Kapitel 14

Eine warme Dusche und jede Menge Make up ließen mich wieder lebendig wirken auch wenn ich mich ganz und gar nicht so fühlte. Insbesondere der Concealer hatte gute Arbeit geleistet. Meine tiefen, schwarzen Augenringe waren kaum sichtbar.

Ein gelbes enges Minikleid mit kurzen Ärmeln und meine schwarzen Lieblingspumps ließen mich aussehen als wäre alles wie immer. Meine Haare band ich in einen lockeren Messy Bun.

Ich packte meinen Rucksack und ging nach unten. Rosie war bereits fertig mit dem Frühstück und wartete auf mich. Ich gab mein Bestes, um normal zu wirken aber es wurde in jeder Minute in der ich wach war schwerer. Mein Körper sehnte sich nach Schlaf. So sehr er es auch versuchte, es funktionierte nicht, denn die Angst vor diesen Albträumen war größer als die Sehnsucht.

Auch die frische Morgenluft, die nach zarten Frühlingserwachen duftete heiterte meine Psyche nicht auf.

Rosie ging es offenbar ähnlich. Sie war heute ganz still und anscheinend wusste sie nicht was sie sagen sollte, denn mehrmals öffnete sie ihren Mund um etwas zu sagen, schloss ihn allerdings wieder. Dies störte mich jedenfalls nicht, da ich ein Gespräch heute sowieso nicht aushalten würde. Dafür hatte ich keine Energie.

Auch die Schule wirkte irgendwie anders. So gut wie jeder Schüler und jede Schülerin warf mir einen Blick zu. Manche waren mitfühlend und entschuldigend aber ich erntete auch welche die mich eindeutig wissen ließen, das ich es verdiente. Sogar ein paar Lehrer runzelten die Stirn oder hoben ihre Augenbraue.

Das Getuschel und Gekicher von den Mädchengruppen war ebenfalls nicht zu überhören. Ich verstand nicht was sie damit bezwecken wollten. Wären die an meiner Stelle und ich an ihrer, dann hätte ich nicht gelacht und nicht dieses Urteil gefällt. Ich konnte nichts dafür, das Julie und Liam so niederträchtig waren.

Es ärgerte mich, dass ich die Schuldige in den Augen der anderen war, dennoch versuchte ich meinen Zorn und meinen Gerechtigkeitssinn hinunterzuschlucken und mich auf mein Leben zu konzentrieren. Somit stöckelte ich mit einem aufrechten Gang in die Klasse, wo mich wiederum alle musterten und mitleidig anblickten.

Ohne ein Wort zu sagen setzte ich mich an meinen Platz und holte die Lernsachen raus.

Ich musste mich auf das Wesentliche fokussieren. Die Prüfungen. Auf die nächsten 3 Wochen waren sie verteilt. Das Schönste daran war, sobald ich meinen Abschluss in der Tasche hatte, konnte ich hier weg und würde die all diese Gesichter nie wieder sehen.

Meine Gedanken führten mich jedoch zu den wenigen Menschen um die es mir leid war. Da war einerseits Rosie und ihre Familie, die mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen war. Sie waren eine richtige Bilderbuch-Familie. Herzlich, fürsorglich und immer bereit dem anderen zu helfen. Insbesondere Rosie war ohne jeden Zweifel ein beeindruckender Mensch. Die Stunden, die wir miteinander verbracht haben um das Sommerfest zu planen waren glückliche und stressfreie Momente gewesen. Sie hatte für Snacks gesorgt und es uns immer gemütlich gemacht. Rosie tat ihr Bestes um alles strukturiert und detailreich mitzuschreiben. Sie war definitiv ein Organisationstalent mit viel Kreativität und Engagement. Dieses Sommerfest kreierte sie mit enormen Herzblut. Wie bereits erwähnt ein beeindruckender Mensch. Vielleicht würde ich sie sogar vermissen.

Und dann war da noch Jeremy. Er war so charmant und ja auch er war fürsorglich. Eine weitere Person die mir ein wohliges Gefühl gab. Nichtsdestotrotz musste ich gehen. Ich konnte nicht für immer hier bleiben an diesem märchenhaften Ort. Jedenfalls eine Erinnerung würde ich für immer mit mir tragen. Der Augenblick als Jeremy mir half mich für den richtigen Uniplatz zu bewerben. Er hatte mir geholfen meine Zukunft zu planen und dies würde ich ihm nie vergesse.

Doch dies war nie von Dauer und ich wusste es von Anfang an.

Mein Blick wanderte aus dem Fenster. Hinaus in die Ferne. Da draußen würde ich eines Tages sein. An der Uni mit Clara. Tag und Nacht würden wir uns Teststoff einhämmern. Wir würden lachen, denn wir wären gemeinsam dort und hätten jede Menge Spaß. Manchmal würden wir weinen vor Glück, vor Schmerz und vielleicht auch vor Erschöpfung. An manchen Tagen würden wir feiern, zu den größten Partys gehen und unsere Jugend genießen und an anderen würden wir faul in unseren Betten liegen. Es würde nicht immer einfach werden aber dennoch wäre es unser Traum.

Ich konnte meine Zukunft vor meinen Augen sehen. Es war so nahe, schon fast greifbar. Ohne jegliche Zweifel es würde ein wundervolles Leben werden.

Dieser kurze Ausflug bescherte mir ein freudiges und zuversichtliches Gefühl, dennoch richtete ich meinen Fokus wieder auf den Lernzettel der vor mir lag. Um diese Zukunft zu erlangen musste ich jetzt lernen. Ich fing an den Stoff immer wieder zu wiederholen bis sich mein Kopf ihn schließlich merkte.

So vergingen die Tage. Jeder einzelne Tag war die reinste Qual. In der Nacht plagten mich die schrecklichsten Träume und am Tag versuchte ich meine Augen offen zu halten und mich auf die Prüfungen vorzubereiten.

Schließlich kam der lang ersehnte Freitag. Eine Kleinigkeit auf die ich mich sehr freute. Denn womöglich wäre Jeremy dort und würde mich wieder mit seinen unvergleichlichen Worten aufbauen.

Es war anstrengend meinen energielosen Körper zu dem besonderen Ort zu schleppen. Doch dann erblickte ich Jeremy mit seinem blonden Haar, den Kopf etwas schräg gelegt und seine Augen auf den Sonnenuntergang gerichtet. Dieses Bild gab mir neue Kraft und meine Beine wurden stärker. Stumm ließ ich mich neben ihm nieder.

Sanft lächelte er mich an und sprach ganz leise schon fast flüsternd: »Mylady.«

Ich antwortete nicht denn so schnell die neue Energie gekommen war so schnell war sie auch wieder fort gewesen. Kurz schloss ich meine Augen, atmete tief durch und versuchte die Tränen die sich langsam ihren Weg an die Oberfläche bahnten zu unterdrücken. Kurz ausruhen und sammeln. Hier war nicht der Ort an dem man seine Probleme abladen konnte sondern an dem Träume wahr werden konnten.

»Alles in Ordnung?«

Warum? Warum musste er mich das fragen jetzt in diesem Moment, wo es mir doch sowieso schon so schwer fiel meine Contenance zu bewahren?

Ich schüttelte den Kopf und dann floss mir eine unkontrollierte Träne über die Wange. Warum? Warum konnte ich sie nicht mehr halten? Ich wollte das doch nicht. Warum geschah es trotz all meiner Anstrengungen?

»Was ist denn passiert?«

Immer mehr Tränen kamen und tropften mir vom Kinn. Nun gab ich endgültig auf. Meine Kraft neigte sich dem Ende zu. Meine Stirn verzog sich zu einem leidenden Ausdruck und ich schluchzte. Er zog mich in seine Arme und hielt mich fest. Zärtlich drückte er meinen Kopf gegen seine Brust.

»Was ist los?« flüsterte er mir ins Ohr. Seine Stimme klang zerbrechlich und doch stark.

Ich würde ihm diese Frage nicht beantworten, denn einen kleinen Funken Würde musste ich behalten. So sehr ich auch loslassen wollte, ich konnte nicht. Nein, ich durfte dies nicht zulassen.

Seine Hand strich vorsichtig und kaum spürbar über meinen Rücken. Diese Berührung ließ mich aufgeben. Es fühlte sich sicher an...er fühlte sich sicher an...auch wenn es neu war.

»Ich kann nicht mehr.«schluchzte ich leise in sein Oberteil. Ich ließ zu, das mein Herzschmerz mir klar und deutlich anzusehen war.  Meine Kräfte waren am Ende angelangt und nun...nun musste ich meine unvollkommene Seite zeigen. Alles was ich immer vor anderen versteckt hielt. Ich wollte das dieser Schmerz in meinem Herzen endlich aufhörte. Mein Bauch verkrampfte sich, denn mein Innerstes wollte nicht aufgeben. Ich wollte weiterkämpfen und stark bleiben, doch ich konnte nicht mehr.

»Samantha, was ist denn los?« flüsterte er in mein Ohr und strich sanft mit seiner Hand über meinen Hinterkopf.

»Ich will das es aufhört.« jammerte ich.

»Was?«

»Alles!« Ich wusste, dass er damit nichts anfangen konnte, dennoch konnte ich es jetzt nicht erklären, denn mir rannten die Tränen über die Wangen als würden sie einen Wettkampf veranstalten.

Er drückte mich ein wenig fester und ich fühlte mich noch sicherer in seinen starken Armen. Jeremy schien es nicht zu stören, dass ich sein T-Shirt weiterhin mit meinen Tränen benässte.

In mir war das reinste Chaos los. Einerseits wollte ich mich ihm öffnen andererseits auch nicht, denn ich kannte ich nicht wirklich. Dennoch er war gerade in diesem Moment bei mir und ich konnte mich an ihm festkrallen.

Meine Kräfte schwanden und die Tränen hörten auf zu kullern.

Ein kleiner innerlicher Kampf zwischen einschlafen und wachbleiben war im Gange. Die Angst vor den Träumen und vor weiteren kräftezehrenden Stunden stellte sich dem Gedanke gegenüber, das es diesmal funktionieren könnte. Es könnte ebenso auch eine erholsame Nacht werden. Ein weiterer Anlauf?

Meine letzte Lebenskraft erlosch und nahm mir die Entscheidung ab.

So fiel ich in die Untiefen des Schlafes, angelehnt an seiner starken Schulter.

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