26 - Clara de Flocon

Labore sind gruselig.
Zumindest, wenn man sie mit einer Waffe in der Hand und nicht der geringsten Absicht, eine Schutzbrille aufzusetzen, betritt. Wobei das beim momentanen Zustand meiner Nase ohnehin nicht die beste Idee wäre. Vielleicht finde ich den großen Raum mit der Galerie auch nur so befremdlich, weil ich noch nie hier war, was auf diesem Schiff nicht mehr oft vorkommt.

Wir steigen vorsichtig die Metalltreppe hinab, nachdem wir von dem Posten auf der Galerie niemanden zwischen den unzähligen Waschbecken, Plexiglasscheiben und Aquarien voller sich windender gelber Tiere ausmachen konnten. Die Aliens sehen aus wie Schlangen, sind aber dünner und haben anscheinend entlang ihres Rumpfs immer wieder gehirnartige Auswüchse, dafür aber kein Gesicht.
Ich wende mich ab.
Nachdem ich unsere Partie Schere-Stein-Papier-schwarzes Loch verloren habe, muss ich vorausgehen.

Jemand hat die Türen zu den Laboren dauerhaft entsperrt, sodass wir ohne Probleme in diesen Teil des Schiffes vordringen konnten, aber ich bezweifle stark, dass wir weiterhin so viel Glück haben werden.
Louis, der berechtigterweise immer noch in seinem schlechten Gewissen badet, ist mit besonders viel Konzentration dabei, den Raum zu sichern. Er verschwindet und taucht im nächsten Moment am anderen Ende eines Gangs aus Arbeitsflächen und Waschbecken wieder auf. Ratlos hebt er die Hände, von denen eine immer noch die Waffe umklammert. Der Raum ist leer.
Auf der Suche nach dem Terrarium, in das der Sunhunter unseren Soon-To-Be-Schmetterling Booth in seiner unendlichen Kreativität gehängt hat, finden wir zwei Abstellkammern, von denen die eine jede Menge Laborausstattung und die andere in Gläsern eingelegte Augen aller Größen und Formen enthält.

Ich knalle die Tür so schnell und fest wieder zu, dass die Gläser klirren. Louis gestikuliert wild, dass ich leise sein soll, doch ich bin viel zu beschäftigt damit, mich über eines der Waschbecken zu beugen und meine Übelkeit niederzukämpfen.

„An was genau forschen die hier eigentlich?", frage ich im Flüsterton, sobald ich wieder sprechen kann, ohne Angst haben zu müssen, meinem Gesprächspartner eine ekelhafte Dusche zu verpassen.

„Hinterfrag' es am besten nicht, Paris", er wirft einen Blick auf die dritte Tür an dieser Wand, die ein Warnsymbol für radioaktive Strahlung trägt. In stummer Übereinkunft ignorieren wir diese Tür und wenden uns direkt der Nächsten zu.

„Augen zu und durch", flüstert Louis und wartet, bis die Glastüren automatisch und lautlos auseinander geglitten sind.
„Keine Augen mehr", stöhne ich, folge ihm aber.

Doch es sind weder eingelegte Alienaugen, noch Aquarien voller Gehirnschlangen, die uns erwarten. Stattdessen tut sich ein großer, fahl erleuchteter Raum vor uns auf.
Ich weiß sofort, dass wir richtig sind, als ich die Glaswand am anderen Ende des Raums erkenne. Hoch über dem Erdboden hängt nach wie vor Booth – doch inzwischen ist er aufgewacht. Ich kann bis hier sehen, wie er zappelt, aber kein Wort von dem Hören, was er sagt.

Louis und ich kauern uns hinter einen großen weißen Tank, um nicht genauso glorreich dem gegnerischen Team in die Arme zu laufen, wie es die anderen vorhin getan haben. Dieses hat sich übrigens direkt vor der Scheibe des Terrariums versammelt, um mit in den Nacken gelegten Köpfen den hin und her baumelnden Booth zu beobachten.

Sie haben noch nicht gewonnen, geht mir auf, Erst müssen sie Booth da runter bekommen. Wahrscheinlich sind sie dabei, zu beratschlagen, wie sie genau das bewerkstelligen sollen. Plötzlich zupft Louis mich am Ärmel, sodass ich richtig zusammenfahre vor Schreck.

„Was?", frage ich harsch.

Wortlos hält er seine DataWatch in die Höhe, sodass ich das Katzen GIF bewundern kann, das der Sunhunter gerade an alle Rekruten verschickt hat. Heute ist die Katze zur Abwechslung weiß und deutet mit übertriebener Gestik auf eine winzige Armbanduhr an ihrem Handgelenk. Ein prüfender Blick auf den Countdown bestätigt meine Sorge: viel Zeit haben wir in der Tat nicht mehr, bevor Siren aus ihrem Meeting kommt.

Mein eigentlicher Plan wäre es ja gewesen, die Nachbesprechung durch einen Krankenstationsaufenthalt und einen Tratsch mit Benedict zu ersetzen, aber höchstwahrscheinlich schaffe ich das gar nicht mehr rechtzeitig.
Ich werde dem Epizentrum von Sirens Zorn also kaum entkommen, würde es aber trotzdem gerne vermeiden, für diese aberwitzige Idee des Sunhunters aus dem Rekrutenprogramm zu fliegen. Allerdings hat uns die Generalin für den nicht genehmigten Flugzeugstart auch mit einem sprichwörtlichen blauen Auge in Form einer ausgedehnten Moralpredigt und ein paar Putzdiensten davonkommen lassen. Ich schicke ein stummes Stoßgebet Richtung Himmel, dass diese Geschichte ähnlich glimpflich ausgeht.

„Hoffentlich geht heute keiner drauf", murmelt Louis unvermittelt und ich werfe ihm einen scharfen Blick zu, während ich mein Paint Ball Gewehr lade.
Theoretisch müssen wir nur jeden grünen Rekruten treffen, um diese aus dem Spiel zu katapultieren. Ob sie sich darüber so aufregen würden wie Crimson, der vor einer weiteren Reihe Tanks auf und ab stampft, wie ein schlecht gelauntes Mamut, oder direkt anfangen würden, sich die Nägel zu feilen, wie Angel, ist aber fraglich.
Unser ganzes Jet Team ist durch die Spielregeln dazu verpflichtet, in dem Raum zu bleiben, in dem sie getroffen wurden. Mouse hält sich jammernd die Schulter, wo ein riesiger grüner Farbfleck den Treffer markiert, den jemand gegen ihn gelandet hat.

„Ich habe eine Idee", flüstere ich Louis zu, der gerade Dragons DataWatch nachzieht. Er hat sie dem Kapitän des blauen Teams abgenommen und sich selbst um das Handgelenk gebunden, damit dieser nicht doch seine Untergebenen zu sich rufen kann, falls er es aus unerfindlichen Gründen schafft, sich zu befreien.

Ich ziehe mich an dem Tank hoch, halte mich an den Metallstreben fest und spähe über das weiße Plastik hinweg. Louis signalisiere ich wortlos, dass es sich um zwanzig feindliche Rekruten handelt. Wir beratschlagen stumm, während ich versuche, den beißenden Geruch zu ignorieren, der aus dem Tank aufsteigt, obwohl dieser eigentlich fest versiegelt ist.
Dann bewege ich mich vorsichtig weiter in den Raum hinein, immer darauf bedacht, nicht zu lange zwischen den großen weißen Plastiktanks sichtbar zu sein.

Es ist riskant, was ich vorhabe und wenn hier mit scharfer Munition geschossen würde, wäre es mir nicht im Traum eingefallen, diese Taktik auch nur in Erwägung zu ziehen. Von einem Moment auf den anderen erfüllt lautes Geschrei den Raum.
Ich erschrecke mich zu Tode und stolpere über meine eigenen Füße. Doch noch während ich mich benommen frage, was um Gottes Willen gerade passiert ist, fängt jemand an zu lachen.

Ich spähe durch einen am Tank befestigten Metallgriff und erkenne, was das komplette grüne Team so in Panik versetzt hat: es ist das, was auch immer in dem Terrarium haust.
Mit klopfendem Herzen sehe ich zu, wie sich etwas von der Scheibe löst und wieder zurück in die Dunkelheit hinter dem Glas verschwindet. Booth beginnt noch heftiger zu zappeln. Soweit ich das beurteilen kann, schnappt da etwas nach seinen Füßen.
Das kann nicht gut sein.

Ich bin kurz davor, den Sunhunter anzurufen, damit er dieses Spielchen, das zunehmend eskaliert, durch höhere Gewalt beendet, doch alleine beim Gedanken an seinen Tonfall und sein gehässiges Grinsen, würde ich mich am liebsten in einen der Tanks stürzen.
Einer der grünen Rekruten weicht immer noch weiter zurück, bis er gefährlich nahe an meinem Tank steht. Ich presse mich mit dem Rücken dagegen und kann sein „Was für ein kranker Scheiß!" so laut hören, als würde er mir gegenübersitzen. Auf die andere Seite des Tanks traue ich mich auch nicht verstecken, wenn ich nicht voll im Blickfeld seiner Kollegen stehen will.

Ich halte den Atem an, als er auf Augenhöhe mit mir ist. Er hat keine Waffe bei sich, ich könnte ihn einfach aus dem Spiel nehmen, indem ich den Abzug drücke. Doch das wird ihn leider nicht davon abhalten, mir die restlichen neunzehn Leute auf den Hals zu hetzen. Nach der Paintball Attacke sähe ich wahrscheinlich aus wie der Grinch persönlich.
Ich habe den Gedanken noch nicht einmal zu Ende geführt, als der Typ den Kopf dreht und mich sieht.
Oder zumindest denke ich für einen
Moment, dass er mich gesehen hat, bevor ich mich doch um die Ecke des Kanisters retten kann.

Ich presse den Rücken an das Plastik, sehe auf und starre in die völlig verdutzten Gesichter meiner Jet Team Kollegen, die wohl allesamt nicht mehr an ihre Rettung geglaubt haben. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Niemand, am allerwenigsten ich selbst, hat mit den beinahe erschreckenden Kräften gerechnet, die die Aussicht auf das Bestehen des Kurses, Booths Wohlbefinden und vor allem darauf, dem Sunhunter nicht die Genugtuung zu geben, mich kleinzukriegen, in mir entfesseln.

Meine Jet Team Kollegen schauen immer noch wahnsinnig dumm drein. Sollte ich das persönlich nehmen? Wahrscheinlich.
Ich hebe die Hand und winke seltsam berührt. Das Team ist nicht so dumm, zurück zu winken, aber Mouse Hand zuckt verdächtig. Schnell schauen sie alle wieder in die andere Richtung, um mich nicht zu verraten. Bis auf Mouse natürlich, der nun von Ohr zu Ohr grinst und nicht einmal im Traum daran denkt, so zu tun, als wäre ich nicht da.

Crimson und ich führen eine stumme Konversation, die aus viel Gestikulieren und wenig Verständnis besteht. Ich wollte ihm eigentlich mitteilen, dass sie das grüne Team von mir ablenken müssen.
Was der Hüne da mimt sieht aber mehr nach ‚Lass uns einen Surfurlaub machen und auf Einhörnern Wellenreiten' aus. Als ich ihm das okay gebe, sieht er noch ratloser aus als ich. Zum Glück steht Angel direkt daneben, die sich die Hand vor die Stirn schlägt und mir zunickt. Zumindest einer von uns hat seine Gehirnkapazität zusammen.

„Hey, Brokkoliköpfe", brüllt die blonde Scharfschützin und erhebt sich von ihrem Platz am Tank, „Ihr seid alle hässlich!"

Ich verschwinde wieder hinter dem Tank und lade meine Waffe, während die Brokkoliköpfe eben diese Köpfe drehen, um meine wahnsinnig eloquente sowie erfinderische Teamkollegin perplex anzustarren. Anscheinend hat der Großteil von ihnen keine Lust mehr darauf, Booth beim herumbaumeln zuzuschauen oder sich in die zähnebewehrten Mäuler der Monster im Terrarium zu stürzen. Ganze sechs Leute in grünen Rekruten Uniformen kommen bedrohlich auf meine Freunde zu.

„Was hast du gesagt?", fragt ein stämmiger Rekrut mit gebräunter Haut und fieser Schlägervisage.
Seine Nase wurde mehrmals gebrochen und erinnert stark an einen Blitz. Bei dem Anblick flammt der Schmerz in meinem eigenen Gesicht wieder auf. Ich schlucke ihn herunter, nehme mir vor, mir nicht noch einmal eins auf die Nase geben zu lassen, um eine solch abstrakte Form zu vermeiden und straffe mich. Trotz des drohenden Blitzeinschlags denkt Angel nicht einmal daran, sich zurückzuziehen.

„Hast mich schon verstanden, Bro. Und was ist grün überhaupt für eine Farbe? Nicht mal eine gottverdammte Grundfarbe, ehrlich."

Drohend kommen sie näher.
Zwar dürfen sie mein Team nicht krankenhausreif schlagen, wenn sie nicht den Zorn des Sunhunters auf sich ziehen wollen, doch zwischen ‚unversehrt' und ‚krankenhausreif' gibt es einige Stationen.
Der Typ packt Angel am Kragen und hebt sie hoch, sodass ihre Füße wirklich über dem Boden baumeln. Ich denke schon, dass er ihr den eigenen Kopf ins Gesicht rammt, doch trotz seines fiesen Aussehens gibt er hier in Abwesenheit des Captains wohl immer noch nicht den Ton an.

„Hey, Dave", brüllt die Blitznase über die Schulter, „Darf ich ihr eine reinhauen?"

Meine Hand zittert am Abzug der Paintball Waffe. Ich kann nicht zulassen, dass heute zwei Nasen dieses Jet Teams gebrochen werden. Komm schon, Dave, sag nein, bete ich stumm.

Doch Dave sagt:
„Tu dir keinen Zwang an."

Er ist der Typ, der mich vorhin beinahe erwischt und sich deswegen jetzt meine doppelte Missbilligung eingefangen hat.
Normalerweise würde das natürlich vollkommen spurenlos an ihm vorbei gehen, doch nicht heute, denn ich atme tief durch, packe die Paint Ball Waffe fester, lege an und drücke auf den Abzug.
Es erfüllt mich mit Befriedigung, als die rote Farbe auf Daves Brust zerplatzt, er verdutzt an sich hinuntersieht und dann feststellen muss, dass er gerade aus dem Spiel geflogen ist, in dem er sich dem Gewinn schon so nahe glaubte.
Dann bricht die Hölle los.









~ ☀️ ~

Hi, folks!
Die Uni killt mich gerade ein wenig, weswegen ich super wenig Energie zum Schreiben hatte.
Don't judge me, wir Erstsemester schieben gerade drei Krisen parallel. Das Jahr war ganz schön turbulent für mich, um ehrlich zu sein. Für wen nicht? 😂 
Auf jeden Fall freue ich mich sehr, euch wieder ein Kapitel servieren zu dürfen und hoffe, dass ich euren Tag ein bisschen galaktischer machen konnte.
Stay happy and healthy!
Lena

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