17. Ein gesprächiger Schatten
Der Schatten sprach nicht. Nein, er beobachtete ihn mit einer Art liebevoller Freundlichkeit. Die leuchtenden blauen Augen strahlten Nähe aus. William knurrte.
Es war eine Halluzination, nichts weiter. Ein Hirngespinst, hervorgerufen durch seine Gaben, die Mutationen. Und ein Teil von ihm wusste das auch, aber..."Verschwinde!" >Aber wir sind Freunde. Du brauchst mich. <, antwortete der Schatten und glitt näher.
William wich zurück. Die leise, androgyne Stimme des Geschöpfes jagte Gänsehaut über seine Arme. Die gesamte Nacht hatte es ihm von Avas Verrat erzählt, von der Machenschaft mit Isabella. Es hatte nie aufgehört zu reden.
"Wir sind keine Freunde und ich will dich hier nicht mehr haben. Du hast gelogen." >Gelogen? Nein, ich würde dich niemals anlügen. <, der Schatten waberte hin und her. "Ich habe Ava wehgetan und das für nichts."
>Für nichts? Du hast ihre Erinnerungen gesehen. Sie hat mit Isabella gesprochen und mit Masao. Isabella hat sie auf ihre Seite gezogen. Warum sonst wäre sie weggelaufen. < "Weil ich...ich hätte nie in ihren Kopf eindringen dürfen." Wieso konnte er die Stimme des Schattens nicht einfach ignorieren und wieso fühlte sich jedes seiner Worte richtig an?
Er liebte Ava und er vertraute ihr. Er verschränkte die Arme und starrte aus dem Fenster, entschlossen dieses Wesen am Rande seines Sichtfeldes zu ignorieren. Es war nicht real. >Blödsinn! Du musstest wissen was vor sich geht. Ava versteht das nicht. Sie war nie in einer so schwierigen Lage. <
Genau, seine schwierige Lage. Immer noch fühlte er den Ansturm der Gedanken an seiner neuen, flexiblen Mauer. Anders als zuvor brauchte es, jedoch keine Mühe, um den Schutzwall aufrecht zu erhalten. Der Beweis seiner Macht füllte ihn mit Stolz. Er war stärker, stärker als Ava und als Milo. Und keiner von beiden hatte mit Isabella und deren Apparat zu tun gehabt.
"Ich dachte es wäre nicht so schlimm." Das war gelogen. In der Sekunde, in der er in ihrem Verstand gewesen war, hatte er seinen Fehler gesehen. Er hatte gewusst, wie falsch sein Handeln war, aber es gab keinen anderen Weg. Wie sonst hätte er von dem Treffen mit Isabella erfahren sollen.
>Wir mussten sicher gehen, dass sie uns nicht anlügt. Wir haben nur getan, was notwendig war. <, hatte er das? Ja, sicherlich. Der Zweck heiligt die Mittel. Irgendwann würde Ava das begreifen. Sie befanden sich immer noch in Gefahr und solange Isabella jeden ihrer Schritte kontrollierte, musste er die harten Entscheidungen für sie beide treffen.
>Isabella könnte sie verführen. Ava ist zu gutgläubig, ihre Verbindung zu Masao macht sie Schwach. < Das Kind war ein geschickter Schachzug seiner Häscherin. Seit Milos Tod vermisste Ava eine Familienbande. Selbst er hatte diese Lücke nicht füllen können. "Ich werde ihr klarmachen, dass Isabella sie damit nur gefügig machen will."
>Und du denkst, sie wird es verstehen? Sei nicht naiv. Einer von euch beiden muss klar denken. Ava will eine Familie. < "Ich werde sie überzeugen." Angespannt ballte er die Fäuste. Wo war Ava, er musste-
"Mit wem sprichst du?", die hohe Stimme einer ganz bestimmten Frau ließ ihn perplex herumfahren. Isabella stand mitten im Raum. Der Schatten schlich um den Eindringling, betrachtete aus kalten Augen, das dunkelrote Kostüm mit der dezenten Blätterbestickung.
Frau Nakamura hob die perfekt geschminkten Augenbrauen und wartete. "Mit niemanden.", Verdammt, er hatte sie nicht hineinkommen hören. An ihrer Seite zwei grimmige Soldaten, an deren schwarzer Uniform unzählige Waffen versteckt lagen.
"Ich wollte dich nicht stören. Aber nach deinem Anfall gestern, haben meine Ärzte Sorge bekundet. Der Vorfall hat ihnen wohl einen ganz schönen Schrecken eingejagt." "Und dir nicht?" Isabella lächelte verhalten.
"Ich habe schon so einiges gesehen, aber ich gebe zu, du hast mich überrascht." >Sie hat nicht mit deiner Macht gerechnet. Sie hat Angst<, flüsterte der Schatten an seiner Schulter. Genugtuung flutete ihn. "Mir geht es gut. Alles nicht so tragisch." "Das ist nicht die Reaktion, die ich erwartet habe."
"Ach und was hast du erwartet?" Isabella legte den Kopf schief. "Sorge, Reue, immerhin wurde durch deinen Anfall einer meiner Krankenpfleger getötet." Stef. Der Geruch seines verkohlten Fleisches hing immer noch in Williams Nase nach. Er hatte diesen Mord kaum Beachtung geschenkt.
Der Krankenpfleger war vielleicht kein Freund gewesen, aber ein menschliches Wesen und dazu jemand, der einen solch grausamen Tod sicher nicht verdient hatte. Der Schatten brummte. >erinnere dich an die Spritze. Das Serum. Er hat dir wehgetan. Die Schmerzen waren gerechtfertigt. <
Widerwillig gab William ihm recht. Eigentlich hatte Stef bekommen was er verdiente. "Er hätte sein Schicksal kommen sehen müssen. Wer sein Geld mit illegalen Menschenexperimenten verdient, sollte nicht überrascht sein, wenn diese nicht nach plan laufen."
Sein zorniger Blick sollte Isabella warnen. Bald schon würde auch sie die Rechnung für ihr Handeln zu sehen bekommen. Die Frau schnalzte mit der Zunge und verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken. "Interessant. Du hast dich verändert. Ich hätte mehr Emotion bezüglich deiner Taten erwartet."
>Sie ist eine Mörderin. Sie hätte dich um ein Haar umgebracht und jetzt hat sie die Nerven dich anzuprangern? < Wütend reckte er das Kinn vor und machte einen Schritt auf sie zu. Auf gleicher Höhe sahen sie einander in die Augen.
"Das sagt die Richtige." Einer der Soldaten trat vor und begann ihn von seiner Chefin wegzuschieben. Schweigend nahm er den Mann in Augenschein. Durchschnittlich, nichts Besonderes. Nicht so wie er. Es wurde an der Zeit Isabella eine Lektion zu erteilen, ihr eine Kostprobe seiner neuen Kontrolle zu geben.
Ohne große Schwierigkeiten bohrte er sich in den Verstand des Mannes, überwand seine natürliche Abwehr, ein Kinderspiel. Der Schatten jauchzte glücklich und feuerte ihn an. Einer Walnuss gleich knackte sein Geist auf und überschwamm ihn mit einem Leben. Familie, Kindheit, Ausbildung, Reisen und eine Frau.
William saugte alles auf, ließ es wie Regentropfen auf den Grund seiner Seele fallen. Alles was er wollte war Informationen, er wollte alles über Felix, so hieß der Soldat wissen.
>Weiter, los. Wir wollen alles. Alles! < William verlangte mehr, zog Felix gesamtes Sein in seinen Verstand. Der Soldat brach tot zusammen. Irritiert besaß William sich den Toten zu seinen Füßen. Das war nicht seine Absicht gewesen. Der Schatten lachte. Isabella sah entsetzt zu der Leiche.
"Was hast du getan?" Was hatte er getan?! Er hatte ihn umgebracht, Felix umgebracht und das ohne einen Grund. Wieso hatte er...nein. >Er hat uns bedroht. Wie sonst hättest du reagieren können? Jetzt weiß Isabella mit wem sie es zu tun hat. < William zwang sich ruhig zu atmen.
"Er... hätte mich nicht anfassen sollen.", entgegnete William gefasst. "Himmel, dann sag das doch!" Isabellas Augen blitzen voller Feuer, "es war völlig unnötig ihn zu töten."
>Natürlich sagt sie das. Wenn es ihr schadet, ist es immer unnötig. <, der Schatten hatte recht. "Ich denke nicht, dass es dir gut geht. Deine Kräfte wachsen zu schnell und in kaum vorhersehbare Richtungen. Deine Kontrolle ist auch mehr als fadenscheinig." William schnaubte ärgerlich. "Meine Kontrolle ist perfekt und meine Kräfte sind das was das Serum daraus macht."
"Es war nie angedacht, deinen Körper auf diese drastische Weise zu verändern. Das Serum sollte deine bereits bestehenden Kräfte verstärken." Bestehende Kräfte? Schwachsinn.
"Ich hatte vor dem Serum keine Kräfte." "Und was nennst du deine Selbstheilungsfähigkeiten? Und das telepathische Band zwischen dir und Ava? Nichts?"
Eine Flut von Erinnerungen bestätigten Isabellas Aussage. Seine wundersame Heilung nach Milo und seine Verbindung zu Ava. Beides hatte er so lange wie möglich ignoriert, es seinem engen Kontakt zu den Park Geschwistern zugeschrieben und gehofft.
"Du hattest diese Fähigkeiten immer in dir. Ein Geschenk deiner verstorbenen Eltern." Das Serum hatte seinem Vater das Leben gerettet, aber er konnte sich nicht erinnern in seiner Kindheit ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. >Unfug. Sie redet Unfug<, knurrte der Schatten, der es offensichtlich genauso hasste verascht zu werden.
"Archer hat nie-", Isabella unterbrach ihn mit einem vehementen Kopfschütteln. "Ich glaube, dass es erst mit Ava begonnen hat. Ihre Nähe, ihre Fähigkeiten haben deine wach gerufen und unbewusst geschult. Dein Körper hat sich instinktiv gegen Avas Macht gewehrt und gegen Milos."
"Deshalb habe ich überlebt.", murmelte William und erinnerte sich an diesen furchtbaren Tag, den Moment, an dem seine Kameraden durch Milos Kraft wahnsinnig geworden waren und er übriggeblieben war. Er allein. Dominiks verzweifelte Miene war ein fixer Bestandteil seiner Albträume.
>Du bist mächtiger als sie. Als sie alle. <, ließ sich der Schatten huldvoll vernehmen. "Deshalb und weil du ein guter Soldat warst. General Archer hat dich gut trainiert. Auch wenn er nicht jeden Aspekt deiner Fähigkeiten erkannt hat."
Da war der Harken, das Angebot, die Verführung, der Ava offenbar nicht widerstehen hatte können. "Ich könnte dir helfen. Ich habe Menschen in meinen Reihen, die ähnliche Fähigkeiten haben und die ihr Wissen sicher gerne teilen würden. Beth ist unter ihnen."
>Anketten wie einen Hund, will sie uns. <, knurrte der Schatten. William sah es in ihrer Miene, sie glaubte, leichtes Spiel zu haben, aber nicht mit ihm. Wenn er wissen wollte, konnte er es sich auch direkt holen! Zielstrebig bohrte er sich in ihren Verstand und stieß gegen eine eiserne Mauer.
Isabella schnappte erschrocken nach Luft und hielt sich den Kopf. Ohne auf ihr schmerzverzehrtes Gesicht zu achten, bohrte er weiter. Es musste einen Weg reingeben, so wie bei Ava.
Rotes Blut tropfte aus Isabellas Nase und mit einer Handbewegung schoss der Soldat auf das Fenster direkt neben Williams Kopf. Der Knall durchbrach seine Konzentration. Der Angriff, gedacht für Isabellas Mauer, schlug sich in ihm nieder. Starker Schmerz schoss in all seine Muskeln, sein Schädel drohte zu explodieren. Ein Schrei kämpfte sich aus seiner Kehle.
"Das war dumm.", keuchte seine Wärterin und flüchtete aus dem Zimmer. Alleingelassen fiel William auf die Knie und versuchte krampfhaft seinen Verstand unter Kontrolle zu bringen, Schadensbegrenzung zu betreiben. Seine Mauer fing einen Teil des Schadens auf. >Das nächste Mal hat sie nicht so ein Glück<, beinahe liebevoll strich der Schatten über seine Schulter.
Es sollte tröstend sein, aber nichts davon schenkte ihm Trost. Die Einsamkeit drang wie Fäulnis in seine Gliedmaßen. Er wollte Isabella nicht töten. Er wollte niemanden töten. Wieso hatte er es trotzdem getan? Die Schmerzen durchwühlten ihn, zwangen alles durcheinander.
Ava. Er brauchte sie. Nichts schien Sinn zu machen, außer ihr. Schwer atmend richtete er sich auf. Hielt ihr Bild in seinem Verstand, schuf einen Anker in den tosenden Wellen seines Geistes. Ava, ihr Haar, ihr Lächeln, das Glitzern in ihren kornblumenblauen Augen.
Wo war sie...wo war sie...sein Geist wanderte, fand sie im Garten sitzend. Allein. So allein wie er. Alles in ihm drängte ihn zu ihr, er rannte atemlos und achtete dabei nicht auf die erschrockenen Menschen, die ihm kaum ausweichen konnten. Barfuß und halb Blind vor Schmerzen suchte er nach dem einen Menschen, der ihn beruhigen konnte.
Ein leichter Wind kühlte die Schweißperlen auf seiner Stirn, die Sonne konnte das Eis in seinen Venen nur bedingt schmelzen. Der Garten war mäßig besucht, einige Patienten und ihre Pfleger genossen die Natur, bei seinem Anblick wichen sie zurück. Und das sollten sie auch.
Er war ein Mörder. Der Gedanken erschütterte jede Faser seines Seins. Mörder, schrie sein Herz, immer lauter. Zitternd schloss er die Augen, versuchte das Geschrei in seinem Kopf verstummen zu lassen. Kämpfte um Kontrolle.
"William.", die sanfte Stimme ließ ihn zusammenzucken. Ava. Seine Ava. Sie stand nur Zentimeter von ihm entfernt. Ihre sorgenvollen Augen suchten nach Verletzungen. Ihr Anblick entkrampfte seine Lungen, er konnte endlich wieder atmen. Erleichtert hob er die Hände und umfasste ihr wunderschönes Gesicht. Sie war einzigartig, etwas Besonderes, wie er. Sie war alles was er brauchte.
"Ava, ich hab dich gefunden. Ich..." "Was tust du hier. Ich hatte einen guten Grund wegzulaufen.", zwischen die Sorge mischte sich Wut und schmerz. Er hatte ihr wehgetan.
"Ich weiß, es tut mir leid. Ich hätte das nie tun dürfen. Ich weiß nicht, was passiert ist. Alles ist verkehrt.", er brabbelte, wusste nicht was sie am Ehesten von seiner Unschuld überzeugen würde, "da ist dieses Ding in meinem Kopf und ich, bitte, ich brauche dich."
"Ich bin hier, an deiner Seite. So wie ich es immer war, aber du musst mir vertrauen." "Das tue ich.", flüsterte er und umarmte sie. Der warme Körper fühlte sich gut an. Das Geschrei wurde leiser. "Mein Kopf...er tut so weh. Ich weiß nicht, wie ich es aufhalten kann."
"Sch...wir finden es heraus. Gemeinsam.", ihre Arme legten sich um seine Schultern und sanft strich sie über seinen Nacken. William entspannte sich langsam. "Aber wir werden dafür Isabella brauchen."
Diese Worte...Isabella hatte ihm das angetan. >Ich habe es dir gesagt. Sie hat Ava verführt. <, der Schatten grinste in seiner schwarzen Gestalt neben ihm.
"Wir können ihr nicht vertrauen.", knurrte er in Avas Ohr und hielt sie fester als beabsichtigt. Ava wand sich aus seinem Griff und sah ihm eindringlich in die Augen. "Ich rede nicht von vertrauen. Wir brauchen ihr Equipment, ihre Ärzte, ihr Wissen." Der letzte klägliche Versuch ihr Wissen zu erlangen, haftete noch in seinen Knochen. "Ihre Mauer. Ich konnte sie nicht durchbrechen."
"Ich habe das auch schon probiert. Jemand beschützt sie. Aus diesem Grund brauchen wir eine andere Strategie." Und ohne Isabellas Ressourcen würde er keine Antworten erlangen. Verdammt. Widerwillig nickte er und bemerkte Ava erleichternd ausatmen. Ihre Reaktion machte ihn wütend, dabei war sie diejenige, die sich von Masao um den kleinen Finger hatte wickeln lassen.
"Was hast du vor?" "Sie braucht mich. Uns. Wir halten uns bedeckt, holen uns was wir brauchen und vernichten den Rest."
Das war zu leicht. Ava schien ihre Feindin zu unterschätzen. Oder überschätzte er sie? Aber er war nicht durch ihre eiserne Mauer gedrungen, seine Kräfte hatten nicht ausgereicht. Er war zu schwach gewesen. Ein Schauer jagte über seinen Rücken. Keine Kontrolle und hilflos. Zwei Dinge, die er nie wieder fühlen wollte.
>Das wirst du auch nicht. Alles was du dafür braucht ist mehr Macht< Mit mehr Macht wäre auch dieses Hindernis kein Problem. Niemand wäre je wieder in der Lage ihn anzulügen. Verschwiegen nickte er dem Schatten zu. Ein Plan formte sich.
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