53 - Clara de Flocon

Es knallt so laut, dass meine Ohren noch Momente später klingeln. Der Feuerball ist ungefähr so groß wie der blaue Gummi Gymnastikball, der in der Suite des Sunhunters herumkugelt, aber ich erschrecke mich trotzdem zu Tode.

„Junge, junge", lacht Miss Atilgan, während ihre Azubis beginnen, das Wrack zu löschen, „Das mit dem Ärmel zieht sie auch wirklich jedes Mal ab. Nur so merken sie es sich, sagt sie."

Jemand löscht den brennenden Anzug der Ausbilderin, unter dem eine weitere Lage anscheinend feuerfesten Stoffs zum Vorschein kommt. Mein Puls hämmert immer noch wild und ich bemühe mich, ruhig zu atmen. Langsam beruhigt sich alles wieder, irgendjemand applaudiert links von mir. Miss Atilgan sieht mich an und lacht schallend.

„Zeigen sie euch sowas nicht, im feinen Star Soldaten Programm? Meine Herren, meine Herren ..."

Ich lache ungläubig, weil die absolute Gelassenheit der Mechanikerin im Angesicht einer Explosion mitten auf ihren Docks, wirklich beeindruckend ist. Die Stimmung entspannt sich, selbst die Azubis lachen inzwischen. Doch als ich zum Sunhunter aufsehe, weil dieser immer noch keinen Kommentar abgegeben hat, vergeht mir das Lachen.

Er starrt immer noch zu dem brennenden Wrack hinüber, blinzelt nicht, ist aschfahl geworden. Seine Arme sind angespannt wie jedes Mal, bevor er zum Schlag ausholt. Die Mechanikerin hat es ebenfalls bemerkt und ist drei vorsichtige Schritte zurückgewichen, als erwarte sie einen Angriff. Ich habe keine Ahnung, was gerade passiert, aber diesen Ausdruck habe ich noch nie auf seinem Gesicht gesehen. Er wirkt gleichzeitig wütend und verängstigt, panisch und geschockt über alle Maßen.

Ich kämpfe mich auf die Füße, warte, bis die Welt aufhört sich zu drehen und packe den Sunhunter am Arm, teils um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, teils, um mich irgndwo festhalten zu können.

„Ich muss mit Ihnen reden. Haben Sie einen Moment?"

Ich ziehe Matt aus dem Raum, weg von Miss Atilgans geschockten Blicken. Er atmet schwer.

„Was soll das?", zische ich, sobald sich die Tür hinter uns schließt, „Was ist los mit dir?"

Er stützt die Ellenbogen an die Wand, verschränkt die Hände hinter dem Kopf, als wolle er sich die Ohren zuhalten. Ruckartig hebt und senkt sich der Brustkorb des Supersoldaten. Völlig geschockt über seinen Ausbruch kann ich einen Moment nur starren. Ich habe die letzten 48 Stunden die größtenteils kopfüber verbracht, aber aus irgendeinem Grund geht es ihm definitiv schlechter als mir.

„Hey", ich packe ihn an den Armen, doch er stößt mich weg. So fest, dass ich stolpere und beinahe hinfalle. Immerhin habe ich wieder seine Aufmerksamkeit. Die Sehnen an seinem Hals treten hervor, während er nach Luft ringt. Panikattacke oder etwas ähnliches. Ich halte seinen Blick, hebe beschwichtigend die Hände.

„Alles okay", sage ich möglichst ruhig, obwohl auch mein Puls in die Höhe geschnellt ist. Der Sunhunter ist eine der unverwüstlichsten Persönlichkeiten, die ich kenne. Ihn so zu sehen, bricht eine Illusion, verunsichert mich bis in die Knochen.

„Atme mit mir", fordere ich, weil ich Angst bekomme, dass mir dieser Supersoldat gleich vor die Füße kippt, weil er hyperventiliert, „Ein. Aus. Ein. Aus. Nur atmen, alles andere ist gerade unwichtig."

Als sein Blick wieder weg von mir schweift und glasig wird, greife ich nach seinen Handgelenken.

„Schau mich an", bestehe ich, „Schau mich an und atme mit mir, du blonder Vollidiot."

Das scheint ihn in die Realität zurück zu holen. Eine weitere Minute stehen wir so da, der keuchende Sunhunter und ich. Ich werfe einen Blick in Richtung Docks. Jeden Moment kann jemand auf den Gang herauskommen und nach dem Rechten sehen. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe das dringende Bedürfnis, sie alle so weit weg von ihm zu halten wie möglich. Ohne lange nachzudenken schiebe ich den Sunhunter den Gang hinunter. Es gibt nur einen Ort, an dem man auf diesem Kreuzer einen fast zwei Meter großen Kerl für mehr als zehn Minuten verstecken kann.
Mein Zwischendeck.

~

Ich bugsiere ihn zu der Couch hinüber. Meine Muskeln schmerzen unter dem Gewicht des Sunhunters.

„Tee?"

Matt hat den Kopf in die Hände gestützt und atmet immer noch schwer. Doch als ich den Wasserkocher anschalte, sieht er kopfschüttelnd auf. Es ist, als hätte sich ein tiefer Riss aufgetan im Bild des immer vergnügten, nie ernsten Sunhunters. Die Dunkelheit dahinter macht mir Angst. Er macht keine Bemerkung über den verlassenen Lagerraum. Der gestohlene Wasserkocher, die Cafeteriatassen, die Bilder an den Wänden, mein Laptop, die Pflanzen ... Er schüttelt sich noch einmal, als würde das reichen, um die Welt wieder gerade zu rücken.

„Tut mir leid."
Das Wasser kocht bereits. Wie lange ist er einfach stumm dort gesessen, während ich ihn angestarrt habe? Mein Kopf schwirrt. Ich gieße Tee auf, während er langsam wieder ruhiger atmet. Er schließt die Augen und lehnt sich stöhnend in die Kissen zurück. Kalter Schweiß steht auf seiner Haut.

„Bist du okay?", frage ich vorsichtig und balanciere die Teekanne zu ihm hinüber. Natürlich ist er nicht okay. Was für eine dumme Frage. Matt hebt den Kopf und bedankt sich für den Tee, antwortet aber nicht auf meine hilflose Frage. Eine Weile sitzen wir einfach nur nebeneinander. Ich starre die Wand an, weil ich ihn nicht anstarren will.

Wann habe ich das letzte Mal jemanden so eine starke Panikattacke haben sehen? Am ersten Tag unseres Trainings ist ein Mädchen zusammengeklappt. Als im zweiten Jahr jemand abstürzte und starb, hatte Kaya, die im Stockbett über mir schlief, einen totalen Zusammenbruch. Ich habe die Geschichten von Soldaten gehört, die das erste Mal an eine Front geschickt werden und nur Stunden später vollkommen gebrochen waren. Wie viele Schlachtfelder hat der Sunhunter wohl gesehen? Wie viel Leid hat er gesehen?

Die Stille ist nicht schwer. Wir hängen beide unseren Gedanken nach, während der Tee kalt wird. Ich bemerke gar nicht, dass er mich die ganze Zeit ansieht, bis er rau fragt:

„Willst du eine Erklärung?"

„Du musst mir nichts erklären."

Wieder herrscht Stille. Er lehnt den Kopf zurück in die Kissen und atmet erneut lange aus. Das Haar klebt ihm an der Stirn. Er wirkt plötzlich so ausgezehrt, so müde. Ein Schatten des Mannes, der mit oranger Fliegersonnenbrille aus einem illegalerweise geflogenen Jet springt und Plastikblumen in die Studentenmenge wirft.
Ich habe das Bedürfnis, die Hand auszustrecken und seinen Kopf zu halten, weiß aber nicht, ob er das als Beleidigung auffassen würde.

„Feuer macht mich wahnsinnig", sagte er dann, mit der Wange an meinen geklauten Sofakissen und linst zu mir herüber, als würde er meine Reaktion sehen wollen.

„Okay", sage ich einfach, „Feuer macht dich wahnsinnig."

„Nein, ich meine", er setzt sich auf und massiert seine Schläfen, als hätte er Kopfschmerzen, „einer der Gründe, wieso ich mich für dieses Leben entschieden habe ist, dass es im Weltraum kein Feuer gibt. So schlimm ist es. Normalerweise komme ich klar, aber wenn es so plötzlich kommt ..."

Mein Blick fällt auf seine Hände. Auf die Bissspur, die als Narbe auf seinem Handrücken prangt. Soweit ich weiß, hat er keine Brandnarben.

„Ich bin von der äußersten Grenze", sagt er dann irgendwann, „Die VHN hat das Schiff, auf dem ich geboren wurde gekapert als ich zehn war. Sie haben es ausbrennen lassen."

Ich beiße die Zähne zusammen.

„Scheiße."

Einer der ersten Paragraphen, auf den sich Föderation und VHN in ihren Verhandlungen einigen konnten, war, dass das Ausbrennen von Kreuzern verboten wurde. Jeder Kapitän, der den Befehl dazu gab, machte sich eines Kriegsverbrechens schuldig.
Man platzierte relativ schwache Brandbomben an strategischen Punkten des Schiffs, triggerte das Shutdown Protokoll des Kreuzers und sah zu, wie die Flammen sich die Gänge entlang fraßen. Die Besatzung war gefangen und vollkommen wehrlos. Wohin willst du rennen, wenn dein Raumschiff brennt? Nach draußen? Es gab Berichte von Generälen, die den Weltraum den Flammen vorgezogen hatten. Nur wenige Berichte über diese Verbrechen stammten von Überlebenden – um genau zu sein, hatte ich damals in ‚Kriegsgeschichte' nur einen einzigen gelesen.

„Wie bist du rausgekommen?", frage ich leise.

„Reines Glück", der Sunhunter schluckt, „Wir hatten eine Cryokapsel an Bord, zu der nur mein Vater den Code hatte. Darin habe ich mich versteckt, bis das Feuer vorbei war. Bevor die VHN das Schiff in die Luft jagen konnte, ist die Verstärkung der Föderation eingetroffen."

Er kratzt sich einen winzigen Pickel an der Schläfe auf.

„Van Haven hat mich aus den Trümmern gezogen, heulend und traumatisiert wie ich war."

Mehr muss er nicht sagen. Wenn der General der IV Legion persönlich ein Waisenkind rettet, ist es wahrscheinlich, dass man zumindest versuchen würde besagtes Waisenkind zu einem Sunhunter zu machen. Mir wird übel.

„Ich hatte keine Ahnung", flüstere ich. Er verwuschelt zerstreut seine Haare.

„Danke, dass du mich weggebracht hast von den anderen."

„Klar. Gerne."

„Ich war in Therapie. Manchmal flammt es einfach auf."

„Ist okay."

Ich zögere, strecke die Hand aus und streiche ihm über den Arm.

„Du hast mir einen höllischen Schrecken eingejagt."

Zögerlich legt er einen Arm um mich. Verschränkt seine Finger mit meinen, sodass unsere Hände auf meinem Oberschenkel ruhen. Es passiert ganz natürlich, als hätten sich die Variablen verschoben, die den Abstand zwischen uns bestimmen, ohne dass es irgendjemand bemerkt hat. Es ist beruhigend, dass sein Atem wieder so normal fliest.

„Ich wollte dir keine Angst machen."

„Hör auf zu reden."

Seine vernarbte Hand drückt zur Antwort kurz meine Finger. Wir sitzen aneinander gelehnt da und warten auf irgendetwas. Vielleicht, bis sich seine Schultern wieder entspannen oder bis der Tee kalt ist. Ich weiß es nicht.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr sehe, ist es Nachmittag und die Nachbesprechung ist schon lange vorbei. Ich muss eingenickt sein. Wir müssen eingenickt sein.

Da ich auch keine bessere Idee habe, als ihn schlafen zu lassen und selbst genauso fertig bin, ziehe ich im Licht meiner Lavalampe die Couch aus. Der Sunhunter grunzt unwillig. Seine Beine sind zu lang für die kleine Couch und ragen mehrere Zentimeter über den Rand hinaus. Leider habe ich nur eine Decke da, aber ich denke nicht einmal im Traum daran, jetzt noch durch die Korridore zu wandern, um eine Zweite zu besorgen. Ich stopfe ein Kissen unter seinen Kopf, was ihn letztendlich doch weckt.

„Hey", grüßt der Sunhunter verpennt.

„Schlaf weiter", flüstere ich zurück und ziehe den Stecker der Lampe. Auf dem Weg zurück zu meinem Schlafplatz stolpere ich über seine lächerlich langen Beine.

„Ouh", stöhnt Matt auf, als mein Ellenbogen in seiner Seite und mein Gewicht auf ihm landet.

„Sorry."

Ich robbe eilig von ihm herunter und rolle mich auf der rechten Seite des Ausziehsofas ein. Dass ich dabei die komplette Decke mitgezogen habe, wird mir erst klar, als er daran zieht. Es folgt ein ungleicher Ringkampf im Dunkeln, der damit endet, dass ich mit dem Gesicht in seiner Halsbeuge liege. Es scheint die einzige Position zu sein, in der die Decke alle Füße bedeckt. An diesem Punkt bin ich so müde, dass mir alles recht ist.

„Du liegst auf meinen Haaren", beschwere ich mich noch.

Der Sunhunter hebt den Kopf, greift nach meinen Haaren, pfeffert sie über meine Schulter und senkt seinen Kopf wieder.

„Halt still, oder wir haben vielleicht doch noch Sex", fordert er.

„Witzig", knurre ich.

„Nur die Wahrheit", kommt es zurück.

„Du stinkst, als wärst du einen Marathon gelaufen."

„Und du stehst drauf."

„Nein, ich steh' gleich auf."

„Badum Tss", macht der Sunhunter verschlafen.

Ich schnaube amüsiert.

„Schlaf gut", sagt er noch. Zwei Sekunden später ist sein Atem wieder so tief und regelmäßig, dass klar ist, wer von uns gerade gut schläft. 

~☀️~

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