlich haben wir manchmal auch Impulse, die wir überhaupt nicht kontrollieren wollen - auch wenn wir uns später wünschen, wir hätten's getan. Hat ein Patient einen Hirntumor, kann er immer schwerer Impulse kontrollieren, egal in welcher Situation. Und in der Endphase - wenn niemand helfen kann - stirbt er. Ich beschäftige mich tagtäglich mit solchen Fällen. Ich weiß wovon ich rede. Heute erzähle ich Ihnen etwas über die Entfernung solcher Tumore..."
Mit diesen Worten leitete er seinen Vortrag ein und ich war sicher, dass er genau wusste was er sagte und wie er wirkte. Alles in allem strahlte er pure Autorität aus. Wissen und Macht.

Zwei Stunden lang erklärte Dr. Shepherd zwei verschiedene Methoden, die er mit seinem Team selbst entwickelt hatte, zum Entfernen von Tumoren. Dabei betonte er immer wieder wie kompliziert die Neurochirurgie wäre, wie schwierig ein Eingriff wäre. Er sprach auch über den Beruf allgemein, über Vorteile und Nachteile.
Er zeigte Bilder, viele Bilder und erklärte dazu. Ich hörte ihm die ganze Zeit aufmerksam zu und in keiner Sekunde zweifelte ich daran, dass ich genau das tun wollte, was er tagtäglich tat. "All diese Eingriffe sind kompliziert, teilweise gefährlich für den Patienten. Machen Sie als Chirurg einen Fehler kann das viele Auswirkungen haben. Wenn Sie das Sprachzentrum treffen, wird der Patient nie wieder sprechen können - es ist ein irreparabler Schaden. Sie können ganze Gedächtnislücken hervorrufen, schlimme Nervenschädigungen, Lähmungen. Wir behandeln das Zentrum des menschlichen Körpers. Mit den von mir entwickelten Operationstechniken wird dieses Risiko verringert. Es ist innovativ und ich möchte behaupten genial."  erklärte er und schmunzelte.

Ich musste lachen bei seinen letzten Worten, so wie fast jeder im Saal. Er war keineswegs arrogant, er war nur selbstsicher.
Dr. Shepherd bedankte sich bei allen Anwesenden und gab die Möglichkeit Fragen zu stellen, wovon viele im Raum auch Gebrauch machten.
Nach drei Stunden war es vorbei, ein Blick auf die Uhr sagte mir dass es sieben Uhr war und ich begab mich aus dem Krankenhaus auf den Weg nach Hause. In Gedanken lief ich, ging in meinem Kopf noch einmal alles durch was er gesagt hatte. Prägte mir einige Dinge ein, überdachte seine Aussagen.

Ich lief die ganze Zeit mit gesenktem Blick, bis mich eine Stimme aus meinen Gedanken holte und mich aufblicken ließ. "Louis?"
Es war Harry. Er stand vor dem Burgerladen, in dem er arbeitete und sah mich mit einem überraschten Gesichtsausdruck an. "Hätte ja nicht gedacht, dich so schnell wieder zu sehen!" sagte er lächelnd und ich nickte irritiert. "Hallo."
"Hast du Hunger?" fragte er, doch ich schüttelte meinen Kopf. Jedoch knurrte mein Magen genau in dem Moment, was den Lockenkopf auflachen ließ. "Kommst du mit rein? Geht auf's Haus!" sagte er und lief ohne auf eine Antwort zu warten zurück in das Restaurant. Kurz überlegte ich, eigentlich musste ich nach Hause, doch Hunger hatte ich auch. Seufzend folgte ich ihm schließlich nach wenigen Augenblicken und setzte mich an einen freien Tisch, was nicht wirklich schwer war, denn es war niemand im Laden. "Wieso ist hier nichts los?" fragte ich neugierig und Harry sah sich um, zuckte mit den Schultern und grinste. Wieso grinste er ständig? "Wir haben seit 'ner halben Stunde geschlossen!"

"Und was machst du dann noch hier?" fragte ich wieder, beobachtete ihn misstrauisch, wie er sich hinter der Theke eine Schürze umband. Als er zu mir schaute wendete ich meinen Blick schnell wieder ab. "Musste noch aufräumen. Und jetzt bleibe ich weil du Hunger hast. Kommst du mit in die Küche?" fragte er, wartete jedoch wieder meine Antwort nicht ab und verschwand hinter einer Schwingtür in einen anderen Raum. Scheinbar die Küche.
Bis heute weiß ich nicht wieso, doch ich stand ohne zu überlegen von der unbequemen Sitzbank wieder auf und folgte ihm in den Küchenbereich.
Ich sah mich ein wenig um und schaute dann zu Harry, welcher sich bereits am Herd zu schaffen machte. "Wir kochen hier ausnahmslos frisch. Also, Joseph, unser Koch kocht. Weißt du er ist schon siebenundfünzig, aber echt ein cooler Typ! Man kann viel lachen mit ihm! Manchmal, nach Feierabend, mache ich mir hier noch etwas. Keinen interessiert das und ich spare mir Geld. Ist doch praktisch! Ich mache dir meinen Lieblingsburger, er wird dir schmecken! Die Hauptzutat ist eigentlich Fleisch. Mit Bacon und dann nochmal Fleisch. Möchtest du Pommes dazu?" plapperte der Lockenkopf gut gelaunt los, während er aus dem Kühlschrank Hackfleisch hervor holte. Mir fiel es schwer ihm zu folgen, doch ich versuchte mich zu konzentrieren. "Nein, der Burger reicht mir." antwortete ich schlicht und schaute mich weiter um. Ich wollte Harry nicht die ganze Zeit beobachten, das kam mir unhöflich vor, doch ich musste mich wirklich zusammenreißen genau das nicht zu tun.
"Bist du immer so wortkarg?" fragte er mich und sein Blick streifte mich kurz. Ich zog die Augenbrauen zusammen und überdachte kurz seine Aussage. War ich wortkarg? Ich öffnete mich einfach gegenüber Fremden nicht, was war daran verwerflich?
"Kann ich dir nicht so beantworten." sagte ich deshalb und er lachte leicht und nickte, während er weiterhin herum hantierte und für mich den Burger zubereitete. Es zischte auf als er das Hackfleisch in die Pfanne legte, welches er vorher in die richtige Form gebracht hatte. Es wurde automatisch wärmer im Raum und an Harry's Stirn bildeten sich kleine Schweißtropfen.

"Du lachst auch irgendwie nie. Das ist schade." stellte er nach einigen Momenten den Schweigens fest und ich spürte wie sich mein Körper etwas anspannte. "Ist das so wichtig?"
"Ja. Lachen ist gesund. Du solltest mehr lachen!" sagte er direkt und ich seufzte innerlich.

"Dafür gibt es aber keinen Grund, Harry." antwortete ich schlicht und sein Blick ruhte einen Moment nachdenklich auf mir, ehe er seiner Tätigkeit weiter nachging. Niemand von uns sagte mehr etwas, bis Harry nach einigen Minuten seine Hände abwusch und sie abtrocknete. Vorsichtig nahm er den Teller mit dem Burger in die Hand und ging lächelnd an mir vorbei. Sofort folgte ich ihm, setzte mich ihm gegenüber und er schob mir den Teller mit einem breiten Grinsen zu. "Lass es dir schmecken!" sagte er und ich nickte, murmelte ein leises "Danke" und nahm das Gericht zwischen meine Hände.

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