6. In Gefangenschaft
Abwarten und Tee trinken
William saß in einem Rollstuhl. Mehr trauten ihm die Ärzte noch nicht zu, was bei einer Schussverletztung wie seiner, kein Wunder war. Vorsichtig strich er über den engen Verband über seiner Brust. Jeden Tag kam ein anderer Krankenpfleger, um seinen Verband zu kontrollieren und zu erneuern. Es war eine fast tröstliche Routine.
Dieser Tag jedoch würde seinen Alltag unterbrechen. Es war das erste Mal, dass William die Möglichkeit rauszugehen bekam. Nach Isabellas Besuch und einer weiteren Dosis des Serums hatte er mit seinem Tod gerechnet und nur Gott wusste, was sich Isabella von der grausamen Behandlung erhoffte. Aber heute, zwei Wochen nach der Injektion und einer Menge Ruhe hatten die Ärzte seine Tür geöffnet.
Die Aussicht etwas anderes zu sehen als die vier Wände, die ihn mittlerweile ankotzten, war wahnsinnig verlockend, auch wenn es nur durch Isabellas Gutheißen möglich war. Allein der Gedanke an diese Frau brachte sein Blut zum Kochen.
Zornig griff er fester nach den Reifen und schob sich voran. Der Krankenpfleger neben ihm schüttelte nur gelangweilt den Kopf. "Nicht zu schnell.", beschwor er ihn auf Englisch und trottete hinter William durch die offene Tür. Der Rollstuhl fuhr sich gut und leise.
William würde zwar noch ein wenig üben müssen, aber so schlecht stellte er sich nicht an. Ohne ein Wort zeigte er seinem Wärter den Mittelfinger und sah sich auf dem gleißend hellen Gang um. Schon in seinem Zimmer hatte er das gute Wetter mitbekommen, doch hier außerhalb seines Zimmers war die Helligkeit fast blendend. Durch die gläserne Decke strahlte jede Menge Sonnenlicht hinein.
Zwei Meter vor seiner Tür befand sich eine gläserne Brüstung, die den Blick auf ein geschäftiges Erdgeschoss freigab. Es war alles anders als William es sich vorgestellt hatte. Eine geheime Forschungseinrichtung, einer noch geheimeren Organisation sollte nicht so hell und freundlich sein.
Sein Bewacher lehnte sich lässig gegen die Brüstung und beobachtete die Menschen unter ihnen. "Heute ist einiges los.", bemerkte er beiläufig und verwirrte William vollends. "Was sind das für Menschen da unten?"
"Hauptsächlich Leute aus dem Dorf, die medizinische Hilfe brauchen. Miss Nakamura hat im Erdgeschoss eine gratis Ambulanz eingerichtet." William runzelte die Stirn.
"Wieso?" "Miss Nakamura ist ein großzügiger Mensch. Bittraslutet hat dringend ein Krankenhaus gebraucht und sie hat unsere Not erkannt." Offensichtlich hatte er mit seiner skeptischen Frage die zarten Gefühle seines Wärters verletzt. Verärgert wandte dieser sich ab und schien nicht mehr bereit zu reden, doch William hatte Fragen.
"Was passiert hier noch? Was ist mit dem ersten Stock? Ist das auch noch Ambulanz? Und der zweite Stock? Finanziert Isabella das alles privat?" Sein Bewacher zuckte mit den breiten Schultern, die Tattoos auf seinen starken Armen bewegten sich mit. Genervt verdrehte William die Augen. So kam er nicht weiter.
"Der erste Stock ist Forschung. Dort arbeiten die schlauen Köpfe des Unternehmens.", antwortete eine hohe Stimme hinter dem Krankenpfleger in perfektem Oxford-englisch. Sein Wärter wandte sich blitzartig um und völlig verwundert bemerkte William ein breites Grinsen in seinem Gesicht.
Hinter dem Mann erblickte er eine junge Frau. Auch sie saß im Rollstuhl, doch anderes als er trug sie keinen Krankenhauskittel, sondern normale Kleidung. Eine Jeans und ein graues Shirt mit Blumendruck. Ihre schulterlangen schwarzen Haare waren zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, die dunklen Augen lächelten freundlich. William legte den Kopf schräg und verengte die Augen. "Und du bist?"
"Ignorier ihn. Wie gehts dir? Alles okay?", unterbrach der Krankenpfleger und suchte die volle Aufmerksamkeit der Fremden. Zugegeben sie war schön und schien irgendwie zu strahlen. Sein Wärter war vollkommen verzaubert. "Mir gehts gut, danke, Stef. Und dir?"
"Kennst es ja. Aber heute darf ich zusätzlich auch noch babysitten.", ärgerlich zeigte er auf William und tatsächlich lachte die Fremde leise. "Du Armer. Darf Isabellas neuer Patient endlich raus und es hat dich erwischt. Ich hätte ja auf Gordon getippt."
"Wäre seine Schicht gewesen, aber der Idiot hat sich den Zeh gebrochen. Also musste ich einspringen." "Da kann man wohl nichts machen.", murmelte sie und bedachte William mit einem neugierigen Blick, den er nur zu gerne erwiderte.
"Wenn du willst, kann ich ihn rumführen.", sie wandte sich wieder Stef zu, "ich hab noch nichts vor und würde mich über die Aufgabe freuen." Unsicher verzog er das Gesicht. William sah zwischen ihnen hin und her. Zweifellos wäre die Fremde, die bessere Reiseführerin, aber sie wirkte nicht so als hätte sie Autorität in diesem Bereich. "Ich weiß nicht, ob Miss Nakamura darüber glücklich wäre."
"Sie wird es verstehen. Ihr habt viel zu wenig Personal und du hast wesentlich Wichtigeres zu tun als neben ihm in der Cafeteria zu sitzen. Ich pass auf." "Das würde mir schon helfen. Ach, ich klär das. Danke für deine Hilfe, Beethoven."
Die junge Frau lachte und winkte ab. "Kein Problem. Was soll schon passieren." Naja, William würde da einiges einfallen. Als erstes würde er verschwinden und das schnellstens. Seine Gedanken hinter einer unschuldigen Miene verbergend schwieg er. Sein Wärter drehte sich auf dem Absatz um und schien im Kopf bereits diverse Aufgaben durchzugehen.
Die Fremde fuhr langsam auf William zu, als Stef sich noch einmal umdrehte. "Bevor ichs vergesse. Er hat Physiotherapie um zwei im Raum vier. Kannst du ihn nach deiner Tour dort sicher abliefern?" "Uh hat heute nicht Doktor Grey dienst?"
"Richtig.", grinste Stef knapp und verschwand in einem Aufzug. Die junge Frau schüttelte mitfühlend den Kopf. "Das werden keine schönen zwei Stunden für dich, mein Freund. Doktor Grey ist knallhart." "Ich hatte nichts anderes von diesem Ort erwartet. Übrigens heiße ich William und du bist...Beethoven?"
"Beth." Seine Reiseführerin lächelte und deutete ihm ihr zu folgen. Gemeinsam fuhren sie die Brüstung entlang, auf dem zweiten Stock schien sich außer ihnen niemand herumzutreiben.
"Und warum hat er dich dann Beethoven genannt?" Verwundert zog sie die Augenbrauen hoch.
"Ist das wirklich das, was du jetzt am dringendsten wissen willst?" Nein, natürlich war es das nicht, doch William vertraute Beth nicht. Wer war diese Frau und welche Position hielt sie in Isabellas Imperium? Es gab einfach zu viele Variablen zwischen ihnen. Beth schien seine Gedanken zu lesen. "Verstehe. Lass mich raten. Es ist kompliziert. Das ist es immer bei euch Leuten vom zweiten Stock."
"Uns Leuten? Was soll das überhaupt bedeuten?" Beth zuckte mit den Achseln. "Ich weiß, dass die Räume im zweiten Stock für besondere Versuchsobjekte genutzt werden. Das oder du bist reich und da Stef dich nicht aus den Augen lassen wollte, gehe ich vom ersten aus. Tut mir echt leid für dich."
Also wusste sie von Isabellas illegalen Menschenversuchen. Das war der Beweis ihr nicht zu trauen. "Du weißt über alles Bescheid. Und wie der Rest von Isabellas Leuten stellst du dich blind. Ihr alle kotzt mich echt an." Beths Reifen quietschten als sie abrupt stehen blieb. Ihre vorhin noch freundlichen Augen gifteten ihn kalt an. Der verkrampfte Zug um ihren Mund kam ihm seltsam bekannt vor.
"Lass uns eines Mal ganz schnell klarstellen. Ich bin dein Tourguide und sonst nichts. Ich habe keinerlei Kontrolle über deine Situation, keine wie auch immer geartete Verantwortung dir gegenüber. Alles was ich dir bieten kann, sind vielleicht ein paar Antworten und gute Gesellschaft. Aber wenn du mir nur Vorwürfe machen willst, dann ruf ich Stef zurück." Hastig schüttelte er den Kopf.
"Nein, es tut mir leid. Du bist mir hundertmal lieber als Stef...ich weiß einfach nicht wie ich...", William fasste sich an die Stirn, "es ist kompliziert."
"Wie gesagt, Leute vom zweiten Stock. Lass mich ein paar Informationslücken füllen, okay. Mit ein wenig Geduld kommst du hier sehr viel weiter.", meinte sie wieder grinsend und verschwunden waren die ärgerlichen Wolken in ihren Augen. Sie kamen zu einem Aufzug, der sofort seine Tore öffnete.
"Folg mir." "Klar.", bis zum nächsten Ausgang. Der teils gläserne, teils silbermetallische Aufzug machte kein Geräusch, während sie sich bewegten. Egal wie freundlich Beth war, er musste Isabella entkommen. Ava wartete auf ihn, suchte ihn bestimmt und er musste ihr zumindest die Hälfte des Weges entgegenkommen. Ganz zu schweigen von Isabellas Plänen für ihn. Nach seiner bisherigen Behandlung wollte er sich ihre zukünftigen Ideen gar nicht erst anhören.
Ein heftiger Schmerz in seinem Hinterkopf ließ ihn unerwartet aufstöhnen. Gequält hielt er sich den Kopf und versucht durch die Schmerzen zu atmen. Eine warme Hand an seiner Schulter holte ihn zurück. "Hey, alles okay?" "Ja, geht schon wieder. Ich hab nur diese Kopfschmerzen manchmal.", seit er in Bittraslutet war, seit Isabella ihm dieses gottverdammte Mittel gegeben hatte. Sie war für seine Schmerzen verantwortlich, da war er ganz sicher. Beth sah ihn mitfühlend an.
"Ich besorg dir was zu trinken, dann geht es dir sicher gleich besser." Dankbar nickte er, obwohl seine Hoffnungen das ein Kaltgetränk ihn vor einem weiteren Zusammenbruch bewahren konnte, gleich null waren.
"Warum nennt er dich Beethoven?" Es schien so ein nichtiges Detail, doch es würde ihn ablenken, vielleicht sogar auf andere Gedanken bringen. Beth spielte mit ihren dunklen Haaren und senkte den Blick. "Stef nennt mich Beethoven, weil ich Klavier spiele. Er hält diesen Spitznamen für clever und glaubt dadurch Nähe aufzubauen."
"Das klingt als hättest du sein Verhalten analysiert." "Ich kenne seine Art. Da gibt es nicht mehr viel zu analysieren.", ihr trockener Ton ließ eine Geschichte dahinter vermuten. Die Aufzugtüren öffneten sich und Beth fuhr mit ihm hinaus. Das geschäftige Treiben der Ambulanz war ein ordentlicher Schock für seine übersensiblen Nerven.
Überall sah er Krankenpfleger und Ärzte herumlaufen, der Lärmpegel war betäubend und trotz des hohen Sicherheitspersonals schien sich niemand für sie zu interessieren. Als wäre er neben Beth unsichtbar. Einige Menschen begrüßten die junge Frau, wechselten ein paar Worte oder lächelten sie beim Vorbeilaufen an.
"Wer bist du?", fragte er, doch wurde über den Lärm nicht gehört. Beth lächelte und führte ihn zu einem Seitengang, dessen Rampe für ihre Rollstühle wie gemacht schien.
Gemeinsam öffneten sie die rote Tür und ein Garten kam zum Vorschein. Staunend achtete er nicht auf die etwas steilere Abfahrt und hielt sich panisch am Geländer fest als es zu schnell wurde. Beth fuhr selbstbewusst hinab und wartete auf ihn.
"Ist das nicht schön? Der Ginkobaum trägt dieses Jahr tolle Blätter." Gemeinsam fuhren sie über die Steinplatten, die einen breiten Weg bauten. Der Garten war nach japanischer Art gestaltet, sowohl die Pflanzen als auch die kleinen Wasserstellen erinnerten ihn an einen Senngarten. Sobald sie draußen in der wärmenden Sonne waren, atmete William tief durch.
Die Natur brachte dringend benötigte Ruhe in seinen Verstand. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass er echtes Gras gerochen hatte. Die Welt hatte endlich wieder Farbe und Gerüche, alles strahlte Lebendigkeit aus.
"Ich kann nicht glaube, dass ich draußen bin.", gestand er kleinlaut und berührte ein paar Wildblumen, die den Weg säumten. Beth lächelte. "Du warst ganz schön lange in diesem Zimmer. Sie hätten da echt einen Fernseher einbauen können. Das Fenster allein ist nicht wirklich unterhaltsam."
"Aber zumindest ein Blick auf die Außenwelt.", wisperte er und dachte an all die Tage, in denen die stürmische See ihm ein Schauspiel geboten hatte. "Das stimmt schon." "Woher weißt du wie es in den Zimmern im zweiten Stock aussieht?" Statt einer Antwort hob sie ihren Arm, an dem ein dünnes metallenes Band hing. Verwirrt blickte er auf seinen eigenen Arm. Es zeigte ihm ein identisches Armband.
"Das Band ist kein Accessoire, falls du diese Idee hattest.", hatte er nicht, aber die Tatsache, dass sie es ebenfalls besaß, sagte sehr viel über Beth aus. "Ein Ortungsgerät?"
"Jap., du kommst hier nicht raus. Keine Chance, glaub mir, ich habe alles versucht.", erwiderte sie bitter und stoppte ihren Rollstuhl bei einem Teich in dem Koifische ihre Kreise zogen. In diesem Moment, in der Sonne, mit ihren traurigen Augen, die den Fischen folgten, fühlte er sich ihr verbunden. "Wie lange bist du schon hier?"
"Zu lange.", bekümmert sah sie ihn an, "auf jeden Fall lang genug, dass die Mitarbeiter mich nicht mehr als Gefangene wahrnehmen. Sie kenne mich, die meisten haben hier angefangen, da war ich schon da."
"Aber warum fragt niemand nach? Warum hilft dir keiner?" Schnaubend wandte sie sich ab, doch William wollte nicht aufgeben, "Das ist Unrecht. Mit welcher Begründung hält sie dich gegen deinen Willen fest."
"Sie braucht keine Begründung und ihre Mitarbeiter Fragen nicht. Die wenigen, die versucht haben, mir zu helfen sind verschwunden und auch Stef weiß genau, dass er mir niemals helfen wird. Aber er fühlt sich schuldig, deswegen versucht er nett zu mir zu sein und mir coole Spitznamen zu geben. Über die Jahre haben das so viele getan, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ich kann es nicht mehr hören."
Zähneknirschend erinnerte er sich an die Menschen, die Ava gegenüber solch ein Verhalten an den Tag gelegt hatten. Ein schlechtes Gewissen, ein Unrecht ließ sich wohl kaum mit falschen Nettigkeiten tilgen. "Isabella wird dafür bezahlen. Ganz sicher." Zweifelnd schüttelte sie den Kopf.
"Ich mag deinen Optimismus, aber mach dir keine Sorgen um mich. Ich hab mich schon vor langer Zeit mit meiner Situation abgefunden. Außerdem ist nicht alles schlecht. Auf dem Grundstück darf ich mich frei bewegen, du wahrscheinlich auch und es ist ein großes Grundstück. Wirklich schön. Ich hab sogar von einem kleinen Wäldchen kaum einen Kilometer entfernt gehört. Soll wahnsinnig entspannend dort sein."
"Mich interessiert das nicht! Isabella könnte jeden Moment wieder kommen und mir noch mehr Nadeln in den Arm jagen. Ich muss davor verschwinden." Wütend ballte er die Fäuste und hätte am liebsten gegen einen Boxsack getreten. Es musste einen Weg geben Isabella auszutricksen, denn neben der Wut lag die überwältigende Angst vor den Schmerzen, die Isabella zweifellos bereit war ihm zuzumuten.
Furcht, Zorn und Hilflosigkeit waren kein guter Cocktail für jemanden, der gerade erst ein Trauma überlebt hatte. Überrascht griff Beth nach seiner Hand. Ihr mitfühlender Blick sprach von ähnlichen Erfahrungen, die Narben an ihrer Armbeuge auch.
"Ich weiß...ich weiß, dass das alles viel ist. Du denkst, dass du nichts mehr aushältst, aber glaub mir, irgendwoher nimmt man immer die Stärke zu überleben. Und genau das willst du doch, oder? Überleben? Seit du angekommen bist, hat sich das Sicherheitspersonal verdreifacht, also muss jemand nach dir suchen. Jemand vor dem Isabella sich fürchtet."
Und sie sollte sich auch fürchten! William hatte Avas Macht gesehen und das vor zwei Jahren. Wer weiß, wozu sie nach monatelanger Übung in der Lage war. Sie würde wie eine Bombe durch diese Einrichtung fegen. Beth lächelte verhalten.
"Du weißt, wer dich sucht?" "Meine Freundin." "Siehst du? Es wird alles gut. Du musst nur durchhalten und auf deinen Moment warten."
"Was ist mit dir?", fragte er unüberlegt und hätte sich eine Sekunde später ohrfeigen können. Beth zuckte zusammen und schien nach besten Kräften die emotionalen Schmerzen im Zaum zu halten. Wenn sie bereits Jahre bei Isabella war, hatte sie wohl niemand gerettet...niemand war für sie gekommen.
"Mir geht es gut hier. Ich studiere Musikgeschichte und Klavier. Meine Lehrer sagen, dass ich richtig gut bin. Manchmal darf ich für die Patienten spielen und meine Kompositionen an andere Universitäten schicken."
Beths Geplapper und die miserable Maske in ihrem Gesicht täuschten niemanden. Er konnte sie lesen wie ein offenes Buch. Die junge Frau vor ihm versuchte zu überleben, genau wie sie es ihm geraten hatte. "Isabella lässt dich studieren?"
"Ja, wenn sie mich nicht braucht. Ich liebe die Musik. Wenn ich spiele hält die ganze Welt still." "Wozu braucht sie dich?" Beths Körper erzählte eine unschöne Geschichte. Ihre vernarbten Armbeugen, die blase Haut und die Tatsache, dass ihr Rollstuhl nicht temporär war.
Das teuer aussehende Material und die personalisierten Gravierungen, die sich wie Blumenranken über das Metall schlängelten sprachen von täglichem Gebrauch und einem grausamen Unrecht. Beth verzog die Lippen.
"Das ist schwer zu erklären und noch dazu eine schrecklich lange Geschichte." "Ich höre dir gerne zu." "Nicht heute. Es ist dein erster Tag in Freiheit! Das muss gefeiert werden. Komm, da drüben verkauft ein Freund von mir immer Kaffee und Brownies. Die musst du probieren."
In einer Ecke des Gartens stand ein kleiner Food Truck, dessen aufdringliche Farben einem ins Gesicht zu fliegen schienen. Zielstrebig fuhr Beth auf die Seitentür des Autos zu und klopfte mehrmals. Ein junger Mann, mit wilden braunen Locken und einem breiten Grinsen trat heraus.
"Bethie! Man wo hast du gesteckt? Ich wart schon den ganzen Tag auf deine Kaffeepause. Ohne dich ist der Tag einfach zu fad.", durch den schweren Akzent musste William sich anstrengen sein Englisch zu verstehen. "Flynn, das ist William. Er ist einer der neuen Patienten. Ich hab angeboten ihn ein wenig rumzuführen." Flynns Augen richteten sich auf ihn.
"Du hast echt glück. Bethie hat normalerweise keine Zeit für Touren. Mit der ganzen Forschung und so." "Ähm, ja, ich hab echt glück.", bestätigte er Beths Lüge und lächelte verhalten.
"Ach so großartig ist das wieder auch nicht. Kriegen wir zweimal den Flynn Spezial und Brownies?", ihr Lächeln machte der Sonne Konkurrenz. Erstaunt sah er seine Mitgefangene flirten. Flynn brachte ihnen ohne Umschweife die Bestellung und wollte dafür noch nicht mal Geld sehen.
"Hey, ich weiß, du bist mega beschäftigt, aber meine Band spielt morgen Abend im Sunrise. Die sind voll Rollstuhl freundlich und ich würde mich echt freuen...also es wäre cool, wenn...falls du noch nichts vorhast..."
"Ich muss das mit meiner Chefin bereden. Sobald ich was weiß, gebe ich dir bescheid. Versprochen.", erwiderte Beth knapp und fuhr hastig davon. William lächelte Flynn entschuldigend an und folgte. Der arme Kerl schien all seinen Mut zusammengenommen zu haben und nun wirkte er als hätte Beth ihm einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet.
Zurück beim Teich reichte Beth ihm den Kaffee und trank eilig einen Schluck aus ihrem. "Er weiß nichts von deiner Situation.", bemerkte er vorsichtig und studierte ihr Gesicht. "Wieso sollte er? Flynn arbeitet nur Teilzeit am Verkaufsstand. Die restliche Zeit übt er mit seiner Band."
"Die er dir offenbar zeigen will." Beth verdrehte die Augen. "Er will berühmt werden, natürlich will er das viele Leute zu seinen Auftritten kommen." "Das ist es nicht.", sah sie die Zuneigung in seinen Augen nicht? Oder wollte sie sie nur nicht sehen.
"Er mag dich." "Mach dich nicht lächerlich. Iss deinen Brownie und genieß die frische Luft. Ich muss dich bald zu Doktor Grey bringen." William verstand, sie wollte nicht darüber reden. Es lag ihm fern sie zu drängen, dazu hatte er schlussendlich einfach kein Recht. Bedächtig biss er in die Mehlspeise und genoss den Geschmack von leckerer Schokolade.
"Wieso musste er wieder davon anfangen? Wieso? Wieso?" "Naja, ich glaub echt, dass er dich gernhat.", erwiderte er kauend, doch Beth sah ihn nur stirnrunzelnd an. "Ich dachte wir hätten das Thema fallengelassen."
"Aber du hast doch wieder-", William stoppte sich. Er hörte ihre Gedanken, das war es das da im Hintergrund leise flüsterte. "Was redet er? Er ist echt seltsam. Merkwürdiger als die anderen. Vielleicht wird er verrückt? Ich hoffe nicht, er scheint nett.", wuselte es durch seinen Verstand und stöhnend hielt er sich den Kopf.
"Hast du wieder Migräne?", fragte Beth laut und nahm ihm das Essen ab. "Ja, ich will auf mein Zimmer." "Komm mit." Überstürzt fuhren sie zurück zum Aufzug und geschickt bugsierte sie ihn auf sein Zimmer.
Ein Teil von ihm hasste die vertraute Umgebung und wollte den Garten wiedersehen, aber seine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Die Stimmen wurden lauter.
Es war nicht nur Beth, es war das Personal, die anderen Patienten, die Menschen in der Ambulanz. Alles kam auf einmal. Er übergab sich, Beth rief nach Hilfe. Verschwommen nahm er Krankenpfleger wahr und einen scharfen Stich in seinem Arm. Danach wurde alles schwarz.
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