15 - Clara de Flocon
Ich verschätze mich minimal und schneide mit dem Flügel einen der leuchtenden Ringe, die der Sunhunter von Ojisan vor mir auf die Scheibe des UniJets projizieren lässt.
Der Ring blinkt rot auf, wie so viele, die ich bereits hinter mir gelassen habe. Ich gebe mir nicht einmal die Mühe, den Letzten noch zu erwischen und fliege pfeilgerade unter diesem hindurch.
„Baguette, was war das denn?", fragt Booth nicht höhnisch, sondern ehrlich besorgt, über die offene Frequenz. Ich beiße die Zähne zusammen.
Louis gibt sich im Gegensatz zu Booth keinerlei Mühe, seine Freude über mein Versagen in sanften Tadel zu verwandeln. Er lacht mich schamlos aus.
Auch Panic macht irgendwelche Klickgeräusche mit der Zunge.
„Wir können nicht alle wegen positiven Drogentests aus dem Pilotenprogramm fliegen, manche müssen sich das ehrlich verdienen", steigt Angel halbernst ein.
Sie steht auf der Highscore Tabelle, die Ojisan ebenfalls anzeigt, unter Panic auf dem zweiten Platz.
Mein Name residiert vor Mouse auf dem Vorletzten.
„Positiver Drogentest?", fragt der Sunhunter, interessiert und alle Stimmen verstummen abrupt.
„Nun, da ich ihre Aufmerksamkeit habe, verehrte Puppies, darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass Sie sich in einer militärischen Übung in state-of-the-art Kampfschiffen befinden und nicht in der Puppenküche des Kindergartens, in den Sie sich alle so sehr zurücksehnen?", fragt der Sunhunter über die offene Frequenz, während ich mich durchgeschwitzt und mit den Nerven schon völlig am Ende wieder in die Formation einreihe.
Wir müssen neben dem Mutterschiff herfliegen, da sich dieses nach wie vor in Bewegung befindet, auch wenn wir bis gerade nacheinander ausgeschert sind, um eine Vielfalt an bunt leuchtenden Lichtkreisen zu durchfliegen und hier und da ein Flugmanöver auf Geheiß des Sunhunters durchzuführen.
Dieser thront in seinem Jet an der Spitze der V-Formation und hat schon vor einer Weile aufgehört zu pfeifen. Um genau zu sein, seit sich herausgestellt hat, dass unsere Flugkünste sogar noch unterirdischer sind, als er angenommen hat.
Bis auf Panic und Angel sind wir alle Pinguine oder Strauße, die versuchen zu fliegen und dabei nicht nur kläglich versagen, sondern auch noch absolut mitleidserregend aussehen. Doch wir versuchen nicht nur zu fliegen, nein, wir versuchen dies mitten in der Unendlichkeit des Weltraums. Hier wäre das letzte, was man nach einer hypothetischen Kollision spüren würde, das nicht gerade angenehme Gefühl, den eigenen Speichel auf der Zunge kochen zu spüren. Aber „kein Druck, Puppies, ist alles halb so wild."
„Wie lange genau habt ihr mit den Suppenschüsseln trainiert?", fragt mich der Sunhunter über die private Leitung.
„Zwei Jahre insgesamt", nuschle ich beschämt, „aber das ist schon eine Weile her."
„Nicht zu übersehen", kommt es wenig einfühlsam zurück, „Versuch' deine Hand zu entspannen."
„Ich fliege das verdammte Schiff mit meiner Hand."
Ein amüsiertes Schnauben.
„Deaktiviere deinen Control Handschuh und lass Ojisan übernehmen, wie es jeder entspannte Pilot tun würde."
Ich beiße die Zähen aufeinander, während die Angst in mir hochschießt.
Ich soll den Handschuh deaktivieren? Fällt bei einem Roma Glider der Handschuh aus, muss man mit dem zweiten Set an Controls fliegen, die um einiges schwerer zu bedienen sind. Selbst Panic hat Probleme mit den Dingern.
„Das mach' ich nicht", keuche ich, „Ich bin raus."
Der Sunhunter schweigt einen Moment, während Panic mit der Eleganz eines Balletttänzers durch die bunten Ringe des Spiels schwebt, das Ojisan für uns auf den Cockpitscheiben leuchten lässt.
„Paris", nennt mich der Sunhunter beim Callsign. Sein Ton ist so ernst, dass ich mich trotz meiner Angst gerade aufrichte, „Du bist eine zukünftige StarSoldatin der Föderation. Man wird dich in Gefechte und auf S3 Missionen schicken. Ich verstehe, dass du Angst hast, doch das hier wird dir vielleicht eines Tages das Leben retten, also reiß dich zusammen und befolge meine Anweisungen."
Er muss nicht damit anfangen, mir seinen Titel als Hunter unter die Nase zu halten, um mich daran zu erinnern, dass er mein Vorgesetzter ist. Ich schließe die Augen und zwinge mich, die Panik herunterzuschlucken.
„Copy", sage ich tonlos.
„Deaktiviere den Handschuh."
Ich atme zischend durch die Zähne aus und drücke auf den orangenen Knopf auf meinem Armaturenbrett. Ein Ruck geht durch das Schiff, der mich die Zähne zusammenbeißen lässt. Mit einem leisen Zischen löst sich das schwarze Material von meiner schweißnassen Haut. Zitternd ziehe ich die Finger aus dem Nanoplastik, während die anderen Panic zujubeln, der natürlich einen geradezu perfekten Flug hingelegt hat.
„Alles klar", funke ich wohl nicht sehr überzeugend über die private Frequenz, während ich die Kontrolle über das Schiff komplett an die AI abgebe.
„Beweg' deine Finger, Paris. Mach eine Faust, tu als würdest du Klavierspielen, dehne dein Handgelenk am Armaturenbrett, mach Musikerübungen. Irgendetwas, damit sie wieder beweglich werden, aber bitte im Bereich des Jugendfreien", fordert der Sunhunter, „Haben sie euch das nicht gezeigt?"
Ich bin zu zittrig, um auf die Anspielung einzugehen. Fliegen stresst mich schon extrem, aber das hier ist noch einmal ein ganz neues Level an Adrenalin.
„Wir waren nie so lange am Stück in der Luft."
Schweigen von Seiten des Sunhunters, dann ein seufzendes: „Ich fasse es einfach nicht."
Ich beginne meine steifen Finger zu bewegen, auszuschütteln und an meinem Oberschenkel zu reiben, bis sie wieder einigermaßen warm sind.
„Die reinste Krabbelgruppe", sagt der Sunhunter, nachdem er Booth mitgeteilt hat, dass er fliege wie seine Oma und Panic eins auf den Deckel bekommen hat, weil er bei einem Looping zu nahe an Crimson herangesteuert ist.
„Geht's wieder?", fragt Symphony mich dann, „Alle Finger einsatzbereit?"
Ich kann förmlich hören, wie er sich einen unangebrachten Witz verkneift, während ich den Handschuh wieder um meine Finger versiegle.
„Pass auf, dass du dich nicht zu viel bewegst", hängt er dann an, „Fliegen ist mehr Kopf- als Muskelsache, zumindest in einem UniJet. Wenn ich deine Flüge so ansehe würde ich sagen, dass du dich extrem verkrampfst. Lass die Schultern sinken."
„Was?"
„Paris. Das ist ein Befehl."
Ich lasse meine Schultern sinken, von denen ich gar nicht bemerkt habe, dass ich sie angespannt habe.
„Löse deine Zunge von deinem Gaumen und deine Zähne voneinander. Entspanne deinen Kiefer."
Irritiert folge ich seinen Anweisungen.
„Ganz entspannt, Paris, ganz entspannt atmen. Und jetzt bist auch schon wieder du dran mit Fliegen. Handschuh reaktivieren nicht vergessen, bitte. Wir sehen uns auf der anderen Seite."
Ich atme tief durch. Immer noch bin ich angespannt, aber es ist nicht einmal mehr annähernd so schlimm, wie zuvor.
Ob der Sunhunter bezüglich des Psychologiestudiums wirklich gelogen hat?
Die bunten Kreise von Ojisans Spiel brennen in meinen Augen, als ich mich aus der Formation löse. Immer noch bockt das Schiff unter mir, wie ein Wildpferd, doch ich weiß diesmal, dass ich in meinem Sitz hin und her geworfen werde. Es erschreckt mich nicht mehr so sehr, wie beim ersten Mal.
„Glück auf", wünscht der Sunhunter. Einer meiner Kollegen hustet.
Ein Meme blinkt auf meinem Bordcomputer auf, gesendet von Symphony. Es ist ein fröhliches Kätzchen, das zwei Daumen in die Höhe reckt und einen Regenbogen kotzt.
„Ich fühle mich immer nicht so ganz ernst genommen hier", flüstere ich und ernte ein vielstimmiges Lachen.
„Jet eight on the ready", gebe ich durch.
„Jet eight confirmed. Verified."
Ich atme durch, krümme meine Finger und schieße auf den ersten Ring zu. Euphorie durchströmt mich, als dieser grün aufblinkt und damit bestätigt, dass ich diese Hürde nicht gerissen habe. Allerdings verlässt mich schon beim zweiten Ring das Glück wieder.
„Nicht verkrampfen", rügt mich der Sunhunter, „Go with the flow."
Noch eines seiner schrecklichen Katzenmemes.
Ich schnaube erstickt, während ich den nächsten Ring mit Müh und Not durchquere, reiße diesmal aber nur eine der beiden letzten Hürden, bevor ich mich endlich wieder in die Formation begeben darf.
„Besser", sagt Panic trocken, während der Rest des Teams sich kringelt vor Lachen.
„Mann Paris, was machst du für Geräusche, wenn du fliegst?", fragt Angel.
Ich beiße die Zähne zusammen, als jemand in sein Mikro wimmert. „Kriegt das dein Freund zu hören?", schiebt Louis hinterher und erntet eine Verwarnung von Booth.
„Witzig", kommentiert der Sunhunter trocken, „dass ihr es immer noch nicht gelernt habt, auf privaten Sequenzen zu funken, Babies."
Wieder ertönt dieses leise Klicken, das man vernimmt, wenn der erste Jet privat funkt. Doch dieses Mal bin es nicht ich, die die außerordentliche Freude hat, sich mit Symphony zu unterhalten.
Ich hätte am liebsten den Kopf auf mein Armaturenbrett geschlagen.
„Damn", höre ich Crimson, „der Junge weiß wirklich nicht, was gut für ihn ist."
„Bist du okay, Paris?", fragt Booth. Angel schafft es sogar, mich auf einer privaten Sequenz das Gleiche zu fragen.
Ich bejahe, reiße hier und da einen dummen Witz, während Eds Gesicht vor meinen Augen flackert. Mich überkommt von einer Sekunde auf die andere das schreckliche Gefühl, in diesem Jet gleich zu ersticken.
Ich habe mein Bestes getan und alles, was ich dafür bekommen habe, sind wahnsinnig blöde Sprüche und die Erinnerung an meinen Ex-Freund am anderen Ende der Galaxie. Was er wohl gerade macht? Eine andere küssen? An einem langen Tisch voller reicher Core Erben erzählen, dass er mal mit einem Mädchen zusammen war, die nicht reich genug ist oder die Beziehungen hat, um ihren Kopf aus der Schlinge des Militärs zu ziehen? Prahlt er damit, was für ein guter Mensch er doch ist, weil er versucht hat, mich hier rauszuholen?
Mir reicht's für heute, denke ich, während die Fragen in meinen Seelenfrieden einschlagen wie Kanonenkugeln. Nur die Gewissheit, dass die Schleusen sich nicht alleine für mein Schiff öffnen werden, hält mich in Formation. Ich zwinge mich, noch einmal die dummen Ringe zu durchfliegen, während mein Herz sich zusammenkrampft.
„Puppies", ertönt plötzlich wieder die Stimme des Sunhunters auf der offenen Frequenz.
Er klingt nun nicht mehr sauer, geschweige denn ernst.
Aus irgendeinem Grund scheint er sich diebisch zu freuen, als er verkündet:
„Kehrtwende. Wir wurden tragischerweise erwischt."
~ ☀️ ~
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top