6 - Matthias Green

Die Pfleger haben angefangen, mich anzustarren.
Irgendjemand hat also herausgefunden, wer ich bin.
Oder zumindest gibt es ein paar interessante Gerüchte darüber, wie es scheint.
Ich schüttle mir meine Haare aus den Augen und humple flankiert von zwei Föderationssoldaten zurück in Richtung Krankenzimmer. Ich wurde schon lange nicht mehr so angestarrt. Um genau zu sein war das letzte Mal vor drei Jahren, als ich auf einem Tankeasteroiden eine Massenkeilerei angezettelt habe, weil ich nicht einsehen wollte, dass ich falsch geparkt habe. Was ich natürlich getan hatte.
Kurz: Ich habe jetzt an einem Ort mehr Hausverbot.

Werde von einer hübschen, nordisch aussehenden Schwester abgelenkt und drehe mich auffällig unauffällig nach ihr um.
„Wollen Sie ein Bier mit mir trinken gehen, Schönheit in Weiß?", rufe ich ihr auf Russisch nach.
Als sie sich umdreht, erkenne ich, dass es sich um einen sehr eingeschüchtert dreinschauenden Assistenzarzt mit zitterndem Klemmbrett und Korkenzieherlocken handelt. Kopfschüttelnd wende ich mich ab. Bin wohl etwas aus der Übung.

„Wenn du einer der Schwestern nachgepfiffen hättest, hätte ich dich zusammengefaltet", droht einer der Security Männer, die man mir aufgehalst hat, ebenfalls auf Russisch, „Meine Tochter arbeitet hier."

„Tatsache?", hake ich interessiert ein, während wir an der Schwesternstation vorbei steuern, „Ist deine Tochter single?"

Eine blonde Schwester merkt auf, als sie das Russisch hört. Treffe ihren Blick, werfe ihrem Vater einen vielsagendes Grinsen zu und klopfe ihm auf die Schulter: „Kleiner Scherz. Wir leben im 23. Jahrhundert. Jemandem hinterherpfeifen hat keinen Stil."
Beuge mich über den Tresen und packe meine sonnenstrahlenwarme Aura aus.
„Vielen Dank, dass du mir gestern Schmerzmittel gebracht hast. Ich weiß nicht, was ich sonst gemacht hätte."
Sie wirkt etwas überrumpelt. Gefällt mir.

„An euch alle", ich richte mich auf, räuspere mich, breite die Arme aus und lächle einnehmend in die Runde, „vielen Dank dafür, dass ihr euch um mich gekümmert habt. Was würde ein Schiffskrankenhaus wie dieses nur ohne solch' wunderbare Menschen tun, die das Durchsetzungsvermögen, die Ausdauer und den Biss haben, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Ihr seid wahre Helden und das meine ich nicht ironisch. Vielen Dank!"

Sie blinzeln mich an. Die blonde Schwester dreht einen Kugelschreiber durch die Finger.
„Ich glaube nicht, dass hier außer mir und meinem Vater irgendjemand Russisch spricht", erwidert sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Falsch", entgegne ich, „Ich spreche fließend Russisch. Bin rechtmäßig stolz darauf."

„Sollen wir die Psychiaterin anpiepen?", fragt ein knapp zwei Meter großer grimmiger Pfleger, nicht auf Russisch, sondern in der Standardsprache, der die letzten fünf Minuten kein Wort verstanden hat.

„Oh ja, bitte", antworte ich, doch mein „Ich liebe Psychaterinnen", geht in einem überlauten Räuspern unter.

Jemand ist aus meinem Krankenzimmer getreten. Ich erinnere mich verschwommen an sein breites, teigiges Gesicht. Der circa Sechzigjährige hat die kalten Augen eines hochrangigen Militärs und trägt das Wappen der Föderation am Revers.

„Symphony", beginnt er, ohne dass man wissen könnte, ob er innerlich kurz vor dem Explodieren ist, oder über einen privaten Witz lacht, „haben Sie einen Moment?"

Ich betrete das Krankenzimmer und der Security Mann schließt die Tür hinter uns. Als mein Blick auf eine halb durchsichtige Frau fällt, die mittig im Raum steht und sich die eckige Brille die Nase hinauf schiebt, entfährt mir ein lautes, bellendes Lachen.
„Ava, altes Haus."

General van Havens persönliche Assistentin sieht nicht auf. Wahrscheinlich hat sie die Verbindung noch stumm geschalten. Ich gehe zu ihr hinüber und winke, innerlich betend, dass sie mir nur noch einmal van Havens Grüße übermitteln will und mich nicht doch noch vom Dienst suspendiert oder so etwas in der Art.
Man kann nie wissen, was die IV. Legion zufällig bei einem ihrer Informationsstreifzüge über einen herausfindet. In Kombination mit dem unglaublich komplexen Sunhunter Regelwerk ist man sich nie wirklich sicher, woran man mit seinen Vorgesetzten gerade ist.

Ich habe mich stundenlang dafür verantworten müssen, dass ich bei einer waghalsigen Flucht einen Kugelschreiber verloren habe, während nukleares Bombardement und die Pulverisierung von ein paar Zivilisten vielleicht mit einem verstimmten Gesichtsausdruck quittiert wird.
Wurde einem ab einer gewissen Anzahl an Hausverboten die Pension gestrichen? Wer wusste das schon? Ich ganz sicher nicht.

„Agent Green", grüßt sie, schiebt die eckige Brille mit dem Mittelfinger die Nase hinauf und verzieht minimal die dünnen, in Magenta nachgezogenen Lippen. Agent Green nennen mich nur die Bürohengste. Symphony ist reserviert für das Weltraummilitär und wird meist geschrien. Adonis mit Oktopus ist allgemein gebräuchlich.

„Salve, meine Liebe. Agent Green meldet sich zum Dienst. Auftrag erfolgreich ausgeführt. Und: ich lebe noch."
Sie blinzelt nicht einmal.
„Das wussten wir bereits."

Ich ziehe eine zuckersüße Schnute, von deren herzerweichender Wirkung ich eine ziemlich gute Vorstellung habe, weil ich ab und zu beim Rasieren im Badezimmerspiegel übe.
Ava bleibt unerweichlich.
Sie scheint sich nicht besonders zu freuen, dass ich nicht nur ein Himmelfahrtskommando in einen Siegesfeldzug verwandelt habe, sondern auch noch fast unverletzt aus der dramatischen Nuklearexplosion aufgetaucht bin. Blöde Kuh.

„Ava. Willst du mir nicht gratulieren? Du musst zugeben, dass ich so einen kleinen Glückwunsch schon verdienen würde. Ich wusste, ich hätte noch einmal an der Tanke anhalten und dir mit meinem einen verbleibenden Arm ein paar Blumen besorgen sollen, damit du mir ein bisschen Anerkennung zu Teil werden lässt. Mein Geld wurde leider von Airbus großen Atombomben in Fetzen gerissen. Passiert."

„Wollen Sie hier weiter Kaffeekränzchen spielen, oder ihre Befehle hören?"

„Kaffeekränzchen hört sich doch gut an, findest du nicht?", frage ich halb hoffnungsvoll zurück, „Und Ava, du betreust mich, seit ich ein Baby Sunhunter war. Du darfst mich duzen."

„Gott", murmelt sie.

„Nein", schalte ich mich ein, weil ich es wie immer nicht lassen kann, „Agent Green reicht völlig."
Oder auch Adonis mit Oktopus, füge ich in Gedanken hinzu.

„Green, sie werden versetzt."

Meine Ohren fühlen sich an, als würden sie auf die doppelte Größe anschwellen. Ein breites Grinsen breitet sich unaufhaltsam von meinen Schneidezähnen bis zu ebendiesen gefühlt riesigen Ohren aus. Meine Brust schwillt innerhalb von Sekunden vor Stolz.
Ich bin befördert worden.
Nach all den Jahren hat van Haven mich endlich befördert.
Ich frage mich gerade, in welcher der Bordbars ich heute feiern soll, als durch den bunten Nebel meiner eigenen Großartigkeit erneut Avas Stimme klingt:
„Sie werden in die Ausbildung versetzt."

Mit einem Schlag stehe ich wieder in meinem Krankenzimmer, sämtliche Partypläne sind Geschichte.
Mein Unterkiefer ist nach unten geklappt, meine Schultern nach vorne gesackt und insgesamt mache ich wohl ein ziemlich blödes Gesicht, denn Ava kichert plötzlich. Es fängt ganz leise an, hinter vorgehaltener Hand und endet in ersticktem Prusten, das sich noch am ehesten nach einem Delfin auf Speed anhört.

„Du schickst mich in den Kindergarten?", frage ich die Beraterin zutiefst geschockt.

Sie braucht einen Moment, um die Arme zu heben und ein:
„Jeder gute Mann hat mal ein Kindergartenpraktikum gemacht", hervorzubringen, bevor sie wieder in Lachtränen ausbricht.

Ich verschränke die Arme vor der Brust, zutiefst beleidigt, dass mir nicht ein noch höheres Gehalt, ein Posten im Herz der Galaxie und ein Fresskorb angeboten wurde.
Van Haven liebt mich.
Nur leider ist nicht der General für meine täglichen Anweisungen zuständig, sondern Ava MacSage, Sadistin und Hobbybingospielerin. Wenn das Oberkommando der Sunhunter selbst mich gerade nicht brauchen kann, ist es ihr Job dafür zu sorgen, dass ich meine Arbeitsstunden sinnvoll nutze und beispielsweise keine Depressionen bekomme und mich aufhänge.
Unter anderem. Ava ist nicht gut in ihrem Job.

„Tu das nicht, Ava. Was willst du? Ich gebe dir alles. Bitte keine Kinder."

Sie zückt ein blütenweißes Taschentuch und tupft sich immer noch von gelegentlichen Lachern geschüttelt die nassen Wangen ab.
„Die sind alle mindestens achtzehn Jahre alt und haben die Hochschulreife", bemerkt sie dann und steckt das Taschentuch wieder weg.

„Ava, ich hasse es, wenn du sowas machst. Der General schickt mir Blumen und du ... gibst mir eine Grundschulklasse. Von wo? Von der Venus? Bitte keine Erdlinge, die sind unglaublich nervig."

Sie hat wieder ihre steinerne Miene aufgesetzt, aber darunter lodert eine solche Schadenfreude, dass ich es kaum ertragen kann. Sie hat mich noch nie gemocht.
Dafür habe ich ihren Geburtstag zu oft absichtlich vergessen.

„Hör auf zu flennen, Green. Du hast noch ewig auf diesem Kreuzer, bevor ihr zurück in das Herz kommt. Du hast eh nichts Besseres zu tun."

Ich werfe verzweifelt beide Hände in die Luft, aber die Schlinge ist bereits zugezogen.
„Ich könnte Star Trek schauen. Ich könnte ein Buch schreiben."

Sie spitzt die Lippen.

„Alles Weitere wird Ihnen vor Ort erklärt. Wenn Sie es wagen, mich bei Fragen oder Problemen anzurufen, werde ich Ihnen das Leben zur Hölle machen. Einen schönen Tag noch."

„Avaaa", brülle ich, aber meine Beraterin hat sich bereits ausgeloggt. Ihr Hologramm verblasst langsam. Das letzte, was ich von ihr sehe, ist, wie sie mit zurückgeworfenem Kopf aus Leibeskräften lacht, wie ein Disney Bösewicht.

„Verdammte Scheiße", fluche ich.

„Na na na", tadelt der hochrangige Militär, der vorhin dafür gesorgt hat, dass ich die Psychiaterin nicht kennenlernen konnte, „bevor sie zu den Rekruten können, müssen wir aber noch an Ihrer Ausdrucksweise arbeiten, Symphony."

Ich werfe ihm einen schrägen Blick zu. Er trägt einen Ehering, traditionell, golden, einfach. Definitiv nicht mehr im Dienst, sonst dürfte er das nicht. Die Uniform spannt etwas über einem Wohlstandsbäuchlein, das mir vorhin wohl nicht aufgefallen ist, weil ich von den Orden auf seiner Brust geblendet wurde. Doppelkinn, zwei entfernte Muttermale an der Wange. Amüsiert. Väterliches Wohlwollen in altersblassen Augen.
Oh mein Gott.
Sie haben mir einen Ausbilder auf den Leib gehetzt.
Zu Hilfe.

„Ha ha ha", lache ich unehrlich, „Ja, das Militär ist ja dafür bekannt, dass es seinen Weltraumsoldaten Manieren beibringt."

Er versteht die Ironie nicht. Grundgütiger, wie komme ich aus der Nummer bloß wieder raus?

„Major Kaspar Jefferson", stellt er sich vor und reicht mir eine fleischige Hand, „Ich soll ihnen einen vierstündigen Crash Kurs im Dozieren geben."

Lächle, aber beiße die Zähne so fest aufeinander, dass man wohl bald wieder das BioBone Fach für mich öffnen muss.

„Großartig. Einfach Großartig."

~☀️~

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