19. Dickes Blut
Nervös begleitete sie Isabella durch die Flure des zweiten Stockes. Die Fenster zu einigen Räumen waren großzügig gehalten und boten den Anblick eines perfekten Labors. Allerdings vermutete Ava stark, dass diese falsche Art der Transparenz ein düsteres Geheimnis beherbergte. "Ich investiere viel in neue Medikamente. Natürlich nicht unter meinem richtigen Namen."
"Natürlich.", mit mulmigen Gefühl trat sie hinter Isabella in ein feinsäuberliches Labor, in dem eine einzelne Frau in einem weißen Kittel ihre Arbeit verrichtete. "Doktor Tran. Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen." In einer fließenden Bewegung zeigte sie auf Ava, "das ist Ava Park. Die Halbschwester meines Sohnes. Ava, Doktor Tran ist Masaos Ärztin. Sie betreut ihn bereits seit Jahren."
Doktor Tran lächelte offen. Sie war schon etwas älter, hatte kurzes schwarzes Haare und schräg gestellte Augen. Die Grübchen ließen ihr ovales Gesicht strahlen.
"Es freut mich sehr.", begrüßte sie Ava auf Englisch. "Wir sind wegen der Blutuntersuchung da." "Richtig. Vielen Dank für deine Kooperation, Ava." "Klar, doch.", murmelte sie und setzte sich auf den angebotenen Stuhl.
Doktor Tran kam mit einem Tablett von Utensilien und begann nach einer Vene an Avas entblößtem Arm zu suchen. Sie trug ein schwarzes Shirt, das kein Hindernis bot. Isabella ließ, sich neben ihr nieder und fragte nach Masaos letzten Werten. Gerade als die Ärztin ihr antworten wollte, klingelte Isabellas Handy.
Entschuldigend verließ sie den Raum. Allein mit der Ärztin breitete sich eine unangenehme Stille aus. Ava spürte den Stich im Arm kaum. "Ich kannte deinen Vater." "Wirklich?", verwundert hob sie die Augenbrauen, "mir war nicht bewusst, dass er mit anderen Ärzten zusammenarbeitete." Tran nickte leicht.
"Ich arbeite schon lange für Frau Nakamura. Matthias Archer war oder besser ist, ein Genie. Niemand konnte mit seinem Intellekt mithalten. Auch wenn wir es gerne versucht haben." "Ein gefangenes Genie. Wenn man daran denkt, was er alles erreichen hätte können, hätte Isabella ihn nur gehen lassen."
"Die Nakamuras lassen einen nicht gehen. Niemals. Isabellas Vater war genauso." Obwohl sie bereits einiges über Masao Senior gehört hatte, war ihr noch niemand begegnet, der mit dem berüchtigten Mann in Kontakt gestand hatte. "Also sind sie sich ähnlich?"
"Mehr als Isabella gerne zugeben würde. Er war von der Arbeit seines Vaters Hiroshi Nakamura besessen und diese Besessenheit hat er ohne Umschweife seiner einzigen Tochter vermacht." Das erklärte einiges. "Was ist mit Isabellas Mutter?"
"Gestorben, bei Isabellas Geburt. Katarina war eine unglaublich charismatische Frau." "Schade, dass sie Isabella nicht ein wenig Empathie mitgeben konnte." Ein Schatten huschte über Trans Gesicht und sie senkte den Blick auf die Blutkanülen.
"Ja, zu schade. Aber Isabella ist bei weitem nicht so schlimm wie es ihr Vater gewesen war. Unter ihm...nein, über so etwas redet man nicht mit jungen Leuten. Unsere Sünden haben keinen Platz in euren Herzen." "Wusstest du was du aufgibst, als du dich bei ihm beworben hast?"
"Niemand bewirbt sich bei IZANAGA. Man wird gefunden. So ist es deinem Vater Matthias als auch mir ergangen. Jeder der hier arbeitet wurde durch geschickte Headhunter gefunden. Sie haben mir so viele Möglichkeiten und Geld geboten. Die Universitäten hätten mir nichts davon ermöglichen können."
"Wenn man nur seine Moral in den Dreck wirft." Gequält schüttelte Tran den Kopf und stand auf. "Es ist nicht alles schlecht. Denk an all das Gute, das das Serum bewirken könnte. Krankheiten heilen, Menschen eine zweite Chance geben."
Masao retten. Sein kleines Gesicht und das unschuldige Lächeln kam ihr in den Sinn. Egal wie furchtbar das Serum auch sein mag, für einige Menschen war es die letzte Chance. Wenn es denn wirken würde. Mit dem Kinn zeigte sie auf ihr Blut. "Wird es helfen?"
"Vielleicht. Aber eher nicht. Isabella möchte die Hoffnung nicht aufgeben, aber medizinisch haben wir alles getan, was wir tun können. Ein Wunder oder das Serum ist das einzige, dass ihn noch retten könnte."
Just in diesem Moment kam Isabella zurück. Sie hatte sich wohl auch im Bade frisch gemacht. Die Haare waren in einem ordentlichen Zopf und der Schweißgeruch deutlich weniger. Hatte sie da eine neue Bluse an? "Alles erledigt?", fragte sie und blickte zwischen Tran und ihr hin und her.
"Soweit ja. Ich brauche noch einige Angaben. Größe, Gewicht, Allergien und so weiter. Gab es in den letzten Monaten irgendwelche medizinischen Vorkommnisse? Ich meine gebrochene Knochen, Krankheiten."
Ob eine Schwangerschaft dazu zählte? Ava biss den Kiefer zusammen und schüttelte den Kopf. "Nichts dergleichen. Ich war gesund." Um keinen Preis der Welt würde sie ihre Entscheidung vor Fremden rechtfertigen. Die letzten Wochen waren schwer genug. "Sehr gut. Dann-"
"AVA!", eine Gestalt stürmte in den Raum. Es dauerte eine Sekunde, bis sie die im Zorn aufgerissenen Augen und das verzehrte Gesicht erkannte. William. Anklagend zeigte er auf sie, "was soll das? Du hast gelogen." "Was tust du hier? Woher wusstest du das ich hier bin?" "Jetzt tu nicht so unschuldig. Du hilfst Isabella. Du hilfst unserem Feind."
"Autsch, William, das verletzt meine Gefühle.", meldete sich Isabella. William schenkte ihr keine Aufmerksamkeit, dafür pulsierte die Wut zu sehr um ihn herum. Eine Wut, deren Ziel sie war.
Verwirrt schüttelte sie den Kopf, versuchte diesen Ausbruch so gut es ging abzuschwächen. "Beruhig dich, lass uns darüber reden." "Was gibt es da zu reden? Ich habe dich erwischt."
"Beim Blutabnehmen. Etwas das du auch noch tun solltest. Erinnerst du dich? Die Test." "Auf keinen Fall. Zuerst verführt sie dich und danach stopft sie uns in eine dieser Glasboxen. Nein...Nein...", er griff sich an den Kopf, "du belügst mich. Ich hab es gewusst, ich hab es gewusst."
"Will...", Ava stand auf und bereute es sofort. Schwindel ließ die Welt sich drehen und zitternd viel sie in Williams Arme. Dessen Wut verrauchte so schnell wie sie gekommen war. Ein erschrockener Gesichtsausdruck verwandelte jeglichen Zorn zur Sorge. Zärtlich hob er sie hoch und legte sie auf eine Barre, die bereits im Raum stand. Ihr war schwarz vor Augen.
"Ava, Schatz kannst du mich hören.", wie durch dicke Watte. Seine laute Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Was passierte hier nur? Angst durchflutete sie, nahm sie mit auf eine furchtbare Reise der Besinnungslosigkeit.
Plötzlich spürte sie ein eiskaltes Tuch an ihrem Bauch und schreckte hoch. "Alles gut. Tief durchatmen.", Williams Hände waren an ihren Schultern und zwangen sie zurück auf die Liege. "Hier trink das, es wird helfen." Eine süßliche Flüssigkeit ronn ihre Kehle hinunter. Unsicher erkannte sie Trans Gesicht,
"Kreislaufkollaps. Du hast dich zu sehr verausgabt und das Blutabnehmen hat das übrige getan. Ist nicht so schlimm. In ein paar Minuten sollte es dir besser gehen. Das Tuch und der Saft werden helfen. Bleib einfach noch ein wenig liegen." "Mir ist schlecht." "Versuch ruhig zu atmen, dann geht das wieder weg."
"Ich bin da, passe auf dich auf.", murmelte William neben ihr. Er hielt ihre Hand und strich sanft über ihren Kopf. Ava starrte in seine Augen, suchte das vertraute Gesicht nach der Liebe ihres Lebens ab. Und endlich sah sie sie wieder. Der grausame Zug um seinen Mund war schwächer, die Zärtlichkeit zurück.
"Will, ich wollte nur Masao helfen. Ich wollte nur einem kleinen Jungen helfen.", schluchzte sie beinahe und verdrängte den bitteren Geschmack ihrer Gefühle schnell wieder. Isabella und deren Ärztin standen keine zwei Meter von ihnen entfernt und beobachteten die Szene.
Sie sollten keine Informationen bekommen. William sah ebenfalls hinter sich, aber nicht auf ihre Spione, sondern auf etwas das in einer Ecke zu kauern schien. Als er sich wieder zu ihr wandte, war da Kälte in seinen Augen.
"Dieser Junge ist der Feind. Ich weiß du willst nur helfen, aber Isabella hat schon genug in der Hand. Sie braucht nicht auch noch dein Blut." Er stand auf und sah sich suchend im Raum um. Es dauerte nicht lange und er fand die Blutkanülen.
Mit entschlossenen Schritten ging er darauf zu und fand Isabella in seinem Weg. Die Hände verschränkt, reckte sie ihr Kinn hervor. "Du wirst dieses Blut nicht anrühren. Es könnte meinem Jungen helfen."
"Es gehört Ava und auch wenn sie deinen Lügen glaubt, ich weiß es besser. Ich beschütze sie." "William. Bitte, lass sie das Blut haben.", flehte sie und sah bereits die Wut in seinen Schultern sitzen. Er straffte sich und trat näher an Isabella heran. "Geh zur Seite."
"Nein." "Dann werde ich das eben erledigen." "Und was tun? Wieder versuchen in meinen Kopf zu kommen? William, ich versuche euch zu helfen. So wie Ava mir hilft. Sei doch vernünftig. Wenn du schon hier bist, können wir bei dir auch gleich mit den Untersuchungen anfangen."
"Auf keinen Fa-" "Eine tolle Idee.", mischte Ava sich ein und setzte sich vorsichtig auf. Tran war sofort an ihrer Seite. "Langsam, Ava, sonst wird dir wieder schwarz vor Augen."
"Ich bleibe sitzen und sie nehmen Williams Blut. Das ist doch richtig oder Will? Wir haben doch ausgemacht, dass ein paar Tests nichts Schlechtes wären. Und ich bin die ganze Zeit hier." Kein Centershock der Welt hätte seinen Gesichtsausdruck hervorrufen können. Die säuerliche Miene gehörte zu einem überraschend schweigsamen William.
Die unterdrückte Wut brodelte nur so in ihm, als Doktor Tran sein Blut nahm und es neben Avas ins Labor gegenüber schickte. Eine genaue Analyse würde schon in einigen Stunden für sie bereitstehen.
Isabella bedankte sich überschwänglich und verließ sie hastig nach einem weiteren Anruf. Ihre Dankbarkeit hinterließ ein unangenehmes Gefühl in Avas Magen. Diese Frau sollte ihr nicht dankbar sein. Unter keinen Umständen. Aber nun befand sie sich in diesen.
Die Welt war so kompliziert und obwohl sie gerade erst gebacken hatte, würde sie nichts lieber tun als wieder in die Küche zu laufen. Doktor Tran verabschiedete sich ebenfalls, sie schien die Stimmung im Raum bestens nachvollziehen zu können. Kaum war sie aus dem Raum sackte Ava gegen ihren Freund und griff nach dessen warmer Hand.
"Tut mir leid. Ich hätte dir vorher Bescheid geben müssen, aber es ging alles so schnell. Ich hab heute Morgen mit Masao gebacken und dann kam Isabella und-"
"gebacken? Mit Masao? Warum?" Wieder schien seine Aufmerksamkeit mit etwas im Raum geteilt zu sein und diese Tatsache nervte sie ungemein. "Du weißt wieso! Ich brauchte einfach ein Ventil, eine Möglichkeit von dem ganzen Irrsinn loszukommen." "Von mir wegzukommen, meinst du."
"Nein, das ist überhaupt nicht das was ich meine. Hör zu, ich brauchte einfach eine Pause. Können wir das nicht einfach so stehen lassen." Seine Kiefer mahlte unsichtbares Mehl, die Fäuste waren geballt. "Wie du meinst."
Ohne weitere Worte hastete er aus dem Raum. Ava seufzte und schloss die Augen für einen Moment. Selbst wenn William geblieben wäre, hätte die Einsamkeit wohl kaum nachgelassen. Schließlich teilte sie ihn nun mit seinen Dämonen.
Sie fühlte sich so schrecklich allein. Die Tür wurde geöffnet und halb erwartete sie William mit etwas Essbarem und einer liebevollen Entschuldigung. Stattdessen rollte Beth hinein.
In ihrem Schoss ruhte eine Brezel. "Hey.", meinte sie vorsichtig und fuhr näher. Ava strich sich über das schweißnasse Gesicht und versuchte sich an einem Lächeln. Sie musste furchtbar aussehen. "Hi, bringst du mir was zu essen?"
"Nein, die ist eigentlich für mich, aber ich würde mit dir teilen.", sie reichte Ava die Hälfte des Bretzels und biss in ihren Anteil, "ich hab dich durch eines der Fenster gesehen. Du siehst grün aus." "Grün?"
"Ja, deine Gesichtsfarbe. Kreislaufkollaps?" Ava blinzelte gegen das Fenster und versuchte sich darin zu sehen. Die leicht grüne Farbe war gut zu erkennen. "Wow, das hab ich echt noch nie gesehen." "Ist halb so schlimm. Hast du den Orangensaft ausgetrunken?" Das Glas stand halbvoll neben ihr. Beth hob die Augenbrauen.
"Das solltest du wirklich austrinken. Du willst nicht plötzlich da draußen zusammenklappen." "Richtig.", sie trank und hörte Beth dabei zu. Die junge Frau erzählte über ihren Klavierunterricht und über diesen einen Professor, der ihre Komposition einfach nicht richtig verstand.
"Man sollte meinen, mit so viel Wissen käme auch ein bisschen Geschmack. Aber nein, er gibt mir ständig schlechte Noten, meint ich bin zu unbeständig. Ich bin Künstlerin. Natürlich bin ich unbeständig.", sie stöhnte wütend und entlockte Ava damit ein ehrliches Lächeln. Beth sah es und lächelte auch.
"Fühlst du dich besser?" "Ja, danke...,dass du hier bist." "Klar. Komm mit. Flynn hat mir heute Morgen was von einem Lavakuchen erzählt, der geliefert werden soll. Das kann ich mir nicht entgehen lassen."
Ava hielt sich an Beths Rollstuhl fest und gemeinsam spazierten sie zu dem Garten, der sich schon fast wie zuhause anfühlte. "Wo ist eigentlich William? Ich war in seinem Zimmer und hab ihn nicht gefunden."
"Er ist...ich weiß es auch nicht. Gerade war er noch bei mir und hat mir vorgeworfen mit Isabella gemeinsame Sache zu machen und dann war er auch schon wieder weg."
"Wieso das denn? Du würdest dich doch unter keinen Umständen auf ihre Seite schlagen.", sie erreichten den Garten und die Schwingtüren öffneten sich automatisch. Die Lieferung des Lavakuchens dürfte sich herumgesprochen haben. Der Garten war voller Menschen, die sich lachend und stöhnend über Tellern vergnügten. Selbst die Sonne zeigte ihr freundliches Gesicht und beschien einige Stellen.
"Ich hab mir Blut abnehmen lassen. Für Masao. Isabella glaubt, dass man ihm damit vielleicht helfen kann. Seine Ärztin auch." Beth hob schnaubend die Augenbrauen. "Das glaubst du ihr doch nicht, oder?" "Wieso nicht? Masao ist krank-"
"und dein Blut wird da nichts ausrichten. Das Einzige, das den Jungen retten kann, ist die vollendete Formel von Matthias und die hat er nicht. Isabella glaubt sicher irgendwelche neuen Erkenntnisse bezüglich des Serums zu finden."
Und wenn es so wäre? Es würde trotzdem Masao helfen. Flynn sah sie und kam mit zwei Tellern auf sie zu. Sein breites Grinsen machte der Sonne Konkurrenz, das war, bis er Avas Gesicht sah. "Ui, du siehst aber grün aus. Kreislaufkollaps?" "Woher weißt du das?"
"Ich arbeite schon eine Weile hier. Da sieht man Dinge. Hier ich hab euch zwei Stücke aufgehoben. Die besten Zwei, versteht sich. Braucht ihr sonst noch was?", wieder dieser sehnsüchtige Blick. Ava verdrehte die Augen, für Flynn hätte sie genauso gut Luft sein können, vor allem wenn Beth ihm zulächelte.
"Danke für alles. Ava braucht noch etwas Orangensaft und ich könnte einen Kaffee vertragen." "Auf deine übliche Weise?" "Ja, danke Flynn. Du bist ein Schatz."
"Für dich immer.", er verschwand wieder zu seinem Verkaufsstand und Beth rollte neben Ava zur Bank. Der Teich, den sie gestern zerstört hatte, war neu aufgebaut worden, doch die Tiere trauten sich noch nicht in diese neuen Gefiele.
"Dieses Grinsen. Als würde dir die Sonne aus dem Hintern scheinen.", versuchte sie Beth aufzuziehen und das Thema zu wechseln.
"Vielleicht tut sie das auch. Ich war heute Morgen mit ihm in der Stadt. Es ist Markttag und es gibt viele Stände und Essensbuden. Ist wirklich was Besonders. Du solltest es dir ansehen." "Ich glaub nicht das ich dafür-" "es geht bis tief in die Nacht. Ab acht Uhr spielen verschiedene Bands. Du könntest dich noch etwas ausruhen und dann hingehen."
Beths Stimme war eindringlich, obwohl ihre Worte Leichtigkeit ausdrücken sollten. Verwundert sah sie ihre Freundin an. "Ich bin nicht so der Markttyp. Zu viele Menschen. Und wenn mich jemand erkennt, gibt es wieder Ärger."
"Dann zieh eine Kappe auf und halte dich bedeckt." "Warum ist es dir so wichtig, dass ich dort hingehe?" Verstohlen sah Beth sich um und rutschte schließlich näher. "Ich hab da jemanden getroffen. Einen alten Freund. Familie sozusagen. Er hat nach dir gefragt."
Sie musste den Namen nicht sagen, wieso auch. Es gab auf diesem Planeten nur eine Person, für die Beth die Botin spielen würde. Nur eine Person für die Beth es überhaupt in Erwägung ziehen würde. Ava schüttelte den Kopf. "Nein. Ich will ihn nicht sehen." "Aber er will dich sehen."
"Tja, das hätte er sich vorher überlegen müssen.", bevor er ihr große Versprechungen gemacht und sie schließlich gebrochen hatte. "Ava, ich weiß, dass das nicht leicht ist, aber vielleicht kann er dir mit William helfen. Niemand sonst kennt sich so gut mit dem Serum aus. Er muss wissen, was mit William los ist."
Warum? Warum musste er gerade jetzt auftauchen. Ava senkte gequält den Kopf. Sie wollte ihren Vater nicht sehen. Sie wollte sich nicht auch noch mit dieser Katastrophe herumschlagen müssen. Beth seufzte. "Ich habe es dir ausgerichtet. Mehr hab ich ihm nicht versprochen." "Und was hast du im Gegenzug bekommen?"
"Nichts. Ich tat es aus Liebe.", flüsterte ihre Freundin und strich sich die dunklen Haare hinter die Ohren. Wie konnte sie ihr böse sein? Beth hielt Matthias für einen guten, ehrlichen Mann, jemanden der sie liebte. Der Einzige, der sie liebte. Sie griff nach Beths Hand und drückte sie kurz. "Für dich werde ich mir anhören, was er zu sagen hat."
"Warum?" Ava schluckte hart, der nächste Satz fiel ihr nicht leicht und sie hoffte, Beth würde seine schwere begreifen. "Weil wir Freunde sind. Und weil wir zusammenhalten."
Ein dankbares Leuchten huschte über Beths Miene. Aber da war noch mehr. Etwas in ihren Augen, der nun vertrauten Miene. Als wäge sie ab, ob sie Ava diese wichtige Information anvertrauen konnte.
"Iss den Kuchen. Flynn schwärmt schon die ganze Woche davon.", sie entschied sich für das leichtere Thema. Ihr sollte es recht sein, sie hatten sowieso schon genug schwierige Themen zwischen sich. Die Sprache von Matthias hätte ihr fast den Appetit verdorben.
Ein Blick auf den Lavakuchen, saftig und frisch ließ ihren Magen grummeln. Herzhaft biss sie hinein und genoss den fluffigen Teig und die süße Füllung. Ein Paradies auf Erden. Beth lachte bei ihrem Anblick und gemeinsam aßen sie die Mehlspeise, immer mit einem Blick auf die Menschen um sich herum.
Mit ihren Langweiligen Leben und den langweiligen Gesprächsthemen kamen sie einer Soap-opera sehr nahe. "Er hat mit ihr geschlafen-" "nein wirklich?" "Ich hab gehört, sie sind verlobt." "Nein! Sie bekommt doch das Baby von dem anderen." "Der ist schwul! Wusstest du das noch nicht?"
Wie einfach sie es doch hatten. Kein Mord, kein Serum, keine internationalen Intrigen. Als die Sonne langsam unterging, borgte Ava sich eine dünne, schwarze Jacke von Beth und verschwand so leise es ihr möglich war aus dem Krankenhaus.
Sie konnte sich noch sehr genau an den Weg in das Dorf erinnern. Allerdings war die Siedlung nun völlig verändert. Es war wie Beth beschrieben hatte. Überall hingen Laternen und alles duftete nach den verschiedensten Fressbuden. Kinder lachten und liefen herum. Liebespaare machten Fotos.
Von weitem hörte sie eine Band, die in Schwedisch ein wohl bekanntes Lied sang. Beinahe wirkte es als würde das gesamte Dorf mitsingen. Als der Beobachter, der sie nun mal war, fühlte sich das Ganze nach Freude und Glück an.
Sie sehnte sich danach mit einer Freundin vor den Laternen Fotos zu machen und mit William alles zu essen, was ihnen in die Hände kam. Sie sehnte sich nach der Normalität, die diese Menschen ohne Mühe lebten.
"Ava. psst...Ava. Hier drüben.", das Zischen aus einer dunklen Seitengasse, holte sie gewaltsam aus ihren Tagträumen. Sie folgte Matthias widerwillig tiefer in die Schatten, bis er sie stürmisch in eine Umarmung zog. Eine Umarmung, die sie nicht erwiderte.
Steif hing sie an einem massiven Körper und zwang das kleine, verschreckte Mädchen in sich an eiserne Ketten. Das war der Mann, der sie im Stich gelassen hatte, als sie ihn am meisten gebraucht hätte.
"Ich bin hier. Was willst du?" Ihr gereizter Ton ließ ihn zusammenfahren. Unsicher nahm er einen Schritte zurück. "Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht." "Dann hättest du mich nach Bittraslutet begleiten sollen. Was machst du überhaupt hier? Ich dachte du wolltest die Welt sehen."
Er atmete langsam aus, der Blick gequält zum Boden gerichtet. "Das dachte ich auch. Ich dachte, ich könnte dich deine eigenen Entscheidungen treffen lassen. Und ich war sicher, dass du die Folgen händeln können würdest. Das bin ich immer noch. Du bist so viel stärker als Georgette oder ich es jemals waren. Aber ich war keine zwei Kilometer entfernt als ich einen Geistesblitz hatte. Nur weil du alt genug bist, eigene Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen umgehen kannst, heißt das nicht, dass ich dich mit ihnen alleine lassen muss.
Es heißt nicht, dass du mich nicht brauchst. Ich bin dein Vater und ich weiß, wie sehr ich es mir gewunschen hätte, meinen Vater bei einigen dummen Entscheidungen an meiner Seite zu haben. Aber mein Vater ist lange tot. Ich bin es nicht. Noch nicht. Und was ist die Welt oder noch ein paar Jahre auf der Flucht wert...ohne dich.", federgleich strichen seine Fingerspitzen über ihre Wange, "es tut mir leid, ich lag falsch."
Keines seiner Worte, so schön sie waren, änderte etwas an den Scherben seines Verrates. Sie stachen und zwickten in ihrem Herzen und erinnerten sie deutlich an den Moment. Es war ihm leicht gefallen zu gehen. Viel zu leicht. Was hinderte ihn daran seine Meinung wieder zu ändern? Die Antwort war offensichtlich. Nichts.
Anmerkung der Autorin: Ach Matthias...wusstet ihr, dass ich ihn nach meinem Bruder benannt habe?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top